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37

Viele Heilige leuchteten in ihren Rahmen. Viele Marmorgötter träumten auf ihren Sockeln. Lebende Menschen saßen nur zwei, Sessel dicht an Sessel, in der weiten, kühlen, stillen Halle. Sie sprachen unwillkürlich halblaut miteinander. Jedes Wort widerhallte so sonderbar von diesen Wänden voll toten Lebens. Und Werner Wiebeking dachte sich: Zwei Jahrtausende – drei Erdteile – rings um eine einsame, kleine Frau ...

»Sie tun mir so leid!« sagte er.

»Mir geht es sehr gut!«

»Ich möchte Ihnen so gern helfen ...«

»Sie wollen immer retten ...« Ein kaum hörbares Seufzen »... auch, wo es nichts zu retten gibt!«

»Doch! Es steht geschrieben: ›Eile! Rette deine Seele!‹ ... Dies Haus hier ist entseelt ...«

»Ich hab' ja gewußt, was ich tat ...«

»Und warum taten Sie's?«

»Ich war sehr jung.«

»Und wenn Sie die Wahl hätten – würden Sie es wieder tun?«

»Es ist geschehen«, sagte Ilselott Hüsgen sehr ernst, »und damit mein Leben entschieden!«

»Es ist so schade um Sie ...«

»Ach – lassen Sie es jetzt! Machen Sie nicht sich und mich unruhig!«

Zwei Gestalten kamen vom Eingang her. Durch die Halle hüstelte die helle, zarte Kehlstimme des Dr. Gebhard Hüsgen. Er bemerkte die beiden in den hohen Lehnstühlen nicht. Er stand schmächtig, in sich versonnen, mit dem dicken Rösing, dem Kunsthändler, drüben vor der einen Wand. Seine milden, blauen Augen schmeichelten liebevoll und still eine Stelle an ihr in halber Höhe.

»Hier wäre das richtige Licht für das göttliche Werk – nicht, Rösing?« frug er. Und, auf das Nicken des blühenden Rotbarts, in plötzlicher Angst: »Wenn ich es auf der Auktion kriege! Ich muß es kriegen! Ich muß!«

Der Dr. Hüsgen glitt vorsichtig, geräuschlos und doch in nervöser Hast, zwischen seinen Kunstschätzen nach hinten. Der rote Silen folgte ihm gemächlich. Er sah alles. Er sah auch Ilselott und ihren Besucher drüben im Winkel. Er schmunzelte. Seine bebrillten Augen zwinkerten eine Sekunde, unendlich schlau, über die Schulter zurück. Dann tat er, als hätte er nichts gesehen.

Ilselott hatte unbefangen seinem Blick standgehalten. Sie schüttelte traurig den weichen, blonden Kopf, während die Schritte des Kunstsammlers und des Kunsthändlers verhallten. »Ach – dieser Andrea del Dingsda!« sagte sie. »Wie? Andrea del Sarto? Ich wünschte, die Versteigerung wäre schon vorbei! Mein Mann spricht von nichts anderem mehr!«

»... und Sie Ärmste müssen zuhören?«

»Dazu bin ich da!«

»Aber das ist ja, um die Wände hochzugehen!«

»Was kümmert's Sie?«

»Sie haben mir erlaubt, mich um Sie zu kümmern und persönlich nachzufragen, wie Ihnen der Abend gestern bekommen ist ...«

»... ja – aus einem bestimmten Grund ...«

»Das galt also nicht mir?« Es klang enttäuscht. Die beiden sahen sich an und schmiegen. Werner Wiebeking lächelte wieder. Er wußte genug. Die kleine Frau begann:

»Es handelt sich nur um meinen Bruder. Der Lüttchen wird gleich hier sein! Ich hör' ihn schon draußen ...«

