Rudolf Presber
Mein Bruder Benjamin
Rudolf Presber

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Einundvierzigstes Kapitel

In dem großen Ausstellungspark hinter dem Lehrter Bahnhof knospt's und treibt's. Die Weiden um den Weiher streuen einen im Lenzwind zitternden junggrünen Schleier ins Wasser. Die Enten putzen schnatternd ihre schillernden Federn und, wichtig mit dem Steiß wackelnd, rudern sie durch ihr bescheidenes Reich, auf dem so warm die lang entbehrte Sonne liegt. Den verbogenen Strohhut im Nacken, knien die Gärtner in den Beeten und graben mit emsigen Händen die Frühlingsblumen ein, die bald hier mit buntem Frohsinn die Geladenen grüßen sollen, wenn die Große Ausstellung den Spitzen der Behörden, der Gesellschaft, der Kunst und der Kritik ihre Tore öffnet zum Weihegang.

In den Sälen aber waltet die Hängekommission fleißig ihres Amtes. Sie probt die Wirkung all der von der Jury zugelassenen bunten Leinwand aus. Hängt hier das imponierende Bildnis eines ordenbesäten Generals ins gute Licht des Elitesaals, dort läßt sie ein paar matte märkische Landschaften, ein braves Genrebildchen ältester Schule im Halbdunkel barmherziger Nebensälchen verschwinden.

Durch die geöffneten Türen über aufgeschichtete Kisten, Teppiche, Handwerkszeug weht die weiche Frühlingsluft. Und wenn die fleißigen Hämmer ein wenig ruhen – wahrhaftig, man hört die Amseln schlagen draußen in den Büschen! Mitten in Berlin, zwischen Auswandererbahnhof und Kriminalgericht, vom Netz der Elektrischen umsponnen und von der nie rastenden Hast der Erwerbenden umtobt, die Amseln . . .

»Der deutsche Frühling ist doch auch schön, was, Ben?«

Er nickt lächelnd, während wir, dem Hauptgebäude zustrebend, über allerlei Bretter und Eisenstücke steigen, die noch herumliegen. »Weißt du was, Adi, wir setzen uns hier noch ein wenig in die Sonne bis Ruth kommt mit dem glanzvollen Gefolge.« Und schon sitzt er und sieht wohlgefällig den schnatternden Enten zu.

»Wie lange warst du eigentlich dort unten, Ben?«

»Fast einen Monat. Zwei Tage München – dann langsam über den Brenner. Ich habe die Brennerroute gewählt, weil . . .«

Er stockt, aber ich kenne die Gründe. Weiß, daß er noch immer den Bahnhof von Heidelberg fürchtet und den Bruch des sich und der kleinen Frau dort gegebenen Versprechens, nicht mehr plötzlich in ihr Leben zu treten.

»Erst war ich von Unrast gehetzt. Hatte auch zunächst Pech mit der Gesellschaft, die ich nicht suchte. Ich wollte doch allein sein. Mitten in der blühenden Kamelienpracht der Villa Melzi über Bellaggio treff' ich Tommy Schupp, der gerade der Herzogin von Melzi zweihundert Flaschen Rüdesheimer Berg und vier stachelhaarige Foxterriers angedreht hat. Foxterriers am Comer See, es paßt nicht recht. Der Tommy selbst hat sich sehr verändert. Ist seit dem Tod des Vaters nur noch Geschäftsmann, Weinhändler, Fox-Züchter. Hat mir strahlend seinen neuesten Trick erzählt, der ihm zur Einführung bei dem hohen Adel, nicht nur in Italien, auch in England dient. Er kauft ein paar Dutzend Rosenkränze, läßt dafür schön geschnitzte Ebenholzkästchen bauen und mit Samt ausschlagen. Für ein hübsches Sümmchen übernimmt's dann ein Kammerdiener des Papstes, die Kästchen mit den Rosenkränzen in einem Korridor des Vatikans auszustellen, den der Papst manchmal durchwandelt. Der Kammerdiener, der ihn führt, bittet dann alleruntertänigst den Heiligen Vater im Vorübergehen die Kästchen zu segnen, was der gütige alte Herr auch lächelnd gewährt. Dann läßt der pfiffige Tommy auf jedes der Kästchen eine Silberplatte anbringen und darauf gravieren: »Persönlich gesegnet von Seiner Heiligkeit dem Papst am soundsovielten . . . im Vatikan zu Rom.« So ein Kästchen bringt er dann als köstliches Geschenk der Herzogin von Melzi mit oder einer Lady in England – er hat ja genug davon. Und die Gerührte, die glaubt, das hat sie nun ganz allein, bestellt die unsinnigsten Posten Rheinweine und kauft, wenn er Glück hat, auch noch ein paar Foxterriers. »Praktisch, hab' ich nicht recht?« würde der tüchtige Moscheles sagen. Aber solche Geschäftskniffe zu hören zwischen wildem Lorbeer und blühendem Oleander, mit dem Blick hinüber nach dem besonnten Cadenabbia und der Villa Carlotta des Meiningers, die durch Magnolien und Zedern schimmert, das ist nicht sehr mein Fall.«

»Ja,« sag' ich, »so alte Freunde wiedersehen, das enttäuscht oft. Bist du ihn denn bald losgeworden?«

