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Der »Fastnachts-Goethe«

Alle, die ihn von früher her kannten, zumal die sich als seine geistigen Mitstreiter fühlten, waren in diesen Wochen völlig irregeworden an Goethe.

War das jener rebellische Doktor Wehrwolf, der sich einen Hochgenuß daraus bereitete, der sogenannten guten Gesellschaft ein Schnippchen zu schlagen? – und durch herausfordernd ordnungswidriges Betragen den braven Spießern ein Ärgernis zu bieten?

Wie ausgewechselt war er auf einmal, all seinen Kameraden entschwunden, kaum für irgendeinen Disput über brennende Zeit- und Geistesfragen noch zu haben! Vielmehr verstrickt in gesellige Vergnügungen und kaum von etwas anderem gefesselt, als »den Galanten zu spielen beim schönen Geschlecht« und zumal einer niedlichen Blondine, die man öfter mit ihm sah, unausgesetzt den Hof zu machen.

Der gute Georg Melchior Kraus verwünschte es beinahe, seinen Freund in das von oberflächlichem Weltlärm erfüllte Schönemannsche Haus überhaupt eingeführt zu haben. Johanna Fahlmer, die stets besorgte »Tante«, schüttelte in Verwunderung ihr kluges Köpfchen, und Fritz Jacobi war nicht wenig verschnupft, daß er bei seinem auf wenige Wochen bemessenen Aufenthalt den Freund so wenig zu Gesicht bekam. Der engste Rivale Goethes aber, der »Sturm- und Drang«-Dramatiker Maximilian Klinger, nahm es mit kaum verhohlener Genugtuung zur Kenntnis, daß der eitle und hoffärtige, so vielfach überschätzte »Götterliebling« nun seine wahre Natur offenbarte und sich um geistige Dinge nicht mehr zu bekümmern schien. Er verabsäumte es auch nicht, dem bedeutsamen Parteigänger Goethes, dem witzigen Kriegsrat Merck in Darmstadt, hierüber ein paar scharfgewürzte Andeutungen zu machen.

Von all diesem Geraune schien der Betroffene selbst so gut wie gar nichts wahrzunehmen. Was die Menschen von ihm dachten und sprachen, und seien es selbst gute Freunde und wertgeschätzte Persönlichkeiten, war ihm stets so lange gleichgültig, als es ihm nicht unmittelbar entgegentrat und so die Abwehr direkt herausforderte. Er wollte nun einmal dieser Leidenschaft sich hingeben, die ihn so mächtig gepackt hatte und die ihn bis in die letzte Fiber seines Wesens hinein erfüllte. Allen widerstrebenden Stimmungen zum Trotz, die ihn ja keineswegs verschonten, mußte er dieses Erlebnis ausschöpfen – koste es was es wolle! Er konnte und mochte den Flammen nicht gebieten, die ihn so heiß und mächtig umloderten!

Lili, Lili war jetzt der ganze Inhalt seines Fühlens und Trachtens. Sein Blut schäumte auf, sobald ihr Name in ihm tönte. Seine Phantasie erhitzte sich bei den bloßen Umrissen ihrer Gestalt.

Ungeduldig und manchmal fiebernd erledigte er tagsüber seine Angelegenheiten. – Die Advokatur, wie oft wünschte er sie auf den Blocksberg! –

Aber kaum sank die Nacht nieder – und rings in der Finsternis flammten die Öllampen und Kerzen auf – da fühlte er seine Pulse jagen – und es stieg grenzenlose Liebessehnsucht in ihm auf. Damit verband sich ein ungestümer Drang nach wilder Zerstreuung – nach Glanz und Kerzen, rauschenden Festtoiletten, närrischen Kostümen, Menschengedränge, wogender Tanzeslust!

Fast allabendlich war jetzt Ball. Und überall traf und suchte er Lili. Den Duft ihrer Nähe einzuatmen, Abend für Abend, war ihm zum zwingenden Bedürfnis geworden. Und welch ein Genuß, Rivalen aus dem Felde zu schlagen! Vor allem diesen eingebildeten Dümmling von Jaques Mansfeld – und viele andere noch – in Uniformen, in Dominos, in Brigantentracht, in Harlekinsgewändern! Wie sie auch schöntaten und sich wichtig machten, sie alle mußten vor ihm weichen! Das Feuer, das durch seine Adern glitt, machte ihn unbesiegbar. Wenn Lili ihm, aus blaublitzenden Augen, wollend oder nicht, ihre ganze rückhaltlos angefachte Liebe zuwarf, dann erwachte ein Triumphgefühl in seinem Herzen, das alle seine Adern höher schwellen ließ.

