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10.
Der Mägdesprung.

(Selketal.)

Wo heute das Dorf Mägdesprung und das gleichnamige Hüttenwerk im anmutigen Selketal liegen, herrschte in Urzeiten der König eines Riesengeschlechtes auf einer stattlichen Burg. Er war ein grämlicher, alter Mann, hatte aber eine blühendschöne, im Herzen von fröhlichem Übermut erfüllte Tochter, die längst gern einen schönen Rittersmann zum Gemahl und ihr eigenes glückvolles Heim hätte haben können; wohl stand ihr der Sinn danach, doch war dem Alten kein Freier recht. Sehnsuchtsvoll schaute das Riesenfräulein über die Waldeswipfel hinaus in die Weite und wußte nicht recht, was es mit all seiner Pracht und Leibeskraft, mit aller Unbändigkeit urwüchsiger Jugend beginnen sollte. Die Dörfer und Gehöfte im Tal mit ihren ackerbauenden Bewohnern nahmen sich wie Spielzeuge aus, die riesigen Bäume des Waldes hätte das Mädchen wie Gräser und Halme brechen können. Überm Tal drüben lag auf stattlicher Anhöhe die Burg des Grafen Luitpold, nicht ganz so stolz, wie die des königlichen Vaters. Aber dem kühnen Mann ins Auge zu schauen, wäre ihr tausendmal lieber gewesen, als vor dem unwirschen Antlitz des Vaters in dumpfem Gehorsam die Lüge einer sanft folgsamen Tochter zu leben.

Da, als das Mädchen wiederum in goldenem Sonnenglanz eines schönen Frühlingstages am Selkeufer hinwandelte, trat aus dem Wald da drüben, von weitem Weg ermüdet, eine liebe Freundin aus dem Thüringer Land, auch eines Riesenkönigs Tochter, dessen Sippe dort mächtig war. Mit hellem Jubel begrüßten sich beide und luden einander ein, aufs gegenseitige Ufer zu kommen; doch unser Königskind fürchtete des Vaters Zorn, der ihr verboten hatte, in der Nähe des Grafen Luitpold zu sein. Die thüringer Jungfrau aber war zu müde, streckte sich am Waldesrand behaglich nieder und lockte das zögernde Mädchen mit schelmischen Worten, was alles Schöne sie zu erzählen hätte von ihrem Herzgeliebten daheim im Thüringer Wald. Sie wolle ihr alles Köstliche anvertrauen, doch nicht soweit über das Selketal hinüberrufen. Minnefreude sei zu zart für fremde Ohren; es sei doch nur ein Sprung herüber, für ein starkes, frisches Blut, wie sie es sei. Voll Neugierde auf der Freundin fröhliches Geheimnis, und voll Scham, ob ihrer allzu strengen Gehorsamspflicht, voll Hoffnung auch, dem Grafen zu begegnen, im Trotz und Stolz des königlichen Blutes, war unser harzer Riesenfräulein fest entschlossen, hinüber zu eilen; doch durfte sie nicht zögern, denn jeden Augenblick konnte der Vater oder ein Späher sie sehen, doch band sie die Angst vor ungewohnter Eigenmächtigkeit und – vor dem doch sehr breiten, tiefen Talgrund. Die Freundin drüben lachte lockend, ein Bauer gar, der unweit pflügte, knallte zum Hohn und Spott ermunternd mit der Peitsche, ja, rief ihr zu, sie sei kein Riesenfräulein, wenn sie den Sprung nicht wagte.

Da wars aus mit jeglicher Geduld und Angst; stolz reckte sie sich auf, nahm im Vorübergehen den Bauer noch samt Pflug und Pferden mit in ihre Schürze und sprang! – sprang den gewaltigen Sprung aufs andere Selkeufer. Dort ließ sie den verwegenen Bauern laufen, streckte sich still zu ihrer Freundin nieder und lauschte glücklich und bang zugleich den Herzgeheimnissen der andern, als auch der eignen inneren Stimme, die ihr sagte, daß sie, wenn ihr der stolze, junge Ritter jetzt begegnete und sie mit Lieb und List auf seine Burg im Walde dort entführte, daß sie, weiß Gott! dem kühnen Ritter Luitpold herzlich dankbar wäre.

Herr Luitpold hatte aber, so wie er immer nach ihr Ausschau hielt, auch den gewagten großen Sprung gesehn, und kam nun, stattlich hoch zu Roß, herbei. Und während noch die Freundin ihr erzählt von kühner Ritter Liebesraubgelüsten, brachte unsrer harzer Jungfrau alsogleich Herr Luitpold seine artige Huldigung dar. Erklärt ihr frank und frei, er sei gewillt, mit seinem Schwert sich, im Besitze solch holden Liebes, gegen jeden Widersacher, auch ihren Vater, seinen König, zu behaupten.

Und so geschah's. Der alte Brummbär gab bald seinen Segen und wurde selbst bedeutend aufgeräumter, als er das Glück der entsprungenen Tochter blühen sah. Die Stelle aber, wo das resolute Mädchen den gewagten Sprung aus väterlichem Schutz in den des Liebsten tat, zeigt nun für Zeit und Ewigkeit die Spur des Riesenschuhes, die sich selbst in dem harten Fels tief eingeprägt hat und uns heute noch sichtbar ist als beredtes Zeichen dafür, was Entschlossenheit und Mut vermögen.

* * *


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