»Ja. Sofort, nachdem er fünfzig Flaschen Johannisberger, als meine Bestellung, in sein Buch notiert. Im Hotel Plinius in Como hatte ich dann das zweifelhafte Glück, Ruths Onkel, den Professor Baddach aus Heidelberg, mit Gattin zu treffen. Er hat noch an Gönnerhaftigkeit zugenommen, seit er mich als »Neffen« duzt, und sieht immer noch nach der Uhr, wenn er mit einem spricht. Und die gute Tante langweilt sich, wenn sie die Basilika von S. Abbondio betrachtet oder von Chalet Brunate in die Lombardische Tiefebene heruntersieht, genau wie sie sich gelangweilt hat, wenn sie ihr Fruchteis auf der Molkenkur über Heidelberg aß. Erst in meinem lieben Lugano, wo mich weder Bekannte noch Verwandte drangsalierten, bin ich zur Ruhe gekommen. Und dann in Morcote. Ach, Adi, ist das schön!«

»Allerdings nach den Bildern, die du geschickt hast. Aber – ich meine, war's nicht etwas vorschnell, Ben, daß du dir dort gleich die kleine Villa gekauft hast?«

»Vielleicht. Aber – –« Um Bens Mund spielt seit langer Zeit einmal wieder das liebe, leichtsinnige Lächeln, das sein Gesicht jünger erscheinen läßt. Erinnerungen aus dem Frankfurter Elternhaus blühen auf. Ich höre wieder des Vaters dunkle und doch so freundliche Stimme: »Wär' er besonnen, hieß er nicht der Tell.«

»Der wundervolle Friedhof hoch über den Nebenterrassen hat mir's angetan. Ich gelte für einen fröhlichen Menschen, bin's auch im Grunde. Erst Berlin hat mir ein bißchen die Flügel gelähmt. Aber ich denke so oft an den Tod, wie vielleicht die immer ernsthaften Menschen nicht. Ich hab' mal in Triest in einem Chantant eine kleine französische Sängerin mit rotgeschminkten Backenknochen ein Couplet singen hören, das hatte den Refrain: »On entre et on crie – voilà la vie! – On crie et on sort – voilà la mort!« Sie sang nicht schön, ihre schrille Stimme schien ihr selber weh zu tun; aber sie war schwindsüchtig, glaub' ich, und hat mir sehr leid getan. Ein paar angezechte Kavaliere trieben Schindluderchen mit ihr, klatschten ironischen Beifall in ihre Nummer und warfen sie mit Pfropfen. Da hab' ich sie nachher an meinen Tisch geholt. Hab' ihr eine Flasche Sekt bezahlt, die hat sie in zehn Minuten gierig ausgetrunken. Als sie zutraulicher wurde und anfing, mir Keks in den Kragen zu stecken, bin ich aufgebrochen. Aber denk' dir, als ich auf dem Schiff, von Melide kommend, vorn an der Spitze stehend, auf Morcote zufuhr und hoch über den schattigen Arkaden seiner Piazza, über verwitterten Treppen, Terrassen, Vignien im Schutz des Monte Arbostora die stillen Kreuze ragen sah, da fiel mir plötzlich das Lied der hektischen Chansonette von Triest wieder ein: »On entre et on crie – voilà la vie! – On crie et on sort – voilà la mort!« Was für eine armselige, kurze Spanne liegt doch zwischen den beiden Schreien, dacht' ich; und wie lang liegt und zerfällt man dann, unbeteiligt und schweigend, eh' das letzte elende Knochenrestchen erledigt ist. Da kam mir plötzlich die Sehnsucht, da hinaufzusteigen. Ich hab' eine herrliche stille Stunde oben verbracht zwischen verwitterten Kreuzen und wilden, grellen Blumen, ganz allein, über dem wunderblauen Schild des Sees. Als ich wieder hinuntergestiegen war die vielen, vielen Stufen und, auf den Dampfer wartend, die Via Cantonale entlang schlenderte, fiel mir eine verkäufliche Villa auf, deren Front, einfach und prunklos, hart an der Straße lag. Der Garten mußte direkt auf den See führen. Ich trat durch das offene Tor – kein Mensch zu sehen! Ging durch einen kahlen italienischen Korridor von jenem kühlen, klösterlich strengen Geruch, der so vielen Häusern da unten eigen. Kein Mensch antwortete meinem Ruf. Ich stieß eine zweite Türe auf, sie führte nach dem Garten. Das Licht brach wie flüssiges Gold herein, und die Sonnenwärme stürzte in die Kühle. Wie verzaubert hab' ich wohl minutenlang auf der Steinschwelle gestanden mit geblendeten Augen. Zwischen kleinen Zypressen hindurch über Rosen und blaue Sternblumen, die ich nie zuvor gesehen, der weite Blick über den schimmernden Wasserspiegel, der in stummer Ruhe sich breitet. Eine Trauerweide, herrlich im jungen zitternden Grün, wie ich nie eine sah, gießt ihre schlanken Zweige über einen kleinen Bootshafen und badet sie in den leise die Ufersteine streichelnden Wellen. Schmetterlinge sorglos über allen Büschen und huschende Eidechsen auf dem rissigen Gemäuer und auf den großen weißen Urnen des Altans. Drüben die entzückende Bucht von Porto Ceresio. Darüber die Wucht des Monte Pravello. Und all das ohne Laut, ohne Menschen. Und als ich, ein paar Stufen niedersteigend in den Garten, der mir sommerheiß, betäubend entgegenduftet, das Auge nach links in die Höhe wende, seh' ich über mir, mit Kreuzen und Zypressen gebreitet, vor mir die Madonna del Sasso, den Gottesacker, von dem ich kam, zu dessen Steinen, Inschriften und Toten ich auf andächtigem Gang mich niedergebeugt hatte . . . Kennst du die Stelle in Romeo und Julia, da die feurige Veroneserin den Montecchi zum erstenmal sieht und erblassend seufzt: »Ist er vermählt – so ist das Grab zum Brautbett mir erwählt!« Ich bin ein bißchen aus verliebtem Veroneser Geschlecht in meinen Entschlüssen, das weißt du. Eine halbe Stunde später war – durch Handschlag – die verwunschene kleine Villa mein. Ein halbnackter putziger Schmierfink mit den wundervollen dunklen Augen des Tessin hatte den Padrone geholt. Der war sehr verwundert, daß ich nicht feilschte. Der pfiffige Notar in Lugano am nächsten Tag nicht minder. Was tut's – sie halten vielleicht den Tedesco für einen Narren. Aber, Adi, man handelt nicht um ein Paradies.«

