Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

60

Die Droschke stoppte. Lange Wagenreihen parkten vor der Front des Luxushotels. Werner Wiebeking half Ilselott heraus. Sie mußten zwanzig Schritt zu Fuß gehen, um das vollgefahrene Eingangsportal zu erreichen. Die Hilde Lüders hielt sich hinter ihnen.

»Ist deine Sekretärin auch zuverlässig?«

»Meine Sek ... Ach so – das ist sie eigentlich nicht, sondern ein Geschäftsfräulein aus dem Osten. Aber von einem Feuereifer wie ein gelehriger Jagdhund – rein aus Liebe zur Sache ...«

»Mir scheint mehr aus Liebe zu dir!« sagte die kleine Frau. »Wenn man ihre aufgeregten Augen ansieht ...«

»Phantastisch ist sie! Wenn man gleichzeitig Apfelsinen verhökert und Verbrechergeschichten schmökert ... aber gerade deswegen ... Wir müssen da rechts durch die Halle. Im Saal hinten ist die Auktion! ... Herrgott ... ist das voll ... Kein Stuhl frei ... An den Wänden stehen sie noch lang ...«

Ein Doppelposten trennte an der Türe das geschäftig summende Durcheinander in der Halle von der tiefen Stille im Saal. Der Eingang war quer vor dessen Mitte. Die Glatzen drinnen, die einzelnen Damenhüte, die Köpfe alle rührten sich nicht die enggedrängten Sitzreihen lang. Durch das gespannte Schweigen gellte eine helle, fast kreischende Stimme leidenschaftlich:

»... und zehn!«

»Da bietet mein Mann ...«

»Nun wieder!«

»Und dreißig« ... Die Kehle überschnappte sich jetzt fast. Drinnen eine leise Bewegung durch die Menschenmauern.

»Bitte, die Eintrittskarten, meine Herrschaften!«

»Haben wir nicht!«

»Tut mir leid, mein Herr! Dann darf ich nicht ...«

»Aber ich bin doch Frau Hüsgen ... die Frau des Doktor Hüsgen, der da drinnen bietet ...«

»Das würde ich ja gerne glauben, gnädige Frau! Aber ohne Ausweis ...«

»Lassen Sie die Herrschaften durch – auf meine Kappe« sagte jenseits des Eingangs ein dickbäuchiger, blühender Silen, der selbst wie ein Gebilde von Rubens aussah, und zog mit einem vertraulichen Schmunzeln Ilselotts Hand an die rotbärtigen Lippen.

»Gott sei Dank, Herr Rösing, daß Sie ...«

»Sie kommen gerade zurecht. Gnädigste!« Der Kunsthändler schüttelte den schlauen, goldbebrillten Kopf. »So etwas wie dieser homerische Zweikampf um den Andrea bei Sarto war noch nicht da ...«

»Und fünfzig!« gellte es drinnen. Ein Rauschen durch die Reihen hinterher.

»Glauben Sie nicht, gnädige Frau, daß das die ersten Zehntausend sind. Die beiden sind schon über ein ganzes Ende Hunderttausender hinaus ...«

»Herrgott ... ist denn mein Mann ...«

»Ja. Es wird nachgerade ein bißchen sehr viel!«

»Und siebzig!«

»Aber den andern hört man ja gar nicht!«

»Mein Kollege Wynstock aus New York – ganz vorn in der ersten Reihe – der bleiche, junge Mann – der bietet nur durch Fingerheben. Für den Multimillionär MacLean drüben!«

»Aber da kann mein Mann ja nicht mit!«

»Hab' ich ihm auch gesagt! Da hat er mich beiseitegeschoben und steigert selbst ...«

»Und neunzig!«

Eine Dame im Saal schrie vor Aufregung hell auf. Ein paar Leute erhoben sich von den Stühlen. Rufe: »Sitzenbleiben! ... Sitzenbleiben!«

»Das Bild ist ja längst weit überzahlt! Aber die beiden lassen nicht locker!«

»Und nochmal zehn ...« Beinahe verzweifelt die Fisteltöne. Jetzt rauschte eine dumpfe Bewegung durch den ganzen menschenvollen Raum.

