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Der Fahrer Werner wartete, bis die schmächtig schlanke Gestalt der Hilde Lüders, den Kopf eigensinnig im Nacken, ohne sich umzuwenden, mit schnellen, unruhigen Schritten um die Ecke gebogen war. Er fuhr dann die Limousine langsam eine Reihe von Häusern weiter, in die letzten, noch still vornehm gebliebenen Straßen des Tiergartenviertels hinein.

Die schloßähnliche, weiß und mächtig auf grüner Rasenfläche hingelagerte Villa, vor der er stoppte, trug am Straßenportal ganz klein und einfach das Namensschild ›Wiebeking‹. Herbstbuntes Parkgehölz reckte hinter ihr seine Wipfel über Türme und Dächer. Zur Rechten standen noch die Palmen im Freien vor den Gewächshäusern. Links wölbten sich die Einfahrtstore der Garagen für ein Vierteldutzend Wagen. Einige Herrschaftschauffeure standen davor. Sie verbeugten sich ehrerbietig, als der Schlosser Werner auf das Haus zuschritt, und rissen ihre Kappen von den Köpfen.

Er nickte ihnen freundlich zu, zwei Finger am Mützenrand. Innen im Vestibül warf er dem herbeieilenden Diener seinen Fahrermantel hin, unter dem er einen modernen Sakkoanzug trug, und trat, ohne anzuklopfen, in den schweren Reichtum einer Flucht von Gesellschaftsräumen.

»... 'Tag, Mama!«

Eine kleine, zarte Dame trat ihm entgegen, leicht übersilbert der blonde Scheitel, und sagte, während er ihr die Hand küßte:

»Tauchst du mal wieder aus dem Volk auf, Werner?«

»Nur für ein paar Minuten, Mama!«

»Was du für Hände hast – schrecklich!«

»Ja – ein Salontiroler der sozialen Frage bin ich nicht!« Der junge Millionär betrachtete befriedigt seine roten, riesigen Arbeitsfäuste. »Das ist nicht der Zweck der Übung! Ich habe da gerade gestern abend einen Einblick getan! Ich habe da so ein Menschenskind aus der Spree gefischt – oder wenigstens dichtebei. Das arme Ding muß aus ihrer elenden Umgebung 'raus! Die muß aufs Land! Wir haben ja Platz genug auf unseren Gütern in Hinterpommern ... Bei den Gärtnersleuten in Groß-Kietz, unter Aufsicht vom Pfarrer ... Abgemacht? Nun brauche ich nur noch Papa's Plazet! Er ist doch noch nicht auf die Bank?«

»Es sind noch zwei Herren bei ihm! Architekten! Du hast doch von dem schrecklichen Einbruch vorvorige Nacht gehört?«

»Ich bin sogar gestern abend an unserer mißhandelten Filiale vorbeigefahren!« Der Sohn lachte ... »Und habe Papa drinnen sittlich entrüstet über die Schlechtigkeit der Welt zwischen den Häschern stehen sehen! Aha – da hört man ja nebenan seine Befehlsstimme!«

»Nein – meine Herren: die Geschichte vorgestern nacht geht mir doch über den Spaß!« Der Geheimrat Dr.+jur.+Dr.+h.+c. Albert Wiebeking lehnte klein, graubärtig, energiegeladen, in seinem Arbeitseckraum an der Kante des riesigen Schreibtisches. »Ich habe mich kurz entschlossen. Ich lasse nicht nur die Stahlkammern in meinen sämtlichen Filialen modernisieren, sondern auch das Panzergewölbe im Hauptgeschäft selber!«

»Ein Einbruch in eine Hauptbank, Herr Geheimrat, war in Berlin noch nicht da!« sagte der eine der Architekten, ein kleiner, zarter Herr.

»... und so ein Gegner wie dieser Ale oder Nachtdoktor oder wie er sich auf seinen hinterlassenen Schmieralien an den Wänden nennt, war auch noch nicht da!« sagte der Geheimrat. »Es würden ihm in der Hauptbank unberechenbare Werte in die Hände fallen!«

Er dämpfte, aus seinem grauen Vollbart heraus, unter der kurzen, willenskräftigen Nase, die Stimme.

»... und dies Nachtgespenst weiß genau, wo diese Werte sind! Denn es gehört offenbar zu uns! Zu unsern Kreisen. Wir verraten ihm unsere Geheimnisse, ohne es zu wissen, wahrscheinlich alle Tage! Vielleicht befindet er sich heute abend unter meinen Gästen. Angenehm, nicht?«

»Ja ... wie Sie meinen, Herr Geheimrat ...« versetzte der zweite Architekt, ein dickleibiger Mann.

