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57

Der Untergrundbahnhof trieb jetzt, am frühen Vormittag, spärliche Menschenklümpchen aus seiner Tiefe an das Tageslicht. Ein robuster Gentleman tauchte da auf, massig in breitkariertem Mantel, eine Mütze auf dem steingrauen Bulldoggenkopf. Er schritt oben an einem riesenhaften, schwarzgelöckelten Kerl vom Äußeren eines Preisringers vorbei. Die beiden schauten sich nicht an. Nur die wulstigen, bartlosen Lippen des Mannes, der wie ein englischer Buchmacher aussah, bewegten sich fast unmerklich mit einer Weisung von zwei Worten. Der Hüne, mit dem aufgedrehten Schnurrbärtchen, schlenderte davon, sich kokett, im Vollgefühl seiner weibischen, brünetten Schönheit, in den mächtigen Schultern wiegend.

»Das Goldhäschen!« murmelte die Fränze. Sie stand abseits mit dem Schupo Peschke. Der Schiffer Räder hielt sich, seitdem sie den Obstladen verlassen, argwöhnisch zehn Schritte hinter ihnen.

»Haben Sie keine Angst! Der Dicke drüben darf Ihnen nichts tun!« Friedrich Peschkes Stimme zitterte im Jagdfieber. »Wenn ich auch in Zivil bin! Heute war mir's gerade möglich!«

»Ach –jetzt auf offener Straße – am hellen Tag – da trauen sich die Brüder nicht! Der Dicke dreht sich ja auch gar nicht um! Der ahnt nicht, daß ich hinter ihm her bin!«

Der vierschrötige Mensch mit den Bulldoggkiefern stand jetzt neben einer behäbigen Alltagsgestalt mit Zwicker und Aktenmappe – einem kleinen Beamten oder derlei. Sie sprachen kurz miteinander und trennten sich mit einem Händedruck.

»Da radelt der Butterkopf davon!« Die Fränze schaute den wehenden Mantelschößen nach. »Die drehen hier irgendwo 'ne Sache! Da nehm' ich drauf Rattenjift! Sehen Sie mal da drüben: der Schwindsüchtige mit dem Vogelkopf! Da kranewankt auch noch der Amtmann 'ran! Gott sei Dank ... Nu steigt er in die Destille und sieht mich nicht!«

»Kommen Sie! Wir gehen vorsichtig hinter dem Dicken her!«

Ein paar hundert Schritte weit. An die Grenze zwischen der Berliner Altstadt und dem ältesten Berliner Westen. Zeiten von einst in Stein und Stuck. Zopfbauten von einst noch vereinzelt in den stillen Straßen zwischen den niederen Bürgerhäusern von heute.

Wie ein verwitterter Grandseigneur unter betriebsamen kleinen Leuten überragte solch ein altfränkisches Patrizierhaus des achtzehnten Jahrhunderts grau und massig die aufdringlich angeklebten Ziegelfirste der Nachbarschaft. Kunstvolle Schmiedeeisengitter im Barockstil wölbten sich vor seinen hohen, ebenerdigen Scheiben. Ein Pförtner mit Tressenmütze bewachte den Treppeneingang, dessen Steinsims in schwärzlichen Goldschnörkeln die Aufschrift »Wiebeking & Co.« krönte.

Der grobknochige Gentleman mit der Stummelpfeife zwischen den brutalen Kiefern, dem der Schupo und die Fränze folgten, bog, ohne sich um den altmodischen Bankpalast zu kümmern, zwanzig Schritte vorher in die Torwölbung eines unansehnlichen Gebäudes ein. Hinter den kleinen Fenstergardinen der bürgerlichen Vorderwohnung blühten friedlich Geranien. Im Hof hämmerten und schweißten und schraubten einige Arbeiter einer Kraftradhandlung.

»Da erwartet schon wieder der Butterkopf den Dicken!« flüsterte die Fränze. »Und der grauköpfige Arbeitsmann, der da an der verbogenen Lenkstange 'rumpetert, das ist der Palisaden-Karl, der Vater vom Bellevue! Alt, aber oho! Dem ist das Zuchthaus immer gut angeschlagen!«

Innen knatterte längere Zeit durchdringend ein Motor. Ein Fahrer schoß heraus und sauste unter der Toraufschrift: ›Matthias Wanner. Krafträder. Reparaturen aller Art‹ davon.

