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Wichtige Begegnung

Nach Karlsruhe ging's weiter per Wagen. Die Reitpferde waren von einem Runkelschen Stallknecht nach Frankfurt wieder zurückgeholt worden. Die beiden Reichsgrafen saßen im Fond, Haugwitz ihnen gegenüber, Goethe neben dem Kutscher auf dem Bock. So war's ihm am liebsten.

Ohnehin, er würde jetzt den hochadligen Herren gegenüber ein wenig zurückzutreten haben! War doch eine Einladung vom markgräflichen Hof an die beiden Reichsgrafen ergangen und ebenso an Haugwitz. Er selbst sollte mit eingeführt werden, und durfte es, unbeschadet seines Selbstbewußtseins, geschehen lassen. Markgraf Karl Friedrich war jener mäzenatische Herr, der vor kurzem erst Klopstock monatelang an seinem Hof behalten und ihm weiterhin eine ehrenvolle und sorgenfreie Existenz ermöglicht hatte. Daß dieser Herr auch Goethe gern empfangen und ihm eine gebührende Aufnahme bereiten würde, verstand sich von selbst. Jedenfalls reizte es ihn, sich diesen fürstlichen Dichterfreund einmal näher zu begucken.

Karlsruhe, ein kleines Städtchen von knapp dreitausend Einwohnern, hatte weiter nichts auf sich. Um so feudaler präsentierte sich das Schloß, das nach zwanzigjähriger Bauzeit soeben vollendet und mit allem zeitgemäßen Komfort und aller Rokokopracht ausgestattet worden war. Reichgalonierte Lakaien empfingen die Herren am Tor und führten sie die breite Marmortreppe hinauf, wo sie von anderen Lakaien weitergeleitet wurden. Der Empfang beim Markgrafen und seiner sehr vornehm blickenden Gemahlin wirkte anfangs etwas steif. Das genierte die Stolberg mehr als Goethe, der sofort mit vollem Freimut auftrat und hierdurch das Eis brach. Besonders die Markgräfin erwies sich als eine geistig und literarisch wohl orientierte Dame, die sehr genau wußte, wen sie in Goethe vor sich hatte. Als er am Teetisch neben ihr Platz nehmen durfte, brachte er sofort die Unterhaltung aufs lebhafteste in Gang, und seine originelle und unverblümte Ausdrucksweise, die so sehr abstach vom konventionellen Hofton, amüsierte die Herrschaften aufs höchste.

Goethe ließ die Augen an der Tafel umhergehen und bei einer jungen Dame haltmachen, deren bescheidenes und heiter-sanftes Wesen ihn besonders anzog. Es war die Schwägerin des Erbprinzen, eine hessen-darmstädtische Prinzessin Luise, die, nach dem Tode ihrer Mutter, bei ihrem Oheim, dem Markgrafen, am Karlsruher Hofe Aufnahme gefunden hatte. Mit Interesse vernahm Goethe, daß sie in den nächsten Tagen die Ankunft ihres künftigen Gatten, des jungen Herzogs von Weimar, erwartete, eben jenes Karl August, der im letzten Dezember, bei seiner Durchreise durch Frankfurt, den von ihm bewunderten Werther-Dichter mit ausgesuchter Höflichkeit und Interessiertheit bei sich aufgenommen hatte.

Als nach der Teestunde die Herrschaften umherstanden und sich angeregt unterhielten, wußte sich Goethe der Prinzessin Luise zu nähern und sie durch die Frische seiner Unterhaltung zu fesseln. Sie gefiel ihm immer mehr. Ohne direkt schön zu sein, strahlte sie doch soviel anmutige Natürlichkeit aus, daß aller höfische Zwang darüber verlorenging. Wie sie dastand, auf der Brust einen blinkenden Stern und daneben einige lose hingesteckte Blumen, bot sie einen reizvollen Anblick. Mit besonderer Freundlichkeit sprach sie zu Goethe von ihrem Verlobten und betonte, wie sehr dieser sich freuen würde, ihm in Karlsruhe aufs neue zu begegnen. Als sie beim Hinzutreten eines höfischen Geheimen Rates sich diesem etwas hastig zuwandte, lösten sich ihr einige Blumen vom Busen und glitten zu Boden. Sofort bückte sich Goethe zum Parkett nieder und hob sie auf. Mit eigentümlichem Lächeln blickte er die Prinzessin an und spielte beziehungsvoll mit den in der Hand gehaltenen Rosen. Über die zarten Züge Luisens glitt gleichfalls ein Lächeln und leutselig sagte sie:

»Wenn es Ihnen Freude macht, Herr Doktor Goethe, die Blumen zu behalten, so bitte ich, sie von mir anzunehmen.«

Goethe beugte sich über die Hand der Prinzessin und küßte sie. Sie ist ein Engel, dachte er voll Entzücken. Und mehr noch: ein echter Mensch!

