Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

49

Der Wagen hielt vor dem Gittertor der Villa Wiebeking. Die blasse, blonde, kleine Frau saß nervös in die Ecke gedrückt. Sie sagte zu dem Chauffeur, der den Schlag öffnete:

»Ich bleibe hier drinnen sitzen. Gehen Sie ins Haus und sehen Sie, ob ich nicht den Diener, mit dem ich vorhin telephoniert hab', einen Moment sprechen kann!«

Der Diener Leopold folgte dem Chauffeur auf den Hacken, bloß den stillen, faltigen, ältlichen Kopf. Er rieb sich sorgenvoll die Hände, während er mit einer Verbeugung an die Limousine herantrat, und sah Ilselott schweigend an. Sie neigte ihm hastig das bleiche, weiche Antlitz entgegen.

»Also hören Sie doch mal ... seien Sie doch so gut ... Herr Doktor Wiebeking möchte doch hier an den Wagen kommen ...«

»Unmöglich, gnädige Frau!«

»Wenn er den Wagen sieht, weiß er schon, wer drin ist!«

»Ich darf Besuch in keinerlei Form melden, gnädige Frau!« Ein Flüstern des Stillen im Lande.

»Sie müssen eine Ausnahme machen ...«

»Der Arzt hat es verboten ...«

»Dann geht es Herrn Doktor Wiebeking auch gar nicht so gut, wie Sie sagen ...« Ilselott Hüsgen faltete verstört die Hände vor der Brust.

»Doch, gnädige Frau!«

»Dann ist er gar nicht auf und geht herum ...«

Der Diener Leopold hob stumm und leidvoll die eine Schulter und wollte sich zurückziehen. Die junge Frau überlegte. Sie biß sich auf die Lippen. Sie winkte ihm mit dem Kopf zu bleiben. Sie beugte sich aus dem Wagenfenster.

»Ist Frau Geheimrat Wiebeking zu Hause? Jawohl? Fragen Sie die gnädige Frau, ob sie mich eine Minute empfangen will! Hier meine Karte!«

»Die gnädige Frau lassen bitten!« Der ältliche Mensch glitt aus der Villa durch den Garten zurück.

»Es ist ja wahnsinnig unverschämt von mir, einfach bei Ihnen so unbekannterweise einzudringen.« Ilselott Hüsgen saß, sehr blaß, der Hausherrin gegenüber.

»Bitte – gnädige Frau – der Name Ihres Gatten als Kunstsammler ist so bekannt wie die Firma Hüsgen in der Finanzwelt!«

»Nicht wahr? Das gab mir auch Mut!« Die kleine Frau schaute verwirrt vor sich nieder. »Es ist nämlich – ja – ich war verreist. Und wie ich heute wiederkomme – da höre ich ...«

»Ihr Herr Sohn und ich sind nämlich gute Freunde!« Ein offener, klarer Blick der blauen Augen auf die ältere Dame gegenüber. »Das ist ja heutzutage nichts so Ungewöhnliches – nicht wahr – man ist doch nicht mehr wie früher, daß man gleich ...«

»Aber bitte, gnädige Frau!«

»Wir kennen uns noch nicht lange. Aber trotzdem ... Nun soll er, während ich weg war, verunglückt sein! Ihr Diener hat so etwas Zurückhaltendes, wenn man ihn fragt – so als ob es schlimmer sei, als er zugeben will ...«

»Nein – nein – gnädige Frau!«

»Da dacht' ich mir, ich bin so frei oder ich bin so frech und frage einfach Sie! Ich wollte nicht etwa Ihren Herrn Sohn sprechen – da sei Gott vor! – nur von Ihnen hören ...«

»Ich kann Sie zum Glück beruhigen!« sagte die Geheimrätin. »Die alte Unsitte, Obstreste aufs Pflaster zu werfen ... Da hat er einen bösen Sturz getan ... Zufällig befand sich auf der Polizeiwache, wohin man ihn brachte, ein uns bekannter Kriminalkommissar – ein Herr Dürisch – und hatte die Freundlichkeit, selbst den Transport hierher zu übernehmen ...«

»Transport? ... Ach Gott: da liegt er doch wohl schwerkrank im Bett?«

»Du, Mama ...« Ein junger Mann trat eilig ein. »Was ist denn das für ein großer, himbeerroter Wagen, der draußen hält? Den kenn' ich doch!« Er blieb stehen und sprach kein Wort mehr.

»Sie sehen, gnädige Frau: Er ist auf!«

Die Geheimrätin Wiebeking sagte es milde. Sie erhob sich und ging in den offenen Nebenraum und beschäftigte sich da mit einem Wassersprüher an ihren Azaleen. Drinnen eine ausgestreckte, zitternde, kleine Hand.

»Gott sei Dank ... Adieu ...«

Er hielt die Hand fest.

»Ilselott ...«

»Ich kann Sie doch hier nicht besuchen! Wir sehen uns ja bald bei mir!«

»Ich bin so glücklich ...«

»Und ich war so steinunglücklich in Meran! Ich hatte ja keine Ahnung ...«

»Und ich wußte doch deine Adresse dort nicht! Ich kann auch erst seit ein paar Tagen wieder vernünftig schreiben.«

Sie sagte nichts dagegen, daß er sie du nannte. Sie atmete heftig. Sie machte sich los. Sie ging zur Tür, Sie lächelte schmerzlich.

