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21

Am Telephon in der Kantine: »Dort Garagenmeister Zwickel? Hier Werner! Ich habe Frau Hüsgen den Wagen hier auf den Tennisplatz hinausfahren müssen! Wie? Ja – mir kam's natürlich auch sehr ungelegen! Aber wenn so 'ne Dame was im Kopf hat! Also heute wird's für mich zu spät in die Werkstatt! Recht? Ja? Wiedersehen!«

Der Fahrer Werner setzte sich wieder hinter seine Tasse Kaffee zwischen die andern Chauffeure.

»Vom nächsten Ersten ab arbeitslos?« sagte er zu dem neben ihm. »Wieviel Kinder? Auch gleich drei? Unnötig, Mensch! Na – ich will sehen, ob ich nich ...«

»Ach – sei man froh, daß du selber noch ...«

»Jib mir auf alle Fälle deine Adresse!«

Der Garagenschlosser Werner steckte das Blatt ein. Er saß, die Mütze schräg auf dem rotblonden Stoppelkopf, die Zigarette schief in dem stillvergnügt verzogenen Mundwinkel, in dem schwülen Brodem von Tabak, Eisbein, Sauerkohl, Leder, auf seinem Platz am Fenster.

Treibende Herbstfäden draußen in der Luft. Aber der Himmel ist blau und die Sonne scheint über Berlin, dem unendlichen Berlin – der trüben Lichtverfärbung dort in der Ferne – immer rauchiger, immer fahler, je weiter gen Osten der Schein verschwimmt ...

Von dem unsichtbaren Spielplatz her, hinter den über mannshohen Holzplanken, durch die Stille plötzlich einmal ein kurzes, stürmisches Händeklatschen. Sehen konnte man von der Kantine aus davon nichts. Der Fahrer Werner erhob sich und bummelte draußen, die Hände in den Manteltaschen, vor dem Eingang auf und ab.

Da wirrte, undeutlich weit drüben, das weiße Spiel. Das Taubengeflatter von vier Damen in schneeigem Flanell. Schwarz, wie Fliegen um dem Zucker, um den roten Kiesgrund die Bänke voll Menschen. Hoch vor dem hellen Himmel Herren auf Leitern. Dumpfer Prall der Bälle auf dem Schlägergeflecht.

Irgendwo dort saß sie. Irgendwo ... Der Fahrer Werner dachte sich: In dies Land des Lächelns gehörst du hinein, wo Luxus und Leben dasselbe ist! Ein verflogener Paradiesvogel. Für dich ist die Welt draußen zu rauh ...

Und er – dein Mann – baut dir ja den goldenen Käfig. Du warst ja vorsichtig in deiner Wahl ...

»Aber das ist ja schrecklich, Herr Rösing!«

Ilselott Hüsgen stand drinnen, abseits von den Menschen und Bällen, mit dem dicken Weltkenner. Ihr weiches Kindergesicht war verwirrt und geängstigt. Sie nagte an der Unterlippe.

»Tja – gnädige Frau ...«

»Am liebsten möchte ich auf der Stelle nach Hause fahren!«

»Dabei wird Herr Wiebeking vielleicht wieder durch Zufall gesehen!«

»Nein. Allein. Ich hab' ja III b. Aber ich bin so aufgeregt. Ich richte heilig noch ein Unglück an!«

Über den Kies trottete geschäftig ein junger, bartloser, spitznasiger Gent auf die kleine Frau zu, sorgenvolle Nacht-Bar-Falten um das goldgefaßte Einglas, schlotternd weit die Hosen, neckisch, talergroß nur, die rosa Flügelbinde am weichen Kragen.

»Eben telefonieren sie nach New York den zweiten Satz, Ilselott!« meldete er matt. »Die ganze Welt ist in höllischer Aufregung!«

»Wo dich doch sonst nur die Halbwelt interessiert«, sagte die junge Frau. »Darf ich Ihnen meinen Bruder vorstellen, Herr Rösing!«

»Arbeitsloser vom Kurfürstendamm!« Der bleiche Jüngling verbeugte sich.

»Arbeitslos bei Tag ...«

»Wieso bei Tag, Ilselott?« Lüttchen hob schnell den dürftigen Kopf. Er hatte tiefe, blaue Schatten unter den unruhigen Spieleraugen.

»... weil du in letzter Zeit scheint's jede Nacht am Kartentisch tätig bist!«

»Ach so ...« Das Nachtgeschöpf rieb sich beruhigt die Nase. Er hatte die halbzölligen, spitz zugeschnittenen, sorgfältig polierten Fingernägel eines Spielers, auf denen beim Kartenmischen jedesmal die Blicke einer ganzen Runde ruhten. Er sah jetzt wieder auffallend töricht aus.

»Ich bin lieber bei Nacht Bankhalter als bei Tag Bankvolontär!« sagte er.

»Verbummelt bist du!«

»Minderwertig!« Der junge Mann lächelte triumphierend. »Damit macht man heutzutage das Rennen! Leider überfüllter Beruf! Du ...« Er wurde plötzlich lebhaft. »Seit gestern hab ich 'nen neuen Roadster ... na – ich sage – – – Draußen steht er! Die Karre ist ihre achtzehntausend Emmchen wert ...«

Ilselott wandte sich rasch zu ihm.

»Hast du einen Chauffeur mit? Dann laß ihn bitte hinterherfahren und fahr' mich in meinem Wagen heim. Ich bin heute zu nervös zum Steuern!«

»Schön! ... Los! ... Was willste denn in der Kantine?«

»Nur einen Augenblick!«

Drinnen, zwischen den Chauffeuren, sprang der Fahrer Werner bei Ilselotts Eintritt auf und warf seine Zigarette weg.

»Hier bin ich, gnädige Frau!«

»Geben Sie mir den Zündschlüssel!«

»Wie? ...«

»Den Zündschlüssel ...«

»Den kann ich doch selber ...«

»Nein! Ich!« Und leiser, daß es die andern nicht hören konnten, blaß und aufgeregt und schmerzlich zu ihm aufschauend: »Sie sagen mir, Sie seien der Monteur Werner ...«

»Der bin ich auch!« Der junge Mann wandte sich zu einem hinausstapfenden Taxenkutscher. »Sie ... 100 011 ... Sehen Sie mich nicht an Ihrer Ecke immer in die Werkstatt gehen?«

»Na – jeden Morgen!«

»Ach so ...« Ein sanfter Schein auf Ilselotts Zügen. »Dann verwechselt Sie der Dicke drinnen mit einem Doktor Wiebeking ...«

»Der bin ich auch!«

»Ich versteh' nicht ...«

»Ich gebe nur ein Gastspiel im Osten! ... Eigentlich ...«

»Das hätten Sie mir sagen müssen ... Den Zündschlüssel! ... Danke!«

Er stand und sah der kleinen Frau nach. Ein Kollege neben ihm erkundigte sich heiser:

»Wat hat denn deine Olle zu meckern?«

Der Monteur Werner antwortete nicht. Draußen surrte der Wagen.


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