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(Am Brocken.)
Eine gar rührende Begebenheit ist schon vor so langer Zeit geschehen, daß wir nicht mehr Zeit und Ort wissen, wann und wo die Burg jenes verwegenen Raubritters stand, von dem die Geschichte ihren Anfang hat. War er gleich ein wilder und rauher Gesell, so hatte er doch auch eine vom Guten verwundbare Stelle in seinem Herzen. Und hätte er die nicht gehabt und nicht sein wildes, böses Blut, so hätten wir nicht die schöne Geschichte vom Mädchenbett. Und die ist folgende.
Der Raubritter überfiel, wie so oft, einen Zug reisender Kaufleute, die er durch eigene Hand und durch seine Spießgesellen niedermachte und ausplünderte. Einer seiner Helfer fand dabei in einem Wagen ein Kind. Es war ein kleines Mädchen, das der Kaufherr wohl von einer Verwandtschaft zur anderen zu bringen gedachte. Vielleicht war er der Vater, der nun in seinem Blute lag. Wo mochte die Mutter der lieblichen, hilflosen Wesens sein? Gott weiß. – Der Kerl, der das Kind fand, wollte es an einem scharfen Felsen zerschmettern, als ihm der Ritter in den Arm fiel und, von einer seltsamen Ergriffenheit übermannt, das Mädchen an sich nahm und sorglich mit nach Hause brachte, wo er es seiner Frau zur Erziehung überließ.
Das Mädchen war eine holde Jungfrau geworden und gefiel dem Raubritter über die Maßen gut. Er liebte das unschuldige, träumerische Jüngferlein und hätte es wohl gern zu eigen gehabt, als sein Liebchen oder Weibchen. Doch lebte in dem kleinen Herzen des Mädchens eine Ahnung von seiner Herkunft und damit eine tiefe Abneigung gegen den bösen Mann, den Mörder vielleicht ihres Vaters. Der hatte aber auch einen leiblichen Sohn in etwa gleichen Jahren, dem die Stiefschwester eben auch wohlgefiel, sodaß er ihr in Züchten und Ehren zu nahen suchte. Auch mochte das Mädchen Gefallen an dem schlanken Burschen haben, denn er war nicht wüst und verdorben wie der Vater. Obwohl sich die zarten Bande zwischen den Stiefgeschwistern noch in aller Heimlichkeit anknüpften, war das dennoch dem vergeblich werbenden Vater nicht entgangen. Er brachte seinen Sohn deshalb schleunigst zu einem Förster in die Lehre, was dem Jungen nicht sonderlich auffallen konnte, da er ja selbst nach friedlicher, ordentlicher Arbeit strebte.
Kaum war der junge Ritter aber in der Fremde, als auch der Alte mit doppeltem Ansturm auf das Mädchen eindrang, ja vor Drohungen mit Gewalt nicht zurückschreckte. In ihrer Not wußte die Jungfrau keinen anderen Weg mehr, als die Flucht. Nun aber schäumte der wilde Ritter vor Wut und bot Hund und Hetze auf, die Spur zu finden, aber vergeblich. Die Kunde hiervon ward auch in das Forsthaus getragen, wo sie den Jüngling traf. Der machte sich augenblicks auf und irrte Tage lang im Gebirge umher. Oft, wenn seine Kräfte erlahmen wollten, sah er von fern eine silberweiß leuchtende Lichtsäule, die vor ihm herwandelte, sodaß er ihr folgte. So kam er in die Nähe des Brockens, wo sie auf dem Brockenfelde stillstand und bei seinem Nahen langsam erlosch. An der gleichen Stelle aber empfing ihn ein neuer, überwältigender Glanz. Der ging von einem Bette aus, das auf dem Steinmeere schwebte, ein prächtiger leuchtender Stein, darauf zum Schlummer hingestreckt in blütenweißem Schimmer die Gesuchte, die Geliebte, ruhte. Ein überaus süßes Lächeln lag auf ihrem Antlitz, von himmlischem Frieden verklärt. Denn sie war tot. Von tiefem Schmerz ergriffen gab der Jüngling ihrem Leibe dort in der steinigen Erde ein letztes Lager und nahm den Glanz der Verklärten mit in sein rüstiges Leben.
Auf dem felsigen Plan dort im Brockenfeld grünt bis heute weder Halm noch Zweiglein. Und dies stille, öde Felsenmeer heißt heute noch: das Mädchenbett.
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