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26

Auf Nummer 19 im zweiten Stock von Feuerstakes Hotel wandte am nächsten Morgen der Monteur Werner, das Rasiermesser in der Rechten, gut ausgeschlafen und wohlgelaunt, das lebhafte, blauäugige Antlitz von dem fliegenblinden Wandspiegelchen zur Türe.

»'rein! Na – was verschafft mir so früh die Ehre, Herr Direktor?«

Der bleiche Herr Lungwitz – Portier, Betriebsleiter, Buchhalter – Mann für alles im Hotel – drückte die Klinke vorsichtig hinter sich ins Schloß. Er zwinkerte nervös hinter dem Hornzwicker am schwarzen Band. Er zupfte sich zögernd an dem schütteren, blaßblonden Spitzbart.

»'Morjen, Herr Werner – ja – also was ich sagen wollte – hier is doch nu mal ein Familienhotel – nicht?«

»Hab' ich je 'ne Dame mitgebracht?« Der junge Mann scheuerte sich mit nassem Handtuchzipfel den weißen Seifenschaum von den wetterbraunen Wangen.

»Nee – nee – das nicht! Alles, was recht is! Aber bei mir geht's gutbürgerlich zu. Dafür hab' ich meine Konzession!«

»Bin ich im Tran nach Hause gekommen?« Karl Werner furchte mit ausgezahntem Kamm eine Scheitelspur durch die rotblonden Stoppeln.

»Hab' ich geklaut? Wem? Wo?« Der Garagenschlosser fuhr in den Rock und stopfte die Zehnuhrstulle in die Blechkapsel.

»Tja – tja ...«

»Also wieso hat bei Ihnen eine Familie durch mich graue Haare gekriegt?« Karl Werner stülpte sich die staubfleckige Mütze auf den Hinterkopf. Der Hotelleiter rieb sich hüstelnd die Hände.

»Herr Werner – ich bin nicht zu neugierig mit meinen Gasten – hier mittenmang Berlin ... Aber wenn nu die Polizei neugierig ist? ... Seit vorgestern beobachtet die mein Haus! Haben Sie 'ne Ahnung, wem das gilt? Ihnen!«

»... wenn die Polizei nichts Besseres zu tun hat ...«

»Und haben Sie 'ne Ahnung, warum sie das tut? Was waren denn das gestern spät abends für ein Haufen Männer zu Besuch bei Ihnen? ... Schwere Jungen waren's! ... Zuhälter ... 'n Kaschemmenwirt ... Glauben Sie, ich kenn' die Sorte nicht, wo ich seit fuffzehn Jahren hier in der Gegend zu Haus bin?«

»Ich hab' die Herrschaften ja auch hinauskomplimentiert!« Der Schlosser Werner wandte sich zur Türe. Herr Lungwitz vertrat ihm den Weg.

»Aber es waren doch Bekannte von Ihnen? Die Polizei hat's gesehen! Wenn nu die Polizei nach Ihnen fragt – haben Sie denn Ausweise?«

»Die sind noch in Magdeburg!«

»Aha! In Magdeburg! Und wenn Sie danach schreiben ...«

»... das wird schon 'ne Zeit dauern, bis die kommen ...«

»Dacht' ich mir! Herr Werner – tun Sie mir 'nen Gefallen! Ziehen Sie aus! ... So schnell wie möglich! ... Lassense sich woanders verhaften! Sehnse – der Ruf von meinem Haus ...«

»Sie haben ganz recht!« sagte der junge Mann. »Ich will das Renommee von Feuerstakes Hotel nicht untergraben! Bis Nachmittag sind Sie mich los! Bitte – keinen Dank! Aber nun muß ich in die Garage!«

Dort in der Reparaturwerkstatt begannen eben die Hämmer und Hobel, die Pumpen und Lackspritzen ihr Tagewerk. Die Schweißkolben zischten, die Motoren rasselten, Flämmchen flackerten. Es roch nach Gummi, Politur, Benzin, Holz, Leder, Staub. In all dem Betrieb zog der Garagenmeister Zwickel den Schlosser Werner in einen Hofwinkel voll lebensmüden Kautschuks und verschlissener Leinwand.

»Ich muß ein ernstes Wort mit Ihnen reden, Herr Werner! Das heißt: die andern reden – die Arbeitskollegen – über Sie ... Ihre Arbeit tun Sie ja – nicht daran zu tippen – aber 's weiß keiner so recht, was mit Ihnen eigentlich los ist ... Es wird da gemunkelt ...«

»Das scheint mein Schicksal zu sein ...«

»Überlegen Sie mal: Bei mir sind lauter anständige, ehrliche Arbeiter!«

»Famose Leute! Ich hab' mich gefreut, dazuzugehören!«

»Aber ich freu' mich nicht, Herr, wenn da gestern ein Kriminalschutzmann von's Revier kommt und mich vertraulich nach Ihnen fragt. Ich hab' geantwortet: Ich kenn' den Mann weiter nicht. Ich hab' ihn als Hilfsarbeiter eingestellt, mit täglicher Kündigung! Es tut mir leid, Werner – ich muß die Kündigung aussprechen! Ich kann Sie meinen Arbeitern nicht mehr zumuten! Holen Sie sich Ihren Lohn und gehen Sie lieber jetzt gleich. Den Tag schenke ich Ihnen!«

»Und ich Ihnen den Lohn!«

»Dann lassen Sie sich's gut gehen!«

»Ich bin schon auf dem Weg dazu!« nickte der Schlosser Werner. »Ich hab' seit gestern 'ne prima Stellung beim Geheimrat Wiebeking in der Güntherstraße – draußen im Tiergarten!«

»Der hat sich gar nicht bei uns nach Ihnen erkundigt ...«

»Nein. Der hat mich auf mein ehrliches Gesicht hin Knall und Fall angenommen!«

»Hm ... Soso! ...« Ein sehr mißtrauischer Blick von drüben.

»Fein! Ich hab's da wie der Sohn vom Hause!«

»Sie reden mir lange ... Na – was geht's mich an? 'Morgen, Herr Werner ...«

... Ziehe weiter, Werner Wiebeking! Deine Uhr im Osten ist abgelaufen. Du warst lange genug da draußen im bleichen Reich. Drei Monate warst du da – nicht wo die letzten Häuser sind, sondern wo die vielen Häuser sind – wo die vielen, die allzu vielen Menschen sind, unter dem grauen Himmel, am grauen Spiegel der Spree ...

Du hast die Menschen der Arbeit gesehen – du warst ihresgleichen, Werner Wiebeking ... Nimm ihr Bildnis und Gleichnis mit in deine Welt ...

Und der Monteur Werner ging in das Hotel Feuerstake zurück und schnürte sein Bündel.


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