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22.
Schloß Wernigerode.

Das Schloß Wernigerode, früher »die Harburg« geheißen, hat damals nicht so reizend schön und malerisch auf dem Vorberge gestanden, von wo es heute den Wanderer entzückt, sondern südwestlich vom Schloßberg auf einer schroffen Felsenspitze von geringem Umfang. Nur spärliche Grabenreste geben noch Kunde von der einstigen Burg, die ein kleines und enges Gebäude war, finster und unansehnlich.

Das Geschlecht der Herren von Harburg wurde immer reicher und mächtiger, sodaß die Burg der immer zahlreicher werdenden Familie, den Frauen und Mägden, Herren und Mannen nicht mehr genügend Wohnstatt geben konnte. Graf Botho hegte daher lebhaft den Wunsch nach dem Besitz eines größeren Schlosses. Ganz besonders liebte er die Landschaft, von der uns heute das Schloß Wernigerode grüßt. Hier ließ ihn seine Phantasie Bogen und Zinnen bauen, sah er im Geiste himmelstrebende Türme, lange Wälle, breite Höfe, kühne Brücken über schützende Gräben gewölbt. Doch das Vermögen reichte nicht aus, die Kosten so stattlichen Werkes zu tragen, auch fehlte der Raum zur Ausdehnung des alten Baues. Sorgenvoll gingen die Tage des Grafen Botho von der Harburg dahin.

An einem schönen Sommerabend saß er mit seiner Gemahlin vor dem Burgtor, und beide schauten hinüber ins Paradies des jetzigen Schloßberges. »Warum machst du dir das Leben schwer. Wenn deine Wünsche nicht durch menschliche Kraft in Erfüllung gehen können, dann denke doch mal an die freundlichen Berggeister, die deinen Vorfahren, wie die Chronisten berichten, so oft in ihren Plänen und Nöten geholfen haben«, sprach die Frau zu ihrem sinnenden Eheherrn. »Ja«, sagte der, mit hoffnungshellem Auge sein kluges Weib anschauend, »ja, ich will die alten Geister anrufen, ich will ihre Hilfe versuchen.« – – –

Alles ruht in den Hallen, die Sterne standen auf Mitternacht, da begab sich Graf Botho in den abgelegensten Teil der Burg, in dem, der Überlieferung gemäß, die Berggeister hausen sollten. In aller Hast sagte er hier die ihm bekannte Beschwörungsformel her. Gleich darauf kamen viele kleine, graue Männlein aus Spalten und Löchern hervor, rieben sich mit den Handrücken die Äuglein und blinzelten den Grafen mit verstohlenem Lächeln an.

Einer von ihnen, die demantenbesetzte Krone auf dem zierlichen Haupte, trat kühnlich einige Schritte näher und fragte: »Warum rufst du uns?«

Graf Botho trug sein Anliegen vor und bat um die Hilfe der guten Geister, falls die Erfüllung ihm zum Heile gereichen sollte.

Ein leises Murmeln durchlief die Reihen der Berggeister. Der König aber sprach: »Schäme dich, Graf Botho, daß du die Stätte verlassen willst, wo deine Ahnen glücklich und zufrieden lebten, wo ihr Geist dich umrauscht und ihr Gedächtnis dich umweht. Erinnere dich, daß deine Mutter dir in diesen Mauern das Leben gab, daß ihr Auge dich hier glücklich strahlend aufwachsen sah und ihr Mund dir die schönsten Sagen und Märchen hier erzählt hat, die sie von uns erfahren. Gedenke der Taten deines Vaters, die er hier ersonnen und ausgeführt hat, jeder Stein, jeder Grashalm weiß davon und flüstert und raunt es dir heut' noch zu.«

»Ich erinnere mich und denke an alles,« entgegnete der Graf, »nicht gern, und auch nicht ohne Gram, würde ich diese, von meinen Ahnen erbaute Burg verlassen, alle ihre Taten und Werke leben in mir und in diesen Räumen. Auch wünsche ich nichts so sehnlich, als ihnen nachzueifern; doch dazu brauche ich vor allem Raum und Gelaß für meine wachsende Sippe und Macht. Und der Gebirgsvorsprung dort drüben ist der beste Platz für eine Burg, die sich Ansehen im ganzen Lande verschaffen soll. Wollt ihr mich und mein Haus darin unterstützen, dann helft mir, wie und wo ihr könnt!«

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Diese Rede hatte auf die Berggeister ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie tuschelten und nickten, und scharten sich um ihren König, während ein wunderbar lieblicher Sang durch den Raum zog; dann sprach der König zum Grafen Botho: »Wir wollen sehen, was wir tun können.«

Kaum daß der Graf seine Freude und Dankbarkeit ausdrücken konnte, stand er schon wieder allein in dem düsteren Gewölbe. Eilig ging er zurück und suchte sein Lager auf, zu ruhen.

Da, mit einem Mal gabs ein Lärmen und Rumoren! Holz und Steine krachten; das ganze Gemäuer schien mit Dach und Giebel einzustürzen! Doch durch das Lärmen scholl es leis:

Rücke fort! rücke fort!
Es bannt dich unser Machtgebot an einen andern Ort!
Rücke fort! rücke fort,
An einen Ort, der schön ist und weit und breit;
Da sollst du aufgerichtet stehn für alle Zeit!
Dort sollst du bleiben und gedeihen. Und in Ewigkeit
Wollen wir Bürge sein für deinen Glanz und deine Herrlichkeit.

Danach wurde es still. Als der Morgen dämmerte und der Burgherr und alle Mannen sich erhoben hatten, bot sich ihnen ein wunderbarer Anblick dar. Grüne Auen, ährenwogende Felder, freundliche Dörfer, grüne Büsche und silbern blinkende Bäche waren zu schauen. Weit her übern Wald ragte der Fallstein, blinkte der Affe, dort der Regenstein und hier die erhabenen Türme des ehrwürdigen Domes zu Halberstadt. Wahrlich, die Harburg lag auf dem schönsten Flecken des Landes, wie es sich der Graf gewünscht hatte, und dankbar kniete er nieder zum Gebet. – – – –

Spätere Nachkommen des Grafen Botho, denen eine Burg im Argonnenwalde in Frankreich bis zur Revolution im Jahre 1796 gehörte, hatten dies Schloß »Rochefort« genannt, wohl in guter Erinnerung an die Berggeister im heimatlichen Harze und ihren Zaubersang: »Rücke fort, rücke fort – –«.

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