Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28

Dort wischte sich in seiner Destille Daniel Krüger, der säbelbeinige, kleine Schankwirt, die bierfeuchten Wurstfinger an der fleckigen, grünen Schürze und drehte die Glatze vom Zapfhahn nach dem Türspalt zur Küche.

»Gleich bezähmste deine Klappe unter deinem Schnurrbart, Mutter!« rief er heiser dem schlampigen Graukopf zu, der auf einem krötenartig aufgequollenen Leib zornfunkelnd in den Rauchnebel schielte.

»Da is se wieder!« krächzte es über der schmutzigen Hausjacke. »Da sitzt se – die Fränze! Wo hast du dir denn die Nacht um die Löffel jeschlagen, du Stücke – he ...«

»Laß ihr!«

»Jleich jehste bei und jestehste ...«

»Ick werde doch noch 'n Wurfjeschoß ...« Das gemütliche Kerlchen mit dem aufgedrehten, grauen Schnurrbart und den pfiffigen Zwinkeraugen suchte und fand einen grifffesten, hölzernen Bierschlägel. Aber seine zweite Frau schwabberte nur noch still vor Zorn mit dem schweren Körper auf der Schwelle.

»Det janze Jeschäft mit der Fränze jeht joldrichtig!« Es kam drohend aus seiner Kropfkehle. »Du siehst doch, det die Fränze wartet. Uff den Dicken wartet sie! Nu stör' ihr nich!«

Und als die Schnurrbärtige verschwunden war, zu einer einzelnen, nicht mehr jungen Frauensperson, die am Tisch dicht vor ihm Kaffee trank:

»Det jeht über der ihr Verstehstemich! Zu dämlich seid ihr Weiber durch de Bank!«

»Daniel – quatsch' nur nich zuviel mit der Jräfin!« rief es von hinten, von einem Tisch voll Federhüte und Kaninchenboas. »Die läuft briehwarm damit uff'n Alex!«

»Det is alljemeine Volksstimme, daß die es mit der Polente hält!«

»Kinder – zankt doch nich ejal!« Das sanfte, strohblond gefärbte Äppelröschen war selbst noch ein halbes Kind, spillrig das flache Körperchen, Schwindsuchtsflecke auf den geschminkten Backen. Die Jräfin – lang, schlank, von vornehmer Figur, zuckte verächtlich die Achseln.

»Ihr könnt mich ...« sagte sie höflich und herablassend und ging hinaus. Hinter ihr ein Kopfschütteln des Kaschemmenwirts.

»Det is 'ne Polizeivigilantin – det möcht' ich uff'n Zeugeneid genehmigen!« Er klatschte in die roten Hände. »Fränze! Wach uff! Det Mächen sitzt da wie ein ausjestoppter Kanaillenvogel!«

Aber die Fränze rührte sich nicht. Sie starrte aus leeren Augen vor sich hin. Der Blaumüller, der elegante, messernarbengezeichnete Zuhälter, rief vom Tisch der Frauenzimmer:

»Weine nicht! Eben kommt dein Freier – der Spreeschiffer!«

Der junge Mann, die Kappe auf dem freundlichen, wetterbraunen Kopf, mit bloßem Hals, in blauem Wollwärmer, die alten, grauen Kriegshosen in schweren Wasserstiefeln, ging, ohne sich um die Straßenmädchen zu kümmern, auf die Fränze Häselich zu. Er setzte sich neben sie und schaute ihr aus seinen klaren Augen, in denen etwas von Wasser und Wind und Weite, fern von Berlin, war, in das hübsche Gesicht, mit dem feinen Näschen und dem blassen, herzförmigen Mund. Jetzt kam Leben in die Fränze. Sie hob den dunkeln Wuschelkopf unter dem roten Topfhut und machte eine halb ungeduldige, halb hilflose Schulterbewegung.

Der Schiffer Räder zog ein trauriges Gesicht. Sie schwiegen beide eine Weile. Dann ein Seufzer:

»Ach – laß man, Paule!«

»Fränze ...«

»Ich seh' dir ja an, wovon du wieder anfangen willst ...«

»So hör' doch ...«

»... daß du mich heiraten möchtest ...«

»Ja. Das wär' wohl gut!«

»... und mit auf deinen Kahn nehmen ... Und der Kahn kommt immer wieder hierher ... und legt immer wieder hier an ... immer wieder ... da bleib' ich lieber gleich ganz hier ... statt daß ich immer wieder her muß ...« Die Worte der Fränze tröpfelten langsam, tonlos ...

»Du brauchst nur bloß zu wollen ...«

Die Fränze fuhr sich mit der mageren, kleinen Hand vor den Augen hin und her, als wollte sie eine Fliege verscheuchen. Sie schüttelte den Kopf und schloß die Lider.

»Wolle du mal ...« sagte sie hoffnungslos. Sie duckte sich in den Schultern und schaute bang zur Türe. »Ich muß hier auf den Dicken warten!«

»Ich möcht' bloß man wissen, wie der Kerl det macht!« Die mahagonibraune, mit einem blauen Anker tätowierte Faust des Spreeschiffers hämmerte leise und gereizt auf der Tischplatte. »Det der dich an seinem Schnupptuch tanzen läßt wie 'nen Hampelmann ...«

»Ach – der Dicke is gräßlich!« sagte das Mädchen erschöpft.