»Was tut der junge Mann eigentlich?«

»Nichts!«

»Dafür lebt er nicht schlecht!«

»... und ohne daß er jemals die Mittel meines Mannes in Anspruch nimmt ... Wenn man schon selber nichts hat und hat einen Schwager, hinter dem der riesige Hüsgen-Konzern steht, und braucht ständig Geld – woher nimmt er's nur?«

»Ich hab' so wahnsinnig zu tun ...« Ilselotts Bruder trottete mit matten Hängeschultern heran, glattrasiert, spitznasig, großohrig, in Schlotterhosen und kurzem Schuljungenjäckchen. Er kniff beim Anblick des Dr.-Ing. Wiebeking nachsichtig das linke Auge zu. »Was soll ich mir bei dir holen?«

»Deine Brieftasche samt Inhalt!« sagte die Schwester, »die du in deinem Leichtsinn gestern hier hast liegenlassen! Zum Glück sind meine Leute ehrlich!«

»Danke!« Lüttchen stopfte das dick geschwellte Juchtenfutteral lässig in seine Tasche. »Mich wegen dem Dreck hierherzusprengen!«

»Zwanzigtausend Mark!«

»Ich gehe nie ohne etwas Kleingeld aus!« Ein unterdrücktes Gähnen. »Man könnte unterwegs 'ne kleine Ausgabe haben!«

»Woher hast du das Geld?«

»Ich gewinne bei näherer Bekanntschaft!« sprach Lüttchen.

»Nein. Du verlierst beim Spiel. Das versichern alle deine Klubkumpane!«

»Wißt ihr, daß ich 'nen neuen Klub gegründet habe? Die Polizei war mir schon zu aufdringlich ...« sagte Lüttchen interessiert. »›Notgemeinschaft der Obdachlosen‹ ist sein Name. Meine Erfindung! Heute nacht steigt die erste Sitzung!« Er wandte sich plötzlich an Werner Wiebeking. »Doktor – seien Sie kein Frosch! Machen Sie mit! Sie haben's ja dazu! Wir brauchen frische Kräfte in dieser ernsten Zeit!«

»Ich versammle mich gegen acht Uhr im ›Flamingo‹ am Kurfürstendämmchen!« fuhr er fort. »Kennen Sie doch? Mit der blonden Berta! Kennen Sie nicht? Jammer, wie wenig Berliner ihre Vaterstadt kennen!«

»Ich schleiche mich jetzt in das Städtchen zurück!« Er schob sich vor dem Spiegel den Krawatten-Schmetterling neckisch schief. »Überbürdet ... Berufskrankheit ... Seid nicht zu traurig, daß ich euch allein lass'! Aber es gibt zuviel Genießer, die auch was von mir haben wollen ...«

Draußen raste sein Roadster davon. Ilselott blickte dem kümmerlichen Klümpchen am Rad der Rennmaschine nach.

»Wir sind alle viel zu unerfahren in Berlin bei Nacht – mein Mann – meine Eltern – ich –« sagte sie. »Bitte, überzeugen Sie sich doch einmal davon, was der Lüttchen eigentlich so tagsüber oder besser nachtsüber treibt! Gehen Sie doch mir zuliebe in Gottes Namen heute abend in seinen Klub!«

»Ich werde versuchen, in die Geheimnisse Berlins einzudringen! Eigentlich bin ich seit ein paar Tagen schon mitten darin!« Der Dr.-Ing. Wiebeking erhob sich und schaute nach hinten.

»Man könnte durch eine Gazebespannung vor dem Eckfenster das Licht für den Andrea del Sarto noch verbessern!« Aus der Ferne der Galerie näherte sich die leidenschaftliche Fistelstimme des Hausherrn. Ilselott reichte Werner Wiebeking rasch die Rechte. Er beugte sich über den schmalen Handrücken.

»Auf Wiedersehen, Ilselott!« sprach er schnell und ging hinaus und stieg in seinen Wagen und fuhr durch den himmelblauen Herbstsonntag Berlins und seiner Millionen, die sich rüsteten, für den Nachmittag der Häuserenge zu entfliehen.


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