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42.
Maria im Walde.

(Kapellenfleck bei Braunlage.)

Zehn lange Jahre ist der greise Ritter draußen in Palästina gewesen. Nicht Not und Tod hat er gescheut, um für die Befreiung des Grabes unseres Erlösers zu kämpfen. Und nun steht er auf den noch rauchenden Trümmern seiner Burg.

»Wer hat mir das getan? War es Feindeshand, oder ist es ein Werk des Himmels? Aber, Luitgarde, meine Tochter, mein Kind; du Stolz deines alten Vaters, wo bist du? Hab und Gut, meine starke Burg, alles will ich missen, nur dich nicht. Luitgarde, mein Kind, wo bist du?«

.

Aber soviel der Greis ruft und klagt, nur das Echo antwortet seiner Stimme; auf sein Schwert gestützt, überblickt er mit trübem Auge die öde Trümmerstätte seiner ehemals so stolzen Burg. Der Held, der in den wildesten Kämpfen mit den Sarazenen nicht gebebt, der unter Pfeilen und sausenden Damaszenerklingen nicht gezagt hatte, brach vernichtet zusammen und Tränen rollten über die von Narben durchzogene Wange in den weißen Bart.

Hier hatte er wollen ausruhen von der Mühe des Lebens, sich pflegen lassen von Luitgarde, seiner Seele Licht. Und nun nichts als eine Trümmerstätte und er, ein einsamer, ein Verwaister, für den das Leben ganz plötzlich wertlos geworden war.

Soll er einsam weiter leben oder soll er sterben? –

Da, auf einmal dröhnen Schritte durch die Ruinen. Ein junger Ritter ist es. »Vater, o, mein Vater!« Verstört und verwundert blickt der greise Ritter auf den Jüngling. »O, Ihr kennt mich nicht! Aber ich kenne Euch wohl. Ich bin Siegbodo von Scharzfeld, Eures Freundes Sohn und Euer Sohn, denn Luitgarde war meines Herzens Geliebte.«

Siegbodo berichtete nun, daß Luitgarde bei dem Brand der Burg, der mitten in der Nacht ausgebrochen sei, von zwei Pilgern gerettet und in das nächste Dorf geführt sein sollte. Aber, daß all sein Suchen vergebens gewesen, vielmehr Luitgarde spurlos verschwunden wäre.

»Jetzt, mein Vater, werdet Ihr auf meiner Burg Eure wohlverdiente Ruhe finden.« Der Greis willigte ein.

Die beiden Ritter verließen die wüste Stätte in großer Trauer, da hörten sie den feierlichen Klang eines Glöckleins, der ihnen von der Kapelle St. Maria im Walde zugetragen wurde, die zwischen Braunlage und Wieda stand.

Bewegt von dem hehren Glockenton bat der Greis den jungen Rittersmann, sie wollten nach der Kapelle gehen, um in einem Gebet dem wunden Herzen Linderung zu schaffen. Dort stand ein Bild der Mutter Gottes. Vor dem sank der Greis nieder und betete inbrünstig.

»Hochgebenedeite Mutter Maria, erhöre mein Flehen. In namenlosem Schmerz flüchte ich mich zu dir. Auch du weintest einst um ein schuldloses Kind, das man dir entrissen hatte. Du kennst den Schmerz, den eine Mutter erdulden mußte; darum wirst du auch den Schmerz meines vereinsamten Vaterherzens verstehen und mir Schutz und Linderung nicht versagen. Mutter Maria, du Gnadenreiche, sende Balsam meinen Wunden, gib mir Heilung meines Schmerzes. Schmerzensreiche, hilf mir altem Mann!«

Da, was ist das? Hat die Mutter Gottes das Gebet erhört? Das Bild neigt sich nieder zu dem schluchzenden Greis und beginnt mit sanfter Stimme zu sprechen: »Sei getrost du Betrübter! Ich werde dir helfen, all deine Tränen will ich in Freude verwandeln, denn deine Tochter lebt. Berthold, der Abt von Walkenried, hält sie gefangen. Er nennt sich ein Diener Gottes, aber er ist ein Ruchloser, der meinen Altar entheiligt. Eilet dahin! ich will mit euch sein und euch helfen. Sobald aber die Rettung Luitgardens gelungen, soll es eure Pflicht sein, den Abt zu strafen!«

Danach erstarrten die Züge des Bildes wieder zu Stein. Vor Staunen und Ehrfurcht standen die Ritter unbeweglich. Dann aber eilten sie zum Kloster Walkenried.

