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14

Der Flußschiffer Räder, der am Abend zuvor die Fränze Häselich und den Monteur Werner fern im Osten Berlins über die dunkle Oberspree gerudert hatte – der Schiffer Paule Räder stakte hochgestiefelt, hemdsärmelig, sonnenbraun, im Schweiß seines Angesichts, die ziegelsteinschwere, nur ein paar Handbreit über den Seespiegel ragende Zille zusammen mit deren Eigentümer das Havelufer am Grunewald entlang hinaus nach Spandau.

Dort vertäuten sie, bei einbrechender Dämmerung, am Einlauf der Spree den Kahn. Paul Räder ging von Bord und fuhr mit der Straßenbahn und dann weiter mit der Stadtbahn nach Berlin. Und Berlin zog als Wandelbild an seiner Fensterscheibe vorbei.

Hinter den Kiefernwipfeln der Jungfernheide die ersten Polypenarme der Straßen, die ersten Saugnäpfe der Häuser der Weltstadt. Eine Stadt in ihr, riesig, rauchend, rötlich schattend, das Siemensreich.

Bewimpelte hölzerne Gartenstädtchen, weithin die Laubenkolonieen. Jäh aufblendend, in allen Farben gleißend, taghell, das Amüsierviertel am Kurfürstendamm-Kopf. Herbstflammend deutscher Wald, der Tiergarten. Geschäftiges, schwarzes Ameisengekribbel durch den endlosen, schnurgeraden Schacht der Friedrichstraße.

Feierlich, im Abendlicht, die große Vergangenheit! Die graue Masse des Schlosses. Die Domkuppel. Steinharnische auf flachen Simsen.

Eine Griechenstadt unter nordischem Himmel, die Spreeinsel. Säulengänge und Tempel der Museen. Niedrig, unscheinbar, drüben am Fluß der Tempel der Zeit: die Börse.

Und weiter nach Osten, wo die grauen Häuser sind, ... das alte Berlin. Mammutbauten vereinzelt über seinen Tausenden von niederen Dächern. Ein Stück New York die Wolkenkratzer am Alexanderplatz.

Und immer dunkler die Welt – da, wo der Spreeschiffer Räder ausstieg. In verlorenen Gassen ein Gelungere der Parasiten, der Pestträger der Millionenstadt: Bleiche Fratzen, die Mütze im Genick. Geschminkte Backen unter grellen Hüten. Graubärte mit Fuchsaugen. Häuserlabyrinthe, so groß wie Kleinstädte. Tausende unter einem Dache. Tausende in drei, vier Hinterhöfen.

An einer Torwölbung stellte sich der Schiffer Räder auf. Drinnen im Hof zausten winkelverfangene Windwirbel mit Haufen Altpapier. Er kannte den Händler Jakob Grünspan, der da zwischen den schmierigen Stapeln seiner Makulatur stand, im Gespräch mit den Geschäftsfreunden, dem koscheren Gänsehändler Lefkowitz und dem Russen Lipkin und dem Simon Mordchai.

Ein farbloser Menschenstrom spülte jetzt, am Feierabend, aus dem staubgrauen Massenhaus: Frauen in Umschlagtüchern, Zeitungsträgerinnen, Männer mit Aktenmappen, Fabrikmädel, Hausierer, Kinder, Geschäftsboten, Tippfräulein, Bürodiener, Arbeiter.

Und dann Fränze Häselich.

Sie ging hastig ihres Wegs, den bloßen, dunkeln Wuschelkopf scheu gesenkt, sich bang nach allen Seiten umsehend. Ihr junges Gesicht mit dem feinen Näschen war blaß, als der Spreeschiffer plötzlich vor ihr stand, rüstig in seinen hohen Transtiefeln und dem grauen Wollwams, ein rotes Tuch um den freien Hals, ein freundliches Lächeln auf den freimütigen, wettergebeizten, schnurrbärtigen Zügen.

»Gott – Paule!«

»Ich hab' draußen in Spandau ausgeholfen. Nu bin ich wieder retour!«

Sie gingen zusammen die graue, lärmende Straße entlang. Sie mußten schreien, um sich zu verstehen.

»Ich hab' hier auf dich gewartet, Fränze!«

»Ja – das seh' ich!«

»Was tust du denn hier? Was haste davon, daß du den ganzen Tag in dem dreckigen Papier 'rumfingerst?«

»Wenn ich nicht auf Arbeit geh'«, sagte die Fränze, »dann muß ich drüben beim Stiefvater in der Budike aushelfen! Den schweren Jungen Bier schleppen – und den Frauenzimmern Kaffee – pfui Deibel! Lieber beim Grünspan! Und am liebsten 'raus aus der ganzen Zucht! Nur endlich mal 'raus!«

»Kannste doch jeden Augenblick haben! Wir brauchen uns bloß zu heiraten! Dann ist's gut!«

»Das ist es eben nich!«

»Warum nicht? Ich mag dich schon leiden, Fränze! Das derfste glauben!«

»Ich hab' dich auch ganz gern! Du bist ein anständiger Mensch – nicht so wie die aus'm Verbrecheralbum – beim Krüger ...«

»Wenn ich dich erst als meine Frau aufm Kahn hab' – ich kauf' mir dann doch 'nen eignen Kahn – dann sollen die Brüder mir nur kommen!«

