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59

»Ich werde Sie heute noch mehr als einem glattrasierten Herrn in den Dreißig gegenüberstellen, Hilde!« sagte Werner Wiebeking, während die Droschke aus der stillen Gartenstadt des Nordens in das Tosen des Westens rollte. »Und hoffentlich darunter dem meistgesuchten Mann Berlins!«

»Nach Ihnen, Herr Werner!«

»... und daraus, daß ich einen Verbrecher suche, können Sie schon sehen, daß ich selber kein Verbrecher bin!«

»Man kennt doch eure Kämpfe gegeneinander in der Unterwelt!«

»Ich bin von dieser Welt, Hilde!«

»Und warum sind Sie dann so scharf auf diese Ganoven in der Pionierstraße? Ach – das begreife ich, daß für zwei wie euch Berlin zu klein ist!«

»Unsinn, Kind!«

»Ach – das ist himmlisch! Das ist wie in Chicago!«

»Hilde ... Räuberbraut ...«

»Was ist dagegen der Film?«

Ein Schweigen.

»Hilde – ich habe ein schlechtes Gewissen ...«

»Ein Mann wie Sie braucht das nicht!«

»Wenn ich Sie nun aus allen Himmeln reiße und Ihnen sage, daß ich ein Sohn aus reichem Hause bin – vielleicht der Sohn des Geheimrats Wiebeking selber ... Da lacht sie los ...«

»Ein Millionär aus 'm Tiergartenviertel, der Schlosser im Osten ist und in den Kaschemmen 'rumsitzt! ... Für zu dumm müssen Sie mich auch nicht halten, Herr Werner!«

»Sie sehen doch, daß ich in dem Hause Wiebeking aus und ein gehe ...«

»Das ist ja das Große an euch, daß ihr euch überall einschleicht ...«

»... wie wenn ich da hineingehöre ...«

»... und mitten unter den Verbrechern genießen Sie das größte Ansehen – denken Sie nur neulich an den Dicken und seine Leute in Feuerstakes Hotel – und bieten alles auf, das kleine Kaschemmen-Mädel zu retten ... Nein! ... Mir machen Sie nichts vor! Ich habe einen zu tiefen Einblick getan! Ich weiß, wer Sie sind!«

»Also erzähle ich Ihnen das in Gottes Namen ein andermal wieder! Vielleicht glauben Sie's dann! Wenn ich jetzt weiter versuche, Ihre Illusionen zu zerstören, schnappen Sie mir womöglich vor Enttäuschung ab! Und ich brauche Siel«

»Gegen Ihren Todfeind in der Pionierstraße!«

»Hilde – wenn Sie diesen Herrn irgendwo erkennen – wer es auch sei – geben Sie mir sofort das Zeichen mit dem Zeigefinger überm Auge! Abgemacht?«

Das Obstfräulein nickte begeistert. Sie saß kampfdurstig aufrecht. Ihre Augen glänzten über den Kurfürstendamm. Werner Wiebeking ließ den Wagen halten.

»Da ist die Flamingo-Diele! Kommen Sie 'nen Sprung mit 'rein, Hilde!«

Die Nachtbar lag jetzt, gegen Mittag, noch halb im Morgenschlaf. Die hohen Reitstühle standen leer vor dem Marmorschragen. Dahinter hielt die weißgetünchte Lory mit der fuchsroten Riesentolle übernächtig die gestrigen Sporttelegramme zwischen den purpurlackierten Fingernägeln und übersetzte der wild gähnenden knallblonden Berta die Rennquoten von Auteuil.

Nur am Stammtisch in der Ecke saßen ein paar Gents. Ein finniger, engbrüstiger Herr hob die gebückten Schultern und drehte die rötlich umkränzte Glatze liebenswürdig zur Tür. Hart, östlich sein Deutsch.

»Belieben Siel Treten Sie näher, Herr Doktor Wiebeking! Hier ist Platz für Sie und die Jnäddige!«

»Ich muß leider gleich weiter, Baron Sempt!« Der Dr.-Ing. Wiebeking schaute rasch auf Hilde. Die fuhr sich nicht ans Auge, sondern stand teilnahmlos mit hängenden Armen. »Ich suchte nur Ihren Freund Lüttchen!«

»Er ist eben zu seiner schönen Schwester im Grunewald hinausgefahren!«

»In 'ner ganz miesen Stimmung!« rief die rote Lory von der Bar. Die blonde Berta ergänzte.