Auf Familienbällen – bald bei Schönemanns selber, doch auch bei d'Orville, bei Gontard, bei Bernard – und einmal selbst in dem ganz vornehmen Hause der Bethmann – kam er mit Lili zusammen. Er war überall eingeführt, überall eingeladen. Ob sie ihn mochten oder nicht, sie konnten sich dem nicht entziehen, ihn zu empfangen. Mama Schönemann setzte sich für ihn ein – somit war er rezipiert. Schließlich war er ja nicht bloß Literat, sondern auch Jurist mit angehender Karriere – und vielleicht dazu ausersehen, einmal eine führende Rolle im Magistrat seiner Vaterstadt zu spielen!? Übrigens machte er, zumal im galonierten Rock, eine sehr gute Figur.

Doch weit schöner als bei der Verwandtschaft waren die auswärtigen Bälle, besonders die im Scharfschen Saale am Liebfrauenberge veranstalteten. Das war ein etwa vor einem Dezennium mit höchstmöglicher Verschwendung herausstaffierter Redoutensaal, mit zwei großen Kristall-Lüstres und zahlreichen versilberten Wandleuchtern versehen, dazu mit einem glänzend gewichsten Parkettfußboden ausgestattet, über den die tanzenden Füße wie in leichtester Götterwonne dahinglitten.

Einmal hatte auch die Mutter Goethe ihren Sohn dorthin begleitet und es war ihm eine besondere Freude gewesen, sie mit Mama Schönemann und mit Lili bekannt zu machen, – während die übrige Sippe Gott sei Dank zu Hause geblieben war. Als er mit der Liebsten im Arme zu den aufrauschenden Gavotteklängen durch den hellen Saal dahinschwebte, gereichte es ihm sowohl wie Lili zu besonderer Freude, die beiden Mamas zu beobachten, wie sie so einträchtig nebeneinanderstanden, alles Mögliche zu schwatzen hatten und mit stolz leuchtenden Augen in den Saal schauten, um sich als unmittelbare Angehörige des schönsten und elegantesten Tanzpaares in wahrem Hochgefühl zu sonnen. Als Goethe hinterher, als galanter Sohn, die »Frau Rat« nach Hause führte, tat es ihm überaus wohl, aus deren Munde viel Liebes über die Angebetete seines Herzens zu vernehmen.

Auch an den Abenden, wo nicht getanzt wurde, suchte Goethe nach Möglichkeit Lili irgendwie zu treffen. Eifriger als je besuchte er Konzerte, wo sie, die Musik über alles liebte, niemals fehlte. Und als die Marchandsche Theatertruppe Frankfurt besuchte und im Junghof französische Komödien spielte, wie klopfte da sein Herz, wenn er unten im Parterre stand und er oben in einer Loge, federbuschgeschmückt, seine Liebe erscheinen sah, sofort von allen Augen im Zuschauerraume bemerkt und bewundert! Wie sie sich niedersetzte, wie sie aufstand, wie sie über die Logenbrüstung sich neigte und in den Saal spähte oder wie sie sich umwandte und ihrer Nachbarin etwas zuflüsterte, alles verfolgte er mit hungrigen Augen und empfand dabei die süßeste Wonne in seinem Herzen. Wenn aber gar ihre Blicke einander trafen – nicht zu öffentlich, bitte! – und ein vielsagendes Lächeln über die lieblichen Züge des holden Mädchens glitt, da fühlte er sich wie in königlichem Besitz!

Nach Schluß der Vorstellung dann, eine rasche Begrüßung im Vestibül – zuweilen auch ein Hingeleiten zur harrenden Sänfte, die allzu rasch sich entfernte – und dann noch ein stundenlanges Umherirren in den Straßen, um die tobenden Nerven zu beruhigen!

Das war der Frankfurter Fasching 1775. Und zwei glückliche Menschenkinder gab es, die ihn selig durchschwelgten.


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