In später Nacht kamen sie dort an, alles lag im tiefsten Schlummer. Sehr verwundert waren daher die Ritter, daß das Tor weit geöffnet stand. Sie traten ein. Aber wohin sich im Finstern wenden? Da bemerkten sie am Ende des Kreuzganges Licht, dem sie folgten. Sie hörten Schlüssel rasseln, eine Tür wurde geöffnet und ein Klosterbruder betrat eine Zelle, darin er mit drohenden Worten auf eine Jungfrau eindrang, sich bald eines klügeren zu besinnen, da des Abtes Geduld erschöpft sei, er schicke ihr jetzt das letzte Essen und die letzte Mahnung.

Die Ritter draußen besannen sich nicht lange, knebelten den Vertrauten des Abtes und mit einem Freudenschrei lag Luitgarde in den Armen des Vaters. Noch in der gleichen Nacht erreichten die drei die Burg Scharzfels.

Am andern Morgen machte sich der greise Ritter mit dem jungen auf den Weg nach der Kapelle Maria im Walde. Hier fanden sie den Abt vor dem Altar die heilige Messe lesend. Die Mitra prangte auf seinem Haupt, er befand sich im hohen bischöflichen Schmuck. Die zahllose Menge lauschte andächtig den Worten des hohen Kirchenfürsten, von dem sie Vergebung und Ablaß ihrer Sünden erhoffte.

Die Messe war beendet. Befriedigt überschaute der Abt die reichen Kirchengaben. Da traten ernst und fest die beiden Ritter ihm entgegen, um Rechenschaft über die Vernichtung der Burg und Luitgardens Gefangennahme zu fordern. Der Abt erblaßte schuldbewußt, war aber bald wieder gefaßt und rief: »Wie könnt ihr es wagen, einen Diener Gottes so zu bezichtigen? In meiner Milde will ich über eure Worte hinwegsehen. Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« In Siegbodos Brust entflammt ob dieser Heuchelei heftiger Zorn. »Elender Bube, du leugnest noch deine ruchlosen Taten!« Dabei riß er das Schwert aus dem Gürtel. Die Volksmenge sah ihren ehrfurchtgebietenden Abt bedroht und hörte nur, daß der Abt rief: »Tod den Verfluchten! Tretet sie nieder!«

Darauf wurden die beiden Ritter von der wütenden Menge umringt. Ein heftiger Kampf entspann sich, zu dem der Abt anfeuerte. Schon war die Not groß, da sah der Greis das Bild der Mutter Maria vor Augen und rief nach ihrer Hilfe.

Allsogleich erbebte die Erde, Blitz und Donner ließen alle Anwesenden erstarren. Die Kapelle erfüllte strahlender Glanz. Die Mutter Maria trat zu den Rittern und breitete schützend ihre Hand über sie. »Genug des Bösen,« tönte ihre Stimme. »Mein Haus ist ein Bethaus, ihr habt es zur Mördergrube gemacht. Du, Abt, hast die Würde deines Amtes lange genug geschändet, deine Macht ist zu Ende. Bete, Ruchloser, deine letzte Stunde ist gekommen. Wer sich schuldlos fühlt, der folge mir.« Durch die lautlose Menge schwebte Maria, denen winkend, die ihr folgen wollten. Danach erhob sie ihre Hand gegen die Kapelle. Der Erdboden öffnete sich unter rollendem Getöse. Ein Krachen, Bersten von Mauern und Gebälk, und spurlos versank die Kapelle samt Abt und allen, die sich nicht schuldlos fühlen konnten.

* * *


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