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Abseits vom Wege

Das äußere Getue, dem die Jugend um Karl August, in wilden Jagdritten, Mädchenhetzen und lärmenden Gelagen, so offenkundig verfallen war, konnte trotz aller Spektakelsucht, nicht als das wahre Gesicht des »weimarischen Musenhofes« gelten. Dafür war allein schon der Einfluß der Herzogin-Mutter Anna Amalia viel zu hervorstechend. Allwöchentlich hielt sie in ihrem Wittumspalais jene Abende ab, bei denen sich die Elite aller Geistig-Regsamen aus der intimeren Hofgesellschaft an einem runden Tische um die Fürstin versammelte um nun wahrhaft einen »Musenhof« abzuhalten.

Selbstredend legten auch die beiden Stolberg hohen Wert darauf, an solch einem Abend in ihrer Dichterherrlichkeit zu glänzen. Sie wollten keineswegs als »allamodische« Rowdys figurieren! Hatten sie doch ihre tönenden »Freiheitsgesänge« in petto, die sie begierig waren, mit Bardeninbrunst zum besten zu geben. Und sie hatten großen Erfolg damit. Die weimarische Tafelrunde schwamm in Entzücken über den feurigen Mut der beiden Reichsgrafen, mit dem sie in ihren Kanzonen Throne stürzten und Tyrannenhaß predigten. Zwar wußte niemand recht, wohin das eigentlich zielen sollte – aber es klang doch so imposant und quoll aus so edler Seele! Und die beiden treuherzigen Jungen, – so voll Herzensfeuer, voll »teutschen« Geistes, wirkten, indem sie sich beim Vortrag ihrer Sturmgesänge kraftvoll in die Brust warfen, auf die gesamte Tafelrunde wie Kinder eines neuen, fortschrittlichen Zeitalters!

Unter den Zuhörern befand sich auch Wieland – ehedem der Gegenstand des besonderen Abscheus der gegen alle »Französelei« wildwetternden, ganz vom Klopstockschen Bardengeist besessenen beiden Grafen. Aber Goethe hatte dieser Tage ein Wörtlein mit ihnen gesprochen und sich für Wielands »deutsche Art« wacker eingesetzt. Ohne viele Mühe war es ihm gelungen, zumal auch im Hinblick auf die weimarischen Hofverhältnisse, alte Zwistigkeiten zu begleichen und Mißverständnisse aus dem Wege zu räumen. Der stets konziliante Wieland war ohnehin kein Starrkopf und für Versöhnungen rasch zu gewinnen. Somit war denn voller Friede wiederhergestellt worden, und den Stolbergschen Kraft-Oden applaudierte niemand neidloser als der Dichter des Agathon.

Nun aber sollte ein wahrhaft »großer Abend« die Ritter und Edelfrauen der Tafelrunde um die Herzogin versammeln. Die Stolberg hatten es auf sich genommen, den bis dahin hartnäckig spröden Goethe zum Vortrag seiner »Faust«-Szenen zu bewegen. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, da der Dichter sich auf das starrköpfischste weigerte und das völlig Bruchstückartige und Ungeordnete seiner Dichtung hervorhob. Da indes auch Karl August und seine Mutter eindringlichst baten, konnte Goethe nicht dauernd widerstehen.

So fand denn die Vorlesung statt. Und sie wurde wirklich ein »Ereignis«.

Alles fühlte, daß hier etwas Niegehörtes, trotzdem in seiner Echtheit und Erlebtheit unmittelbar Zwingendes zu Gehör gebracht wurde.

Tiefes, ergriffenes Schweigen wechselte ab mit unwillkürlicher Bewegung und belustigtem Gelächter. Bei der Gretchen-Tragödie erstarrten beinahe die Gesichter, bis sie in Tränen sich lösten. Selbst der Herzogin-Mutter, gewohnt sich zu beherrschen, rollten dicke Zähren über die Wangen, und aus den Augen der Frau von Stein traf Goethe ein Blick, in dem Bewunderung und Ergriffenheit sich vieldeutig einten. Von allen am beredtesten äußerte Wieland seinen glühenden Enthusiasmus. Er verstieg sich beinahe zu dichterischen Hymnen, so entquollen ihm die Worte.

