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2

Das Mäuseken war eine hundertpferdige, himbeerfarbene Limousine. Ihr zwölfzylindriger Mammut-Motor zitterte gedrosselt in den ewigen Stockungen der Verkehrsecken. Rot ... Gelb ... Grün ... Weiter ... Langsam weiter – eine Straße um die andere. Hinaus in den Berliner Osten.

Nun schon die krummen, alten Gassen der City. Wieder ein Halt. Feiernde Wagen in langer Reihe. Der junge Mann steckte den frischen, fröhlichen Kopf aus dem linken Vorderfenster.

»Wat's denn nu wieder los?«

»Da kann keen Aas vorbei! Vor der Bankfiliale drüben stehen die Leute knüppeldick!«

»Wollen die ihr Jeld retour?«

»Fremdes Jeld hat sich eener heut nacht holen wollen!« Ein hemdsärmeliger Budiker wies nach der kleinen Fremdenpension im eisten und zweiten Stock des Hauses über dem Firmenschild ›Wiebeling & Co‹. »Da ist gestern abend einer aus Holland abgestiegen – ein mittelgroßer Dicker mit 'nem roten Vollbart – mit zwei mächtigen Koffern – und hat gesagt, er sei müde von der Reise und hat sich gleich in die Klappe gelegt.«

»So um Uhre zwei hat er dann zum Nachtportier gesagt, er hätte Kopfweh und müsse spazierengehen!« Der Grünkram-Mann verstärkte seinen heiseren Naß. »Adjö Sie! Auf den warten sie jetzt noch! Den Gummibauch und den roten Bart – den hat er hinter Schloß und Riegel in der Bedürfnisanstalt uff dem Platz drüben abgelegt und is 'raus, wie die olle Dame gerade nicht hingeschaut hat ...«

»Sehen Sie die Strippe, die da von der Decke hängt!« Der Budiker wies wie ein Schaubudenerklärer in den hellen Bankraum. »Tet is nämlich 'ne seidene Strickleiter. Da hat der Bruder oben ein Loch in den Boden gebohrt, 'nen Regenschirm durchgesteckt und unten uffgeklappt, damit die Kalkbrocken nicht 'runterplumpsten und Lärm machten – verstehnse – und so hat er sich sachtemang 'nen Durchschlupf gemacht und hat sein Handwerkszeug 'runtergelassen und ist hinterher geklettert ...«

»Und denn?«

»Das war der reine Zufall, daß zwei Amerikaner mitten in der Nacht 'ne Depesche kriegten, daß sie am nächsten Morgen mit dem ersten Zug nach Hamburg aufs Schiff müßten. Nu die den Bankier Wiebeking 'rausgeklingelt, und der hat ihnen 'nen Beamten mitgeschickt, daß er ihnen ihre mächtigen Wertsachen, die sie da drinnen liegen hatten, 'rausgeben sollt'! Wie der nu uffsperrte, da haben sie alle drei Mund und Nase uffgesperrt, wie sie die Bescherung sahen!«

»Und der Kunde war weg?«

»Der hatte sich in Wohlgefallen uffgelöst! Alles stehn und liegen lassen! Jekriegt hat er nischt! Aber was der für Helfershelfer gehabt haben muß – wat? – daß er jleich erfahren hat, daß die Drei unterwegs waren! Det is zauberhaft, Herr!«

Der junge Chauffeur fuhr zehn Schritte weiter und mußte wieder stoppen. Die zahnlose Zeitungsfrau neben ihm schrie:

»Der Ale war da!«

»Haben Sie ihn jesehen, Mutter?«

»Natierlich war's der Ale!«

»Er hat's ja innen an die Wand geschrieben!« sprach behaglich der Mann aus dem Grünkramkeller. »... ›Eijentum is Diebstahl!«‹ hat er hingeschrieben!«

»Wenn das schon heute nacht war ...« frug der Rotblonde am Steuer der Luxuslimousine.

»... ›der Mann im Dustern‹ hat er drunterjeschrieben!«

»... warum stehen denn die Leute dann jetzt noch da?«

»Sie beaugenscheinigen die Behörden! Die sind da drinnen! Jetzt sperren sie ihre Hühneraugen uff und wundern sich, daß den Menschen heutzutage nischt mehr heilig ist!«

Durch die hellerleuchteten Fenster sah man von der Straße aus eine Gruppe von Herren in dunklen Mänteln und Hüten in erregtem Gespräch.

»Wer is drinnen der kleene Graubärtige mit der Glatze und Brille, um den sie alle 'rumstehen?«

»Det is der Bankbesitzer selber – der Jeheimrat Wiebeking!« erklärte der Fahrer der haltenden Himbeerkarosse. »Der hat in Berlin noch 'n halbes Dutzend solche Filialen außer dem Hauptjeschäft. Ick möchte mein Lebenlang nur so viel haben, wie der Olle an einem Tag verdient!«

Kopfnickendes Schweigen der andern. Der Führer des Luxuswagens aus dem Westen mußte es ja wissen. Das heisere Meckern einer Mumie eines alten Kutschers vom Bock einer Pferdedroschke.