Daheim stellte er die Rosen in ein Glas und als sie zu welken begannen, legte er sie getrocknet in die Brieftasche, die er jederzeit bei sich trug.

Nach wenigen Tagen, innerhalb deren die »vier Haimonskinder« sich am badischen Hofe gut eingelebt hatten, traf auch Karl August, Herzog von Weimar, ein, begleitet von seinem Kammerherrn, Hauptmann von Knebel.

Es ergab sich von selbst, daß der Herzog ungesäumt mit Goethe in neue Verbindung trat. Knebel erschien bei ihm im Gasthof und lud ihn zur Tafel ein, und zwar, da sein Herr sich unpäßlich fühlte, im allerintimsten Kreise. Bloß Luise und Knebel waren außer ihm noch anwesend. Die Unterhaltung verlief um so ungezwungener, als Knebel, der ein großer Literaturfreund und selbst ein nicht unbegabter Dichter war, seit längerem mit Goethe in Verbindung stand und ihn sehr in sein Herz geschlossen hatte.

Der Herzog freute sich besonders über die Werther-Montur, in der Goethe vor ihm erschien, und mochte es beinahe bedauern, daß er selbst nicht eine gleiche zur Verfügung hatte. So seien der Dichter und sein Werk jetzt völlig eins, bemerkte er lachend, und alles, was man mit soviel Ergriffenheit gelesen habe, erscheine nun um so glaubhafter.

Doch müsse er freilich, warf Goethe ein, jegliche Identifizierung mit dem traurigen Helden seiner allzusehr vergötterten Geschichte entschieden von sich abweisen. Vor allem: er habe nicht die mindeste Neigung, sich totzuschießen, sondern gedenke noch recht lange und in vollen Zügen zu leben.

Das gefiel Karl August ganz ausnehmend. Klingend stieß er mit Goethe an und goß seinen Kelch mit Rheinwein auf einen Zug die Kehle hinab. Sein keckes Jungengesicht strahlte in angenehmem Rosa und von irgendwelcher Angegriffenheit war gar nicht mehr die Rede. Im Gegenteil, er ging aufs zwangloseste, fast ungestümste aus sich heraus, klopfte Goethe wiederholt auf den Rücken, lachte mehrfach aus vollem Halse und schäkerte gelegentlich mit seiner Braut, als ob er mit ihr allein wäre. Auch Goethe fühlte nicht die geringste Benommenheit. Mit diesen fürstlichen Personen, dachte er, kann man sich fühlen, als sei man unter guten alten Freunden! So nahm er eine Einladung, recht bald einmal nach Weimar zu kommen und ein paar frohe Wochen dort zu verleben, mit aufrichtiger Freude an, da er sich wirklichen Genuß davon versprach.

Als Knebel ihn später hinausgeleitete, faßte er Goethe zutraulich unter den Arm und redete ihm freundschaftlich zu, die Einladung doch ja recht ernst zu nehmen. Vielleicht könne mehr daraus werden, als ein vorübergehender kurzer Aufenthalt.

»Wie meinen Sie das, Knebel?« stieß Goethe fast heftig hervor. Blieb stehen und faßte sein Gegenüber forschend ins Auge.

»Nun, unser junger Herzog«, erläuterte Knebel bereitwillig, »ist voll edlen und hohen Ehrgeizes. Schon hat er, neben anderen, einen Wieland in seine Residenz gezogen und so spricht man von einem kommenden Musenhof. Da bieten sich ganz unabsehbare Aussichten.«

»Aber an mich wird er doch nicht etwa dabei denken«, fuhr es aus Goethe etwas voreilig heraus. »Ich bin der formloseste Mensch von der Welt und kann nur in völliger Ungezwungenheit leben. Ich – an einem Hof? Was soll ich da? Bücklinge machen und meine Zeit verplempern?«

»Nun, ein Mann mit soviel Talenten –«

»Ich brauche meine Talente für mich selbst, jedenfalls nach eigenstem Ermessen! Was kann einem Fürsten damit gedient sein? Und dann – bis ich Subordination erlernte!« Goethe lachte ungescheut aus vollem Halse.

»Die verlangt niemand von Ihnen. Wer spricht hier von Subordination?« eiferte Knebel. »Sie haben doch eben erst unsern jungen Herrn zur Genüge kennengelernt! Da werden Sie doch gespürt haben, daß er ein Mensch ist, mit dem sich leben läßt! Zuviel Mensch, wirft man ihm bereits vor – und zu wenig Herzog! Aber so ist er: die Ungezwungenheit in Person – und dabei hell und scharfblickend von Geist!«

»Ja, das stimmt – ich muß es eingestehen!« gab Goethe zu. – »Gewiß, er gefällt mir! Und mit Freuden denke ich daran, seine Einladung anzunehmen. Nur ohne Hintergedanken, lieber Knebel!«

»Lediglich mit Freundesgedanken, lieber Goethe! Die werden doch wohl gestattet sein!«

Mit warmem Händedruck trennten sich die beiden Männer.


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