»Wenn der man nich in der Burgstraße schief liegt!«

Noch ein Seitenblick auf die Hilde Lüders. Sie rührte sich nicht. Der Dr.-Ing. Wiebeling verließ mit ihr den »Flamingo«.

»Der Baron war es nicht?« frug er draußen.

»Das olle Ekel? Nich in die Hand!«

»Und auch von den andern keiner?«

»Haben noch nicht mal danebengelegen, Herr Werner! Einer, der Ihnen ebenbürtig ist, der sieht doch interessanter aus!«

»Kutscher! In den Grunewald! Westallee siebzehn.«

»Sie werden ja auf einmal ganz blaß, Herr Werner! sagte ungläubig die Hilde Luders, als der Wagen vor der Villa Hüsgen stillstand. »Gibt es denn wirklich etwas auf der Welt, wovor Sie sich fürchten?«

»... daß jetzt da drinnen ein bestimmter Mensch der Gesuchte sein könnte – davor allerdings ... Hilft nichts! Passen Sie auf, Hilde: Hier haben Sie meine Brieftasche! Bleiben Sie jetzt in der Droschke sitzen! Wenn Sie dann gerufen werden, dann folgen Sie dem Mädchen mit der Brieftasche in der Hand ins Haus!«

»Die gnädige Frau kommt gleich! Sie sucht noch nach etwas oben in ihren Zimmern!« meldete drinnen die Jungfer. »Aber der Herr Bruder sitzt unten in der Halle!«

Das Nachtgeschöpf reichte, großohrig, spitznasig, kümmerlich, aus den Tiefen eines Klubsessels mit einem wehmütigen Lächeln auf den ältlichen, blau umschatteten, bleichen Zügen dem Dr.-Ing. Wiebeking zwei sorgfältig manikürte Spielerfinger.

»Ich bin doch 'n wertvoller Mensch, Doktor! Nich? Sagen alle, die mich kennen!« Er sog tiefsinnig an seiner Zigarette. »Aber was macht man aus sich?« Ein Rauchwirbel. »Kaff!«

»Im ›FIamingo‹ sagte mir Ihr Freund aus dem Osten ...«

»Freund? Dieser rothaarige Tscherwonzenschieber ...« Weinerlich die Worte des Kleinen.

»Schieber?«

»Schieberkönig ... Warum soll ich jetzt noch aus der Wahrheit 'ne Mördergrube machen?«

»Der Baron Sempt?«

»Baron? Kammerdiener war er mal bei 'nem wirklichen Sempt, der drüben in der Revolution verschollen ist! Dieser asiatische Schwerverdiener ist kein Verkehr für einen christlichen Jüngling wie mich. Ich geh' jetzt in mich, so ungemütlich das Lokal auch ist!« Lüttchen stützte kummervoll den Kopf in die Hand. »Es geht so mit mir nicht weiter!«

»Ich habe einen furchtbaren Entschluß gefaßt!« Die großen Nachtaugen richteten sich auf den andern. »Ich werde von jetzt ab arbeiten! Ich muß! Was sagen Sie dazu?«

»... mal was Neues!«

»Nicht wahr. Sie Schmeichler! Na – da kommt sie endlich! Ilselott: Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Schönheitsköniginnen!«

Die kleine Frau beachtete den Bruder kaum. Sie war sehr erregt. Sie hatte Mühe sich zu beherrschen. Sie drückte Werner Wiebeking hastig die Hand. Sie schwieg mit einem hilflosen Blick auf Lüttchen.

»Du siehst aus wie ein besserer Geist!« sagte der kleine Spieler trübsinnig. »Aber ich muß dich trotzdem sprechen!«

»Ein andermal ... bitte! ... Was suchen Sie denn so erschrocken in Ihrem Rock, Herr Doktor?«

»Meine Brieftasche, gnädige Frau! Hoffentlich habe ich sie in der Droschke draußen liegenlassen! Darf ich einen Augenblick meine Sekretärin, die darinsitzt, hierherkommen lassen?«

»Bitte!«

»Bisher war ich das Dukatenmännchen vom Kurfürstendamm ...« fuhr Lüttchen fort, während die Jungfer vor das Haus lief.

»Lüttchen ... man erwartet dich gewiß am Kurfürstendamm ...«

»Ich war der Stolz von Berlin ...«

»... während wir hier uns auch ohne dich behelfen können ...«

»... aber ich stehe vor dem Sturz!«

»Die Sekretärin ist da!« meldete das Mädchen.

»... und hat gottlob die Brieftasche!« Werner Wiebeking sprang auf und schob die Ledermappe in den Rock.