»Der Länglich!« sagte die Fränze. »Das riecht hier sengerig!«

»Man müßte mal die Neese in das Lokal stecken!« zischte Friedrich Peschke.

»Mich kennen sie da drinnen!« Ein Flüstern der Kleinen, »Aber Sie nicht! Gehen Sie nur dreist 'rin!«

»Und Sie machen unterdes hier lange Beene!«

»Ich bleibe! Wenn ich nur dem Dicken was einreiben kann, dann schieb' ich noch morgen früh hier Posten!«

Ein zweifelnder Blick des Schupo Peschke auf das blasse, verbissene Ding im mausgrauen Mäntelchen. Dann betrat er geschäftig, die Zigarre im Mund, die Hände in den Taschen des Zivilpaletots, den Hof.

»'Morgen! – hat mein Lehrling mein Rad schon hergeschoben? Brösel ist mein Name. Ludwig Brösel. Es war da was mit der Zündung ...«

»Ich werd' mal nachsehen!« Der vorausgeradelte gemütliche Spießbürger von vorhin ging in einen Kontorverschlag im Innern der offenen Werkstatt. Friedrich Peschke wartete, schaute gähnend um sich, sagte zu dem zurückkehrenden Werkmeister:

»Ich bin nämlich Geschäftsmann ... Ich wohn' ein ganzes Ende von hier! Aber ich bin mit dem dortigen Händler nicht zufrieden. Darum bin ich zu Ihnen! Ich brauche das Rad. Da drinnen knattert die olle Maschine ja wieder!«

»Das ist eine andere, Herr! Ihr Rad ist noch nicht da!«

»Donnerwetter – sollte der Bengel das Lokal nicht gefunden haben? Am Ende haben Sie das jetzt erst aufgemacht?«

»Seit 'nem halben Jahr schon im Betrieb, Herr!«

»... So? ... Na – wenn ich bloß heut noch mein Rad krieg'! Wann machen Sie denn Feierabend?«

»Tag- und Nachtschicht, Herr! Ja – kommen Sie in ein paar Stunden noch mal vor! Mahlzeit!«

Draußen an der zweiten Straßenecke stand die Fränze, Friedrich Peschke nickte ihr fieberhaft zu.

»Da sind Sie ja noch in Lebensgröße, Fräulein!«

»Eben ist der Halbtote 'reingegangen! – in 'ner blauen Monteurbluse! Na – ich hinter die Litfaßsäule! ... Die ganze Gegend ist voll von den Brüdern. Haben Sie den Dicken gesehen?«

»Nee – der hat sich im Hintergrund Gott weiß wohin verkrümelt! Ich hab' 'nen Ahnimus! die sitzen da drinnen dicht am Speck! Da stößt man durch Sie vielleicht auf 'ne ganz große Sache, Fräulein!«

»Na – sehen Sie woll!« Die kleine Häselich lächelte rachgierig.

»Aber morgen sind Sie über alle Berge ...«

»Ich türm' jetzt nicht aus Berlin, eh' ich den Dicken nicht ins Kittchen gebracht hab'! – dafür, daß er mich hat in Stralau heut nacht das Schwimmen lernen wollen ...«

»... und unsereiner darf ja nichts von sich aus machen! Man hat ja keine Vollmacht nicht, einzugreifen ...«

»Wenn Sie zurückzoppen, dann lauf' ich selber auf den Alex und zeig' es an!« Die Fränze hängte sich in den Arm des herangetretenen Schiffers Räder ... »und wenn sie mich gleich dort behalten!«

»Nee – lassen Sie nur mich aufs Präsidium, Fräulein!« Der Schupo Peschke winkte eifrig ab. »Dort meld' ich jetzt gleich dem Kommissar Dürisch den faulen Zauber hier! Der Mann wird mir dankbar sein! Der Mann greift durch!«

»Mir tät's nur leid«, sagte die Fränze Häselich, »wenn sie den Ale selber kriegten! Der hat mir gestern abend das Leben gerettet! Der Ale is 'n Kavalier!«


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