»Natürlich kommense!« Die Augen der Fränze wurden glasstarr. Drüben blinkte, zwischen düstern Gassenwänden, laternenzitternd ein Stück Spreespiegel. »Das hab' ich dir doch schon hundertmal auseinandergepolkt: Solange als du mit dem Kahn auf der Spree fährst, mußt du immer wieder hier lang. Du mußt immer wieder hier anlegen. Da finden sie mich gleich! Meinste, der Dicke, der läßt locker?«

»Nee!« Sie blieb stehen. Die beiden waren jetzt in einen der finstersten Winkel Alt-Berlins geraten. Rings menschenleeres Dunkel. »Nee! Ich muß weg! Ganz weg aus Berlin! Wo keiner weiß, wo ich bin! Sonst krieg' ich vor denen keine Ruh'!«

»Das mußte einsehen, Paule!« sagte sie weicher und drückte ihm kameradschaftlich die Hand. »Ich muß nu da lang! Ich hab' Eile! Gute Nacht!«

Der Spreeschiffer Räder sah ihr nach, stillen Kummer auf den gutmütigen Zügen, wie ihre zierliche, mittelgroße Gestalt leichtfüßig in die düstere Schlünzigstraße einbog, in der das Gelb einer einsamen Laterne die Inschrift ›Krügers Restaurant‹ an einer windschiefen, bröckeligen Hauswand erhellte.

Das Lokal war, in der frühen Abendstunde, fast leer, als die Fränze eintrat. Der Stiefvater humpelte auf kurzen Säbelbeinen vom Schankschragen ihr entgegen, pfiffig, schmuddelig, flott aufgedreht das graue Schnurrbärtchen in dem gedunsenen Gesicht. Bier- und rauchheiser die Kehle.

»Du – dein Freier von jestern is vorhin dagewesen!«

»Den Stiesel halt dir man warm!« riet, von einem Tisch voll Frauenzimmern, die Ulanen-Guste.

»Er will nachher wiederkommen – hat er jesagt!«

Die Fränze setzte sich. Von drüben rief die Simili-Berta, die schäbige, weiße Boa um die Schultern:

»Der is nich koscher! ... 'n Achtgroschenjunge is es!«

»Der is von der Polizei!« bestätigte die Guste mit dem großen Federhut.

Ein spillriges, knallblond gefärbtes, noch halb kindliches Geschöpf, rote Flecken auf den Backenknochen des blutjungen Gesichts, kam, die Zigarette in der Hand, von dem Tisch der Weiber herüber und setzte sich zu der Fränze.

»Trau' man bloß dem von jestern nich«, sagte sie leise und schnell, »dem im jrauen Anzug – dem Hübschen – den du mit ins Lokal gebracht hast!«

»Was weißt denn du, Äppelröschen?«

»Ich mein' es gut mit dir – ungelogen!« Das verlorene kleine Geschöpf näherte die blutrot geschminkten Lippen dem Ohr der Fränze. »Durch dich is gestern nachmittag auf'm Ottoplatz um ein Haar die ganze Kolonne verschütt gegangen!«

»Sie dürfen mir ja nichts tun!« Die Fränze blickte bang nach dem offenen, leeren und dunkeln Seitenzimmer. »Der Ale hat's verboten!«

»Trau' denen doch nicht! ... Fränze – laß dir warnen! ... Der Jraue – der Hübsche – der is janz ausgekocht! Der kommt heimlich vom Ale! Der Ale hat einen geschickt, den keiner kennt ...«

»Ach – Äppelröschen – mach doch deinen Brotladen zu – nich?«

»Der verschleppt dich irgendwohin! Da macht er dich kalt – ohne viel Jeräusch! Denn haben se hier keene Unjelegenheiten nich mit dir ...«

»Na – denn macht er mich kalt!« Die Fränze stützte trotzig das Kinn auf die Fäuste. »Mir auch recht! Statt dem Hundeleben!«

Aus dem dunkeln Nebenzimmer kam ein tiefes Gähnen. Die Fränze schrak zusammen.

»Da drinnen is ja einer!«

»Da pennt der Amtmann!« verkündete die Ulanen-Guste.

Ein bleicher, hagerer, hohläugiger Mensch, Stoppeln um das Vogelkinn, schlurfte verschlafen aus dem Zwielicht. Er hielt der Fränze die abgezehrten, langen Spinnenfinger, zu einer kränklichen, aber drohenden Faust geballt, dicht unter das feine Näschen.

»Nimm dir in acht!« sagte er heiser, mit halb erloschener Stimme. Die Fränze duckte sich und schwieg verstört.

»Mit deinem Freier von gestern – det riecht mir sengerig!« Der Mensch flüsterte nur, mit Anstrengung des kranken Kehlkopfs.

»Da kommt der Bräutijam anjetippelt!« Die Ulanen-Guste spähte durch die Fensterscheibe.

»Ick zieh' mir wieder da drinnen ins Privatleben zurück!« Der Amtmann schob sich langsam in das Dunkel des Nebenraums. Ein stechender Blick über die Hängeschulter nach rückwärts: »Nu paß uff, du Kröte – daß du dir nich verhedderst!«


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