Ludwig Tieck
Kaiser Octavianus
Ludwig Tieck

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Freier Platz vor der Stadt.

Eine Menge Volks, Adrastus, Nikanor unter ihnen.

Adrastus. Was drängt ihr so? – Zurück da, Leute!

Nikanor. Kaum Platz durchzukommen, die ganze Stadt hat sich ausgegossen, um das traurige Schauspiel zu sehn. O Neubegier, wie hast du Alte, Lahme, Kranke und Schwache angetrieben, und ihnen nicht Ruhe gegönnt, bis sie ihre Schwellen verlassen haben, um Zuschauer dieser höchst kläglichen Tragödie zu seyn. – Wollt ihr zurück, ihr unverständigen Menschen! – Du Krüppel, was drängst du dich so unverschämt
hervor?

Ein Lahmer. Ach, gnädiger Herr, vergönnt mir armen Manne hier zu stehen, die fürstliche Frau war unsere huldreichste Wohlthäterin, das Armuth erbarmte sie, sie hat sich unserer, wie eine Heilige angenommen. Nur noch einmal will ich sie auf ihrem letzten schweren Wege sehn. Sind doch blinde und ohnmächtige Greise herausgegangen, sie noch einmal zu grüßen.

Adrastus. Laßt sie hier stehn. Wer könnte sich der Thränen enthalten?

Nikanor. Wenn sie hinweg ist, werden wir erst wissen, wie viel wir verloren haben.

Adrastus. O Octavianus ist blinder als diese Bettler, die dort stehn und mit leeren Augen die Sonne suchen. Er ist sich selbst entwendet, daß er keine Bitte von uns vernimmt, daß er sie nur hört, seine Furie, die ihn zu mörderischen Thaten hetzt.

Nikanor. Ich habe diese Nacht im Gebete gerungen, dem Herren der Herren habe ich es anheimgestellt.

Geschrei draußen.

Adrastus. Sie kömmt. Sieh, fromm, wie ein unschuldiges Lamm, geht sie einher, auf ihre weinenden Frauen gestützt.

Nikanor. Macht Platz, ihr Leute!

Alle. Platz da! Platz!

Felicitas tritt auf mit den Kindern, gelehnt auf Cloris und Diana, der Caplan begleitet sie.

Adrastus. Sieh, wie die Armen sich zu ihr drängen.

Nikanor. Wie still es plötzlich geworden ist, Man hört nur Schluchzen und schwere Athemzüge der Trauer.

Felicitas zu den Bettlern.
Noch einmal habt ihr euch zu mir gefunden,
Bisher war streng versagt mir euch zu sehen,
Beschlossen sind nun meines Lebens Stunden,
Mög es euch künftig hier wohl ergehen,
Euch schlug das Glück und Schicksal tiefe Wunden,
Mich jammerten die unzählbaren Wehen
Der Sterblichkeit: jezt kann ich nichts mehr schenken,
Nehmt diesen Schmuck zum letzten Angedenken –
        zu den Kammerfrauen.
Und weint, nein, weint um mich nicht, ihr Freundinnen,
Der Augenblick ist da, wir müssen scheiden,
Es sehnt schon lange sich mein Geist von hinnen,
Der Leib erfährt nunmehr das letzte Leiden,
Dann soll ich ewgen Frieden mir gewinnen.
Lebt wohl, gedenkt in Liebe mein, ihr beiden,
Ihr bleibt zurück, seid fromm und gut, so schauen
Wir uns dort wieder in den schönen Auen.

Caplan. Es fällt von eurem Haupt die irdsche Krone,
Die nur vergänglich war, und deren Scheine
Und heller Schmuck nur waren kalte Steine,
Den Himmelskranz empfangt ihr jezt zum Lohne.
Der ist erhaben hoch ob allem Hohne,
Der Herr nimmt in sein Reich die Magd, die reine,
Vor allen Augen wählt er sie als seine,
Daß sie in seinen Herrlichkeiten wohne.
Zwei Kindlein, die die Welt noch nicht gesehen,
Erheben sich mit ihr, verklärt zum Lichte,
Sie kamen nur und eilen schon von dannen.
Beglückt, wer bald zurücke kehrt, von wannen
Wir alle stammen! Leicht ist das Gerichte
Alsdann: doch mag des Herren Will' geschehen.

