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Drittes Buch
Lösungen

Der heimgekehrte Sohn

Rat Goethe und Frau Elisabeth saßen gerade beim Mittagsmahl, stumm einander gegenüber, und löffelten in der Suppe – da ward plötzlich die Tür aufgerissen und wahrhaftig! ihr Wolfgang kam hereingestürmt und fiel beiden mit lauten Rufen um den Hals.

»Mutter! Vater! Da habt Ihr mich wieder!«

Wie braun er war! Wie seine Augen blitzten! Und der ganze Bursche so springlebendig. Heiß sprudelten ihm die Worte von den Lippen! Begrüßte alles in der Stube, jedes Ding, jedes Bild, wie gute alte Freunde! Und machte sich mit einem wahren Bärenappetit über die aufgetragenen Speisen her! Nur der Anzug, freilich, der sah nicht mehr zum besten aus und war an manchen Stellen abgeschabt.

Das Mutterauge sah alles und schwamm doch in eitel Entzücken.

Der Vater war gehaltener. Und fast ein wenig kritisch. So früh hatte er den Herrn Sohn ja nicht zurückerwartet. Wo blieb die schöne Bildungsreise nach Italien, die er, der Vater, mit soviel Sorgfalt Punkt für Punkt aufgesetzt hatte – und die nun einfach ins Wasser gefallen war!? Einem plötzlichen Stimmungsumschlag geopfert! Neumodische Manieren!

»Nicht böse sein, lieber Vater! Ich bin ja so froh, daß ich wieder da bin!«

Da schmunzelte der Herr Rat. Wenn Wolfgang in der Tonart mit ihm sprach, fühlte er sich machtlos. Was steckte nur in dem Burschen, daß niemand ihm widerstehen konnte?!

Als der Vater sich bald darauf zurückgezogen hatte, um in seinem Zimmer ein Schläflein zu tun, zog der Sohn die Mutter liebevoll beiseite, setzte sich neben sie auf eine kleine Causeuse – und nun begann das Ausfragen.

Wissen mußte er doch endlich, was alles passiert war. Und vor allem: wie es mit Lili stand!

Ach, da war mancherlei zu berichten. Nicht immer Erfreuliches. Natürlich hatte des Bräutigams plötzliches und abschiedsloses Verschwinden die Herrschaften drüben mächtig verschnupft. Und ein Getratsch und ein Gegacker war losgegangen, daß es vom Kornmarkt fast bis zum Hirschgraben herüberhallte. Die ganze werte Familie war in Aufruhr. Die Bernard, die Gontard, die d'Orville, die Wegelin, die Bethmann und gar die Manskopf, alle hatten etwas zu sagen – und die gute Frau Schönemann wußte kaum, wie sie dem Ansturm standhalten sollte. Aber sie wollte auch gar nicht, sie war mit empört. O, diese Standpauken, die sie ihrem bedauernswerten Töchterchen hielt! Dieses aber schwieg. Wahrhaftig, Lili hatte in das ganze Gezeter nicht mit eingestimmt! Frau Rat war auf das genaueste darüber unterrichtet. Sie wußte es von Johanna Fahlmer, der das Mädel sich anvertraut hatte.

»Wirklich? Lili hielt sich tapfer? O liebes, treues Mädchen!«

»Nur nicht gleich so siegestrunken! Lili hat wahrlich genug innerlich ausgestanden! Sie hat sich bei der Fahlmer stundenlang ausgeweint! Weißt Du, ich kann das verstehen. Eine liebende Braut! Und so jählings im Stich gelassen! Und nicht mal eine Nachricht – nicht das kleinste Wörtchen! Schön war das gerade nicht, mein Sohn!«

»Mutter, ich konnte ihr nicht schreiben! Ich durfte es auch nicht! Der ganze Sinn und Zweck meiner Reise wäre zum Teufel gegangen!«

»Na, die Fahlmer hat ihr inzwischen vernünftig zugeredet. Hat ihr klar gemacht, was Du für ein Mensch wärest! Die Unberechenbarkeit selber! Und hättest schon öfters solche Streiche gemacht. Und würdest immer wieder aufs neue welche machen. Ja, die gute ›Tante‹ kennt Dich. Sie hat auch gesagt, daß Du wieder zurückkehren würdest. Fast bis auf den Tag genau hat sie's vorausgesagt. Die kennt Dich.«

Goethe lachte. »Ach, sie soll mal nicht so kerngewiß tun, die gute ›Taute‹! Gar so leicht und vollständig, wie sie sich das denkt, ist der Wolfgang Goethe doch nicht zu durchschauen!«

»Du kannst ihr dankbar sein, der Fahlmer. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn sie Lili nicht beruhigt hätte! Aber gewiß, auch das Mädel verdient sein volles Lob. Es will schon was heißen, von solch einem Familiensturm sich nicht unterkriegen zu lassen. Als man ihr zumutete, die Verlobung für aufgelöst zu erklären, hat sie sich aufs bestimmteste zur Wehr gesetzt. Zumindest, meinte sie, wolle sie warten, bis Du heimgekehrt wärest. Dann würde sich alles finden. Soviel Vertrauen setzt sie immer noch in Dich.«

Goethe biß sich auf die Lippen. »Das gute, arme Geschöpf! Wo ist sie jetzt? Wohl wieder in Offenbach?«

»Freilich, bei ihrer Cousine d'Orville!«

»Ich muß sehen, daß ich bald zu ihr hinkomme. Ich kann Lili nicht entbehren. Das weiß ich jetzt ganz genau. Hab' versucht, sie mir aus dem Herzen zu reißen. Es ist mir nicht gelungen. Und jetzt wohnt sie tiefer darin denn je. Mit allen Fasern hat sie sich festgeklammert.«

»Wolfgang, Wolfgang, bedenke, was Du vorhast!«

»Mutter, das mußt Du mir schon getrost überlassen! – Ich lebe, wie ich leben muß. Bin nur gehorsam einer Macht, deren Stimme ich in mir fühle. Ich selbst tue dazu gar nichts. Das liebe Ding da oben, das Du Gott nennst, und dem auch ich vertraue, hat mein Schicksal fest in seine Hand genommen. Ohne seinen Willen geschieht nichts. Weiß, daß ich darauf bauen kann. So wunderliche Wege es mich manchmal führen mag.«

Er küßte die Mutter auf die Stirn und sie streichelte ihm das Haupthaar.


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