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45

Der Dr.-Ing. Wiebeking ging von Krügers Kaschemme weiter durch den Berliner Osten. Die Straßen lärmten. Auf der Brücke pfiff der Wind über die graue Spree. Drüben wieder das graue Bild: Grau die Häuser. Grau die Menschen. Grau die Welt trotz der Herbstsonne.

Aber da lachte, in dem fahlen Alltag, eine kleine Farbeninsel des Südens. Orangengold hinter den Scheiben. Zitronengelb. Dattelbraun. Feigensilber. Bananengrün.

»Da bin ich, Hildchen! Ich habe ja versprochen. Sie zu besuchen!« Werner Wiebeking stand an der schrill klingelnden Ladentür. Das blasse Obstfräulein schrak mit einem leisen Schrei des Glücks von ihrem Schmöker auf. Sie eilte ihm, lang und schlank, in ihrem weißen Ladenkittel, entgegen. Die braunen Augen flackerten in dem regelmäßigen Gesicht mit dem, immer wie in Erwartung eines Abenteuers, halb offenen Mund. Er schüttelte ihr die schmalfingerige, nervöse Hand und nahm auf der nächsten leeren Ananaskiste Platz.

»Nun müssen Sie mir aber auch einen großen Gefallen tun, Hilde!« sagte er.

»Habt ihr was vor?« Es klang aufgeregt.

»Na und ob!« Er zog bedeutsam die Augenbrauen hoch.

»Kann ich dabei helfen?«

»Aber sehr!«

»Gott sei Dank!«

Die blassen Wangen der Hilde Lüders wurden heiß vor heimlicher Wonne. Sie setzte sich neben den jungen Mann und strich sich tatendurstig die Leinenfalten glatt und flüsterte wie eine Verschwörerin.

»Was soll ich tun?«

»Gar nicht viel, Hilde! Sie hatten mir vorige Woche versprochen, ein junges Mädchen für eine Nacht aufzunehmen!«

»Das gnädige Fräulein sind aber nicht gekommen!«

»Aber jetzt kommt sie!«

»So ...?« Das Obstfräulein dehnte die Stimme.

»Heute noch!«

»Ach nee!« Sie stand auf und schüttelte mißmutig den Kopf.

»Aber Hilde ...«

»Lieber nicht ...«

»Hilde ... Hilde ...«

»Nee – ich danke!«

»Hilde – nennen Sie das Romantik?« Der junge Mann hob von seiner Kiste unten vorwurfsvoll die blauen Augen zu ihr empor.

»Ich soll die Dumme sein ...« Tränenschlucken in der Kehle.

»Eifersucht! Schickt sich das denn für eine Räuberbraut?«

»... und Ihnen Ihre Geliebte ...«

»Ist sie nicht!«

»... oder Sie dürfen sie jetzt heiraten – auf Ihre Chauffeurstellung hin ... Und da soll ich ...«

»Eifersüchtig kann jeder sein! Wir sind doch höhere Menschen. Wir kennen doch so etwas nicht. So steht das doch auch in Ihren Büchern!«

»Ach – das ist viel von mir verlangt!« Das Obstfräulein strich sich traurig mit der Hand über das ewig phantastische Haar.

»Natürlich verlangen ungewöhnliche Dinge ungewöhnliche Opfer, Hilde! Aber ein so ungewöhnliches Wesen wie Sie ...«

Die Hilde Lüders warf ihm einen dankbaren Blick zu. Sie vergrub die kleinen, weißen Zähne in der blassen Unterlippe. Sie sah sehr hübsch aus, mit dem schmerzlichen Ausdruck auf den schwärmerischen Zügen.

»Es ist gefährlich!« sprach sie warm, mit einem Augenaufschlag.

»Für Sie nicht, Hilde! Sie wissen ja von nichts!«

»Aber das Leben ist so langweilig ...« Ein abenteuerlicher Schein wie verliebtes Wetterleuchten auf dem Antlitz der Hilde Lüders.

»... und wenn ich bitte ...«

»Für Sie – für einen ganz Großen wie Sie – da tu ich's!«

»Also schönen Dank, Hildchen!« Ein Händedruck. »Wenn heute Abend wird, dann gehe ich – in der Schummerstunde – jawohl – ganz richtig – mitten mang die Verbrecher, und lang' mir oben in Krügers Restaurant die Kleine und bring' sie her!«


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