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(Mittelharz.)
In manchen Gegenden des Harzes, so bei Elbingerode, in der Grafschaft Hohenstein, bei Walkenried und überhaupt im mittleren Harz, finden sich kleine Höhlen und Erdlöcher, darin in Vorzeiten das emsige Volk der Zwerge hauste, das sich die in den Tiefen der Erde schlummernden Schätze zunutze machte und bald über Reichtümer von unermeßlichem Wert verfügte. Der König, der viele Klafter tief unter der Erde einen mächtigen Palast hatte, war ein sehr liebenswürdiger und gescheiter Mann, dem neben dem Wohlstand und Frieden des eigenen Volkes auch das Wohl der Menschen am Herzen lag, deren Sorgen und Mühen er oft erspähte, wenn er geheime Wanderungen über die Erdoberfläche unternahm.
Zu gewissen Zeiten schickte er deshalb besonders kluge Leute aus seinem Völkchen als gute Beobachter hinauf in die Dörfer der Menschen, um zu erfahren, wo Bedürftige und Notleidende etwa seine Hilfe gebrauchen könnten. Besonders aufmerksam waren die Zwerge bei Familienfesten, ob Kindtaufe oder Hochzeit, Jahrestage oder Sippenfeiern, die Zwerge halfen, und wenn es nur mit schönem Tafelgeschirr, Schmuck oder Hausrat geschah; mitunter wurden die schönen Dinge nach dem Fest wieder abgeholt, oft blieben sie als Geschenk im Haus und erinnern heute noch mit ihrem goldnen Glanz oder kristallnen Klang an jene gute Zwergenzeit.
Die Zwerge waren garnicht böse, wenn ihnen etwa ein junges Paar, das in den Stand der Ehe treten wollte, mit der Bitte um Hilfe entgegenkam. Denn auf alles konnten die kleinen Kerle ja nicht immer achten, und wer ihre Hilfe garnicht entbehren konnte, ging der Sicherheit halber selber hinaus an die Zwergenlöcher und sagte ein passendes Sprüchlein her.
Holle hoh, holle hat,
Bin nicht froh und bin nicht satt,
Möchte gerne Hochzeitsgaben,
Von den lieben Zwergen haben!
Das Lieschen Deeke, eines armen Holzfällers sehr schönes Kind, hatte den Müllersohn Jochen herzlich gern, und Jochen auch das Lieschen, durfte es aber nicht nehmen von dem hochmütigen Müller aus. Lieschen ging nun mutig hinaus an ein großes Zwergenloch, wartete auf die richtige Stunde, legte sich ein Büschel Farrn auf's blonde Köpfchen, machte drei Sprünge links, drei Sprünge rechts, und kniete dann an dem Erdloch nieder und sagte sein Sprüchlein. Bald konnte sie den Müllerbuben heiraten, und der Vater brauchte nicht mehr zum Holzfällen zu gehn. Auch ein altes Mütterchen, dem der Mann schon lange tot und die Kinder fortgezogen waren, erlebte die schöne Freude, daß an ihrem Silberhochzeitstage, den sie glaubte ganz arm und allein zubringen zu müssen, eine ganze fröhliche Gesellschaft von Zwergen kam mit vielen schönen Geschenken, alle in Silber. Und der König war auch dabei und schenkte der Alten einen Kasten voll guter Goldmünzen.
Auch als Musikanten stellten sich die Zwerge freiwillig ein, fidelten aber einmal auf einer Kirmes so schön, daß die Mädels ihre Buben stehen ließen und mit den kleinen Künstlern lieb taten. Da wurden die Burschen grob und warfen mit Stühlen nach den Zwergen. So, und auf manche andre Weise, wurden aber die kleinen Schelme allmählich vertrieben und kamen immer seltener zum Vorschein, bis sie schließlich ganz verschwanden.
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