»Du möchtest doch fort von dem Kerl ...«

»Der kann die Zuchthausordnung von rückwärts aufsagen!«

»Du fürchtest dich nur vor ihm ...«

»Der hat schon Menschen umgebracht ... damit tut er sich noch jroß, wenn er besoffen is!«

»So laß doch den Swinegel schießen!«

»... mal bringt er mich auch um!« Die Fränze Häselich lächelte plötzlich vor sich hin. »Das sagt er oft. Dann ist's ja gut!«

»Und darauf wartet sie noch ...« Der junge Schiffer stand erbittert auf und stieß den Stuhl von sich. »... daß ich sie mit 'm Haken aus der Spree zieh', statt daß sie mit mir auf der Spree fährt!«

»Ach – Paule, das verstehste nich!« Die Fränze stemmte trübe die Schläfen zwischen die Hände. »Das is nu mal so ...«

Und dann ein langer, bitter verzweifelter Augenaufschlag von unten.

»Ich muß doch tun, was er will!«

Sie begann zu keuchen. Sie zerrte den Schiffer flehentlich an seinem groben Rockärmel.

»Tu mir's zulieb', Paule! Eh' der Dicke kommt ... geh man!«

Und als der Paule Räder düster und kopfschüttelnd in seinen schweren Kniestiefeln hinausgestapft war, saß sie wieder wie ein Wachsbild und schaute leer zu der räucherigen Decke und harrte, den Kopf auf die Hand gestützt.

Und begann leise am ganzen Körper zu zittern. Immer mehr. Vom Eingang hörte sie eine grobe, kellerdunkle Stimme. Ein massiger Kerl, breit wie ein Preisboxer, schob sich heran, schief die Mütze auf dem starren Borstenhaar über dem steingrauen Bulldogg-Gesicht. Eine ganz dünne farbige Damenzigarette kräuselte süßliche Parfümwölkchen zwischen seinen aufgeworfenen Lippen.

»Na – da biste ja, Fränze!« nickte er grausam gemütlich.

Das Mädchen antwortete nicht. Das Beben der Angst hatte bei ihr aufgehört. Sie hob ganz ruhig, aufmerksam und gehorsam wie ein gutdressierter Pudel, die Augen zu ihm auf. Der Dicke blieb neben ihr stehen und legte ihr halb drohend, halb vertraulich die breite, dünn behaarte Tatze auf die Schulter.

»Nu pass' mal Obacht! Der Ale erwartet dich! Jetzt gleich! Der hat jetzt 'n Ding vor – da steht Berlin für 'n Jahrhundert Kopp! Aber dazu braucht er dich!«

Er spuckte aus und schielte mißtrauisch über die Schulter nach der Türe.

»Nee – mit 'rinjekommen is se nich!« murmelte er. »Möcht' ich ihr ooch nich jeraten haben, ihre Nase in jeden Dreck zu stecken, der sie nischt anjeht!«

»Wer denn?« frug die Fränze mechanisch.

»Die Jräfin! Die kann sich nächstens ooch mal ihre Knochen sortieren!« brummte der Dicke. Draußen, auf dem dunkeln Pflaster, stellte sich die Polizeispionin auf die Fußspitzen.

»Durch den Spalt im Vorhang können Sie ihn sehen, Herr Peschke!« flüsterte sie zu der untersetzten Gestalt eines Mannes neben ihr. »Das ist der Dicke. Der Vorstand vom Ringklub ›Veilchen‹. Die Kolonne will bald was zaubern! Das merk' ich! Prägen Sie sich bloß den Dicken ein!«

»Ich werd' mir 'nen Knoten ins Gehirn machen«, nickte der Schupo Peschke.

Innen im Lokal beugte der, den er beäugte, den bleichen, brutalen Stoppelkopf breit grinsend über die Stuhllehne der Fränze.

»Ja. Det setzt 'ne Millionenerbschaft – vastehste! Aber verfall' man bloß nich in Jrößenwahn, weil du da mitmachen darfst. Ich sag's dir nur, damit du deinen Jrips zusammennimmst!«

Die Fränze erhob sich langsam vom Stuhl und fuhr geistesabwesend in ihr mausgraues Mäntelchen mit Kaninbesatz. Sie hörte dumpf, dicht an ihrem Ohr:

»Damit 's fix geht, nimmste dir draußen 'ne Taxe bis zum Stettiner Bahnhof. Da haste Jeld. Dann jehste aus der Chausseestraße in den langen, dustern Fußgängertunnel unterm Jüterbahnhof. Den kennste?«

»Wo werd' ich nicht?« murmelte das Mädchen gehorsam.

»Der Ale kommt von der andern Seite, aus der Gartenstraße. Irgendwo in der Mitte trefft ihr euch! Nu mach fix!«


 << zurück weiter >>