Die Hilde Lüders hatte sich vor der Dame des Hauses verbeugt. Jetzt stand sie, die Fingerspitzen mit herabhängenden Armen verschlungen, gleichgültig mitten im Zimmer und wartete. Es war eine kurze Stille.

»Danke, Fräulein!«

Die Hilde Lüders zog sich mit einer zweiten Verbeugung zurück. Werner Wiebeking atmete tief auf. Neben ihm meckerte es kläglich:

»Ilselott ... leihe mir eines deiner reizenden Öhrchen! Mein Nimbus wankt! Die Lage ist verzweifelt, aber nicht ernst!«

»Kein Mensch nimmt dich ernst, Lüttchen! ... Bitte – komm morgen wieder ... Heute bin ich wirklich nicht in der Verfassung ...«

»Ich habe das dunkle Gefühl, als ob ich hier störte ... Feinfühlig bis in die Fingerspitzen, wie ich nun einmal bin! Auf Wiedersehen, Schwesterseele! Adieu, Sie Seelenarzt!« Lüttchen kniff vielsagend ein Auge zu, seufzte und ging. Werner Wiebeking faßte die kleine blonde Frau angstvoll an den Händen.

»Ilselott – was ist dir?«

»Ach – ich bin ganz verstört! Ich bin außer mir!«

»Warum?«

»Stell' dir vor: Mein ganzer Schmuck ist aus der Wandkassette in meinem Ankleidezimmer gestohlen!«

»Und du hast keinen Verdacht?«

»Vom Personal war niemand im Zimmer – außer in meiner Gegenwart die Jungfer! Von außen kann niemand gekommen sein! Alle Fenster mit den elektrischen Läutevorrichtungen meines Mannes sind unversehrt. Das Haustor war die Nacht über fest verschlossen. Draußen die Wächter! Die haben pünktlich ihre Kontrolluhren gestoppt.«

»Wann hast du denn die Bescherung entdeckt?«

»Vor einer Stunde – zufällig ... Ich wollt' einen Ring aus dem Safe nehmen. Das Safe war aufgeschlossen und leer! Ich hab' noch niemandem was gesagt! Ich wag' es gar nicht meinem Mann zu sagen! Der regt sich ja wahnsinnig auf!«

»Wann hast du den Schmuck zuletzt in Händen gehabt?«

»Gestern abend! Da habe ich ihn selber in die stählerne Wandkassette gesperrt, nachdem die Gäste gegangen waren ...«

»Was für Gäste?«

»Mein Mann hatte gestern amerikanische Kunstsammler zum Abend mitgebracht – fünf oder sechs!«

»Waren die zum erstenmal im Haus?«

»Ein paar sind schon lange in Berlin. Die waren neulich schon bei meiner italienischen Nacht!«

»Jüngere, glattrasierte Herren?«

»Ja. Wie Amerikaner so sind. Ich kenn' sie kaum. Gebhard hat mit ihnen seine Kunstgeschäfte – gerade jetzt während der großen Auktion. Der weiß ihre Namen und Adressen. Viel mehr wahrscheinlich auch nicht!«

»Gingen sie spät weg?«

»Ja.«

»Alle zusammen?«

»Ja.«

»Kann sich nicht einer von ihnen, ohne daß deine schon verschlafenen Leute es bemerkten, sich haben im Haus einschließen lassen, statt sich zu entfernen, und morgens, wie das Tor wieder geöffnet wurde, ebenso heimlich empfohlen haben?«

»Wie soll ich das wissen? ... Ach – es ist mir gräßlich. Aber ich muß jetzt meinen Mann mitten in seiner großen Auktion wegen des Diebstahls im Hause antelephonieren ...«

»Sind diese Gentlemen von gestern auch bei der Auktion?«

»Sicherlich! Alle!«

»Dann lasse den Apparat in Frieden! Und lasse nicht erst deine Himbeerkutsche ankurbeln! Ich hab' 'ne Taxe draußen! Wir müssen sofort zur Versteigerung!«

»Und dort?«

»... die Amerikaner feststellen ...«

»Aber Werner – die werden uns gerade erzählen, ob sie's waren!«

»Die können sich ausschweigen! Die brauchen sich bloß, ohne daß sie's ahnen, besichtigen zu lassen! Ich hab' draußen in der Droschke eine Hellseherin sitzen ...«

»... das Fräulein, das eben hier war?«

»... die erkennt euern Gast von gestern abend mit tödlicher Sicherheit wieder – im Fall, daß es am Ende der Ale selber war! Dein Mann hat ja schon lange seinen Besuch erwartet!«


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