»Ach – ich war ganz auseinander ...«

»Ja – an so einer Bananenschale hängt es nun ...«

»Wer weiß ...« Sie blieb noch einmal stehen ... »wozu die Bananenschale gut war ...«

»Ilselott ... Wenn du und ich in Meran ...«

»Nein. Nein. Wir müssen vernünftig sein!« Sie drückte ihm hastig die Hand und beugte sich nebenan über die Rechte der alten Dame. »Tausend Dank, gnädige Frau! Entschuldigen Sie die Störung! Adieu!«

Draußen brummte die rote Limousine. Die Geheimrätin sah ihren Sohn an. Sie sagte nichts. Er auch nicht. Er stand am Fenster und schaute andächtig dem davonrollenden Wagen nach. Er wandte den noch sehr blassen Kopf. Er nickte ermunternd dem stillen Diener Leopold zu, dessen lautloses Erscheinen ihn vom Alleinsein mit der Mutter befreite.

»Na – Mann Gottes – was gibt's? Drucksen Sie nicht!«

»Herr Kriminalkommissar Dürisch will sich nicht abweisen lassen! Es sei dienstlich!«

Drüben im Rauchzimmer saß der Kommissar, ein guter Bürger im Äußern, schnurrbärtig, jovial, vertraulich die Fingerspitzen auf den Knieen zusammenklappend.

»Na – gottlob, Herr Doktor – soweit wieder auf dem Posten? Noch ein bißchen Brummschädel – was? Ging noch gut ab! So'n Totschläger ... Also nur ein paar Minuten – im Interesse der Untersuchung ...«

»Die Kriminalpolizei in Berlin kriegt doch in neuerer Zeit mit tödlicher Sicherheit jeden Verbrecher am Kragen! Also hoffentlich halten Sie mich infolgedessen nicht mehr länger für den Ale!« Der junge Mann befühlte seinen rotblonden Stoppelschädel. »Ich bezweifle wenigstens, daß dessen Getreue so mit ihm umspringen ...«

»Na – Spaß ...«

»Allerdings – man liest ja auch von homerischen gegenseitigen Kämpfen in der Unterwelt!« Werner Wiebeking schob seinem Besucher den Zigarrenkasten hin. »Vielleicht daß ich mit einer anderen Verbrecherkolonne in Todfeindschaft lebe ...«

»Gott – Herr Doktor ...« Der Kommissar zuckte nur lächelnd die Achseln und brannte sich die Havanna an.

»... und mich, trotz meiner unheimlichen Praxis in solchen Chicagoer Komplexen, in eine Falle locken ließ ...«

»Spaß beiseite ...« Das Gesicht drüben blieb schläfrig-ausdruckslos. Nur die Hand mit der glimmenden Zigarre bewegte sich eindringlich. »Freut mich, daß Sie Ihren Humor wiedergefunden haben! Aber im Ernst: Herr Doktor – vertrauen Sie es mir doch endlich an ...«

»Na bitte ...«

»Was treibt Sie, einen hochgebildeten Mann der ersten Gesellschaft – einen Millionär – immer wieder in diese Verbrecherkreise? Sie sehen ja, was dabei herauskommt!«

»Es handelt sich immer nur um dieses arme Ding – die Fränze Häselich!«

»Ja – was interessiert Sie denn eigentlich an so 'nem ersten, besten Mädel aus der Kaschemme?«

»Das Schicksal hat sie mir vor bald vierzehn Tagen nachts, als sie gerade in die Spree springen wollte, über den Weg geführt«, sagte der junge Mann ernster als bisher. »Ich wollte ihr helfen, sie retten! Ja – ich bin nun mal so merkwürdig veranlagt, daß ich mich um meine Mitmenschen kümmere ...«

»Zum Dank lief sie Ihnen aus dem Hause!«

»Nein – sie wurde auf der Straße gestohlen!«

»Nanu! Von wem?«

»Das weiß ich nicht! Ich holte sie bei ihrem Stiefvater ab!«

»Dort war sie also? Er behauptet, nichts von ihr zu wissen!«

»Das lügt der alte Knabe!«

»Das ist mir sehr wichtig in der Untersuchung gegen den Kerl, den einzigen von der Gesellschaft, den wir vorläufig greifbar haben!« Der Kommissar stenographierte. »Und dann ...?«

»... Dann war ich leider so ungeschickt, mich von einem Individuum, das auf den Namen ›der Dicke‹ hört, ausknocken zu lassen, und weiß von da ab von nichts mehr!«

»Also der Dicke war's? Aha? Deswegen ist der Kunde mit seiner ganzen Kolonne seitdem wie vom Erdboden verschluckt!«

»Und die Fränze, Herr Kommissar?«

»Spurlos verschwunden!«

»Gott – das arme Tierchen ...«

»Und – was sehr auffallend ist – seit acht Tagen läßt auch der Nachtdoktor durchaus nichts mehr von sich spüren!«

»Vielleicht ist er krank!« sagte der junge Mann belustigt und schaute den Kommissar an. Der klappte sein Notizbuch zu.

»Nur noch eines, Herr Doktor, was mir direkt rätselhaft ist: Wieso hat diese üble Nummer, der Krüger, Sie mir nichts, dir nichts zu der Häselich hinaufgelassen? Das tut so ein Kaschemmenvater doch nur bei Individuen seiner Art, die ihm genau bekannt sind ...«

»Ja. Ich genoß bis dahin das Vertrauen dieser Kreise! Ich weiß auch nicht, warum ...«

»Sie sagen mir nicht alles ... Sie sagen mir nicht alles, Herr Doktor!« Der Kommissar stand kopfschüttelnd auf.

»Doch. Wirklich alles ... Es ist alles furchtbar einfach. Wahrscheinlich zu einfach ...«

»Nun ...« Der Kommissar erhob sich. »Sie sind noch sehr angegriffen ...«

»Sowie Sie weg sind, leg' ich mich ein bißchen hin!«

»Also ich danke sehr, Herr Doktor!«


 << zurück weiter >>