»Und eingerichtet hast du's auch gleich?«

»Ja, da hatt' ich doch was zu tun die vier Wochen. Ich hab' mich mit einer Möbelfabrik in Lugano in Verbindung gesetzt, habe in Mailand – das ist drüben von Porto Ceresio über Varese kaum eine Stunde – allerlei köstliches altes Gerümpel zusammengekauft, auch Bilder und Plastiken – für das Gärtchen ein kleines Dantedenkmal – und jetzt . . . Oh, du mußt bald einmal mitkommen, Adi! Stell dir's nicht großartig vor – aber als Asyl für einen Weltflüchtigen, der in die Sonne sehen will bei Tag und abends durch die Kreuze und Zypressen in die Sterne, kann kein herrlicheres Plätzlein Erde gedacht werden . . . Aber –« er änderte plötzlich den Ton. Seine Stimme, aus der eben noch stolzer Jubel klang, bekam etwas Müdes, als er aufstand und sagte: »Aber wir sind noch in Berlin. Sind wieder in Berlin. Sind in der großen Ausstellung – geduldet zugelassen vor dem Firnistag. Kommen, um Ruths Bildnisse zu sehen und zu bewundern. Und da ist sie selbst schon – wie immer umgeben von ihren Trabanten.«

Ruth kam, strahlend und froh gelaunt, auf uns zu. Sie trug ein fliederfarbenes Foulardkleid, das ihre schlanke Figur gut zur Geltung brachte, und der Florentiner Frühlingshut war mit hellen Syringen leicht umlegt. Sie wußte, daß sie ihren guten Tag hatte, und zeigte lachend ihre schönen Zähne.

»Wissen Sie, Professor,« sie wandte sich an Kaltenborn, der hinter ihr seinen in die Sonne funkelnden Blondbart wohlgefällig zum Fächer strich, und sie zeigte dabei nach mir mit der Schirmspitze: »Wissen Sie, warum der dort, der Schwager und Jurist, sich seinen Syndikatspflichten heute hinterlistig entzieht und stirnrunzelnd hier erscheint? Mein vorsichtiger Gatte hat ihn als Sachverständigen herangewinkt, ob man's »wirklich wagen« soll, Ihr gefährliches Bild von mir dem großen Kunstmob vorzuführen.«

Ich protestierte. Sie ließ es nicht gelten, nahm aber meinen Arm und lachte: »Wilhelm Busch, der große Menschenkenner, gibt das Rezept gegen Sachverständige –« und parodistisch zitierte sie: »Und Franz natürlich gleich bereit – gewinnt das Tier durch Freundlichkeit.«

»Sie können lachen, Frau Ruth,« klagte der Komponist Dondörfer hinter uns, den die Frühlingssonne bereits wieder kräftig hatte transpirieren lassen, »Sie sind wenigstens nur als Judith gemalt, mit dem bluttriefenden Haupte des Assyrers Holofernes in der schönen Hand – aber mich, mich hat der Verleumder Werner Fritzlar als ungekämmten und ungewaschenen Waldmenschen verewigt, hat mir einen zerknitterten Konfirmationsfrack angezogen und eine zerkaute Zigarre in die Pratze geschoben – –«

»Ich hab' das Genialische in Ihnen betont,« maulte Fritzlar unwirsch und stieg bedächtig über einen quer im Wege liegenden Balken, »vielleicht hätt' ich das nicht tun sollen, wenn ich auf sogenannte Ähnlichkeit Wert legte.«

Ben ging als Letzter mit dem Schauspieler Philippos Kallistos, der sein spitzes Kinn tief in ein bunt gestricktes Wolltuch verborgen trug, dem ein scharfes Orchideenparfüm aufdringlich entströmte. Er kaute angestrengt ein zähes Hustenbonbon und spuckte dazwischen geräuschvoll in die Beete. Manieren hatte dieser Menschenbildner nur abends auf der Bühne, wenn es die Vornehmheit der Rolle verlangte. Für das tägliche Leben genügte ihm sein Ruhm.