Felicitas. O! – sinkt nieder.

Cloris. Wie ist euch?

Adrastus. Was geschieht?

Caplan. Sie stürzte nieder, als sie plötzlich die Augen dorthin wandte, und den großen Scheiterhaufen gewahr wurde, der schon in Flammen steht.

Nikanor. Ich bin ein Thor, die Kindlein müssen mit ihr sterben, und doch mußte ich sie vor dem schweren Falle schützen.

Diana. Sie erholt sich.

Felicitas. Wo bin ich?– Ach was ist aus mir geworden?
Wie einsam bin ich, wie verlassen hier
Im dichten Menschenhaufen, unter Fremden?
Ihn find' ich nicht, den meine Augen suchen,
Und dort das furchtbare, das wilde Feuer,
Das seine rothe Zunge nach mir streckt!
Nur einmal noch will ich ihn sehn, Lebwohl
Ihm sagen, sagen, daß ich ihm verzeihe
Und allen meinen Feinden. Nein, ich kann,
Ich kann nicht sterben, wenn ich ihn nicht sehe.

Adrastus. Zurück! zurück ihr da! der Kaiser kommt!

Nikanor. Macht Platz ihr Leute! Fort!

Octavianus kommt.

Octavianus. Wie? Lebst du noch, Felicitas, zum Schmerz uns?
Was zögert ihr, das Urtheil zu vollstrecken?
Die Schergen stehn entfernt, als wie in Furcht,
Das ganze Feld ist nur ein einzig Wehe,
Geheul der Weiber, Greise, Kinder, schlägt
Des Himmels Wolken, unsre Tyrannei
Und Ungerechtigkeit verklagend. Drum
Gestehe laut die That und sterbe dann.

