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(Hoppelberg bei Halberstadt.)
Zu Zeiten, da die Chatten, Sachsen und Wenden sich in den Besitz des Harzes zu teilen hatten und untereinander oft in blutigen Kämpfen lagen, entstand allen gemeinsam ein neuer mächtiger Feind, gegen den sie sich geschlossen zur Wehr setzten. Und es bedurfte der größten gemeinsamen Kraftentfaltung, um dem Ansturm der gefährlichen Völkerschaft Stand zu halten. Die Eindringlinge kamen vom Norden und waren über alle Maße riesige Gestalten, von Bärenkräften ausgestattet, und hießen: die Hünen.
In der Ebene vor dem Nordberg hatten sich die Hünen zuerst niedergelassen, drangen aber bald in Trupps und Rotten in den Harz ein, schlugen mit wenigen Mann ganze Dorfgemeinden der Ansässigen in die Flucht und wurden immer übermütiger zum Schrecken des ganzen Harzes: Da stellten die Sachsen, Wenden und Chatten zu gleicher Zeit große Heerhaufen auf, die sie zu einem einzigen wohlbewaffneten Heere vereinten und zum Entscheidungskampf gegen das Volk der Hünen führten. Die Gegner trafen unweit von Halberstadt auf einander, wobei die Hünen mit Sorge sahen, daß ihre Angreifer, zwar im einzelnen Mann weit unterlegen, doch durch eine gewaltige Überzahl und kriegsmäßige Ausrüstung bedeutend im Vorteil zu sein schienen. Dieser Eindruck trug eine bedenkliche Unruhe in die Kampfhaufen der Hünen, ließ sie zu murmelnder Beratung zurücktreten und gab den anrückenden Harzern erhöhte Angriffslust, so daß sie zu wütender Herausforderung einzelne Anführer vorausschickten, um die Hünen zu stellen. Diese waren nahe daran, in kampflosem Rückzug das Feld zu räumen.
Da schwang der König der Hünen mit gewaltigen Armen seine Keule überm Haupt und donnerte seinen Kriegern einen so entschlossenen Befehl zum Stehen in die Reihen, daß die stets kampfgewohnten mächtigen Hünenleiber beschämt aufzuckten und gewohnheitsmäßig Aufstellung zum Kampfe nahmen. Der Abstand zwischen ihnen und den nachrückenden Gegnern wurde währendesten immer kürzer, in wenigen Augenblicken konnte der Angriff erwartet werden.
Da tritt der Hünenkönig vor sein Volk, die Keule schräg auf die Schulter legend, mit einer halben Wendung rückwärts zu den Seinen, durch deren Reihen ein jähes Grausen fährt.
»Fürchtet ihr diese Zwerge dort? Fürchtet ihr sie, weil ihrer so viele sind? Die Masse kann das Übergewicht nicht erringen, wenn die Großen ihres vollen Wertes sich bewußt bleiben! Aber jetzt braucht ihr nicht zu kämpfen, nein, ihr sollt jetzt, dürft jetzt gar nicht kämpfen; allein will ich hingehen in das Heer der Zwerge. Keiner, bei Tod und Verachtung, folge mir nach! Aber zusehn sollt ihr, um wieder zu lernen und zu glauben, wie ein Hüne kämpft!«
Damit schritt er ruhig auf den Feind zu, erfaßte bedächtig die ungeheure Keule mit beiden Händen, stand so einige Schritte vor des Gegners Reihen still und faßte die Nächsten blitzend ins Auge. Die wichen vor der riesigen Gestalt und dem brennenden Blick sachte zurück, so daß eine Einbuchtung der vordersten Linien entstand, in die der Hünenkönig mit gewaltigem Satze sprang. Und nun mähte die Keule in kreisendem, sausendem Schwünge rundum, dreimal, fünfmal; über die Köpfe der Taumelnden fegte die Riesenkeule in größerem Umschwung auf Brust, Kopf und Schultern der immer erneut Anstürmenden, so daß den König, der jetzt mitten im feindlichen Haupttreffen stand, ein Wall Erschlagener rings umgab. Und keiner kam lebend über den Wall, kein Geschoß noch Spieß schien den sich immerfort wendenden und mit der kreisenden Keule deckenden Leib verwunden zu können, denn in gleicher wuchtender Bewegung drehte er sich fort und fort. Die Harzer erfaßte ein lähmender Schrecken ob der vermeintlichen Unverwundbarkeit des Hünenkönigs, und als seine Getreuen nun Waffenlärm erhoben, als wollten sie auch angreifen, ließen die Gegner von dem König ab, warfen Waffen und Rüstung von sich und ergriffen die Flucht.
Wie eine Glocke langsam ausschwingt und verstummt, schlug die Keule des Hünen noch einigemale ins Leere, heftig, dann matt, und lag schließlich reglos still auf der Mauer der gefällten Leiber, über die hin nun das Heer der Hünen zu ihrem König eilte, ihn zu einer nahen, schattigen Linde zu geleiten, an deren Stamm er sich aufatmend lehnte. Noch einmal sah sein Königsauge groß über die Scharen seines Volkes, dann sank die Keule aus der Faust und das Auge erlosch. Als seine Freunde Helm und Panzer von dem mächtigen Leibe nahmen, stürzte aus hundert Wunden sein Blut und strömte das Heldenleben des Königs dahin. Da brach das rauhe Kriegervolk der Hünen in haltloses Wehklagen aus.
Der Älteste aber stieg auf einen Felsblock und sprach: »Nicht jammern und klagen wollen wir, Volk der Hünen! Unser aller Los ist der Tod. Der schönste Tod aber ist es, im Gefühl des Sieges und des Ruhmes zu sterben! Darum lasset uns den Toten ehren, wie das Wesen des Lebenden war: stark, treu, groß und opferfreudig. Lasset uns dem Heldenkönig ein Denkmal errichten, das der Größe seines Heldentums Ausdruck zu geben vermag, ein Denkmal, das seinen Ruhm bis in die fernsten Zeiten und Zonen trage!«
Und so errichteten die Hünen an dem Orte, da ihr König allein drei Völker besiegt hatte und wo er seine letzte Ruhe fand, den Gipfel einer Anhöhe in der Form eines gewaltigen Sarges. Das ist der Hoppelberg bei Halberstadt, der später und heute noch Sargberg heißt.
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