Der hochgekuppelte Ehrensaal, in den wir eintraten, war schon so ziemlich fertig und in Ordnung. Ein Teppich wurde noch gelegt, und ein Lorbeerkranz mit schwarzer Schleife an der halb vollendeten Plastik eines jüngst Verstorbenen befestigt. Ein paar Herren mit Notizbüchern gingen in fliegenden Mänteln, laut und wichtig, herum, Redakteure illustrierter Blätter, die rasch vor der Eröffnung übermorgen die Reproduktionsrechte der wirksamsten Gemälde für ihre Verlage erwerben wollten. Ein Kleiner riß einen gewaltigen Zylinder grüßend vor den Bauch und wiederholte mit ehrfurchtsvoll gekniffenen Augen immer wieder, daß er die Ehre habe. Moscheles. Hinter ihm auf hohen Stöckelschuhen eine reichlich gepuderte Blondine, die durch ihre betonte Grazie die Herkunft aus der »Schönheitsschule« verriet.

Ruth nickte hochmütig und sagte zu Kaltenborn: »Das dort – neben der stellenlosen Pierrette in Zivil – ist der Generaladjutant meines Mannes. Danach können Sie sich die Armee vorstellen.«

Ich ließ unwillkürlich meinen Arm sinken, so daß der ihre frei wurde. Sie schien es nicht zu bemerken und trat dicht an einen riesigen Schinken heran, der eine äußerst blutige Schlacht des Befreiungskampfes fürs Theater zu bearbeiten schien. Ruth nahm die Lorgnette ans Auge und las die ausführliche Erklärung unten am Rahmen: »Schade, der Mann hätte Schriftsteller werden sollen! Er schreibt bedeutend besser, als er malt.«

»Ja,« nickte Kaltenborn, der den Kollegen von der Historie nicht ausstehen konnte, »er ist auch nicht so schrecklich ausführlich, wenn er schreibt.«

Ruth schaute in einen Nebensaal und floh wieder zu uns zurück. »Um Gottes willen, was hängt da alles zusammen!«

Ben war neben mich getreten und berührte leise meinen Oberarm. Mit einer unauffälligen Kopfbewegung wies er nach einem hohen Bilde in pompösem Goldrahmen, das zwischen einer sonnigen holländischen Landschaft mit den nie fehlenden Windmühlen und einem aristokratischen Familienbilde von gediegenster Langeweile eine schlanke Frauenfigur zeigte. In sanfter Mondscheinbeleuchtung, den roten Vorhang des Gemaches hinter sich schließend, stieg sie die breite Steintreppe eines antiken Palastes langsam hinunter. Ruth!

»Ruth als Judith.«

»Oder als östliche Lady Macbeth.« Dondörfer sprach es vor sich hin. Er hatte nicht so unrecht. Die schöne Witwe aus Bethulia war von Kaltenborn, wie es schien, als Nachtwandlerin aufgefaßt. Wohl schritt sie mit weit offenen Augen, aber der hart ins Leere gerichtete Blick sah nichts, er träumte. Träumte einen blutigen Traum der Rache und des Hasses, der in ihrer Linken Wirklichkeit ward. Denn ihre schlanken Finger krampften sich in die wirren Locken des vom Rumpf getrennten Holoferneshauptes, aus dem das Blut, die Stufen rötend, niederträufelte.

»Der Holofernes hat'n Kopf wie 'n Divisionspfarrer.«

Moscheles stand plötzlich neben mir und hatte das geäußert. Eh' ich zu dem Divisionspfarrer Stellung nehmen konnte, fuhr er, seinen alten Zylinder zärtlich mit dem Ärmel bürstend, mit leiser Stimme fort: »Aber sie ist gut. Frau Ruth Mewes – ein glänzenderes Modell hätt' er nicht haben können. Obschon – Über was ist die Judith gegangen? Über Leichen. Das macht die nicht. Aber wie der Kaltenborn das Orientalische herausgeholt hat! Tja, man malt nicht umsonst – wirklich nicht »umsonst« – seit zwanzig Jahren die weibliche Hochfinanz aus dem Tiergartenviertel – hab' ich nicht recht? Und der Körper, wie der durch das Florgewand durchschimmert . . . man denkt sich ihn mehr, als man sieht. Aber ich möcht' nie häßlichere Gedanken haben!«

Hinter mir sagte Fritzlar zu Dondörfer: »Wird Furore machen, das Bild! Ein bißchen süßlich – ein bißchen Spekulation auf Sensation – aber, zugegeben, gut gemalt – und dann das Orientalische, das Fremde, Ausländische. Das macht das Rennen. Ich persönlich finde, man sollte deutsch bleiben – auch in der Malerei.«

Kaltenborn, für den das nicht bestimmt war, hatte es doch gehört. Sobald man sich seinen Bildern näherte, hörte er alles.

