Rudolf Presber
Mein Bruder Benjamin
Rudolf Presber

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Ich habe das alles erst später so gesehen, wie es wurde und war.

Als ich zum ersten Male, und zwar durch die gute Frau Margarete Morgenthau von Ev' näheres hörte, schien mir die Sache ganz anders. Schien mir verdächtig und gefährlich. Ich fürchtete eine zweite, schlimmere Auflage des Teresinaromans, dessen unerfreuliches Schlußkapitel auf dem Hintergrund Venedigs ich aus nächster Nähe miterlebt hatte.

So kam es, daß ich den aufgeregten Ausführungen dieser oft bewährten Freundin der Familie, die mich, den Kapotthut mit den Kirschen kummervoll wiegend, auf meinem Bureau eigens zum Zweck dieser Mitteilungen aufgesucht hatte, mit wachsender Besorgnis zuhörte.

Frau Morgenthau, die, verwitwet und kinderlos, wie sie war, für niemand zu sparen brauchte und von der vernünftigen Ansicht ausging, daß sie ein gutes Recht habe, mindestens die Zinsen ihres Kapitals restlos persönlich zu verzehren, machte in jedem Frühsommer eine schöne Reise, die sie angeblich nach den italienischen Seen führen sollte. Sie kam aber auf diesen Fahrten über den Vierwaldstätter See nie hinaus. Einmal gefiel ihr das internationale Leben in Luzern so ausgezeichnet, daß sie sich unmöglich von diesem Gewühl von echten und unechten Grafen, Marquisen, Herzögen, Baroninnen im Vestibül des Grand Hotel National losreißen konnte. Ein andermal fesselten sie die Golftourniere der Engländer auf dem Axenfels in einer Weise, daß sie auf der halben Berghöhe über Brunnen unbedingt erst die letzten Entscheidungen auf dem grünen Rasen abwarten mußte. Und dieses Jahr umkreiste sie wochenlang auf den Spuren Richard Wagners die Villa Triebschen, um dem Geist des Bühnenfestspiels vom Ring der Nibelungen, das sie mehrfach im verdunkelten Hause Baireuths gehört, seelisch näher zu kommen. Auf der Rückreise hatte sie dann in Heidelberg Station gemacht. In der doppelten Absicht, die berühmte Schloßruine zu besichtigen und Ben mit ihrem Besuch zu überraschen.

Das erstere gelang ihr, und sie erklärte sich befriedigt davon, wennschon sie unter dem Vorurteil litt, daß zerstörte Schlösser in diesem unbrauchbaren Zustand zu erhalten, besonders zu einer Zeit, da die Wohnungsnot eine immer größere Rolle spielte, eigentlich gegen Sinn und Vernunft der lebenden Menschheit sei. Die zweite Nummer ihres wohlüberdachten Programms, die Überraschung Bens, war ihr hingegen nicht gut geglückt. Das lag daran, daß Ben just einen für zwei Tage berechneten Ausflug nach Heilbronn unternommen hatte; vermutlich um das Haus des berühmten Käthchens zu beaugenscheinigen. Nicht allein, wie Frau Morgenthau durch gewisse Umfragen in Haus und Nachbarschaft, in denen sie Großes leistete, einwandfrei feststellte, sondern mit zwei Freunden, mit denen er zusammenwohnte, und – nun kam das Beunruhigende – mit einer Dame! Einer hübschen und jungen Dame, die einen großen Strohhut mit rosagefärbten Möwenflügelchen trug. Ihr Interesse für den geliebten Sohn der Freundin hatte dann die gute Frau Morgenthau so weit geführt, daß sie sich, unter Berufung auf die alten und innigen Beziehungen zum Hause Mewes, von dem zunächst etwas mißtrauischen Hugo Hagedorn die Wohnung zeigen ließ, um festzustellen, ob der liebe Junge auch gut untergebracht sei und ob es ihm an nichts fehle. Während ein Seitenblick in die Zimmer von Fips und Willibald sie überzeugte, daß es sich hier um behagliche, aber eben nicht ungewöhnliche Studentenbuden handelte, hatte sie in Bens Schlafzimmer sowie in dem offenbar von demselben ordnenden Geschmack betreuten Wohnzimmer deutliche Spuren einer weiblichen Fürsorge unschwer festgestellt. Am Schlafzimmerfenster auf dem Tischchen neben einem blauen Glas mit Blumen gewahrte ihr scharfes Auge ein rotes Nadelkissen in einer verdächtigen Herzform. Und in dem roten Herz steckten zwei Hutnadeln mit Rosenquarzköpfen, die Ben doch unmöglich zum persönlichen Gebrauch da verwahrte. Auch hatten auf dem Klavier zwischen Familienbildern, die sie kannte, und besonders auf dem Schreibtisch, den dicke Bücher belasteten, hübsch gerahmte Amateur- und Kunstphotographien in reicher Zahl herumgestanden, die alle ein und dieselbe junge und, wie Frau Morgenthau zugeben mußte, sehr anmutige und, nach ihren Gesichtszügen zu urteilen, mit sich und der Welt zufriedene junge Dame darstellten.