»Hören Sie nur diese wilde Stimme meines Mannes! Man könnte sich geradezu fürchten!«

»Ja – Gnädigste – ich bin auch in Sorge ... Er fiebert geradezu seit heute früh. Ich hätte am liebsten heimlich den Hotelarzt beigezogen! Steigen Sie auf meinen Stuhl, schöne Frau! Da können Sie besser sehen ... Pardon, Herr Doktor Wiebeking ... der Stuhl ist nicht für die andere Dame ...«

»Doch! Lassen Sie das Fräulein da oben stehen! Ich bitte Sie! Ich darf Ihnen nicht sagen, warum!« Die kleine Frau half selbst der Hilde Lüders hinaufzuklettern. Da ragte sie lang und schmal, im Jagdfieber zitternd, etwas vorgebeugt, mit halboffenem Mund und starrte aus romantisch leuchtenden Augen in den Saal.

Werner Wiebeking stand unten neben ihr. Er sagte halblaut:

»Nutzen Sie die Gelegenheit, Hilde! Sie kommt nicht wieder! Alles schaut wie hypnotisiert auf Doktor Hüsgen und Mr. Wynstock. Niemand achtet darauf, wen Sie unterdessen fixieren!«

»Ja ... ja ...«

»Gucken Sie nicht kreuz und quer durch das Lokal! Gehen Sie methodisch vor! Eine Reihe nach der andern! Bis Sie ihn haben!«

»Ja.« Atemlos, leise, den Blick im Saal.

Im Saal jäh ein Sturm nach der Stille. Der bleiche, junge Kunsthändler aus New York rückte plötzlich seinen Stuhl, nahm achselzuckend seine Mappe und stieg behutsam über die Beine der Nebensitzenden zur Türe. Er zeigte durch seine gesucht gleichgültige Miene, daß ihn die Sache nichts weiter anging. Drüben erhob sich, mit mild leuchtenden blauen Augen in dem glattrasierten Gelehrtengesicht, triumphierend die schmächtige, mittelgroße Gestalt eines Mannes in den Dreißigern.

»Zum ersten ... zum zweiten ... zum dritten ...«

Ein Stimmenbrausen hinterher durch den ganzen Raum. Der Kunsthändler Rösing mußte schreien, um sich verständlich zu machen.

»Ihr Gatte hat den Andrea del Sarto, Gnädigste! Das war eine Schlacht! Hat 'ne Stange Gold gekostet! Na – er hat's ja dazu!«

Dr. Gebhard Hüsgen schüttelte drüben, dicht umdrängt, Hände über Hände. Er sah jetzt sehr erschöpft aus.

»Vorwärts, Hilde!« drängte leise am Eingang Werner Wiebeking.

»Ja – ja ...«

»Es kommt jetzt nach dem großen Ereignis die Mittagspause. Gleich löst sich die ganze Korona in Wohlgefallen auf. Dann ist's nur noch Sache des Zufalls, ob Sie ihn entdecken!«

»Ja ... ja ...« Die Augen der Hilde Lüders irrten.

»Sehen Sie noch nichts?«

»Da!«

Die Hilde Lüders streckte oben auf dem Stuhl mit einem halblauten Aufschrei den langen, dünnen Arm in der Richtung nach der ersten Bankreihe.

»Was denn?«

»Da ... der eben das Bild gekauft hat ... dem alle Glück wünschen ... «

»Na ja – der Doktor Hüsgen ... der Gatte der gnädigen Frau hier ...«

»Sie haben gesagt, ich soll unter allen Umständen die Wahrheit sagen!«

»Ja.«

»Das ist er!«

»Was ...?«

»Das ist er!«

»Sind Sie denn verrückt?«

»Das ist der Mann aus der Pionierstraße!«

»Haben Sie denn eine Wahnsinnige mitgebracht?« Die kleine Frau trat entsetzt neben die beiden. »Sie zeigt doch weiß Gott auf Gebhard!«

»Hilde – nehmen Sie Ihr bißchen Verstand zusammen! Machen Sie keinen Skandal!«

»Das ist er!«

»Hilde ...«

»Links von dem Dicken ist der gegangen!«

»Ihre Nerven gehen mit Ihnen durch!«

»Ich seh' ihn noch vor mir!«

»Kommen Sie sofort 'runter, Hilde!«

Die Hilde Lüders stieg gehorsam vom Stuhl. Der junge Mann sah sie zornig an, dann Ilselott.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau! Sie ist ja immer überspannt. Aber wenn ich geahnt hätte, daß sie sich so verrückt benehmen würde ...«

»Seien Sie nicht hart zu ihr. Sie weint schon!« sagte die kleine blonde Frau sanft. »Es gibt ja so furchtbar viel Menschen in Berlin. Sie hat sich durch irgendeine Ähnlichkeit irreführen lassen!«

»Und es ist doch der von gestern in der Pionierstraße!« keuchte die Hilde Lüders mit geballten Fäusten.