»Die Vorliebe für das Ausländische, lieber Kollege,« sagte er, »mag darin eine gewisse Entschuldigung finden, daß eben ein Volk, und stehe es in der Kultur so hoch, wie es wolle, nicht alles in der Vollkommenheit selbst und allein produzieren kann. Nicht so, wie erlesener Geschmack es wünscht.«

»Sehr wahr,« zustimmend nickte Dondörfer, der gern philosophierte, »schon der restlos schöne oder vollkommene Mensch selbst ist nach alter Überzeugung von einem Volke überhaupt nicht zu liefern.«

Jetzt wickelte sich Philippos Kallistos aus seinem parfümierten Halstuch und gab, indem er die Hand, wie beschwörend Stille gebietend, erhob, mit seiner herzbewegenden, frauenbetörenden Stimme eine Probe seines wundervollen Gedächtnisses: »Ein altitalienischer Spruch überliefert dieses Rezept für die Zusammensetzung der schönsten Frau aus den von verschiedensten Ländern beigesteuerten Körperteilen. Flämische Hüften und deutschen Rücken. Aus Siena das schöne Profil und aus Venedig die Brust. Augen aus Florenz, goldenes Haar aus Pavia. Wimpern aus Ferrara und Bologneser Haut. Aus Verona die kleine, schöne Hand. Aus Griechenland die edle Bewegung und die Muttermale. Aus Neapel die Zähne, aus Rom den Anstand. Die zierliche Art aus Mailand, den Gang aber aus Spanien!«

»Und die Füß aus Bentschen,« äußerte Moscheles neben mir, abschließend und respektlos.

»Man sieht, so einfach hätte es ein Bildhauer nicht, der nach solcher Kennervorschrift arbeiten wollte.« Kallistos senkte das Kinn wieder tief ins wollene Halstuch.

»Ich möcht' sehen, was bei dem Rezept für 'n schauerliches Ragout herauskäme,« brummte Moscheles, der den Mimen Kallistos nicht leiden konnte. Denn der Schauspieler hatte eine unnachahmliche Art, immer an Tobias Moscheles links oder rechts vorbeizusehen, als sei er ein Laternenpfahl.

Ben stand wieder dicht bei mir. »Ich möchte nicht albern sein und nicht kleinlich – aber mir ist das Bild nicht angenehm. Auch noch im Ehrensaal.«

»Nachdem es einmal gemalt ist, Ben – und hängt, wird's schwieriger und peinlicher sein, es kurz vor Eröffnung der Ausstellung noch zu entfernen, als das bißchen Gerede auszuhalten. Und vielleicht – –«

»August – det is ja – die!« Ein Tapezierer, den Hammer in der Hand, erklärte, tiefe Verblüffung im unrasierten Gesicht, einem hemdsärmeligen Kollegen seine Entdeckung. Dazu deutete er mit dem wurstdicken Zeigefinger ungeniert bald auf Ruth, bald auf die Judith im Bilde.

»Aber se hat jetzt mehr anjezogen,« lachte der als August Angesprochene und fletschte seine schwarzen Vorderzähne.

»Det hätt' se vielleicht nich tun sollen –« Der Tapezierer zwinkerte listig mit den Augen. Dann erstickte er fast vor Lachen über seinen Witz.

»Sie können vielleicht Ihre Gespräche in unserer Abwesenheit fortsetzen.« Ben stieg die Röte in die Stirn, aber sein Ton blieb höflich, und er dämpfte die Stimme, damit Ruth nicht aufmerksam wurde.

»Dem steht ja nischt im Wege – daß Sie nach Hause jehn,« nickte der Tapezierer und grinste. Zog es aber denn doch vor, sich bald selbst zu entfernen, nicht ohne den August noch belehrt zu haben: »Det is nu der Freund von se, vastehste.«

In diesem Augenblick kamen, Mann für Mann sich bückend, unter einer stehengebliebenen Leiter drei Herren aus dem Nebensälchen auf uns zu. Drei hochgewachsene, schlanke Aristokraten, gekleidet mit jener selbstverständlichen Eleganz, die nur in Generationen erworben wird und auf die der Schneider erst in zweiter Linie Einfluß hat.

Und als die Herren jetzt auf Ruth zugingen und ihr die Hand küßten, der höchstgewachsene und älteste von den dreien von den beiden anderen stets mit einem leis betonten Respekt flankiert, da erkannte ich erst den einen dann den zweiten, dann den dritten.

»Ben, das ist ja – der Erbprinz«

»– von Baldeneck,« nickte Ben, und ein etwas müdes Lächeln schien sich über mein Erstaunen zu ergötzen. »Höchstselbst ist er's. Und sein Kammerherr, der tüchtige Herr von Birkhuhn, den du ja wohl noch vom nächtlichen Markusplatz her kennst. Und der dritte –«

»Der Freiherr von Buchecker, der dir den Schläger durchs Gesicht gezogen?«

»Er war so freundlich. Aber wir stehen jetzt ganz gut. Die alte Geschichte: mit wem man sich geschlagen, mit dem kann man sich vertragen. Nur wen man haßt, ohne je dreinhauen zu dürfen –«

»Kennst du denn solche, Ben?«

»Eigentlich – nein. Aber vielleicht find' ich noch einen. Der Baron hat mir übrigens gestern Grüße von Willibald von Gollwitz gebracht. Mit dem hat er zusammen eine beschwerliche Reise von Marokko nach Timbuktu gemacht. Eine Spekulation in Straußenfedern, glaub' ich, oder in Straußeneiern. Ich hab' für Spekulationen kein Gedächtnis. Im Grunde sind die beiden doch Abenteurer. Das werden die Herren vom alten Adel leicht, wenn sie – wie diese socii malorum – erst durch ein paar Examina gerasselt sind. Buchecker hat auch den Erbprinzen bei Ruth eingeführt während meiner Abwesenheit am Ceresio. Bisher war sie über die Reichsgrafen im Gotha leider nicht hinausgekommen. Du siehst aber, es macht ihr Spaß, daß der große Wurf gelungen.«

Er hatte recht. Ruths sonst so beherrschtes Gesicht zeigte ein Lächeln der Verklärung. Bruchstücke eines Gesprächs mit ihr vor Jahren flatterten mir unbestimmt durch die Erinnerung. Wie war das doch gewesen –?

