Ludwig Tieck
Kaiser Octavianus
Ludwig Tieck

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Octavianus. Felicitas.

Felicitas. O mein Gemahl, wie ich dein Schweigen ehre,
So muß es doch die treue Gattin kümmern.
Du sagst, kein Unfall, der dein Reich betroffen,
Und keine Furcht, die dir von außen droht,
Kein innrer Zwist, kein Feind in deiner Nähe,
Vor dem dein Rom und du erzittern müssen,
Sei, was den süßen Schlaf den Nächten raubt,
Den heitern Blick dem Tage, Ruhe beiden!
Doch was es sei, verschweigst du: o Geliebter,
Du liebtest mich vor Zeiten, schwurest damals,
Es solle nie kein Gram die Seele trüben;
So wahrlich ich der Unruh, die dich quält,
Unschuldig bin, – erhöre meine Bitte,
Und sage mir, was kann dich so bekümmern?

Octavianus. Du weißt ja, Theuerste, daß wir nicht selber
Uns diesen Leib gegeben, die Organe,
In denen Geister schneller bald, bald träger
Im Blut des Menschen auf und nieder steigen,
Und Trübsinn oder Fröhlichkeit im Herzen,
Und aus dem Herzen, aus der stillen Tiefe,
Im Auge und im Angesicht erzeugen.
Nichts, was ich sagen kann, ist, was mich quält,
Es ist ein tiefes Trauern im Gemüthe,
Geheimnißvolle Ahndung von dem Unheil,
Das die zukünftge Zeit im Schooße trägt.
Wer weise ist und seine Krankheit kennt,
Befragt den Arzt, gebraucht heilsame Kräuter
Und wohlgemischte Tränke, die den Feind
Aus dieser Burg, die unser Leben hält,
Vertreiben mögen, und die vorge Herrschaft,
Die Königin Gesundheit neu befestgen
Auf ihrem Thron, von dem sie alle Geister
Als ihre Unterthanen sanft beherrscht:
Doch wenn wir selbst uns nicht erkennen mögen,
Um ein Vertraun im Innern uns zu finden,
Wie sollen wir von Fremden doch erwarten,
Daß sie uns rathen oder Hülfe bringen?
Drum laß mich meinem Grame, theures Weib,
Er kam, mir unbewußt, so wird er schwinden.

Felicitas. Doch sagst du selbst, daß dich ein Gram beschwert,
Du fühlst ihn, darum ist es mehr als Traum
Und Ahndung, mehr als leere Luftgestalt:
Und wenn's ein Wahres ist, ein Ding, das Ursach
Und Ursprung hat, so bin ich deinem Herzen
Auf dieser Welt der nächste ihn zu theilen.
Wie bin ich dir so fremd geworden? – Vormals
War keine Bitte nöthig, meine Liebe
Bestürmte nicht wie jezt dein hartes Herz,
Verbollwerkt und verschlossen gegen mich,
Feindlich den Andrang meiner Zärtlichkeit;
Da war dein Herz auf deinen holden Lippen,
Noch ungefragt war deine Antwort da,
Und nun, – o weh! daß ich so fragen muß! –
Was hat doch dein Vertrauen wohl gesündigt –
Wann habe ich es mißbraucht, daß du tief
Es in den Kerker hast verriegelt, ihm
Tyrannschen Argwohn ein zum Wächter seztest?
Du bist nicht krank, bist nicht besorgt, das Alter
Drückt deinen Sinn mit keinen Lasten, ich
Muß glauben, daß nur ich dein einzger Feind bin,
Wenn andre deinem Herzen näher wohnen.

Octavianus. Nicht diese Seite! denn du thust so mir,
Wie andern, wie dir selber großes Unrecht;
Wozu der ewge Argwohn? Soll kein Friede
In meinem Hause herrschen?

