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48

Der Münchener Schlafwagenzug bremste frühmorgens auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin. Auf der Leinwandhülle der Handtasche, die die blasse, blonde Dame durch das Abteilfenster dem Träger reichte, klebte eine Hotelmarke von Meran.

Die kleine Frau ging, langsamer, müder als die andern Reisenden, hinter dem Mann her zur Sperre. Ihr zartes Gesicht war übernächtig und still. Ehe sie unten in die Droschke stieg, stand sie einen Augenblick und sah geistesabwesend, beinahe erstaunt, aus großen, blauen, traurigen Augen auf dieses kühle, nüchterne, morgendliche Berlin unter dem grauen Herbsthimmel und sein farbloses Gewimmel eiliger Fräulein und Herren mit Mappen von der Straßenbahn her in die Büros und Läden. Sie schüttelte leise den Kopf und seufzte.

»Kutscher! Grunewald. Westallee siebzehn.«

Die Villa Hüsgen lag verschlafen. Das öffnende Mädchen prallte zurück.

»Herrjeses – die gnädige Frau ...«

»Nun – was ist denn daran?« Die kleine Frau schlüpfte matt aus dem Reisepelz. »Ich wollte ein paar Wochen in Meran bleiben! Heute ist Montag – nicht? Also gerade eine Woche!«

»Aber daß gnädige Frau nicht telephoniert haben ...«

»Beruhigen Sie sich jetzt, Agnes! Ist der Herr schon auf?«

»Herr Doktor ist beim Frühstück!«

Tasse und Teller standen, achtlos zurückgeschoben, unberührt, neben Gebhard Hüsgen. Er saß vorgebeugt am Tisch, den feinen Mund grüblerisch zusammengepreßt, und zerwühlte mit nervösen Händen ein Gewirr von Briefen und Zeitungsausschnitten, las, verglich. Er hob die milden, blauen Augen zerstreut zu Ilselott.

»Der einzige, den ich bei der Auktion morgen fürchte«, sagte er geheimnisvoll, »das ist Sam Wynstock ... Mein Gott – du weißt doch: der große Kunsthändler aus New York. Er bietet für MacLean selber. In dessen Sammlung fehlt ein Andrea del Sarto. Das ist bekannt!« Angst bebte in seiner Kehle. »Wenn natürlich solch ein Dollarkönig sich darauf verbeißt ...«

Plötzlich kam er zu sich. Er sah seine Frau an und strich sinnend über das schmale, asketische Gelehrtengesicht.

»Du bist doch in Meran ...«

»Wie du siehst, nicht mehr!« Ilselott setzte sich müde und goß ihm Kaffee ein. »Frühstücke jetzt! Du bist wieder nicht von dieser Welt!«

»Warum bist du denn so plötzlich aus Meran fort?«

»Ach – die Luft bekam mir nicht. Ich schlief schlecht. Und ich fand auch nicht so recht Verkehr ...«

»Wie lange warst du eigentlich fort?«

»Einerlei! Vermißt hast du mich scheint's nicht sehr!«

»Ach, Ilselott!« Gebhard Hüsgen lächelte sie freundlich an. Es war ein warmer, liebevoller Schein in seinen blauen Augen. Gleich darauf schattete da wieder der stille Fanatismus. Er vertiefte sich gespannt, ängstlich, in eine amerikanische Zeitung. Es zuckte bitter um die weichen Lippen der kleinen Frau. Sie erhob sich.

»Ich mach' mich jetzt erst mal oben menschlich! Auf nachher, Gebhard!«

»Hoffentlich bin ich dann noch da!« Er nickte gütig und flüchtig, den Blick auf dem Blatt.

Oben stand Ilselott Hüsgen eine Stunde später am Telephon. Sie streckte die Hand nach dem Hörer aus. Sie ließ sie halbwegs wieder sinken. Sie wandte sich ab und ging hinunter.

»Wo ist der Herr, Agnes?«

»Herr Doktor ist vor einer Viertelstunde weggefahren! Er hat hinterlassen, er müsse dringend zu einer Besprechung mit Herrn Rösing, wegen der großen Kunstauktion morgen. Er könne nicht länger warten!«

»So? ... Er hat nicht länger warten können ...« Die kleine Frau sagte es leise, mehr zu sich als zu dem Mädchen. Sie stieg wieder in ihre Räume hinauf. Sie ließ sich am Telephon verbinden.

»Hier Diener bei Wiebeking!«

»Bitte – ist der junge Herr zu Hause? Sagen Sie ihm, eine Dame möchte ihn selber sprechen!«

»Herr Doktor darf noch nicht ans Telephon!« klang es diskret hüstelnd durch den Draht.

»Wer verbietet ihm denn das?«

»Der Arzt!«

»Ist er denn krank?«

»Leider.«

»Seit wann?«

»Seit heute vor acht Tagen!«

»Gerade seit letztem Montag? Aber da war er doch spätnachmittags noch ganz wohl ...«

»... und abends ist der Herr Doktor drinnen in der Stadt auf der Straße auf einer Bananenschale ausgeglitten und gestürzt und mit dem Kopf angeschlagen!«

»Ach – und war das denn so arg?«

»Herr Doktor blieb bewußtlos liegen!«

»Um Gottes willen ...«

»Zum Glück hat die Polizei in seiner Brieftasche seine Visitenkarten gefunden und ihn in einer Droschke hierhergebracht!«

»Und wie geht es ihm jetzt?«

»Herr Doktor fühlt sich schon wieder wohl. Er wird bald ganz hergestellt sein!«

»Ist er auf?«

»Schon seit vorgestern!«

»Dann holen Sie ihn ans Telephon!«

»Ich darf nicht! Ich habe strengen Auftrag vom Arzt! Herr Doktor soll noch Ruhe haben. Es wird ja den ganzen Tag nach seinem Befinden gefragt ...«

»Sagen Sie mir die volle Wahrheit ...« Ilselotts Stimme zitterte. »Steht es am Ende mit ihm nicht viel schlimmer?«

»Herr Doktor hat nur noch etwas Kopfschmerzen und Schwindel. Sonst fehlt ihm nichts!«

»Ich glaub' es nicht! Ich hab' so eine entsetzliche Ahnung ...«

»Verzeihung! Ich werde abgerufen!«

Ilselott Hüsgen stand, die Hände ineinandergekrampft.

»Agnes!«

»Gnädige Frau?«

»Ist der Wagen schon zurück?«

»Eben fährt er ein!«

»Er soll warten! ... Hut – Mantel – irgendwas ... nur schnell ...«

Unten hielt die mächtige himbeerfarbene Limousine. Ilselott setzte hastig den Fuß auf das Trittbrett.

»Nach der Villa Wiebeking am Tiergarten! Güntherstraße drei!«


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