Jetzt hatte uns der Erbprinz bemerkt und kam, sehr liebenswürdig, unserer Begrüßung zuvor: »Scharmant, mein lieber Herr Doktor, daß ich Ihnen auch gleich sagen kann –« er drückte dem sich verneigenden Ben herzlich die Hand, »sagen kann, wie sehr mich da neben im Saal das elegante Porträt Ihrer Frau Gemahlin, das unser lieber Fritzlar uns schenkt, ausgesöhnt hat mit dem Bilde dort.« Er deutete diskret nach der Judith. »Das ist mir denn doch ein bißchen zu – sagen wir zu antik, zu realistisch. Und zu blutig. Ich habe zwar erst seit einigen Wochen den Vorzug, die verehrte Gnädige zu kennen, aber ihre unbezwingliche Neigung, nachts Generalsköpfe abzuschlagen, scheint mir in Wirklichkeit gering. Und ich glaube, ihre sehr kleinen Füße – die sind gewiß ähnlich im Bild – stehen mehr auf dem Boden moderner Realitäten, als auf blutbefleckten Treppen orientalischer Paläste. Übrigens« – mit der vollendeten Sicherheit des Weltmanns fügte er das hinzu, denn er sah Kaltenborn sich uns nähern, dem sein unfehlbarer Instinkt sagte, daß von ihm und seiner Kunst die Rede war, »übrigens ist diese Treppe ganz ausgezeichnet gemalt! Man sieht ordentlich das Blut, das aus dem fluchwürdigen Haupte des Assyrers getropft ist, versickern in die moosigen Ritzen. Man fürchtet, die schöne Judith wird ausgleiten, kann fallen, muß fallen – wenn sie nicht die Sicherheit der Schlafwandelnden hat.«

»Diese Sicherheit, Hoheit, soll aber sehr groß sein.« Ben sah dem Erbprinzen lächelnd in die Augen, als er das sagte.

»Allerdings, das soll sie. Sie erinnern sich vielleicht noch der baltischen Komtesse in Venedig –?«

Bens Zähne nagten die Unterlippe. Eine Erinnerung an Venedig schien ihm nicht angenehm aus diesem Munde. Aber es war wohl die Absicht des Erbprinzen, das böse Thema anzuschneiden, um ein für allemal die erfreuliche Harmlosigkeit zu betonen, mit der er die damaligen Begebnisse ansah und angesehen wissen wollte. »Sie war nicht nur eine Clairvoyante, die mir höchst befremdliche Beweise ihrer Seherkunst gegeben hat – wir korrespondieren noch zusammen, besonders sie mit mir – sie war auch eine Nachtwandlerin von Bedeutung, wenn man das sagen darf. Sie soll einmal – die Baronin Tante hat es schaudernd erzählt – diese Dame schauderte leicht, aber sie war wohl das den Sinnestäuschungen aller Art am wenigsten zugängliche Glied der etwas phantastischen Familie – soll einmal im Hotel »Zu den drei Mohren« in Augsburg in einer mondhellen Mainacht auf der Dachtraufe, ein baltisches Volkslied singend, hin und her gegangen sein.«

Ich konnte dem Gespräch des Erbprinzen mit Ben nicht weiter folgen und weiß also nicht, ob es sich noch ausführlicher mit den unheimlichen Traumwundern und den kühnen Unternehmungen gestörter Nervensysteme befaßt hat; denn die beiden Herren, die mit der Hoheit gekommen waren, frischten nun, sehr erfreut, ihre Bekanntschaft mit mir wieder auf. Dabei fiel mir die große Familienähnlichkeit zwischen dem Kammerherrn von Birkhuhn und dem Freiherrn von Buchecker auf. Ich erinnerte mich, daß die Mütter der Herren Schwestern waren, und kam während des ganzen Gesprächs von dem Versuch nicht los, mir aus den scharf geschnittenen Gesichtern der beiden die Mütter zu konstruieren. Aber da unser Gespräch nicht sehr in die Tiefe ging und sich bloß um Bilder, Bühne, Zirkus und Lindenbummel drehte, so haben die Herren meine Zerstreutheit wohl kaum bemerkt.