»Dem Mann sieht man det ville Jeld ooch nich an!«

Der Geheimrat Dr. h. c. Albert Wiebeking war breitschulterig und hielt sich straff aufrecht. Willensstark entsprang die kurze Nase unter den durchdringenden grauen Augen und der hohen, stark gewölbten Stirn. Seine Bewegungen waren rasch. Seine Sprache kurz und schnell. Er sagte, inmitten seines Stabs von Direktoren und Prokuristen, zu einem vor ihm stehenden, kräftigen, bürgerlich dunkelgewandeten Mann, mit einem aufgedrehten Schnurrbärtchen in dem runden, jovialen, völlig ausdruckslosen Gesicht:

»Nun erklären Sie mir bloß, Herr Kriminalkommissar, wie war doch Ihr Name? Richtig: Herr Dürisch! ... die Schweinerei hier – das war doch dieser vielgenannte Ale?«

»Da hat er ja, nach seiner Gewohnheit, eine seiner Visitenkarten zurückgelassen!« Der Kommissar wies auf die großen Kohlen-Schriftzüge an der weißgetünchten Wand des Kassenraums. »›Traugott Ratemal, Dr. noct., Spezialist für Vermögenstransaktionen. Sprechstunde jederzeit. Ihr merkt's nur nicht!‹´...«

»Also nu bitte, Herr Kommissar: Wie konnte dieser Ale nur wissen, daß meine Geschäftsfreunde, die Amerikaner, während ihres Abstechers nach Wien ihren versiegelten Wertkoffer gerade hier bei mir deponiert hatten?«

»Vermutlich haben es die Amerikaner ihm wie andern Gästen Ihres Hauses bei Gelegenheit erzählt, Herr Geheimrat.«

»Was?«

»Sie haben wahrscheinlich schon oft selbst mit ihm gesprochen und wissen es nur nicht!« Die schläfrigen Züge des Kommissars Dürisch belebten sich für einen Augenblick. »Sie haben den Feind im eigenen Lager, Herr Geheimrat! Er lebt und verkehrt mitten in den höchsten Kreisen des Berliner Reichtums, und das macht mir, der ich die Raubzüge dieses Ale seit Monaten bearbeite, die Nachforschungen so schwer – ja fast unmöglich ...«

»Na – hören Sie mal, Verehrtester ...«

»Woher hat denn dieser Ale oder der Mann im Mond oder der fremde Herr aus Kottbus oder wie er sich in seinen blödsinnigen hinterlassenen Inschriften nennt – woher hat er denn diese nachtwandelnde Orts- und Personenkenntnis der ersten Berliner Gesellschaft? Warum geht er mit tödlicher Sicherheit immer nur da an den Speck, wo in den Millionärsvillen etwas ganz Ungewöhnliches zu holen ist? Warum weiß er genau, wenn solche Herrschaften verreist sind und das Haus leer steht? Warum ...«

»Das wäre ja ein unheimlicher Gedanke ...«

»Sie können Ihrem Schöpfer danken, Herr Geheimrat, daß diesmal – zum erstenmal – dem Ale sein Nachtangriff mißlungen ist!«

»Nein. Schaden ist mir nicht weiter entstanden!« sagte der kleine Geheimrat Wiebeking nachdenklich. »Aber ich werde es mir zur Lehre dienen lassen! Morgen leite ich die nötigen Abwehrmaßregeln ein!«

Draußen auf der Straße ruckte die Wagenburg langsam an. Ein Taxameter frug den Rotblonden am Steuer der himbeerfarbenen Limousine neben ihm:

»Mensch – wat jrienste denn so? Dir kommt det hier wohl komisch vor – wat?«

»Ick habe halt so ein frohes Jemüt am Leibe!« Der junge Mann lächelte und schaute versonnen in die hellen Fenster der Bankfiliale. Ein Schupo trat heran.

»Na – wollen Sie nicht auch mal lostrudeln?«

Der Fahrer des Zwölfzylinders schrak auf.

»Jewiß doch, Herr Wachtmeister! Allens, wat die Obrigkeit befiehlt!« versetzte er und fuhr weiter nach dem Berliner Osten. Und hinter ihm verhallten an den Straßenecken die Rufe der Zeitungshändler mit den Abendblättern:

»Neues vom Nachtdoktor!« ... »Zum ersten Mal hette der schwarze Peter Pech!« ... »Mißglückter Einbruch bei Wiebeking und Kompanie ...«


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