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Im Poetenstübchen

Ein kühl-blauer Mondschein durchsilberte den mittleren Teil der Stube, als Goethe hastig eintrat, den Mantel in kühnem Schwunge aufs Bett warf und dann mit einem ihn mächtig durchströmenden Glücksgefühl auf einen Stuhl sank.

Er schloß die Augen – da stand sie vor ihm!

Sanft-lächelnd schaute sie ihn an. Aus ihren blauen Augen brach ein milder Strahl. Doch ein kichernder Schalk flog durch die Grübchen ihrer Wangen. Und liebreicher Spott versteckte sich in den Winkeln ihrer feingeschwungenen Lippen. Hatte sie seine Verliebtheit erkannt und vergnügte sich darüber nach Mädchenart? Er wollte sich mit Stolz dawider wappnen. Da senkte sie in demütiger Lieblichkeit das Köpfchen und ihre hängenden Arme und wehrlosen Hände sprachen: Nimm mich hin!

Goethe sprang empor und riß die Augen auf. Da war das holde Phantom zerronnen. Sein leeres Zimmer lag vor ihm, mit all den bekannten Möbelstücken, Büchern und Papieren, und bloß der liebe Mondschein kletterte, als von außen hereinkommender Gast, gleichmütig darauf umher.

Was war nur mit ihm geschehen?

War sein unruhvolles Herz abermals in einen unabsehbar neuen Liebeswirbel hineingerissen worden? Und völlig machtlos trieb er darin umher? Er hatte sich doch mit heiligen Eiden geschworen, nun ganz allen »Weibergeschichten« fernzubleiben und hier in seiner Klause einen gottwohlgefälligen Poetenwandel zu führen! Ja, da spottete er bereits über sich selbst! Seine Muse war ein widerspenstiges Frauenzimmer, das sich nicht kommandieren ließ. Die würde ihm glatt jede Gefolgschaft verweigern, wenn er sie etwa durch Enthaltsamkeitsübungen ins Geschirr nehmen wollte. Dichten ist keine Mönchsarbeit! rief sie ihm zu. Tummle Dich fein im Leben herum und laß Dein Herz wie ein loses wildes Füllen üppig umherjagen – so will ich mich gern vor Dir entschleiern! – O diese eigenwillige Muse, die so jeden »vernünftigen« Lebensplan selbstherrlich zerstörte! Trotzdem, er mußte ihr folgen – und – – folgte ihr, ach so gern!

Seltsam! Alle die Stauungen, unter denen er in den letzten Wochen so empfindsam gelitten hatte, sie waren wie mit einem Schlage dahin, wo jetzt sein Blut in neue Wallung gekommen war und ein lockendes Liebeslicht froh vor ihm aufblitzte! Warum sollte er sich weiter in pessimistische Gedankengänge vergraben, wo das Leben ihm neue Blumenkränze zuwarf? Mochte noch vieles durchzufechten sein, dem wollte er sich gewiß nicht entziehen! Einstweilen fühlte er seine Pulse hoffnungsvoll belebt durch den Glanz zweier Veilchenaugen, die ihn hell und innig anstrahlten. Er verdiente ja nicht, ein Dichter zu heißen, wenn er davor die Blicke niederschlagen und sich in das eintönige Grau spinnewebiger Stubengedanken flüchten und einsperren lassen wollte!

Freilich, die Welt forderte, daß er, mit fünfundzwanzig Jahren, nun endlich ein »Mann« werden und einen bürgerlichen Beruf pflichtgemäß ausfüllen sollte. Immer noch steckte er in lauter Spannungen, die ihn bald hier, bald dorthin zerrten und ihn nirgendwo zur Ruhe und Stetigkeit kommen ließen. Gewiß, er fühlte, solch ein Ausgleich mußte einmal kommen. Nur durfte er ihn nicht erzwingen wollen – allzuviel, was als lebenskräftiger Keim in ihm sich regte, hätte dabei zertreten werden müssen. Und alle seine Kräfte – auch die regellos wuchernden – und diese vielleicht erst recht, weil sie eigenartige Entwicklung verhießen – wollte er zur Reife kommen lassen. Er war nicht der Mensch, der sich an kahle Pflichten binden konnte. Dabei hätte er in Grund und Boden verkümmern müssen. Wo nicht die allmächtige Macht der Liebe ihn trieb – einer Liebe, die Natur und Weltall ebenso wie die von ihm auserwählten Menschen umfaßte –, wo dieser Impuls nicht in ihm mächtig ward, da war er tot, weil alle innere Zeugungskraft in ihm gelähmt war!

