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23

Weiß leuchtete auf weiter Parkfläche die mächtige Villa Wiebeking im ersten Nachtnebel von den nahen Seeflächen des Tiergartens her.

Aber im Hof hinten stand noch ein Stuhl. Und auf dem Stuhl saß die Fränze Häselich und nähte sich etwas, den dunkeln Wuschelkopf mit dem hübschen, blassen Wangenrund und dem feinen Näschen über Faden und Finger gebeugt. Still für sich. Niemand in der Nähe. Nur argwöhnische Blicke durch die Fenster der großen Herrschaftsküche auf sie. Und die Köchin, rot vom Herdfeuer, zu dem zweiten Chauffeur Klappert:

»Wo der Doktor sich die Pflanze gezähmt hat ...«

»Und der Jeheimrat erlaubt's!« sagte im Kauen Markwart, der erste Fahrer, und Meinecke, der kriegsversehrte Portier, hatte sein Gesichtszucken.

»Auf 'n Revier is se nich gemeldet! will die Olle!«

Vor der kleinen, zarten Geheimrätin stand drinnen, in den Empfangsräumen, die bebrillte Jungfer Elise und schloß:

»Ich bin doch nun soundso viele Jahre im Haus, gnädige Frau, und da möchte ich mir die Erlaubnis nehmen: Es gibt böses Blut unterm Personal – mit so einer unter einem Dach! ... Wir sind ehrlich. Aber wenn der Balg nun maust ...«

»So steht sie nicht aus!«

»Weiß man denn, wo die Kleene her is? Die schweigt sich aus. Die macht bloß wilde Augen, wenn man sie danach fragt. Gnädige Frau – die gehörte als Muster ohne Wert retour dahin, wo sie der Herr Doktor ...«

»... bloß daß ich das tue, was ich für richtig halte!« sagte die Geheimrätin. »Darin bin ich nun einmal komisch! Da müßt ihr euch drein schicken!« Sie nahm dem eingetretenen Diener eine Karte ab. »Führen Sie Herrn Doktor Schraudt herein!«

»Sehr gütig, daß Sie meiner Bitte, mich zu besuchen, so rasch Folge leisten!« Sie bot dem schwerfällig sich verbeugenden, mittelgroßen, bartlosen Gast einen Stuhl. Er saß ihr gegenüber, ein plump gewachsener, starkschulteriger Mann zu Anfang der Dreißig, den braunfilzigen Rundschädel aufmerksam vorgestreckt, die großen, schwach beflaumten Hände über den Kniebauschen der Hosenbeine gefaltet.

»Ich weiß, Herr Doktor Schraudt, daß Ihre Zeit als Privatgelehrter kostbar ist ...«

»Ich bin nicht nur Stubengelehrter, gnädige Frau!«

»... sondern Sie verwenden Ihr großes Vermögen und Ihre praktische Hilfe für den Dienst an den schiffbrüchigen Elementen Berlins ...«

»... vor allem an den strafentlassenen Verbrechern ...«

»Sie leben so eingezogen, daß ich bisher nicht die Ehre hatte, Sie zu kennen. Deshalb entschloß ich mich, Ihnen zu telephonieren!«

»Und worum handelt es sich, gnädige Frau?«

Die Stimme des Dr. Schraubt kam dunkel und halblaut aus den aufgeworfenen, forschend vorgeschobenen Lippen. Die über den tiefliegenden, kleinen Augen fest zusammengewachsenen Brauen gaben seinen groben, breiten und massigen Zügen einen düstern Ausdruck.

»Es schlägt in Ihr Fach, Herr Doktor! Sie tun ein gutes Werk ...«

»Das sollten alle, gnädige Frau, die nicht wissen, warum sie gerade ererbten Reichtum besitzen und die andern nicht!«

»Sie sind ein Kenner der Berliner Unterwelt wie wenige! Nun schleppt mir mein Sohn mir nichts, dir nichts ein Mädel aus dieser Welt ins Haus – ein armes Ding – man muß ihr helfen – gewiß – aber heute telegraphiert mir von unserm Gut in Pommern, wo ich sie unterbringen wollte, der Ortspastor, er könne solch ein schwarzes Berliner Schaf nicht aufnehmen – aus Sorge um seine Herde! Und unsere dortigen Gärtnersleute schlügen auch ein Kreuz bei dem Gedanken! Was nun? Meine Leute hier im Haus fangen auch schon an zu streiken. Da dacht' ich in meiner Not an Sie! Sie haben doch gewiß Beziehungen ...«

Der Dr. Josef Schraubt hörte aufmerksam zu. Schwerfällig wie seine Umgangsformen war auch seine Sprache.

