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21.
Die Jungfrau auf dem Leichensteig

(Am Kalten Tal bei Wernigerode.)

Das war des Grafen von der Harburg liebes Töchterlein, ein gar unschuldig Blut und nur ein ganz klein wenig verliebt in einen schönen, kühnen Jägersmann. Und was der helle Tag nicht wissen durfte, das vertrauten die Liebenden dem Zwielicht an; wo einer Prinzessin Kleid zu laut gerufen hätte: seht her, hier sitzt des Grafen Kind bei einem Jägersmann im grünen Wald! da half etwas Mummenschanz freundlich den Späher zu täuschen.

Ging der Jäger zu Markt, seinem Herren ein blank Gewaffen zu erstehen, so geleitete ihn sein Mägdelein im Kleid einer jungen Bäuerin und barhaupt im Gewühl der Bauern und Knechte. Zog der Geliebte auf Kundschaft zur Fehdezeit, oder ritt er als Kurier in die Nachbarschaft, stets war des Grafen Töchterlein als junger Knappe an seiner Seite, die widerspenstigen Blondlocken unters Barett gepreßt. Erscholl Jagdruf und Büchsenknall im weiten Wald, dann schlich sich das Fräulein im Lumpenkleid von des Vaters Burg hinab und folgte dem Hornruf im Wald. So war auch heute der Jäger draußen im Busch beim edlen Waidwerk.

Und mit Hussa und Hoh! jagte er einen gewaltigen Hirsch. Die Büchse krachte, daß der Wald, erscholl wie eine weite, hohe Halle, und mit letztem wilden Todessprung brach der Hirsch aus dem Holz. Du schönes, stolzes Tier, dachte das Grafenkind im Busch, davor der Hirsch verendete und trat heraus. Du schönerer, stolzerer Sieger, dachte das Jüngferlein an seinen Jägersmann, der im Augenblick herankommen mußte. Und die kleinen weißen Hände zogen die Vermummung, wie sie eines Wilddiebes gerecht gewesen wäre, enger zusammen. Dämmer erfüllte den schweigenden Wald. Da knackt es unweit im Holz. Mein Liebster! wollte das Mägdelein rufen und tat einen Schritt. Da krachte die Büchse des hitzigen Jägers und zerriß der Blume von der Harburg das Herz.

Wenn wir durch den Eisengrund und das kalte Tal hinüber sind, dann kommen wir auf den Leichensteig, deshalb so geheißen, weil hier die Jungfrau von der Harburg wandelt mit der Todwunde im Herzen. Dämmer füllt den Wald und in den Lüften kracht es fern wie Büchsenschall und seufzet schwer wie Liebesnot.

* * *


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