Goethe wehrte, soviel er nur konnte, ab. Nicht aus falscher Bescheidenheit, sondern weil er sich seinem Werk gegenüber noch als Ringender fühlte. Er war schon im Begriff, sich seiner Gewohnheit nach dem Tumult durch Flucht zu entziehen, als Fräulein von Göchhausen ihn beinahe am Rockzipfel zurückhielt. Sie hatte bis dahin, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, fast völlig geschwiegen. Jetzt betonte sie mit Nachdruck, daß sie etwas Wichtiges zu sagen habe. Mit Schrecken, rief sie laut, habe sie wahrgenommen, wie der Dichter manchmal in seinen Papieren habe kramen müssen, um den richtigen Fortgang seiner Szenen zu finden; und wie überhaupt alles wild und unübersichtlich durcheinander geflogen sei. Gradezu ein Wunder sei es gewesen, daß Goethe in seinem Selbstgeschriebenen sich habe zurechtfinden können. Jedenfalls sei dies ein unmöglicher Zustand – und deshalb sei sie, Thusnelda, erbötig, von der gesamten Dichtung, so wie sie jetzt vorliege, eine reinliche und ordentliche Abschrift anzufertigen. Ja, sie bitte darum, wie um eine besondere Gunstbezeugung.

Alles stimmte ihr lebhaft zu. Nur Goethe sperrte sich mit beinahe kindischem Trotz. Wie von unerklärlicher Besorgnis getrieben, suchte er seine Papiere zusammenzuraffen, wobei vieles noch mehr durcheinander geriet und einzelne Blätter zu Boden flatterten. Nein, er könne nichts hergeben, beteuerte er, das seien ja lauter Fetzen, durch die niemand sich durchwinden könne. Vieles sei durchgestrichen, manches verbesserungsbedürftig, alles noch unausgegoren. In solcher noch unfertiger Verfassung dürfe ein Dichtwerk nicht abgeschrieben werden. Doch half ihm sein ganzer flehentlicher Einspruch nichts. Alle waren gegen ihn. Und schließlich mußte er nachgeben.

Noch einmal preßte er das kostbare Manuskript, wie ein Kind, das er fortgeben sollte, an sich – dann erst ließ er es, diesmal unter seltsamem Gelächter, fahren. Fräulein von Göchhausen aber wickelte und schnürte die Papiere mit großem Eifer zu einem Paket zusammen, und klemmte es triumphierend unter den Arm. In spätestens drei Tagen, versicherte sie, werde der Dichter sein Handschriftliches zurückhaben. Bis dahin habe sie ihre Abschrift vollendet, und sich das schöne Bewußtsein geschenkt, die kunstgesinnte Welt – wie sie mit drolligem Ernst sich ausdrückte – vor schwerem Verlust bewahrt zu haben.

 

Seit dieser Vorlesung seines »Faust« war in Goethe selbst eine innere Veränderung vor sich gegangen. Er war stiller geworden. Das wilde Treiben der zu lauter Torheiten und Tollheiten aufgelegten Junkergesellschaft hatte an Reiz für ihn verloren. Wenn er es doch, mehr zum Schein, noch mitmachte, so geschah dies aus Gefälligkeit gegen den Herzog, dessen Wünschen er sich nicht gut entziehen konnte. Wo es irgend anging, zumal bei Jagdveranstaltungen, sonderte er sich ab und strich, die Büchse gespannt, doch kaum noch ein Jäger, allein durch Wälder und Felder.

Träume kamen und gingen. Worte summten um ihn her, formten sich zu Versen, tanzten vorüber. Erinnerungen stiegen auf und manchmal schwoll sein Herz vor Liebessehnsucht. Nach wem wohl? Durfte er es sich gestehen?

