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20.
Regenstein.

(Zwischen Blankenburg und Quedlinburg.)

Auf trutzigem Fels in den Vorbergen des Harzes liegt nördlich von Blankenburg die Ruine einer Burg, die wohl zu ihrer Zeit das gewaltigste und sonderbarste Werk ihrer Art gewesen ist. Mit dem zu unterirdischen Gelassen ausgehöhlten Felsen war sie geradezu verwachsen, beherrschend ragte sie in die Ebene hinaus über fruchtbare Landschaften und blühende Städte. Es ist der an Sagen und geschichtlichen Begebenheiten so reiche Regenstein.

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Sein Ursprung liegt in der Zeit, da die Thüringer unter ihrem König Melverich gegen die Sachsen zogen, aber von deren ruhmreichem Heerführer Hatebold zurückgeschlagen wurden. Eine Chronik aus dem 15. Jahrhundert erzählt, daß »im jare 479« der siegreiche Hatebold, der »in dem Torppe Lo Bedekenstidde (Beckenstedt) wonede,« seine Burg dort hinbaute nach den Worten: »Düsse Styn is gereghent, darupp schall myne Wonung wesen!« Nach einer anderen Lesart hat der Sachsenführer Hatebold in seiner Mundart gesagt: »In jene Regen (= Reihe) Steine laßet uns eine Burg bauen.« Tatsächlich nannte man die Burg zeitweilig »Reinstein«, was Reihenstein heißen kann.

Auch zu der Zeit des berühmten Grafen Albrecht, Schutzvogt der Stadt und des Stiftes Quedlinburg, war diese Bezeichnung üblich. Unvergeßlich ist die Geschichte dieses Albrecht von Reinstein, der sich aus Überspannung seiner gewaltigen Schutzherrschaft den Unwillen der Bürger und des Stiftes von Quedlinburg, die offne und geheime Feindschaft zahlreicher Gegner, an ihrer Spitze des Bischofs von Halberstadt, zuzog und nach langen schweren Fehden schließlich in Ketten nach Quedlinburg eingebracht wurde. Harter Gefangenschaft widerstand er trotzig, und erst vor dem Schafott und Todesurteil durch den Hansabund lenkte er zerknirscht ein. Auf dem Rathausboden zu Quedlinburg ist heute noch der schwere Holzkäfig mit der kleinen Tür zu sehen, darin Albrecht von Reinstein gefangen saß.

Ein Edelfräulein von der benachbarten Heimburg gefiel einem Grafen vom Regenstein solchermaßen, daß er das stolze Mädchen mit Gewalt auf seine Burg brachte, weil es in treuem Verlöbnis mit einem Edlen des Landes allen Verlockungen des Regensteiners widerstrebte. Um das edle Fräulein gefügig zu stimmen, warf er es in eines der aus natürlichem Stein gebildeten Gewölbe. Mit seinem Ohr erlauschte die Gefangene am Klatschen des Regens und Sausen des Windes, daß die Felswand nicht allzudick sein könne, und grub mit hoffensstarker Geduld den Weg ans Licht. Der einzige harte Gegenstand in ihrem Besitz war der Treuering von ihrem Liebsten, dessen Kraft offenbar auf den Ring übertragen war; denn wie mit Wunder ging es zu, daß dem kleinen goldnen Reif nach Wochen fleißiger Bohrarbeit endlich der Fels erlag, der doch schwersten Stürmen feindlicher Belagerung jahrhundertelang getrotzt hatte.

Kaum aber, daß das erschöpfte Fräulein sich durch den gewonnenen Ausschlupf hinaus gezwängt hatte, stand es vor einer neuen, schaurigen Gefahr. Steil fiel die Felswand in gähnende Tiefe. Sich Gott und allen guten Geistern befehlend, wagte das Mädchen den waghalsigen Abstieg, kam heil zu Tal und fand den Weg zur Heimburg. Hier harrten Vater und Verlobter in banger Sorge und waren nun zu fürchterlicher Rache entschlossen. Angesichts der hohnsprechenden Gewalt des Reinstein aber griffen sie zur List.

Sie nahmen die Bärte ab und zogen Weiberkleider an, um als Bauernfrauen den Torwart zu täuschen, was ihnen auch gelang. Sie sprengten das Tor und zogen ihre Waffengefährten nach, zerstörten die Befestigungen und verfolgten den Grafen bis zum Frauengemach, von wo der Räuber, in ein Bett genäht, über die Außenmauer entkam. Er blieb flüchtig und ward in seinem Lande nicht mehr gesehen. Auf der Heimburg war aber bald darauf ein fröhliches und stolzes Hochzeitsfest.

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