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22

»Ilselottlein – du hast ja feuchte Augen!« sagte Lüttchen am Steuer zu der neben ihm sitzenden Schwester. Er lenkte den dahinsausenden Koloß mit einer Kaltblütigkeit und Sicherheit, die seiner hohlwangigen, hängeschulterigen, abgelebten Leiblichkeit widersprach. »Was ist mich das mit dir?«

»Ach – laß mich! Ich bin traurig!«

Die kleine Frau schüttelte den Kopf. Sie wandte ihn rückwärts und schaute nach dem ihnen folgenden Straßenrenner ihres Bruders.

»Traurig um mich? Weine nicht, Schwesterlein! Ich blühe ja wie junger Flieder!«

»Du machst mir auch Sorgen!« sagte Ilselott, sich die Lider tupfend. »Dein neuer Wagen kostet ein Vermögen. Von der Bank bekommst du nichts! Von Papa willst du nichts. Dabei immer die Taschen voll Geld ...«

»Wenn du noch mal von Geld anfängst, fahre ich dein Kleinauto in den Graben!« Lüttchen ließ den Zwölfzylinder, gelenkig mit der Gefahr spielend, dicht am Straßenrand laufen.

»Wirst du wohl ... ... Lüttchen ... Es schenkt dir doch keiner was!«

»Doch! Gute Menschen geben mir von dem Ihrigen ab! Du findest sie täglich zwischen zwölf und drei in der Burgstraße.«

»In der Börse?«

»Dorthin lege ich jeden Morgen um zehn Uhr vom Bett aus telephonisch meine Ordres!« sprach das Nachtgeschöpf nachlässig und entbrannte, sich vorbeugend, mit Taschenspielerkunst, ohne das Rad loszulassen, eine Zigarette. »Immer mies – mieser – am miesesten! Fixen hat einen goldenen Boden!«

»Davon versteh' ich nichts!«

»Dazu muß man so trübe in die Zukunft schauen wie ich! Hellseher gibt's an der Börse nicht. Also bin ich Schwarzscher. Das bringt Segen! So! Da bist du!« Der kleine, bleiche Gent bremste. »Was macht denn dein Mann?«

»Gott ...« Ilselott stieg aus, langsam, müde. »Er hat seine Bilder im Kopf – nun wieder einen Andrea del – ich weiß nicht, wie er heißt! Ich weiß nur, daß er wahnsinnig teuer werden wird ...«

»Hat's ja – der Gute ...«

»... und krankhafte Angst hat er um seine Bilder!«

»Grüße ihn von mir! Und der tägliche Einbruch würde bestimmt demnächst bei ihm steigen! Das hätte mir ein Unbekannter heute nacht um drei auf dem Kurfürstendamm zugeflüstert! Na – ich brause nu nach dem Kurfürstendamm. Adieu!«

Wenig Tuschelpärchen jetzt, am frühen Nachmittag, in den Dämmernischen der Likördiele. Die weißgetünchte Barmaid klapperte schläfrig hinter der Marmorplatte mit ihren Shakers und Tumblers. Es sah aus, als hätte sie blutige Fingerspitzen. Aber das war nur der rote Lack der Nägel. Als Lüttchen geschäftig hereinschlurfte, hob sie belebt die fuchsfarbene Riesentolle.

»Endlich, Herr Doktor!«

»Nachtarbeiter wie ich ...« murmelte Lüttchen. »Schlaf vor Mittag der gesündeste ...« Er kletterte flink wie ein Affe auf den Drehstuhl hinauf. »Einen Martini mit Trommeln und Pfeifen!« beorderte er weinerlich rittlings von seinem Hochsitz. »Noch keener da?«

»Eben kommt Herr Baron Sempt!«

Der Litauer Flüchtling trat ein, gebückt, hüstelnd, einen rötlichen Haarkranz um die Glatze, liebenswürdig lächelnd das längliche, verhaltene Gesicht.

»Einen Ohio!« rief er in rauhem Deutsch. Er setzte sich in eine Ecke. Ihm folgte ein klassisch gewachsener, nach dem letzten Ukas des Prinzen von Wales gekleideter junger Mann, verächtliche Schwermut auf dem bebrillten Antinouskopf. Eine plastische Filmbewegung des Arms, eine wohltönende Tenorstimme.

»Ein House of Lords, Lory!«

»Gern, Herr Aster! ...« sagte die Weißgetünchte seelenvoll. Lüttchen krabbelte von seinem Drehturm herunter. Er äffte eifersüchtig mit hoher Fistelstimme nach:

»Gern, Herr Aster! ... Ihr verfluchten Frauenzimmer ...« Er piepste »... ach Aster ... mein Aster ... du süßer Hund ...«

»Ein Millionär, der zum Tonfilm will – beliebe: Wer kann da widerstehen?« Der Baron Sempt blinzelte nachsichtig nach der Bar. Dort war jetzt noch ein zweites knallblondes, dickbäckiges Fräulein zum Dienst angetreten.