Felicitas. O mein Gemahl – nein nicht Gemahl; – mein Fürst, –
Doch Fürst mir nicht, der würde gnädig sein,
Dem dürft' ich flehn, Barmherzigkeit von ihm
Vielleicht erlangen, – wie benenn' ich dich
O Octavian? du vormals mein Gemahl,
Mein Fürst, mein Kaiser, jezo mir ein Feuer,
Das zornig mich hinweg tilgt: wie, so sehr
Verlangt nach meinem armen Leben dich?
Verweilt zu lange dir des Elends Gattin?
Dem bin ich jezt vertraut, dem bleichen Freunde,
Der hat mir redlich ausgehalten, als
Mir alles wich. – O sei mir Gott mein Zeuge,
Der Vater sammt dem Sohn, das ewge Licht,
Wenn ich mich andrer Sünde schuldig weiß,
Als daß ich dich zu brünstiglich geliebt,
Daß du mein Alles warst, daß Altar, Kirche,
Vergessen wurden über deine Liebe;
Die Sünderin vergaß den Leib des Herrn,
Wenn sie nur deine Lippen rühren durfte,
Selbst in der heilgen Messe sah ich dich,
Ja Seligkeit war mir, in deinem Arm
Ein neues Liebeleben jenseit leben.
Die Sünden hab' ich hier dem Mann gebeichtet,
Mit offnem, wundem Herzen, und Vergebung
Ist wie ein kühler Balsam eingeträufelt.
Doch mehr weiß ich mich schuldig nicht, vergebe
Du mir, daß ich zu innig dich geliebt,
Zu schnell, zu offen meine Seele zeigte,
Dafür will ich dir meinen Tod vergeben.
        Octavianus wendet sich weg.
Nicht von mir wende doch anjezt dein Antlitz,
Nicht jezt in dieser letzten bittern Stunde;
Ich werd' es nachher nimmer wieder sehn.
Ach Augen, seid ihr jene lichte Bronnen,
Die mir vordem geleuchtet? jezt ein Feuer,
Das jene rothe Flamme angefacht.
O Mund, ihr Lippen, schönes Schwesternpaar,
Habt ihr der süßen Küsse all vergessen,
Der zarten Worte, die so lieblich leise
Erschollen, daß die Luft sie kaum berührte?
Sind diese sanften Geister alle todt,
Und sitzt nur Mordbefehl auf eurer Röthe?
        sie kniet nieder.
Mein Octavian! ja auch im Tode mein,
Auch sterbend kann ich noch nicht von dir lassen.
Mein Herz in meinem Busen will zerspringen;
Fühlst du in deiner Brust kein stilles Echo
Von meinen Schmerzen? Ja, du neigst dein Haupt,
Ach ja, dein Auge will sich sanfter zeigen.
O liebste Augen, löscht das Feuer aus,
Das mir, den Kindern, Unschuldvollen droht. –
Ach, daß du vor mir stehst, war nur mein Wunsch,
Nun bin ich nicht mehr einsam; was zu wünschen
Wird nun mein kecker Mund versuchen? Reich
Die Hand, die theure Hand mir. – Ja, ich fühle
Dasselbe Blut, das Leben noch, die Wärme,
Die sonst in jedem Pulse Liebe war.
Sieh, meine Thräne fällt auf diesen Ring, –
Sieht nicht der Demant aus wie eine Thräne?
Den steckt ich, mich verlobend, an den Finger,
Du gabst mir diesen blutigen Rubin:
Damals, – ach, daß wir nicht so großes Glück
Ertragen können, – damals, dort im Walde,
Vom Jagen heiß, im süßen Baumgeflüster,
Wo Wellen sich im Bache küssend jagten,
Wo Erd und Himmel und die frische Grüne
Wie sich umarmend eingeschlossen hielten,
Ach damals, – weißt du noch, wie du mir flehtest,
Wie rührend du mich batest, daß ich weinte?
Du würdest sterben, schwurst du, wenn ich nicht
Dir freundlich würde: –
Ich liebte dich, du warest mein, ich dein,
Ich kannte keinen Hinterhalt, kein Mißtraun.
Wir fürchteten die Eltern, und freiwillig
Schwurst du entzückt den heiligsten der Eide,
Mein Leib und Leben kühnlich zu beschirmen,
Mit Leben, Blut, Leib, Kraft und vollem Muthe.
Wo ist dein Schwur geblieben, daß du jezt
Mir Leben, Blut, Leib, Seele willst verderben?
Ach nein, es ist nicht so, du schliefest nur,
Und jezt wirst du erwachen. Einst, als kaum
Ich wenig Wochen deine Gattin, wir
Nicht längst von unsrer Reise heimgekehrt,
Erschreckt' in einer Nacht ein banger Traum mich,
Ich sah ein wildes Feuer,
Und grausam fremde Männer drohten mir,
Ich sollte sterben und den grimmigsten
Der Tod' erdulden, ich schrie im Schlafe laut,
Du wecktest mich, und wie war ich entzückt,
Aus Todesquaal in deinen Armen mich
In deiner Liebe wieder mich zu finden.
Jezt bin ich anders, furchtbar aufgewacht,
Aus deiner Lieb, aus deinen Armen soll
Ich in den grimmen Feuertod mich werfen.
Ach nein, du kannst es nicht, du willst es nicht,
Ein Irrthum hat dich angefaßt, ich bin's,
Ich bitte dich, Felicitas, dein Weib,
Laß mich noch leben, sei mir noch getreu,
Verbanne mich, verstoß' mich in die Wildniß,
Nur hier nicht sterben! O mein süßes Leben,
Willst du mich tödten, soll ich daran glauben?

Octavianus. Laß mich hinweg! Wohin soll ich entfliehen? geht eilig ab.

Felicitas. Er sieht mich nicht, er hört nicht, was ich flehe.

Adrastus. Was ist mit ihm geworden? geht.

Caplan.                                                   Tiefgerührt
Schien der Monarch.

Cloris.                             O gebe Gott,
Daß deine Worte ihm zum Herzen drangen.

Diana. Das Feuer ist verlöscht, ein Regen strömt
Mild und erquickend durch die heiße Luft.
O glücklich ist die Vorbedeutung.

Cloris.                                                   Laut
Schwärmt alles Volk dort um den Scheiterhaufen,
Sie jauchzen, daß der Regen ihn verlöscht.

Adrastus kömmt zurück.

Nikanor. Wie ist dir, Freund?

Adrastus.                                 Noch nie, bis jezt, hab' ich
Gesehen, wie Fluthen gleich, die Dämme
Und Häuser niederstürzen, Thränenströme
Aus vollgepreßtem Busen fließen können.
So sitzt der Kaiser dort, und scheint ein Bild
Von Stein, aus dessen Augen Quellen rinnen.
Er kennt sich nicht, er schlägt auf seine Brust
Und schluchzt und will in tiefem Schmerz vergehen.
Es scheint, daß alle Leiden, die seit Wochen,
Seit Monden sich gesammelt, nun in Thränen
Verströmen, und das Leben mit sich führen.

