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36.
Die Hohneklippen.

Wo über dem Kaiserswerth jetzt die Hohne Klippen aufragen, gingen einmal drei Freundinnen am Wald entlang. Da sie von ihren Zukunftsplänen und Heiratsabsichten sprachen, achteten sie nicht des Weges; eine wollte die andere überbieten darin, was für einen feinen Mann sie haben werde. Ein König dünkte schließlich keiner mehr zu hoch. Kein Wunder, daß die Mädels weit vom rechten Weg abkamen.

Da begegnete ihnen ein kleines graues Männchen, das sich als Führer anbot, aber die immer schweigsameren Fräuleins noch viel mehr verwirrte und ganz und gar in die Irre leitete. Die Nacht kam schon herauf, als sie überhaupt nicht mehr ein noch aus wußten; das graue Männlein war auch verschwunden, und die drei riefen unter Tränen und Herzklopfen den stillen Wald auf und ab nach dem rechten Heimweg.

Plötzlich stand vor ihnen eine alte Zigeunerin, die beträchtlich mit dem eckigen Kopf wackelte und beim meckernden Lachen einen breiten, zahnlosen Mund aufriß. Sie wollte den Jungfern wohl den Heimweg zeigen, wenn eine von ihnen bereit wäre, alsbald einen Jäger zum Mann zu nehmen.

Bestürzt wehrten die Mädchen ab! Ach, wer dächte denn an so was? Ein Jäger? Ja, warum nicht gleich ein Soldat? Nein, daran sei nicht zu denken!

Die Jüngste aber tat nur so. In ihrem Herzen hüpfte es vor Vergnügen! Hatte sie doch längst einen Jäger heimlich lieb. Der wußte zwar nichts davon; auch den Freundinnen hatte sie ihr Geheimnis noch nicht anvertraut. Sie wußte auch, warum. Denn, so sehr sie sich auch groß machten, was wunder für einer ihnen beschieden sein werde, sie hätten sich sicher noch beide um den schlanken Burschen gerauft, wenn sie gewußt hätten, ein wie feiner und tapfrer Mann er ist.

So schwieg die jüngste stets von ihrem Hoffen.

Während nun auch sie zum Schein die Arme wie zur Abwehr aufhob und in die Entrüstung der Freundinnen einstimmte, wurde die alte Hexe so böse, daß sie die drei Jungfrauen ohne Federlesen verwünschte und in drei Klippen verzauberte, weil sie nur Hohn für die guten Absichten einer alten Frau hätten.

Seitdem stehen nun die Hohneklippen dort. Die eine heißt besonders noch »Kapellenklippe«. Das ist die jüngste, die in der Überstürzung garnicht wußte, wie ihr geschah.

Sie schluchzt zur Nacht ihr Leid in die ewige Stille und klagt den Bäumen und Wolken ihre Not. Dem Wanderer, der vorüber kommt, bekennt sie, wie gerne sie einen Jäger zum Manne gehabt hätte, und daß nur ein Jäger sie erlösen könne. Er müsse aber bald kommen und hoch hinauf auf ihre Spitze klettern, um sie von dem Bann zu befreien. Zum Zeichen, daß er es ernst meine, müsse er von ganz oben einen Schuß aus seiner Flinte ins Tal abfeuern.

Das hat einmal ein Jäger gehört und auch befolgt. Vielleicht war es der, dem einst ihr Mädchenherz geschlagen hatte. Aber als er oben geschossen hatte, fiel er kopfüber hinab in die Tiefe und blieb zerschmettert liegen.

Man ließ ihm auf der Felsenklippe in einer schnell errichteten Kapelle einen waidmännischen Leichentext lesen und nannte diese Klippe besonders »Kapellenklippe.« Seitdem hat keiner wieder den Schuß gewagt, obwohl die Jungfrau jede Nacht ihre Seelennot in die ewige Stille schluchzt und den Bäumen und Wolken ihr Leid erzählt.

* * *


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