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24

Die Fränze kehrte langsameren Schritts zurück, ein wenig außer Atem und doch tief aufatmend, mit einem befreiten Blick zu dem dunkeln Nachthimmel hinauf. Sie überquerte die Straße. Sie ließ den Wirrkopf, hoffnungsvoll vor sich hin lächelnd, hängen, während sie sich über den finsteren Kiesweg des Vorgartens trollte. Sie prallte an eine verschwommene Männergestalt vor ihr und fuhr mit einem leisen Schreckensschrei zurück.

»Ob de die Puste an dich hältst?« Eine Faust packte sie am Arm und zerrte sie seitwärts in den Schatten einer Taxushecke. »Kiek' mir mal ganz nahe ins Jesicht – in dem Schummer da – Kennste mich nu'?«

»Ja ...«

»Du denkst wohl: Du kannst dir verkrümeln, du Lause-Aas? Ja – wenn ick nich wäre – wat?«

»Ja ...«

»Siehste – da haste gleich keinen Mumm mehr, wenn der Dicke erst antritt ...« Jetzt, wo das Auge sich an die Dunkelheit gewöhnte, starrte deutlich vor der Fränze das steingraue, große Gesicht mit den schläfrig grausamen, kleinen Augen, der breitflügeligen, gequetschten Nase, dem Doppelkinn unter den brutalen Kiefern. »Dich mach' ich doch noch mal kalt!«

»Ja ...« sagte die Fränze gehorsam.

»Glaubste, wir kennen den Jungen nicht, der dich hierhergebracht hat? Wat der Ale is, der weiß alles! Der weiß genau, daß der Bengel hier Kupongs schneidet und draußen bei uns sich uff 'n Schlosser aufspielt ... Verstehste?«

»Ja ...« Die Fränze schlotterte nicht. Sie stand wie gelähmt, wie der Vogel vor der Schlange.

»Nu hat der Ale jesagt – Dicker – hat er jesagt – jeh mal nach det Haus ... Mir is recht, daß die Fränze da mang is! Da soll sie bleiben! Da können wir die gerade brauchen ...«

»Ja.«

»Wie – det wirste morgen erfahren! Da kommste nachmittags bei Krügern 'ran ...«

»Nein. Ich bleib' hier ...«

»Wat?« Ein heißer Atem wie von einem Raubtier wehte der Fränze ins Gesicht. Dicht vor ihr zwei böse Funkelaugen. Sie fiel mit einem leisen, wehen Klagelaut vornüber auf die Kniee.

»Kommste?«

»Ja ... ... ...«

»Is jut! Aber weh' dir ... Nu laß deine Madame drinnen nicht warten!«

Weg. Die Fränze lag allein mit den Händen und Knieen im Dunkeln auf der feuchten Erde. Sie raffte sich langsam auf. Sie schritt wie eine Nachtwandlerin um das Haus herum nach dem hinteren Eingang. Aber gerade da, rückwärts, auf dem Flur zur Küche, traf sie die Geheimrätin.

»Kind – Sie schauen ja aus wie der Tod!«

»Ich bin im Dustern gestolpert – nich? – und hingefallen!« Die Fränze fuhr sich mit der Hand über die Erdflecken auf dem Knierand des kurzen Rockes ... »und da hab' ich mich so erschrocken!«

»Gerade wollt' ich nach ihr fragen!« Von vorne kam, rasch, elastisch, mit freundlicher Miene, der Sohn des Hauses, in ölfleckigem Fahrermantel und Mütze. »'Tag, Mama! Na – da ist sie ja noch!«

»Und bleibt in Gottes Namen noch ein paar Tage hier!« sagte die Mutter.

»Nur – wenn jnädige Frau gestatten –« Die Fränze sprach es tonlos, an den beiden vorbei, wie unter einem fremden Willen ... »dann möcht' ich morgen nachmittag bei Krügern meine Sachen holen ...«

»Aber Kind Gottes – das geht doch nicht!«

»Ich habe doch nischt anzuziehen, gnädige Frau, als was ich auf dem Leib hab!«

»Man kann ja schreiben! Oder schicken!«

»Die geben doch nischt her! Die sind doch so boshaft! Wenn Krüger erst im Tran ist ... und gar sie, die olle Ziege! ... Ich hab' doch auch meine Papiere dort – wie ich heiße und so – Ohne das nehmen sie mich doch nicht ... wenn der Herr Pfarrer ...«

»Aber Sie können sich doch jetzt nicht dorthin wagen?«

»Oh – die tun mir nischt! Die wissen, daß das zuviel Unannehmlichkeiten setzt – von hier aus – von einem so mächtigen Mann wie der Herr Geheimrat ...«

Frau Wiebeking überdachte. Sie legte der Fränze die Hand auf die Schulter.

»Man muß immer das beste von seinen Mitmenschen glauben. Also ich glaube Ihnen, Fräulein Häselich! Fahren Sie morgen! Aber abends sind Sie wieder hier!«

»Ich danke der gnädigen Frau!«

Die Fränze sagte es tonlos, den Blick irgendwo. Sie ging schleppend den Flur entlang, tappte mit der Hand an der Wand, schwankte, fiel lautlos hin.

»Ohnmächtig ...« Die kleine, energische Geheimrätin Wiebeking leitete selbst den Transport des leichten Körpers, den die Köchin und ein paar Hausmädchen mit frostigen Mienen unter den Armen und den Kniekehlen gefaßt hielten und hinüber in Fränzes Stübchen schafften. »Wir müssen ihr die Kleider aufmachen! Werner – du bist dabei nicht zu gebrauchen!«

Der junge Mann ging nach vorn. Nach kurzem folgte ihm seine Mutter.

»Sie hat sich wieder erholt!« sagte sie. »Aber es sitzt etwas in ihr. Sie hat offenbar schon viel Furchtbares durchgemacht. Sie braucht viel Güte!«

»Na – die wird sie bei dir ja finden! Da bin ich unbesorgt! Nun kann ich mich also beruhigt wieder nach dem Osten verflüchtigen! Gute Nacht, Mama!«


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