Felicitas.                                       Zürne nicht,
Du bist mein erstes und mein letztes Glück.
Ich weiß ja noch die Zeit, jezt sind es eben
Erst sieben Jahr, als du mein Bräutgam warst.
Gedenkst du jener Tage noch? Es drängte
Ein Abenteur das andre, fremder Ritter
Kamst du an unsern Hof zu meinem Vater,
Dem Fürsten von der Lombardei, du sahst mich,
Du liebtest mich, du siegtest im Thurniere,
Der Preis ward dir von meiner Hand gereicht,
Da kamen unsre Blicke sich entgegen,
Und meine zündeten sich an den deinen.
Uns heftete ein unsichtbarer Faden
Doch unzerreißbar an einander fest,
An jedem Ende unser Herz, das schwerer
Erseufzte, als wir uns so ferne waren.
O weiß ich doch noch, wie mein nächtlich Flehen,
Mein Wunsch am Tage mit dem Schicksal rang
Und es bewält'gen wollte: Dein zu sein,
Dich mein zu nennen, war mein ganzer Himmel:
Da würden tausend Thränen viel geweint,
Mein Vater durfte unsern Wunsch nicht wissen,
Auch deine Eltern waren uns entgegen,
Weil ich aus keinem großen Königshause.
Du nahmst mich fort, – mein Vater starb aus Gram,
Der deine ließ sich endlich schwer versöhnen, –
Das Hochzeitsfest ward endlich doch gefeiert, –
Nun war es, was wir wollten –

Octavianus.                                   Schweig, hör' auf
Den Blick in die Vergangenheit zu wenden;
O kann man wissen, was das Schicksal will?
Wie Kinder greinen wir den Himmel an,
Sind ungestüm und bitten, drohen halb,
Verwünschen uns, und er kennt unser Bestes,
Giebt endlich uns mitleidig nach, und sieh,
Es stehen die verzognen Kinder da,
Sind immer nicht zufrieden, – werden's nie.

Felicitas. Ich denke gerne der vergangnen Zeiten, –
Warum sind sie nur gar zu schnell verschwunden?

Octavianus. Wie flüchtig ist die Zeit! und wie beharrend,
Wenn uns die Gegenwart mit Qual umgiebt,
Wie träge dann zu scheiden, Platz zu machen.

Felicitas. O du bist gut, du bist mir stets derselbe –

Octavianus. So wie du mir, so bin ich dir geblieben.

Felicitas. O dann hab' ich gewonnen, o dann trotz' ich
Jedwedem, was die Bosheit sagen mag,
Dann ist Felicitas so glücklich wie
Ihr Name, ja, dann bin ich deine Braut,
Dann ist mein Vater nicht gestorben, dann
Soll mir kein Vorwurf meine Ruhe trüben.
Was bliebe mir auch noch zu wünschen übrig?
Seit sieben Jahren flehten wir zum Himmel
Um Kinder, aber ungesegnet blieb
Mein Leib, wir thaten viel Gelübde,
Wir wollten endlich nach Jerusalem,
Das heilge Grab des Auferstandnen sehn,
Die Stapfen küssen seiner süßen Füße:
Da wurde vorher unser Leid erfreuet.
Wir waren Pilger nur noch in Gedanken,
Und schon war Gottes Segen an mir sichtbar,
Ein Zwillingspaar von schönen süßen Knaben
Erfreute mich nach meinen heftgen Wehen,
Und nun, – seit diesem Tage, hab' ich keinen,
Der mit mir meine Freude theilte, einsam
Mehr als zuvor bin ich in meinem Glücke.

Octavianus. Mein theures Weib, ich weiß – des Himmels Wohlthat –

Felicitas. Du weinst? – O Gott! o theurer Mann! o theurer
Als Leben mir, als meine beiden Kinder –

Octavianus. O laß mich jezt, nur jezt – ich kann nicht mehr. –

Felicitas geht ab.

