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13

In der Vorderhalle stellte Ilselott die Anwesenden einander vor.

»Mr. Harris aus Chicago. Ein Freund meines Bruders ...«

»Vater drüben unanständig reich!« flüsterte Lüttchen sorgenvoll.

»Zweiter Freund aus Berlin ... Herr Aster ...«

»Solo-Erbe des Bankhauses Aster und Kompanie! Na – wie wird euch?« murmelte der Großohrige, Ilselotts Bruder.

»... weniger Banksprößling als angehender Film-Tenor!« Der Antinous senkte lächelnd das krausgebrannte klassische Haupt. Ein zarter Maiglöckchenduft umhauchte ihn von der Hornbrille bis zu den Lackschuhschleifchen.

»Und hier ...« Ilselott wies auf die beiden neu gekommenen Ehepaare ... »Baron und Baronin Sempt – meine Freundin Aloscha aus Livland.«

»Flüchtlinge aus Litauen, Ilselott!«

»Kieselbach – Flüchtling aus der Berliner Börse«, machte sich ein kleiner, dicker, beweglicher Herr mit schwarzem Schnurrbärtchen selbst bekannt. »Himmel – haste 'n Parapluie? Koblank Tiefbau heute zweiundzwanzig! Mies! Das einzige Wertvolle an mir ist noch meine Frau!«

»Nämlich hier meine Freundin Iris«, Ilselott wandte sich zu einer dunkeln, schönen Frau. Sie war groß, schlank, mit matt bräunlichen, stillen Zügen und mandelförmigen schwarzen Augen.

»Traum im Süden – nenn' ich sie mit Vorliebe!« Der kleine, dicke Kieselbach drängte sich an die Hausfrau heran. »Gnädigste – da steht nämlich noch 'ne unbekannte Größe! Ich war so frech, ihn auf 'nen Augenblick mitzubringen! Er ist einer meiner besten Bankkunden! Sehr reich! Die Großeltern waren noch bessere Millionenbauern draußen im Osten ... Ihnen gesagt: Ein verdrehter Mensch ...«

»So ...«

»Er leidet an sozialen Komplexen – warum er soviel Geld hat und andere nicht! Lebt unbeweibt als Privatgelehrter ganz eingezogen der Fürsorge für entlassene Strafgefangene. In den Kaschemmen zwischen dem Wedding und dem Schlesischen Bahnhof ist er bekannt wie 'n bunter Hund. Den faulen Westen flieht er!«

»Ja – und was ...?«

»Er hat ein Anliegen an Sie! Gnädige Frau – darf ich Ihnen Herrn Doktor Josef Schraubt vorstellen?«

Der sich etwas verlegen und unbeholfen verbeugte, war ein bartloser, plump gebauter, mittelgroßer Mann in der ersten Hälfte Dreißig. Die buschigen, über den tiefliegenden Augen fast aneinanderstoßenden Brauen gaben seinem starken, runden, kurz braunbehaarten Schädel etwas Düsteres. Die groben Züge waren von ruhiger Intelligenz, mit aufgeworfenen, forschend vorgeschobenen Lippen. Ilselott bot ihm einen Stuhl im Nebenraum und setzte sich ihm gegenüber.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor?«

»Gnädige Frau! Ich komme nicht für mich – sondern für die Elendesten der Elenden ...« Die Stimme des Dr. Schraubt war rauh und dunkel ... »die Parias unserer Zeit, die aus angeborener Willensschwäche – ich versichere Sie – nicht aus bösem Trieb – also eigentlich ohne Verschulden – immer wieder zu Verbrechern werden. Ihnen zu helfen betrachte ich als meine Lebensaufgabe und suche Mithelfer da, wo ich irgend hoffen kann, welche zu finden. So auch bei Ihnen!«

»Ja – und wieso kann man denn diesen Leuten behilflich sein?«

»Jeder mit dem, was er hat! In diesem Hause hier mit Geld!«

»Ich denke, Sie sind selbst so reich!«

»Ich bin es, unverdientermaßen, gnädige Frau, und ich verwende meinen Reichtum ausschließlich für diese Zwecke. Aber ich möchte auch andern vom Glück begünstigten Menschen Gelegenheit geben, sich von der Last des sozialen Gewissens zu befreien!« Die Worte des Dr. Josef Schraubt fielen schwer, gedämpft, langsam wie Tropfen in einer Grotte. »Wer über Einkünfte verfügt wie Sie ...«

»Ich? Nicht 'nen Groschen! Staatsanwälte wie mein Vater sammeln keine irdischen Schätze! Und mütterlicherseits – na – wie es jetzt in alten preußischen Familien ausschaut, das weiß jeder. Das gehört alles hier meinem Mann!«

»Dann also ...«

»... und der ist mehr für die Bilder als für die Leute, die ihm die Bilder stehlen wollen! Ich darf ihn jetzt dahinten nicht stören! Aber ich werde nachher mit ihm sprechen, Herr Doktor! Bitte, machen Sie uns das Vergnügen und bleiben Sie zu Tisch!«

»Ich nehme dankend an, gnädige Frau!« Dr. Schraubt trat mit ihr wieder in die Vorhalle, zu der schönen, stillen, dunkeln Frau Kieselbach. Er sprach leise mit ihr. Ilselott stand im Geschwurbel der andern. Es schlug an ihr Ohr: ›Nein – ganz flach und breitrandig, mit dünnen Roßhaarspitzen‹ – ›Nach Ägypten im Winter? Ist doch doof!‹ – ›Also das nennen die Bridge: Süd paßt. West drei Sans‹ – ›Paß auf: Ein Viertel Gordon Gin, ein Viertel Cointreau, ein Schuß Angostura Bitter ...‹

»Das sind die Sorgen von Berlin!« Der schwere Schatten von Dr.. Josef Schraudt stand plötzlich wieder zwischen ihr und dem Fenster. »Aber es gibt auch ein anderes Berlin. Das kennen Sie hier nicht!«

Er deutete mit der breiten, kurzfingerigen Hand in das Gewimmel der Föhrenstämme hinaus.

»Sehen Sie die Kähne dort ganz hinten auf der Havel schwimmen? Auf dem einen geht ein Mann von vorn nach hinten und stakt mit der Stange. Und wenn er hinten angekommen ist, dann lehrt er um und fängt vorn wieder an und stakt und stakt ... den ganzen Tag ... jeden Tag ... sein Leben lang ... Gibt Ihnen das nicht zu denken? Der Mann stakt und stakt ...«


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