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»Den Dicken und seine Kolonne haben Sie am Vorabend einer großen Sache gesichtet?« sagte der Kriminalkommissar Dürisch. »Damit melden Sie dem Einbruchsdezernat nichts Neues, Herr Peschke! Wir leben hier ja nicht auf dem Mond!«

Nein – das war nicht der Mond, sondern der Alex – die Riesenspinne im Riesengewebe Berlins, die rasch auf allen Fäden in alle Ecken des Netzes glitt und ihre Leute griff. Das war das Polizeipräsidium von Berlin, mit all seinen Behörden und Unterbehörden, seinen Räumen für das Publikum und seinen Arrestzellen, seinen grünen Wagen und blauen Schupos, seinem Verbrecheralbum und Kriminalmuseum, seinem wimmelnden Ein und Aus vom Alexanderplatz her über die vielen Treppen, die langen Gänge, die Hunderte von numerierten Amtsstuben, in deren einer der Kommissar vor dem Schupo stand.

»Wir sind doch weiß Gott nicht so dumm, Herr Peschle! Es ist doch schließlich eine unbestrittene Tatsache, daß die Berliner Kriminalpolizei im Lauf der letzten Jahre beinahe jedes Kapitalverbrechen prompt entdeckt hat!«

»... deswegen möchte ich ja auch zum Kriminalfach ...«

»Um Sie als angehenden Kriminalstudenten zu orientieren: dieser Motorradbetrieb in unmittelbarer Nähe der Bank wird von uns seit einem halben Jahr liebevoll überwacht. Bisher ohne Ergebnis. Aber in den letzten Tagen verdichteten sich die Verdachtsmomente reißend. Seit heute früh steht es nach meinen Beobachtungen außer Frage, daß der Dicke und seine Kolonne sich da unterirdisch nach dem Bankhaus Wiebeking daneben durchwühlt. Irgendwie hängt dieser kühne Plan natürlich mit dem Auftauchen und Verschwinden der Häselich in der Villa Wiebeking zusammen ...«

»Herr Kommissar! Die Fränze Häselich ist wieder ...«

»Bitte, lassen Sie mich ausreden! Die Kerle arbeiten fieberhaft. Sie sind in Zeitnot, weil in diesen Tagen der Umbau der Panzergewölbe bevorsteht. Ist Ihnen nicht das muntere Motorgeknatter auf dem Hof aufgefallen? Wissen Sie den tieferen Zweck der Übung? Solange auf ein Zeichen von oben der Spektakel dauert, hört man die dumpfen Schläge des Tunnelbaus unten nicht! Auch nicht in der Nachtstille!«

»Lassen Sie sich weiter belehren, Herr Peschke! In der lärmfreien Zwischenzeit schaffen sie die ausgebuddelte Erde aus dem Tunnel! Wohin? Na – und die vielen leeren Transportkosten im Hintergrund der Werkstatt? Da schütten sie den Segen 'rein, soweit sie nicht das Kistenholz unten zum Absteifen des Schachts brauchen! Übrigens kein Spaß, so auf dem Bauch liegend den Schutt mit den Händen in Körbe zu füllen, in steter Gefahr, unter dem einstürzenden Erdreich langsam zu ersticken!«

»Aber was tut der Mensch nicht für seine höheren Ziele!« fuhr der Kommissar fort. »Wenn kein Grundwasser dazwischengekommen ist – scheint aber nicht – der Nachtdoktor hat seinen gewohnten Dusel – dann, bin ich überzeugt, finden wir den Tunnel heute nacht gerade fertig!«

»Na – und damit Sie, mit Ihrem regen Interesse für die Sache, ganz im Bild sind, Herr Peschke: das bißchen Tandelzeug, um die Leitungen zu zerstören und die leichten Safeverschlüsse aufzuknacken – die paar Drahtscheren und Maulzangen und Vierkante und Ringelbohrer und Scharnierflöten – die sind längst in die tüchtige Kraftradwerkstatt eingeschmuggelt! Das fällt in einem gutassortierten Betrieb nicht auf. Das ist ja nicht wie bei armen Leuten! Sonst würde ich mich ja nicht heute nacht als stiller Teilhaber melden!«

»Also der Herr Kommissar greifen jetzt doch zu!«

»Solange die Geschichte mit dem Nachtdoktor sich in die höheren Regionen verzieht – ja – da tappt man im Dunkeln. Man muß sich vor jedem falschen Schritt hüten. Man darf nicht auf bloßen Verdacht hin was riskieren. Ich kann nicht in 'nen feinen Salon im Westen wie in eine Kaschemme treten: ›Flebbe vorzeigen!‹ Man steht da vor einer chinesischen Mauer ...«

»Aber hier bei dem Dicken und seinen Leuten, die das Zuchthaus alle von innewendig kennen ...« Der Kommissar Dürisch lachte. »Da gibt's so zarte Rücksichten nicht. Wissen Sie, ich bin nicht für die moderne Feinfühligkeit, daß man den Giftmischerinnen die Zellen mit Blumen und Spiegeln tapeziert und Bunte Abende für die Lustmörder veranstaltet. Der Dicke kriegt bei mir einen rauhen, aber herzlichen Empfang!«

»Herr Kommissar! Ich habe vorhin den Dicken selber gesehen! Die Fränze Häselich ist wieder da! Sie hat ihn mir auf der Straße gezeigt!«

»... und sie hat Ihnen vor vierzehn Tagen den Ale selber auf dem Ottoplatz gezeigt, und nachher wollte sie von nichts wissen! Die Sorte Frauenzimmer kennen wir doch! Lassen Sie mich bloß mit der Häselich in Frieden! Mit der hat die Polizei ohnedies noch ein Hühnchen zu pflücken! Sobald sie sich zeigt! Aber ich kann ihr Erscheinen abwarten! Ich brauche sie vorläufig nicht!«

»Also bin ich auch überflüssig, Herr Kommissar?« Der Schupo zog sich betreten zur Türe zurück.

»Na – ein Mann von Ihrem schönen Eifer ... Haben Sie heute nacht Dienst?«

»Ich kann mich frei machen!«

»Dann melden Sie sich hier um zehn Uhr abends und machen Sie die Chose mit! Ich hab' so eine stille Hoffnung – wenn mir Glück haben, dann fangen wir heut' nacht den Ale selber ...«


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