Octavianus allein.
Mir will das Herz in meinem Busen springen.
Wo bin ich denn? Ich weiß mich nicht zu fassen,
Ich liebe noch und sollte tödtlich hassen,
Die schwache Brust kann sich nicht selbst bezwingen.
Gleich Pfeilen ihre Blicke in mich dringen!
Ich will, – doch ist kein Wille mir gelassen,
Und blick' ich um mich, bin ich ganz verlassen,
Der Thron kann niemals keine Freude bringen.
Wohin soll ich mich wenden? – Soll ich sterben?
Soll ich, was sonst mein Liebstes, grausam tödten?
Auch tödtend, todt, entflieh ich nicht dem herben
Gefühl, ich kann die Hand mit Blute röthen,
Dem eignen, ihrem, – aber keine Flucht, –
Auch über's Grab verfolgt uns Eifersucht!

Felicitas mit den beiden Kindern, Hofdamen.

Felicitas. Sieh hier die Kleinen, sieh die theuren Pfänder,
Die zarten Blumen, dieser gleich der Rose,
Der Lilie jener, die gar bald verwelken,
Und weinend wieder in das Dunkel gehn,
Wenn Liebe nicht den reinen Himmel ausspannt,
Wenn Mutter-Augen, wenn des Vaters Blicke
Nicht auf sie scheinen – o so sieh sie an,
So wie du dastehst, sind sie arme Waisen.

Octavianus küßt die Kinder.
Sie sind die mein'gen, und ich bin ihr Vater!
Sie wollen lächeln, – drehn sich nach dem Lichte,
Ihr Auge geht in mich, im meine Seele.

Felicitas. Ihr Herz empfindet deine Liebe; Vater,
So sagt ihr Auge, denn ihr Mund vermag's nicht,
Die Gliederlein, die kleinen Formen, dein
Gepräge, Abbild, richtet sich zu dir,
Und sucht den Willkomms-Gruß in deinem Herzen.

Octavianus. Felicitas! – mein süßes Weib! – Von neuem
Als Braut mir zugewendet, – küsse mich.

Felicitas. Wie herrlich sind die trüben Wochen, wie
Die Schmerzen, alle Sorgen mir bezahlt!
Es hüpft mein Herz in Lustgefühl und Freude;
Wie sollten wir uns jemals mißverstehn?

Octavianus. Nein, niemals! Doch die kleinen Kinder, sieh,
Des Ortes ungewohnt, des freien Lichtes,
Verlangen nach der stillen Wohnung wieder.

Felicitas. So lebe wohl, mein süßer Bräutigam,
Ich lege sie in ihre Wiegen wieder. ab mit den Hofdamen.

Octavianus allein.
Es kann nicht sein – Ich weiß ja, daß die Mutter
Die arme Frau stets haßt und hassen wird.
Wer ist auf ihrer Seite, wenn nicht ich?
Wem soll sie trauen dürfen, wenn nicht mir?
Wer ist denn wohl mein Himmel, wenn nicht sie?
Ich will den Greifen, der sich an mein Herz
Mit seinen Klauen hängt, besiegen. Fort
Thörichter Wahn! ich bin vom Schlaf erwacht.

Adrastus, Nikanor, Biren und Gefolge treten ein.

Nikanor. Meinem Kaiser Heil. Das Jagdgefolge ist versammelt, die Jäger sind rüstig und alles ist in Bereitschaft.

Biren. Ich habe für Ew. Majestät ein neues Jägerlied verfertigt, das ich singen werde und wozu geblasen werden soll.

Adrastus. Ihr seht heiter aus, mein Kaiser, und das wird jeden eurer Unterthanen freuen, so wie sich jeder Diener freut.

Octavianus. Ich bin es auch, Adrastus, recht von Herzen,
Und darum wollen wir die Jagd und Euch
Entlassen, ein Gemüth, das in sich froh ist,
Bedarf der Töne nicht, nicht des Tumultes
Und keiner frohen Lieder. Laßt mich heut,
Ich bin am liebsten in der Einsamkeit. – geht ab.

Nikanor. Die Anstalten waren also vergebens. Was hat diese Veränderung so plötzlich hervorgebracht?