Ja, er durfte dem neuen Gefühl sich überlassen! Und wahrlich, er wollte es tun und durch keine Art von Selbstquälerei oder von äußerem Dreinschwatzen sich abhalten lassen, so glücklich zu werden, wie er eben vermochte!

»Lili! Lili!« rief er, breitete die Arme aus und preßte sie heiß wieder an die Brust. Als umarme er eine leibhaftige Geliebte! Wie toller Glücksrausch überkam es ihn. Die ganze Stube tanzte um ihn her.

Da hatte er ihren Namen gesprochen, den er bei sich für sie gefunden – statt des allzu alltäglichen »Liese«, wie sie daheim gerufen wurde. Für ihn mußte sie anders heißen als für jedermann. Erst dann wurde sie ganz, wie er sie haben wollte, die Seine! »Lili! Lili!«

Es drängte ihn aufs neue sehnsüchtig zu ihr hin. Er trat ans Fenster, öffnete es und blickte hinaus. Weite, helle Winternacht quoll ihm entgegen, ruhte silbrig über Höfen und Dächern. Ob wohl das Haus, das in der Ferne aufragte, ihr Haus war? Das Haus »Am Liebeneck«, wie es beziehungsvoll hieß? Er glaubte bestimmt, es zu kennen. Dann konnte jenes einzelne im Mondlicht hell leuchtende Fenster – das hoch oben – gar ihr Fenster sein, hinter welchem sie schlief! Wie herrlich, es sich zu denken! Er glaubte, sie zu erblicken, wie sie im Bett lag, weich zugedeckt bis zum Halse, so daß nur das süße, kindliche Köpfchen, umringelt vom Blondhaar, aus den Kissen hervorlugte. Sanft und ruhig gingen ihre Atemzüge, in der Unschuld eines guten Gewissens – nur um die Lippen schwebte, das glaubte er genau zu sehen, ein glückhaftes Lächeln.

Wohnte wohl auch in ihrem still bewegten Herzen etwas wie Ahnung von kommendem Glück?

Reglos stand er am offenen Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Kalter Hauch fächelte um seine Schläfen, den er nicht verspürte. Er schlief beinahe, mit offenen Augen, stehend wie eine Bildsäule. Minuten mochten vergangen sein, ehe es dazu kam, daß ein leiser Schauer durch ihn hinstrich. Das war wie ein müdes Erwachen. Verwundert trat er ins Zimmer zurück und schloß das Fenster.

Also zu Bett gehen! Es mochte auf die dritte Nachtstunde zueilen. Mechanisch begann er sich auszukleiden. Saß dann in Eskarpins und Hemd eine Zeitlang auf dem Bettrand und lächelte verträumt in sich hinein.

Morgen schon, gleich morgen mußte er sie wiedersehen!

Irgendwie würde sich das schon erreichen lassen.

Jedenfalls mußte es sein!

Diesen Entschluß gefaßt, durfte er jetzt schlafen gehen. Behaglich in seine Decke eingewickelt, streckte er sich im Bett aus. Noch summte allerlei um ihn her, Beglückendes und auch Bedrängendes: doch das focht ihn nicht mehr an. Was sollte denn wohl die Bangigkeit? Seinem Schicksal, seinem Stern wollte er vertrauen. Ungewißheiten gab es stets im menschlichen Leben. Er für sein Teil war jetzt glücklich. Wollte es sein.

Lilis Gestalt flog noch einmal, lächelnd, engelhaft, an ihm vorüber. Golden blitzte ihr Haar.

Wie weiche Fittiche legte es sich ihm auf Brust und auf Schläfen.

Ganz leise nur pochte sein Herz.

Und während er hinüberglitt, in ein Reich tiefer Versunkenheiten, formten seine Lippen, schier unbewußt und lautlos, einen hingehauchten Satz:

»Herz, mein Herz, was soll das geben?«


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