»Ich meine, daß ich auch in meinem Hauptgeschäft das Verfahren wider Unbekannt eröffne! Ich lasse heute noch die Baupläne und Grundrisse des Gewölbes aus der Bank hierher bringen, damit Sie, wenn Sie morgen wiederkommen, gleich im Bild sind und mir möglichst bald die nötigen Vorschläge machen können!«

»Zu machen ist alles, Herr Geheimrat! An dem gehärteten Stahlfutter unserer neuen Eisenbetonwände versagt jeder Schneidebrenner!«

»Unser klingelndes elektrisches Tresorpendel ... unser Lauschermikrophon mit Verstärker ...«

»Die neueste Schikane: die unsichtbaren und unfühlbaren, ultraroten Spiegelreflexwellen, die ein Läutewerk in Bewegung setzen, sowie jemand durch das Panzergewölbe geht und ahnungslos die Strahlenbündel durchbricht ...«

»Na schön! Also auf morgen, meine Herren!« Der Geheimrat nahm, allein zurückgeblieben, eine Karte vom Tablett des Dieners. »Herr Kriminalkommissar Dürisch? Ich lasse bitten! So eilig, Herr Dürisch? Ich habe es nämlich auch eilig! Ich muß auf die Bank!«

»Jede Minute ist kostbar!« Der unauffällig bürgerlich gekleidete, schnurrbärtige Mann mit dem ausdruckslosen Gesicht sprach außer Atem. »Der große Unbekannte, der den Nachtkrieg gegen Sie und Ihre Kreise führt ...«

»Haben Sie ihn?«

»Ich weiß wenigstens, wo er möglicherweise augenblicklich ist!«

»Nämlich?«

»Hier! In Ihrem Haus!«

»Nanu!«

»Gestern nachmittag zeigte ihn ein junges Mädchen auf dem Ottoplatz einem Schupo. Leider entkam er, ohne daß man ihn genau erkennen konnte ...«

»Dafür zahl' ich meine Steuern!«

»Gestern abend saß die Person in einer Kaschemme in aufgeregtem, leisem Gespräch mit einem unbekannten Individuum zusammen, der er wahrscheinlich war ...«

»... und den sie ins Gefängnis bringen wollte ...«

»... inzwischen ist sie vielleicht wieder unter seine Macht geraten! Das geht bei den Frauenzimmern rasch. Die stehen oft unter der Hörigkeit von Verbrechern!«

»Na – und?«

»Vorhin stieg der Kerl vor einem Obstladen in der Innenstadt, den ich beobachten lasse, in eine große, himbeerfarbene, von ihm selbst gesteuerte Limousine und nannte einer andern, in seiner Begleitung befindlichen Frauensperson, vor den Ohren eines danebenstehenden Vigilanten als Fahrtziel die Güntherstraße drei!«

»Mein Haus?«

»Er muß inzwischen hier eingetroffen sein!«

»Na, hören Sie mal ...«

»Bitte! Da draußen steht die rote Limousine!«

»Donnerwetter ja ...«

»Du, Papa, verzeih die Störung! Aber ich muß weiter!« Der rötliche blonde, blauäugige Kopf eines frischen, jungen Mannes schob sich durch den Türspalt.

»Was gibt's denn, Werner? Ich bin jetzt ...«

»Nur 'nen Moment!« Der Herr im modischen grauen Sakkoanzug trat ein und zog, mit einer kurzen, entschuldigenden Verbeugung gegen den Kriminalkommissar, vertraulich den Hausherrn beiseite.

»Ich hab' Mama schon breitgeschlagen«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Es handelt sich um ein armes Mädel, aus dem wir draußen bei uns in Groß-Kietz einen ordentlichen Menschen machen wollen! Einverstanden? Danke! Nu muß ich weiter! Die Brautkutsche da draußen bei ihrer holden Besitzerin abliefern. Das heißt: Ob sie hold ist, weiß ich nicht! Ich kenn' sie nicht! Adieu! Adieu!«

Der junge Mann eilte mit Siebenmeilenschritten hinaus. Der Kommissar Dürisch stand starr.

»Das ist ... doch nicht ... Ihr Sohn?«

»Na und ob! Mein Einziger! Der Dr.-Ing. und Volkswirtschaftler Werner Wiebeking!«

»Aber das ist doch ein Mann aus dem Volk!«

»Ein Volkswirtschaftler gehört ins Volk! Gerade heutzutage! Bücherwürmer haben wir von jeher genug!«

»Das ist mir doch in meiner Praxis ...«

»Das ist die neue Lebenspraxis eines neuen jungen Mannes – das, wofür wir leider zu alt sind«, versetzte der Geheimrat. »Der Werner hat das ganz richtige Gefühl: ich bin einmal, kraft meines Reichtums, dazu berufen, am Volkswohl mitzuarbeiten. Wie soll ich das, wenn ich das Volk nicht kenne?«

»Und da ...«

»Da ist er schon seit drei Monaten, unter dem Namen Karl Werner, zwischen andern Arbeitern in einer Auto-Reparaturwerkstatt draußen im Osten tätig!«

»Zwischen anständigen Arbeitern ...«

»Auf sie kommt es ihm, als künftigem großem Arbeitgeber, doch natürlich an!«

»Und Krügers Kaschemme?«

»Das Lokal ist mir fremd!«

»Das glaub' ich! Aber mir nicht! Dort sitzt ein ausgekochtes Gesindel. Und mitten darunter – ich sah es gestern abend – Ihr Herr Sohn! Ich sage es nur zur Erklärung meines irrtümlichen Verdachts!«

»Mein Sohn ist dreißig Jahre alt und mündig! Er weiß selber, was er tut!« Der Geheimrat horchte auf ein Hupen draußen. »Sehen Sie, da fährt er los! Im dreckigen Arbeitsmantel und Kappe! Meinen Segen hat er!«


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