Biren. Der Kaiser ist seit den sieben Wochen so veränderlich wie Aprilwetter. Man sollte fast denken, er wäre selber schwanger geworden, so mannigfaltig und unbeständig sind seine Gelüste: bald ist er im Garten, bald in seiner Bibliothek, bald im Walde, bald läßt er alles liegen und stehn, und sitzt gedankenvoll und träumend im Winkel. Es muß doch ein seltsames Ding seyn, ein Vater zu werden, daß es die Leute so verwandelt, daß man sie mehrentheils nachher nicht wieder erkennt, so umständlich, schwerfällig, altklug und vernünftig werden die meisten; unser Kaiser aber hat gar alle Arten von Vaterlaunen in sich vereinigt, und wird nun gar, da er schon immer vorher ein Philosoph war, nun zu einer Art von Narren.

Adrastus. Mäßige deine Zunge, dir ist die Sanftmuth unsers gnädigen Kaisers zu bekannt, sonst würdest du es nicht wagen, so mit seinem Namen zu freveln.

Biren. Holla, Herr Staatsrath! Was fahrt ihr mich so an? Ich glaube, ich kann verantworten, was ich sage, denn ich meine nichts Böses dabei. Es ist jedem erlaubt, zu sprechen, wie er will.

Adrastus. Der Hof wird eine Versammlung von Schwätzern werden, wenn deiner Zunge nicht einmal Einhalt geschieht. Geh zum Hofnarren.

Biren. Ja, nicht wahr, da sitzen und nichts sagen, das ist die rechte Weisheit? dahin wollen euer Gnaden? Es ist wohlfeil, für weise zu gelten, wenn man es dem Munde unmöglich macht, etwas Einfältiges hervorzubringen. Das ist die Kunst, mit Anstand Hem! zu sagen, und sich zu räuspern, und die Brust aufzuwerfen, als wenn Kinn, Hals und Bauch riefen: Nun gebt Acht! Worauf denn doch nichts erfolgt, sondern das Hem! und »ja ja, so geht es in der Welt,« und diese Stellvertreter der Rede wieder ihren Platz einnehmen, und sich so wenig darnach ergiebt, wie nach einem Tumulte des gemeinen Volks.

Adrastus. Wollt ihr mir folgen, Nikanor?

Biren. Und ich sage es noch einmal, und werde es unaufhörlich sagen: es ist ein Wunder mit den beiden Zwillingen, das ich nicht begreifen kann. Unser kalter, vernünftiger Kaiser erzeugt auf einmal zwei schöne, starke, gesunde Kinder, da er in der Astronomie und Astrologie sieben Jahre vergebens gearbeitet hat, nur eins hervorzubringen. Und hiermit will ich mich entfernen, denn ich verstehe wohl die Runzeln auf eurer Stirn; wer aber wird sagen wollen, daß ich etwas Ungeziemliches gesprochen, gegen den werde ich mich verantworten können. geht ab.

Nikanor. Wie darf dieser Mensch so frech herumlaufen!

Adrastus. Ihr kennt ja die Aegide, die ihn beschirmt, die Mutter des Kaisers, bei der dieser fade Bursche mit dem milchigen Angesichte alles gilt.

Nikanor. Wir müssen freilich schweigen, denn der Kaiser ist zu gut, um sich gegen das Böse zu waffnen.

Adrastus. Der Kaiser ist zu früh das geworden, was er ist, und solche Talente, die wie mit der Hitze eines Treibhauses wachsen, erreichen bald ihre höchste Blüthe, über welche hinaus sie nichts vermögen, er ist, – doch wir mögen lieber denken, was er ist und sein könnte, als es aussprechen, was wir von ihm denken, es giebt der Auslauscher genug, und keiner steht so sicher, daß er dem Ohngefähr Trotz bieten dürfte.

Nikanor. Es empört mich oft, daß dieser Bursche uns alle beherrscht. Als ein armer Pfeifer kam er hieher, der sein Brod vor den Thüren suchte; hier ward er von der Kaiserin Mutter aufgenommen, für ein Wunder ausgeschrieen –

Adrastus. Wie es immer mit solchen Landläufern geht, die allemal dem redlichen Manne vorgezogen werden. Doch es ist noch nicht aller Tage Abend. Lebt. wohl, mein
Freund.

Nikanor. Ich wünsche euch wohl zu leben.

sie gehen.



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