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(Falkenstein bei Ballenstedt.)
Trutzig blickt der Falkenstein auf das anmutige Selketal herab. Ein Jahrtausend ist eine lange Zeit und er hat viele glückliche, aber auch böse Tage gesehen; doch er hat sie überstanden und schaut heute noch ebenso stolz drein, wie jemals.
Ein Falkensteiner war es, Graf Hoyer, der seinen Freund Eyke von Repkow bewog, im Schutze seiner festen Burg den »Sachsenspiegel« in deutscher Sprache zu schreiben, das erste deutsche Gesetzbuch, das als ein Markstein in der Geschichte deutschen Rechts hinausging in »teutsche Lande«, gegen das Welschtum zu streiten. Aber nicht dies historische Ereignis soll hier geschildert werden, sondern eine seltsame Begebenheit mit altvererbten kristallenen Pokalen.
Im Besitz der Familie von der Affeburg, die schon seit Jahrhunderten die Herrschaft über den Falkenstein hat, befinden sich zwei Becher. Der eine wird auf dem Falkenstein, der andre auf Hinneburg in Westfalen verwahrt. Die Begebenheit, die sich an die Becher knüpft, hat ihren Ursprung in altersgrauer Zeit.
Kalt war die Winternacht, aber der Himmel klar, und der Mond leuchtete mit bleichem Schein auf Türmen und Zinnen einer kleinen Burg. Helene von der Affeburg, deren Gemahl mit dem Kaiser in Italien kämpfte, lag mit ihren Kindern im tiefsten Schlummer. Plötzlich fühlte sie ihre Hand berührt und erwachte. Vor ihr stand ein kleines Männchen, das sie bat, mit ihm zu kommen, da seine Frau ihrer Unterstützung in schwerer Stunde bedürfe. Auf unterirdischen Pfaden, durch Höhlen, die von dem Glanze leuchtender Steine erhellt wurden, folgte die edle Frau ihrem Führer zu der Wöchnerin und leistete ihr hilfreichen Beistand. Der über die glückliche Geburt eines Knaben erfreute Vater überreichte der Edelfrau drei kristallene Becher und drei goldene Kugeln. »Verwahrt sie gut, edle Wohltäterin, denn das Heil derer von Affeburg ist innig verknüpft mit den Kelchen, kommt einer davon zu Fall, fahr wohl dann, du Glück des Hauses.« Das ist die Warnung, die der dankbare kleine Mann mit den Geschenken zugleich überreichte. Frau Helene hat die Mahnung nie vergessen und mit den Glückskelchen aus dem Gnomenreich weiter vererbt.
Jahrhunderte waren verrauscht. Die Stammburg der Affeburger lag längst in Trümmern und die einzelnen Familien waren zerstreut. Während die Kugeln verloren gegangen waren, befanden sich die Becher im Besitze einer Frau von Affeburg auf ihrem Gute Wallhausen.
Nun war Geburtstagsfeier der Gräfin auf Wallhausen, die unter vielen Gästen ihre beiden Söhne am liebsten sah. Sie waren fern her gekommen zu diesem fröhlichen Tag und hatten einen Freund mitgebracht, den Junker von Werther auf Brücken. Auch die Freunde hatten sich lange nicht gesehen und waren in übermütig froher Laune, sprühend von Jugend, Schönheit und Kraft, saßen die drei zusammen an der Tafel und schwangen den Becher köstlichen Weines. Da fragte der Junker einen der Brüder nach den sagenhaften Pokalen, die die Ahnin Helene von den Gnomen bekommen habe, der junge Affeburger bittet die Mutter, die Becher bringen zu lassen, und – als das geschehen – einmal daraus trinken zu dürfen. Voll böser Ahnung will die Gräfin dem Sohn die Bitte abschlagen, sie dringt in ihn, nicht heute, nicht jetzt in der Stunde des kecken Übermutes das Glück des Hauses aufs Spiel zu setzen! Aber alles Bitten und Beschwören kann den Lauf des Geschehens nicht aufhalten, die Becher werden gefüllt und von den drei jungen Herren feierlich erhoben.
Mit diesem Augenblick verstummt die erregt und erschrocken lauschende Tafelrunde, wie feine, kindliche Stimmen zieht eine Fülle silberner Stimmen durch die hohe Halle, darin die drei mit den Pokalen in erhobener Hand jetzt an der Tafel stehn, bleich und ergriffen. Der ältere Affeburger findet zuerst die Sprache wieder und bringt in stolzen, huldigenden Worten der Mutter, dem Tag und den Gästen einen Trinkspruch dar. Doch seine Stimme bricht sich hohl und heiser an den steinernen Wänden. Da donnert das dreifache Hoch! da klingen die Becher zusammen und mitten in das Klingen und Singen schrillt hart und wund das Zerbrechen des einen Pokals. Den der älteste ihrer Söhne gefaßt hatte, ihn sah die Mutter zu Splittern in seiner Hand zerfallen. Vorbei war Festesrausch und Freude, verstört und stumm standen die Gäste, flüsternd verließen sie den Saal.
Auch der Junker von Werther ließ anschirren, gleichviel er ursprünglich hatte wollen noch einige Tage bei den Jugendgespielen bleiben. Die auch hatten es eilig und wollten nächsten Tages schon wieder fort. Jetzt, da sie den Freund sahen, sich reisefertig machen, wollten sie gar mit ihm reisen, ihn wenigstens ein Stück Wegs begleiten. Als die Verstimmung des Festes mit den andern Gästen allen hinaus gegangen war, wurden die drei Freunde wieder aufgeräumter, ja lebhaft; der Junker blieb zwar bei seinem Vorhaben, aber es wurden noch einige Krüge kühlen Weines getrunken, und dann gings mit »Hussa!« und »Hoh!« über die schwere Zugbrücke, den Berg hinab, in den graufahlen Morgen hinein.
Die Pferde jagten unter anfeuernden Zurufen die steinige Straße am Berghang hin, daß der Wagen torkelnde Sprünge machte und auf dem schmalen Weg herüber und hinüber tanzte. Als die Sonne über den Wald kam, sah ihr rotflammendes Auge im Talgrund Roß und Wagen zerschmettert liegen, darunter die drei Freunde. Es kam keiner mit dem Leben davon.
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