Felicitas. So weint er denn um mich? – auch mir will schon
Das Herze brechen.

Adrastus.                       Unter lautem Schluchzen,
Das jedes seiner Worte unterbrach,
Befahl er mir, euch, edle Frau, zu sagen,
Daß er nun keineswegs begehre Schuld
Zu sein an eurem Tod, ihr mögt ein Pferd
Euch nehmen, eine Summe Golds, Geleit
Zum großen Wald euch wählen, also ziehn.

Cloris. Gelobt sei Gott!

Diana.                             O Freude!

Caplan.                                             Nun sind wir froh.

Adrastus. So hab' ich keinen Menschen noch gesehn,
Sein Leben scheint zerspalten, und der Kluft
Ein ewger Strom in Wellen zu entrinnen.
Ich will zurück zu ihm. Er liebt euch noch,
Doch mag er euch entfernen, und so ist es
Für eurer beider Sicherheit und Ruhe
Viel besser, da vielleicht nach wenger Zeit
Sein argwöhnisches Herz erwachen dürfte.
Lebt wohl, ihr edles Frauenbild, und Heil
Und Glück und Gottes Engel sein mit Euch. geht ab.

Felicitas. Er ist gerührt, doch will er mich verstoßen.

Nikanor. Erlaubt mir theure Frau, daß ich der Mann sei,
Der euch bis an die Grenze mag geleiten.

Felicitas. Mir ist gar wohl bekannt die edle Treue,
Die du im Herzen immer zu mir trugst.
Lebt wohl, ihr Mädchen, jezo geh ich ferne,
Wohin? das wissen nur des Schicksals Sterne;
Theilt unter euch, was ich zurückgelassen,
Denkt so von mir, daß ihr nicht braucht zu hassen
Die ärmste Frau, die jemals noch geboren,
Und gegen die das Schicksal selbst verschworen.
Gedenket meiner auch in guten Tagen,
Wohl bin ich Sünderin, doch mögt ihr sagen
Unschuldig dessen, was sie mich verklagen. geht mit Nikanor.

Cloris. O edle Frau!

Diana.                       O schönes, großes Herz!

Cloris. Wer kann wohl überleben diesen Schmerz?

Pasquin kommt.

Pasquin. Ich, und wie ich hoffe, wir alle. Die Weinverkäufer haben heute einen guten Tag gehabt, sie sitzen aller Orten herum, und bieten ihre Waaren aus. Erst soff das Volk über die Maaßen, weil sie traurig waren, und sich ein leichtes Herz trinken wollten, nachher aber weit mehr, weil sie lustig wurden und der Kaiserin, des Kaisers und aller Menschen Gesundheit tranken.

Diana. Wir wollen nach der Stadt zurück.

Pasquin. Der Scheiterhaufen ist vom Regen ausgelöscht, und das Volk ist auch untergekrochen, um die neuen Kleider nicht zu verderben, und mehr als die Wolken hat unser Kaiser Wasser aus den Augen geregnet, das hat seinen Grimm ausgelöscht, und unsre Kaiserin ist pardonirt. – Aber das muß wahr sein, absonderlich geht es in der Welt her. Erst liegt der Kaiser auf den Knieen, fast sieben Jahre hindurch, läßt in allen Kirchen für sich beten, besucht die Wallfahrtsörter, nimmt mit allen Doctoren im Lande Rücksprache, um ein Kind zu erzeugen. Plötzlich bekömmt er zwei; nun sollen sie, zusammt der Mutter, in das Feuer geschmissen werden. Darauf vergiebt er es ihr endlich, daß sie ihm Kinder zur Welt gebracht hat, schickt sie aber alle hinaus in den ungeheuren Wald, der voller Mörder und wilder Thiere steckt, dort mögen sie sehn, wie sie zurecht kommen. – Nun wird überdies das schöne Holz vom Scheiterhaufen so naß, daß es der nächste arme Sünder gar nicht wird zum Verbrennen brauchen können.

gehn.



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