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4.
Die Schäfertürme.

(Quedlinburg.)

Feierlich schwingen die Glocken vom Dom in dumpfen, schweren Klangwellen. Ernst und ergreifend, die Herzen durchdringend schwebt das Gebet aus ehernem Munde, daß dem mahnenden Rufe die Menschen folgen mögen, sich im Glauben zu stärken und dem Allvater zu danken für seine ewige Güte und Weisheit.

So rieten an einem schönen Morgen die Domglocken des Stiftes zu Quedlinburg, die Beter in das Haus des Herrn. Der Schall schwang sich weit über die grüne Wiese, wo zwei Schäfer im Gebete knieten; friedlich weidete die Herde am Bergeshang. Mit wonnigen Schauern von der schlichten, starken Harmonie der Domglocken erfüllt, gedachten die Schäfer des Kirchenbaues in der Neustadt, gedachten des türmelosen Gotteshauses, von dem nimmer erhebender, brausender Glockenton erschallen wird. Es fehlt an Geld, harte entbehrungsreiche Zeiten sind heraufgekommen für die Stadt, aber was ist eine Kirche ohne Turm, und gar ohne Glocken? Ja, denken die Schäfer, wenn wir nicht arme Leute wären! Was uns auch zu Gebote stünde, wir wollten's freudig hingeben zur Vollendung des Gotteshauses, zur Ausschmückung und Ausstattung, zum Bau der Türme und zur Beschaffung schöner, lieblich klingender Glocken! Ach, daß wir nicht so arme Schäfer wären! – Summend verschweben die letzten zögernden Töne von den Domtürmen, über Bergeshang und Waldesrain liegt tiefes Schweigen, die Schäfer erheben sich schwermutsvoll. Und da der alte, an seinen Stab gelehnt, das ruhige Antlitz sinnend zum Himmel hebt, schreitet der Jüngere langsam am Saum der grasenden Lämmerherde, die sich mittlerweilen weit zerstreut hat, entlang, die entfernt weilenden Tiere heranzuholen.

Die Hunde sollten ihm dabei helfen! Wo sind die Hunde? Während der Andacht sind die sonst so zuverlässigen Wächter ausgerissen, nun sind sie nirgends zu sehen. Vom Pfeifen und Rufen des jungen Schäfers ermuntert, kommt nun auch der Alte heran, doch liegt auf seinem Angesicht noch jenes sinnige Schweigen, als zeigten ihm höhere Gesichte einen seltsamen Weg. Traumhaft dämmernd der Alte, rufend und pfeifend der Junge, wenden sich nun beide Männer in langsam tastenden Schritten von der Herde ab, dem Waldrand zu, von wo auch alsbald die Hunde mit leisem knurrenden Verbellen sichtbar werden, bald näher kommen, um gleich wieder zurück zum Wald zu springen mit wegweisendem Gebärdenspiel. Der Junge hält die Tiere im Auge und beschleunigt den Fuß, der Alte schaut sinnend in die Wipfel der Bäume und lächelt sanft, fast wissend. So gehen beide zum Wald hinein, immer tiefer in seinen grünen, geheimnisvollen Schattenfrieden.

Dort fanden sie in den Ruinen einer uralten, zerfallenen Waldkapelle, von eisernen Truhen umschlossen, tief im moosigen Erdreich große Schätze an Münzen, goldenen und silbernen Geräten, die zu Kriegszeiten mögen vergraben und vergessen worden sein. Gewaltiger Reichtum fiel den armen Schäfern unvermutet in den Schoß! Sie waren nicht mehr die armen Leute, sie wußten aber auch, um welcher Gebete willen sie reiche Männer geworden waren!

Sie eilen zur hochedlen Domina des Stiftes, der sie gegen die Zusicherung des Baues der Türme mit schönen großen Glocken an der Kirche in der Neustadt den Fundort angeben und die kostbaren Geräte und Münzen anvertrauen. Sie selbst blieben ferner treue Schäfer bei ihrer Herde mit den spürsinnigen Hunden als Wächter.

Auf der Mauer, im Schatten ihrer Türme, sehen wir heute noch den Denkmalstein der Schäfer mit ihren Hunden. Darüber hin schwingen die feierlich heiteren Glockentöne zu dauerndem Lob, erzählt der eherne, schwebende Mund von edlen Nacheifers würdiger Tat.

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