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6.
Die Gegensteine.

(Bei Ballenstedt.)

Bei Ballenstedt liegen die Gegensteine. Sie sind der Aufenthaltsort böser Geister, die sich dir in dunkler Nacht, wenn fern vom Turm die zwölfte Stunde schlägt, in Gestalt von Feuerkugeln in wildem Flammentanz nahen, um dich in ihren Bannkreis zu ziehen. Gespenstisch lautlos ist ihr Werben um deine Seele, lautlos, wie sie beide immer liegen, seit der eine, der neben dem »stummen« Gegenstein der »laute« genannt, damals die weite Welt mit erschütternden Tönen erfüllt hatte. Das war, als ein Bauer habgierig in die Höhle eingedrungen war, in der die mächtigen Steine einen kostbaren Schatz zu hüten hatten.

Der Schall der Glocken von der Kirche des heiligen Stifts in Quedlinburg lag noch im Ohr des Bauern, der, nach Ballenstedt zurückzukehren, an den Gegensteinen vorüberzog mit Roß und Wagen, in sinnendes Schweigen vertieft. Schon fällt der Abendschein auf Wiesen und Wälder, da bleibt das Pferd vor dem hohen Felsen stehen; der Wagen war vom Wege abgekommen, und undurchdringlich sperrt sich ein Gestrüpp. Wilde Wasser brausen in der Nähe, nicht weit gähnt eine tiefe Höhle. Der Bauer steigt ab und dringt behutsam vor, steigt mit heimlichem Grauen in die Höhle hinein und sieht in ihrem Innern eine große Tafel aus reinem Silber, eingefaßt mit roten Edelsteinen, Granaten auf der Tafel bilden geheimnisvolle Formen und Zeichen. Noch mehr erstaunt der Bauer aber über eine große Pfanne, von glitzerndem Gold bis an den Rand gefüllt. Gierig verschlingt sein Blick die Reichtümer, da sieht er einen großen schwarzen Hund, der mit drohenden Feueraugen den Schatz bewacht. Der Bauer steht und zweifelt, ist sich nicht schlüssig, was er tun soll und darf. Doch endlich siegt die Gier, das gleißende Gold zu besitzen, und ohne, daß der Höllenhund ihn hindert, füllt er sich alle Taschen voll. Er schleppt den Raub auf seinen Wagen und überlegt. Und weitere Gier und Sucht treibt ihn zum zweiten Mal hinein, und weil er glaubt, der schreckliche Hund sei nur ein Werk seiner Einbildung, seiner Furcht, versucht er es auch noch ein drittes Mal. Er giert und stiert, und sackt und packt, soviel er nur kann tragen. Da fahren Flammen aus dem Höllenhund, furchtbares Heulen und Poltern bricht an, und Blitz und Donner lassen die Erde erbeben. Die ganze Höhle ist ein Feuermeer, aus dem der Teufel steigt mit seiner Höllenbrut.

Ein Schrecken packt den Bauer. Er flieht und fällt besinnungslos darnieder. Als er erwacht, sieht er den Felsen vom Fußtritt des Teufels gespalten, stinkender Schwefeldampf steigt in die Luft, in der tausende zuckender Flämmchen tanzen, die der Nacht einen irren Schimmer von Helle leihen. Die Flämmchen sind wie kleine, rote zuckende Herzen. Der Bauer schleppt sich mit seiner Fracht schweren Goldes bis zu seinem Wagen und packt es dort zu dem anderen, so daß der Wagen unter der Last im morastischen Boden tief einsinkt. Dann klettert er selbst hinauf und ergreift die Peitsche, das Roß anzutreiben, um von dem unheimlichen Orte zu entfliehen. Doch rührt und regt sich das Pferd nicht, selbst unter den schärfsten Peitschenhieben und wildesten Flüchen seines Lenkers. Statt dessen sinkt der Wagen tiefer, sieht bis an die Achsen im Sumpf, wie das reglose Roß bis an den Bauch. Wut und gräßliche Angst überfällt den Bauer, er steigt herunter und tritt zu seinem Zugtier, tastet danach und fährt entsetzt von dem leblosen, steinharten Tierleib zurück. Wieder sinkt der Gepeinigte ohnmächtig zusammen und erwacht erst, als das erste Morgenrot den Himmelsrand säumt.

Er erkennt noch, daß das Frührot von den tausenden zuckenden Herzflämmchen gebildet wird. Teufel und Gestank sind dahin, Pferd und Wagen stecken versteint tief in der Erde, obenauf liegen die Säcke mit dem geraubten Schatz. Wie die Sonne jetzt langsam heraufzieht, erhebt der große Felsen vor ihm ein immer stärker schwellendes Summen und Singen. Die Höhle ist verschwunden. Das Summen und Singen wird zu einem orgelartigen Brausen und wilden Dröhnen, wie die machtvolle Stimme eines gewaltigen unsichtbaren Gebieters. Und das Gebot lautet: nimm deinen Raub, Bauer, und gehe heim. Folgsam lädt sich der Entsetzte die schweren Säcke auf und wankt davon, während das Dröhnen und Brausen aus dem Felsen schwächer und feiner klingt und ganz verstummt.

Zu Hause angekommen, findet der Bauer in allen Säcken statt leuchtenden Goldes harte, rauhe Kieselsteine. Dem Habgierigen war das Gold zu Steinen geworden.

* * *


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