Eine Abendstunde kam, voll ganz besonderer tiefer Weihe. Die Jagdgesellschaft, die unter Lärmen Täler und Forsten durchbrauste, hatte sich verzogen. Selig streifte der Dichter durch blinkende Einsamkeiten.

Entlaubt standen alle Bäume, aber die Luft war klar und hell. Mit entzückender Deutlichkeit ließ sie Äste und Zweige sich gegen den lichten, sanft erblassenden Himmel abzeichnen. Unendliche Stille rings, in der der leiseste Laut, das zufälligste Knistern sich bemerkbar machte. Nur ganz von fern, mit Unterbrechungen, wehten Rufe und Jagdhornklänge herüber.

Nichts konnte wonniger sein, als in diesen Spätherbstzauber zu blicken, in dem schon der Winter sich ahnen ließ. Da lag etwas wie Geisterraunen in der Luft. Und aus den frühen, aufsteigenden Abendnebeln wollten sich schwebende Gestalten bilden ...

Tief und sehnsuchtsvoll durchrieselte es den einsamen Umherstreifenden. Willenlos, voll innerlicher Wärme überließ er sich den Eingebungen der Stunde. Konnte er sich dagegen wehren, daß Lilis Bild vor ihm erwachte? Daß er gleichsam das Vorüberwehen ihres süßen Atems fühlte? Gewiß, er hatte ihr entsagt. Doch das goldene Herz, das sie ihm geschenkt hatte, trug er immer noch auf seiner Brust. Davon mochte er sich nicht trennen. Wo waren jetzt alle die Schatten, die mehr und mehr sich über seine große Liebe gelegt hatten? Weggeblasen waren sie! In dieser reinen goldenen Herbstluft war für Trübes kein Raum. In voller Schlackenreine offenbarte sich ihm Lilis Gestalt. Sie war so dicht bei ihm, daß er sie fast hätte greifen können.

Wie Dämmerhauch legte es sich um seine Schläfen. Still setzte er sich unter einen Baum, still zog er sein Buch aus der Tasche und begann darin zu schreiben. Die Verse quollen leicht und flüssig. Zeile für Zeile setzte er sie mühelos hin.

Im Felde schleich ich still und wild,
Lausch' mit dem Feuerrohr,
Da schwebt so licht dein liebes Bild,
Dein süßes Bild mir vor.

Du wandelst jetzt wohl still und mild
Durch Feld und liebes Tal,
Und ach, mein schnell verrauschend Bild,
Stellt sich dir's wohl einmal?

Des Menschen, der in aller Welt
Nie findet Ruh noch Rast –
Dem wie zu Hause, so im Feld
Sein Herze schwillt zur Last! –

Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als in den Mond zu sehn – –
Ein holder Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir geschehn.

Die Augen schließend, lehnte Goethe sein Haupt wider den Stamm des Baumes, unter dem er saß. Es war, als sei er eingeschlafen. Das Notizbuch, mit den frisch eingetragenen Versen, war seiner Hand entsunken und ruhte in seinem Schoß. Silbern brach der Glanz des vollen Mondes durch das Netzgewirr der Zweige und umfloß des Dichters Leib und Antlitz. Leise schienen die Lippen sich zu bewegen, als sprächen sie in Gedanken noch einmal das Gedicht.

Da ertönte, nicht allzu weit, plötzlich der Klang eines Hifthorns. Und das Gekläff von Rüden mischte sich dazwischen. Goethe fuhr auf und rieb sich die Augen. Um seine Mundwinkel zuckte verstohlenes, fast verächtliches Lächeln. Rasch bückte er sich und hob das zu Boden geglittene Notizbuch wieder auf. Schob es dann sorglich wieder in die innere Brusttasche. Dort mochte es wohlverwahrt ruhen. Es gab Sünden, die ihm allein gehörten – die er nicht zu beichten brauchte.


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