»... und dem der Vater die Temporalien sperrt ...« miaute Lüttchen. »Kein Groschen ...«

»Das wird mich an meiner Berufung zur Leinwand nicht hindern!« Der Antinous lächelte mit einem weichen, herzförmigen Frauenmund. Er hatte wunderschöne Augen, wie er jetzt die Eulenbrille abnahm. Ein schwüles Parfümgewölk umwehte ihn. Blutig moskaurot schrie die Krawatte unter der Schminkglasur der Züge. Er warf einen Tausendmarkschein über den Tisch. »Könnt ihr schon wieder nicht 'rausgeben, Kinder? Es ist schon ein Jammer mit dem Dalles am Kurfürstendamm!«

»Vielleicht kann ich mit Kleingeld ...« Der hagere, schmächtige, salopp angezogene Baron Sempt kramte in Bündeln von Lits und Lats und Eesti-Kronen-Noten. Aber Lüttchen schnippt schon dem roten Fräulein einen Hundertmarkschein an die gepuderte Nasenspitze. »Kauf' dir für den Rest ein Rittergut, Lory!«

»Danke!« Die Barmaid schob den Schein in ihre Privatsparkasse unter dem rechten Strumpfhalter.

»Haste gesehen, Claire?« sagte sie leise zu ihrer Kollegin. »Der Kleene hat doch wieder die ganze Juchtentasche dick voll brauner Lappen!«

»Wo die Jungens nur den Zaster herkriegen!«

Ein junger Mann zu Anfang Dreißig schlenderte herein und setzte sich zu den drei andern. Fad blonder, glattrasierter Alltag. Einer von tausend täglich überall auf der Welt ...

»Well, Mr. Harris!« Die Rothaarige schwenkte Eisstückchen. »Gordon Gin? All right!«

»Ich wollt', ich könnt' auch Englisch quasseln!« sagte die Strohfarbene neidisch.

»Wenn man mal ein Vierteljahr in London konditioniert hat, dann machen einem die Gentlemänner nischt mehr vor!« Die andere schüttelte den Zinnbecher und schielte über dessen Rand nach der Ecke. »Da stecken sie schon wieder die Köpfe zusammen.« Sie bugsierte als Schlußstück die Kirsche in den Cobbler. »... Ich möcht' bloß wissen, wovon die immer reden!«

Die Blondgefärbte hörte nicht recht zu. Sie spannte die Abendzeitungen in die Halter. Neben ihr feilte sich die Kollegin sinnend die purpurnen Nägel.

»Ich sag' immer wieder, Claire: Wo die nur das Geld her haben? Der Baron – der kam aus Rußland hier an, mit 'nem Hemd auf'm Leib und Schluß ...«

»Das erzählen sie, so lang der Kurfürstendamm ist!« sprach die Claire zerstreut.

»Der Lüttchen darf auf seiner Bank Marken lecken! Außer dieser freien Verpflegung kriegt er sonst dort nichts als mal 'nen Schnuppen! Der Alte 'n kleener Beamter!«

»Staatsanwalt ...«

»Na, wenn schon ... Den schönen Oswald hat sein Papachen trockengelegt, solang' er den Filmfimmel hat! Na – und der Amerikaner ... Gott ... Amerika ist groß ...«

»Da kann jeder kommen ...«

»Also – wenn du die Vier zusammenlegst – noch nicht zum Stempeln tät's bei denen langen! Statt dem zahlen sie jeden Tag mit großen Scheinen!«

»Und die Scheine sind echt ...« Die Knallblonde zuckte plötzlich über einem Zeitungsblatt zusammen.

»Wo sticht dich denn 'n Floh, Claire?«

»Da, kiek mal die Bekanntmachung!«

»Fünfzigtausend Mark Belohnung, wer über den Einbruchsversuch in der Wiebekingschen Bankfiliale solche Angaben ... Donnerlitzchen ... Das möcht' ich verdienen!«

»Der läßt sich's was kosten!«

»Der? Wenn der nach Tisch 'n Nicker macht, dann ist er, wenn er aufwacht, schon wieder um funfzigtausend Emmchen reicher!«

»Woher weißte denn das?«

»Ich war doch vor meinem Aufstieg Jungfer in feinen Berliner Häusern!« sagte die Fuchsrote. »Na – wer sollte da Wiebekingen nicht kennen? Das ist die große weiße Villa ganz am End' vom Tiergarten!«


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