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Winke, Schupo – winke! In endlosen Wogen umbrandet dich, auf deiner Verkehrsinsel, am frühen Herbstabend Berlin. Mit tausend Tönen umtost dich, auf dem Ottoplatz, der Goldene Westen.

Aus fünf Straßenschluchten, Schupo Peschke, stürzt in Flut und Ebbe Berlin auf deine Insel zu: Tuten und Surren weißäugiger Wagenburgen, schwärzliche Ameisenzüge von Fußgängern, wanderndes Pilzgewimmel von Regenschirmen über feucht spiegelnden Asphalt.

Um dich, Friedrich Peschke, dreht sich das ewige Lichterkarussell. Um dich dreht sich Berlin. Berlin nimmt kein Ende. Du hebst den rechten Armstulp und gebietest Berlin. Und bist doch nur ein Schupo – ein junger Schupo – untersetzt und stämmig – humoristisch zwinkernd das runde, bartlose Gesicht unter dem Tschako.

Und neben dir auf der Verkehrsinsel steht auf einmal ein Mädel. Ein Mädel aus dem Volk. Kaum zwanzig. Zierlich und sauber, wie die richtige kleine Berlinerin, ihre schmächtige Gestalt im grauen Warenhaus-Mäntelchen mit Kaninbesatz. Dünn die bananenfarben florbestrumpften Beine in gelben Halbschuhen. Schmal das hübsche, blasse Gesicht mit dem feinen Naschen unter dem roten Topfhut.

Starr die kessen, hellbraunen, jungen Augen. Zwei fiebrige Fingerchen zupfen den Schupo leidenschaftlich am Arm. Atemlos:

»Herr Wachtmeister! Herr Wachtmeister! Sehen Sie den Mann drüben unter der Laterne, der Ihnen den Rücken zudreht?«

»Den Eleganten, Mittelgroßen, in dem kurzen, hellen Paletot?«

»Verhaften Sie ihn schnell – ehe er mich sieht! Das ist der gefährlichste Mensch von Berlin!«

»Ihnen gefährlich, Fräulein?« frug der Schupo Peschle philosophisch. »Oder wem sonst?«

»Lesen Sie keine Zeitung, Herr Wachtmeister? Das ist der Kerl, von dem ganz Berlin seit Monaten spricht! Das ist der Ale!«

»Der Nachtdoktor? ...«

»Der Ale Werbistedenn!? Das schreibt er doch bei jedem Einbruch da, was so die Millionäre sind, an die Wand! Er bricht doch nur bei Millionären ein! Schnell! ... Schnell! O Gott: Jetzt schaut er 'rüber!«

Der Herr drüben hatte einen Augenblick den Kopf über die Schulter gedreht. Er zeigte ein bartloses Profil zu Anfang Dreißig, undeutlich im Zwielicht. Er schlüpfte plötzlich rascher durch das Menschengedränge. Er hob hastig seinen silbernen Spazierstock.

»Er winkt einer Taxe!« schrie das Mädel auf der Insel.

Der Schupo Peschke sprang auf den Fahrdamm, mitten in das Gewühl. Mit kreischenden Vierradbremsen stoppten die Wagen vor der Obrigkeit. Er bahnte sich im Benzindunst eine Gasse zwischen Tanks und Kühlern. Ein riesiges Lastauto sperrte ihm die Aussicht. Er umlief es und erreichte die Bordschwelle drüben. Da, fünfzehn Schritt vor ihm, stieg der Herr im kurzen, hellen Herbstpaletot, ihm den Rücken zuwendend, gerade in einen Taxameter. Fuhr davon. Berlin verschluckte ihn. Nicht einmal die Droschkennummer hatte der Schupo Peschke noch erkennen können.

Erhitzt, enttäuscht stand er da. Auf dem Platz stauten sich, seiner Hand harrend, die mahnend tutenden Wagen, die ungeduldig bimmelnde Elektrische. Friedrich Peschke eilte auf seine Insel zurück. Sie war leer. Das Mädchen verschwunden.

Er hob gebieterisch den Arm. Befriedigtes Klingeln und Hupengrunzen die Antwort. Langsam, wie ein Eisgang, setzte sich der Strom in Bewegung.

Winke, Schupo – winke! Um dich dreht sich Berlin. Um dich dreht sich das Leben. Brautkutsche und Müllfuhre, Feuerwehr und Fußgänger, grüner Polizeiwagen und Leichenwagen – von der Wiege bis zur Bahre ...

Winke, Schupo – winke! Eilig! Eilig! Eilig! Es flutet um dich und deine Insel. Es wimmelt. Es hupt. Es flimmert. Es schimpft ... ...

Da neben dem Schupo schimpfen sie, weil sie warten müssen. Da hält ein lautlos pulsender Auto-Riese. Innen leer. Der Fahrer am Steuer in einer schwarzen Lederjoppe, eine Sportkappe schief hinten auf dem rötlich-blonden Stoppelhaar, die Zigarette schräg zwischen den energischen, bartlosen Lippen. Ein junger Mann aus dem Volk zu Anfang Dreißig.

»Nur keine unjesunde Eile – wat?« sagt er zu den Kollegen am Steuer und beugt sich dann freundlich lächelnd zu dem Schupo vor. »Herr Wachtmeister: Ich hab' nämlich mit meiner Jroßmutter jewettet, wer zuerst übern Platz is! Aber da drüben läuft se schon wie 'ne Biene – die olle Frau! Nanu? Fahrt? Schon? Nee – so wat!« Ein Zungenschnalzen. »Los, Mäuseken!«


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