»Ich müßte vor allem das Mädchen einmal sehen!« sagte er.

Die Fränze Häselich kam herein, sehr leichtfüßig, sehr zierlich, verwirrt die kessen, hellbraunen, jungen Berliner Augen. Sie machte einen ängstlichen Knicks und blieb stehen. Plötzlich huschte ein verstohlener Schein über das scheue Gesichtchen, schwand sofort wieder. Der Sonderling im Sessel drüben blickte sie unverwandt an, ohne eine Miene zu verziehen.

»Kennen Sie den Herrn, Kind?« frug die Geheimrätin etwas verwundert.

»Es kann leicht sein, daß sie mich schon einmal irgendwo gesehen hat!« sagte Dr. Schraubt ruhig. »Ich komme oft in solche Kaschemmen! ... Ist's so?«

»Na ja ...« Die Kleine schaute schnell und verwirrt zur Decke. »Bei meinem Stiefvater ... dem Krüger ...«

»Das ist ein ganz verrufenes Lokal, gnädige Frau! ... Ist da nicht dieser Verein, Fräulein? ... der Dicke ...?«

»Ja.« Die Fränze zuckte jäh zusammen und wurde bleich. Ein Blick des Dr. Schraubt zu der Geheimrätin hinüber.

»Kennen Sie den?«

»Ja ...« stieß die Fränze hervor.

»Und seinen Anhang?«

»Ich kenn' die Brüder alle! Ich will da fort!«

Die Fränze schluckte vor Angst. Ihre Augen waren starr. Sie begann leise zu zittern.

»Nur Ruhe, Fräulein! Es geschieht Ihnen nichts!« Die Stimme Josef Schraudts war tief und tröstend. Er rollte suchend die halb verborgen liegenden Augen. »Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich jetzt gleich hier an Ihrem Schreibtisch einen Brief an den Sozialpfarrer Mühlmeister hier in Berlin schreibe! Er hat gute Verbindungen mit derartigen Anstalten in der Provinz. Ich werde ihm die Sache dringend ans Herz legen. Ich denke, das ordnet sich in den nächsten Tagen!«

»Hier in Berlin ist das Mädchen in unmittelbarer Gefahr!« sagte er halblaut im Gehen. Und noch leiser: »Und seien Sie selber auf der Hut, gnädige Frau! Man darf solchen Geschöpfen nicht über den Weg trauen!«

»Ich werde sie jetzt gleich auf die Probe stellen! Bitte, Herr Doktor, lassen Sie mir den Brief hier! Und besten Dank!«

Die Fränze war gerannt und brachte dienstfertig Hut und Mantel, der verspätete Diener entrüstet hinter ihr her. Sie half dem Besucher mit einem scheuen, dankbaren Lächeln in die Hüllen. Er nickte ihr kurz, fast befehlend zu, verbeugte sich steif gegen die Dame des Hauses und ging. Gleich darauf nahm die Geheimrätin sein Schreiben an den Pfarrer vom Tisch.

»Fränze: In dem Brief steckt Ihr Schicksal! Werfen Sie ihn mal flugs selber in den Kasten gegenüber!«

Die Fränze stieß einen leisen Laut des Glücks aus. Sie duckte sich und küßte hastig die Hand der Geheimrätin, die den Brief hielt, und nahm ihn und rannte davon. Frau Wiebeking beobachtete sie durch das Fenster. Da stürmte sie schattenhaft durch den dunkeln Vorgarten, glitt bei Laternenlicht, im Trab der dünnen, bananenbestrumpften Beine, über den Fahrdamm, schob das Schreiben in die Klappe, fühlte sorglich mit der Hand nach, ob es auch wirklich durchgerutscht sei. Die Geheimrätin nickte beruhigt und ging vom Fenster.


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