Als Baron Buchecker, von Ruth gerufen, uns allein ließ, führte mich der Kammerherr zu meinem leisen Befremden mit sanfter Gewalt vor ein Stilleben, das nach den merkwürdigen Dispositionen seines Schöpfers einen gesottenen Krebs, eine unreife Melone und ein in Schweinsleder gebundenes Buch auf einer dunkelgrünen Brokatdecke um einen alten silbernen Kirchenleuchter gruppierte. Während der Kammerherr, das Monokel einklemmend und das Auge kennerhaft mit der Hand beschattend, mit höchster Aufmerksamkeit die Qualitäten dieses Werkes abzuschätzen schien, sagte er halblaut zu mir:

»Herr Doktor – wenn ich Sie nicht durch glücklichen Zufall hier getroffen hätte, wäre ich so frei gewesen, Sie telephonisch anzurufen und um eine Unterredung zu bitten.«

»Mich – um eine Unterredung?«

»Pscht, bitte – nicht so laut –« der Kammerherr beschattete nun das andere Auge mit der Hand und, offenbar mit den Möglichkeiten rechnend, daß jemand auf unser Gespräch aufmerksam werde, redete er bald breiter und lauter von dieser seltsamen Malerei, vor die uns der Zufall geführt, bald rascher und leiser von den Dingen, die ihm offenbar weit mehr am Herzen lagen als dieses rätselvolle Stilleben. »Das Rot des gesottenen Krebses ist, rein als Farbfleck genommen, von einer fabelhaften Leuchtkraft – – Ich hätte gern unter vier Augen mit Ihnen, aber meine Zeit ist in einer Weise beschränkt . . . je weniger der hohe Herr zu tun hat, desto angespannter ist mein Dienst . . . Auch der Brokat – es ist doch Brokat? – ist geradezu glänzend gemalt, nicht wahr? . . . Mir scheint es notwendig, daß ich als anständiger Mensch, der man ja immerhin auch in den Wirrungen des kleinen Hofdienstes gern bleiben möchte . . . Ich hatte damals in Venedig – Sie erinnern sich, als wir von S. Marcuola und dem frühen Tizian, den wir bei Nacht nicht sahen, durch die stille Stadt wanderten – hatte ich besonderes Vertrauen zu Ihnen gefaßt . . .«

»Sehr gütig, Herr Kammerherr, allerdings glaubten Sie zunächst, daß mein Bruder und ich von der fürstlichen Nebenlinie gewissermaßen – beauftragt . . .«

»Ja, in den Nebensälen,« sagte Herr von Birkhuhn sehr laut und mit einem gar nicht in unsere Unterhaltung passenden frohen Gelächter, wobei er sich vorsichtig überzeugte, wie groß die Entfernung von der Gruppe sei, in der jetzt der Erbprinz mit Ruth, Ben und den andern vor einem sehr heftigen »Seesturm im Mittelmeer« in fröhlich sorgloser Konversation stand, »in den Nebensälen hängen auch recht gute Bilder – ein bißchen reichlich vielleicht, wie immer auf solchen Ausstellungen – Nun, ich wollte sagen, nach dieser Unterredung damals war ich überzeugt, daß Sie ein Kavalier durch und durch und so ein bißchen der Mentor Ihres etwas leichteren Herrn Bruders – – ich hätte damals auch gerne, wie soll ich sagen, auf das dem jungen Herrn – dem damals jungen Herrn Peinliche, das ich kommen sah, hingewiesen, hätte gewarnt – oder doch vorbereitet . . . na, Sie verstehen.«

»Das wäre allerdings vielleicht – –«

»Am Platze gewesen. Ja, aber schließlich – Sie müssen gerecht sein – man ist auch in diesen nicht immer säuberlichen Dingen »im Dienst« – und wir, ich und Sie, waren damals bereits am Hotel angelangt. Na, dafür möcht' ich nun jetzt, wo die Dinge vielleicht etwas brenzlicher – oder ernster liegen – – Das alte Buch ist wirklich köstlich! Zum Greifen – und man riecht ordentlich das Schweinsleder und die Sporflecken. Hoheit hat eine alte Boccaccioausgabe, übrigens unerhört illustriert, handkoloriert, voriges Jahr in Ravenna gekauft – –« Und wieder leiser und rascher: »Ich möchte – Ihre volle Diskretion vorausgesetzt nicht wahr . . .«