»Still jetzt!«

»Und wenn man mich totschlägt ...«

»Sie blamieren ja nur sich und mich ... Es ist ja unerhört!«

»Ach – lassen Sie doch die arme Person!« Ilselott dämpfte ihre Stimme. »Sie ist nicht normal! Man sieht es ihr ja an!«

Durch das Gewühl des sich langsam leerenden Saals kam, von allen Seiten von neugierigen Blicken verfolgt, Gebhard Hüsgen auf seine Frau zu. Er sah zehn Jahre älter aus als sonst, mit fieberheißen Wangen und starren Augen. Er zwang sich zu dem alten, milden Lächeln.

»Das ist ja eine liebe Überraschung von dir, Ilselott, daß du zu meinem Sieg gekommen bist! Es war ein schwerer Sieg!«

»Bist du krank, Gebhard? Wenn man dich ansieht ...«

»Das ist nur der Rückschlag nach der Nervenspannung ... Denke nur: Immer wieder die Erwartung: Wird der Wynstock nachgeben oder nicht!« Dr. Hüsgen gähnte. »Ich bin müde, Ilselott!«

»Komm mit nach Hause!«

»Ja. Ich brauche Ruhe nach diesem größten Erfolg meines Lebens!«

»Er war es doch!« sagte, mit Werner Wiebeking zurückgeblieben, die Hilde Lüders spitzbübisch, unter tränenfeuchtem Lächeln.

Auf den Lippen des jungen Mannes lag eine heftige Antwort. Er sah das Obstfräulein zornig an. Er bezwang sich.

»Man darf mit Ihnen nicht rechten, Hilde! Sie sind nun einmal eine hoffnungslos verdrehte Person. Es war mein Fehler, daß ich Sie ernst nahm und es zu dieser unglaublichen Szene hier kommen ließ!«

»Herr Werner – warum haben Sie denn den andern im letzten Augenblick wieder verleugnen müssen, wo er doch der Todfeind in Ihrem Reich ist?«

»Himmelherrgottdonnerwetter – Hilde – jetzt habe ich's aber dick! Ich bin kein Verbrecher! Ich sage Ihnen jetzt zum letztenmal, daß ich der ganz uninteressante und ehrbare Dr.-Ing. Wiebeking aus der Ihnen bekannten Tiergartenvilla Güntherstraße drei bin!«

»Das ist eben das Fabelhafte an euch«, die Hilde Lüders nickte, »daß ihr so überzeugend lügen könnt!«

»Bitte sehr, Herr Geheimrat! Eben habe ich den Herrn Doktor noch hier gesehen!« Ein Empfangsherr des Hotels bahnte dienstbeflissen einem kleinen, straffen, vollbärtigen Herrn den Weg durch die Gruppe. Der rotbärtige Kunsthändler verbeugte sich tief.

»Ich habe die Ehre, Herr Geheimrat Wiebeking! Hier steht Ihr Sohn!«

»Was machst du für Geschichten?« sagte der Vater knapp und zornig. »Mama ist außer sich! Sie hat mich beschworen, dich heimzubringen! Der Doktor hat dir einen kurzen Bummel vor dem Haus erlaubt! Statt dessen setzt du dich in die nächste Taxe – man hat's vom Haus aus gesehen – und fährst los!«

»Es mußte sein ...«

»Ich könnt' mir zum Glück denken, wohin! In der Villa Hüsgen sagten sie mir am Telephon, du seist zu der Kunstversteigerung gefahren! Was tust du denn nun wieder hier?«

»Nun müssen Sie es wohl glauben, Hilde!« sagte der junge Mann statt einer Antwort zu dem Obstfräulein, »daß es so wie in der Oper heißt: ›Mein Vater Parsifal trägt seine Krone! – Sein Filius – ich – bin Wiebeking genannt‹ ...«

Die Hilde Lüders stand stumm, mit zusammengebissenen Lippen, entgeistert, als verstände sie die Welt nicht mehr.

»Aber wir wollen Freunde bleiben, Hilde! Auf Wiedersehen, wenn Sie mir auch mit Ihrer Romantik eben einen schönen Possen gespielt haben!«

Die Mundwinkel der Hilde Lüders zuckten bitterlich. In ihren braunen Augen kämpfte noch ein ungläubiger Schein. Werner Wiebeking war schon drei Schritte von ihr, als sie hilflos, geistesabwesend murmelte:

»Und der war es doch – in der Pionierstraße – neben dem Dicken!«


 << zurück weiter >>