»Gewiß, wenn Sie wünschen –«

»Ich muß das leider wünschen, denn – diesmal hat die Nebenlinie –, der überhaupt Intelligenz nicht abzusprechen ist, die verteilt sich oft recht schikanös auf Nebenlinien, die Intelligenz – ja, sie hat diesmal besser gearbeitet. Der Erbprinz – um das Schmerzliche so kurz zu sagen, wie es einzig die Zeit erlaubt – der Erbprinz ist so ziemlich ruiniert. Monte Carlo hat ihn schon bös angegriffen, Kairo hat ihm den unschönen Rest gegeben. Da war ein schottischer Lord – ein Schotte, ein Verwandter jener Damen, die . . . es ist manchmal, als ob ein gewisser Sinn der Vergeltung doch . . . Aber es ist ja gleichgültig, wer dem Glücksschwein den Fang gab . . . Der durchlauchtigste Herr Vater lebt immer noch, betrachtet schon morgens früh um vier Uhr – er leidet an Schlaflosigkeit – kostbare Gemmen und alte Stiche durch die Lupe, füttert seine beiden stachelhaarigen Foxterriers, die er von einem Herrn Tommy Schupp, der sich auch, wenn ich nicht irre, auf Sie und Ihren Herrn Bruder berief, für ein Heidengeld gekauft hat, ja – und ist, unter uns, sanft vertrottelt. Aber er lebt, nicht wahr, er lebt . . . Die Erbfolge wird mit jedem Tag fraglicher – die Nebenlinie arbeitet besonders gut in der demokratischen Presse. Es sind hohe Wechsel aufgekauft worden – und die alten Helfer versagen . . . Ich fürchte,« jetzt wurde seine Stimme so leise, daß ich große Mühe hatte, ihn zu verstehen, »fürchte, ohne es zu wissen, Hoheit ist da – in einer Bedrängnis, die gewissermaßen das Herz und den Geldbeutel zu gleicher Zeit bedroht – auf einen ganz – ganz seltsamen, recht fatalen Gedanken gekommen . . . Wenn die Situation nicht drängte und ich eine Aussicht sähe, in allernächster Zeit an ruhigerem Ort mit Ihnen – – Aber das ist leider ganz aussichtslos – und die Entschlüsse der Hoheit sind oft sehr überraschend, sehr plötzlich – Sie erinnern sich der frühen Gondelfahrt damals mit den Koffern und – Na ja – Ich habe Ihr Ehrenwort, daß . . . Ich spreche schließlich zum Bruder, nicht wahr – und in bester Absicht – der Skandal wäre einfach furchtbar – und – ich weiß natürlich nichts Direktes – aber man beobachtet, man ist gewohnt, zu beobachten, kennt den hohen Herrn – auch seine guten Seiten natürlich – Aber das eine ist sicher – – – Einen ganz ähnlichen Leuchter hat die durchlauchtigste Fürstinmutter der Hofkirche in Baldeneck geschenkt. Wenn sie noch lebte, es würde sie gewiß interessieren, von dem Maler dieses Bildes zu erfahren, wo er – – Das eine ist sicher: Hoheit hat Fühlung genommen – ohne mich einzuweihen, also gewissermaßen auch ohne mich zu verpflichten – Fühlung mit einem verwandten mitteldeutschen Hof, dessen Entgegenkommen in der Affäre des Bruders – Sie wissen, er hat eine Operettensängerin – ohne Stimme, aber mit hübschen Beinen – zur linken Hand – – Hoheit hat, wie gesagt, durch eine hochgestellte, aber, wie Sie sehen, nicht diskrete Mittelsperson Fühlung genommen, ob – für den Fall, daß – Sie verstehen – ob eine geschiedene Frau, sehr vermögend und sehr repräsentabel, allerdings bürgerlich und – hm – nicht rein arisch, Aussicht hätte zur Gräfin oder mindestens zur Freifrau erhoben zu werden, wenn – –«

In diesem Augenblick, in dem ich das höchst abscheuliche Gefühl hatte, daß alle die Schiffe, Freiheitskämpfer, holländischen Windmühlen, alten Generäle, samt Judith und Krebs und Altarleuchter sich um mich zu drehen anfingen, sah der Kammerherr den Erbprinzen mit Ruth auf uns zukommen.

Mit einem Lächeln entzückender Harmlosigkeit eilte er den beiden entgegen und sagte: »Nein, was so ein Berliner Rechtsanwalt ein scharfer Kritiker ist! Sie hätten hören sollen, Hoheit, wie köstlich der verehrte Herr Doktor mir das Stilleben dort erklärt hat. Übrigens darf ich ganz gehorsamst ins Gedächtnis rufen, um halb ein Uhr erwartet uns Exzellenz zum Frühstück.«

»Die Exzellenz ist ein Sonderling, geizig und ein starker Esser. Er ißt aber aus Sparsamkeitsgründen nur gut, wenn er Gäste hat.« Der Erbprinz lächelte, indem er sich, Abschied nehmend, über Ruths Hand beugte. »Die Exzellenz verlangt nicht, daß man Konversation macht. Ich darf also dieses köstliche Viertelstündchen in mir nachklingen lassen und mich auf den Tee freuen, den die Gnädige morgen so gütig sein will, mir in ihrem reizenden Heim einzuschenken.«

Ich sah, wie durch einen schwimmenden Nebel, eine plaudernde Gruppe sich entfernen und hatte das Gefühl, daß ich mich – trotz allem – korrekt und höflich verbeugt und von allen verabschiedet hatte.

Ben hatte etwas gewünscht. Ich hatte versprochen. Was war es doch? Auch Ruth hatte noch etwas zu mir gesagt. Und ich hatte geantwortet.

Aber als ich mir jetzt ihre Worte wiederholen wollte, hörte ich, ganz deutlich und mit ihrer Stimme, dieses: »Wenn ich mein Leben eingestellt hätte auf – nun sagen wir auf das Faustsche: »Wer immer strebend sich bemüht« – dann wäre mir, wie ich bin und wie ich's habe, ein kleiner pommerscher Junker denn doch ein bißchen zu wenig. Wenn ich schon mal ein Krönchen vergolden sollte, so würde ich mir sagen: »Vom Vater hab' ich die Statur, das Rechnen und Addieren,« und würde die Zacken sorgfältig nachzählen . . .

Das aber hatte sie eben bestimmt nicht zu mir gesagt. Jetzt nicht. Das lag weit zurück. Das waren ihre Worte gewesen, damals an jenem hellen Morgen auf dem Philosophenweg überm Neckar.

Jetzt hat sie nachgezählt, dacht' ich.

»Ein Erbprinz ist 'ne Sache.« Tobias Moscheles steckte neben mir schmunzelnd sein Notizbuch ein.


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