Frau Morgenthau wäre sich und ihrer Lebensführung durchaus untreu geworden, wenn sie nach dieser beunruhigenden Entdeckung nicht die umfangreichsten Nachforschungen angestellt hätte, wer diese junge Dame sei. Auch hatte sie festzustellen unternommen, wie sie wohl heiße, wo sich etwa ihre Familie aufhalte und welcher Art die Beziehungen sein könnten, die sie mit Ben verbänden. Hugo Hagedorn erwies sich als unergiebig; dagegen hatte die schwerhörige Obstfrau am Wredeplatz und das ältliche Fräulein in einem Blumengeschäft in der Anlage der vorsichtig, aber herzlich Forschenden willig allerlei Wissenswertes enthüllt. Durch diese Hinweise und Mitteilungen war Margarete Morgenthau schließlich nach einigen Irrwegen, die sie leider auch in eine verdächtige kleine Häusergruppe unten am Neckar führten, wo geschminkte ältliche Mädchen sie erstaunt aus den Fenstern anlachten, in ein Korbgeschäft an der Heiliggeistkirche geführt worden. Dort hatte sie, um nichts zu Teueres einzukaufen, aber doch mit dem Budenbesitzer in ein orientierendes Gespräch zu kommen, ein geflochtenes Kinderrasselchen eingekauft. War aber trotz herzlichen Interesses in ihren Kenntnissen nur insofern bereichert worden, als der alte Adam Ackerle mißtrauisch zugab, eine einzige Tochter zu besitzen, die jung und weiblichen Geschlechts sei, der er alles Gute gönne und um deren heutigen Aufenthalt er sich den Teufel gekümmert habe.

So zog Frau Morgenthau mit ihrem preiswerten Kinderrasselchen, für das sie keine rechte Verwendung kannte, ab und holte, da sie den Abendzug nach Frankfurt unbedingt noch erreichen wollte, ihr Gepäck im Hotel. Gerade als sie, den Kutscher zur Eile treibend, denn die Zeit drängte, auf den roten Sandsteinbau des Bahnhofs zufuhr, kam ein flotter Zweispänner mit leichtem Handgepäck vom Bahnhof her. Drei Studenten saßen darin und neben dem einen im Fond eine junge Dame, die den Arm voll Wiesenblumen hatte. Diese erkannte Frau Morgenthau zuerst an ihrem großen Strohhut mit den Möwenflügelchen daran – denn in diesem selben Hut stand das Fräulein auf dem Schreibtisch und auf dem Klavier und auf dem Nachttischchen Bens. Und – da gab's keine Täuschung – der junge, äußerst wohl aussehende Mann im Wagen neben ihr, der den Arm leicht um ihre Schulter gelegt hatte und, wie es Frau Morgenthau vorkam, angenehme Dinge in die lächelnd Zuhörende hineinsprach, war ihrer Freundin Charlotte Mewes jüngster Sohn Ben. Und den beiden gegenüber – wahrhaftig! – saßen Fips Tomasius und Willibald von Gollwitz und schienen sehr aufgeräumt; denn sie hatten beide grüne Zweige in der Hand, mit denen sie gewissenhaft den Takt zu einem Gesang schlugen, den sie halblaut verübten.

Niemand aber in diesem rollenden Wagen nahm die geringste Notiz von Frau Morgenthau, die im Vorbeifahren durch heftiges Winken die Aufmerksamkeit der jungen Leute zu erregen suchte. Sie erreichte aber nichts anderes damit, als daß ein paar Straßenjungen, ihre Beweglichkeit mißverstehend, ihr eine ironische Ovation brachten und schließlich die Zunge herausstreckten.

Frau Morgenthau war so verblüfft von dieser unerwarteten Begegnung, daß sie leider in einen Bummelzug einstieg, anstatt in den Schnellzug. So kam sie nach ungemein zeitraubender Fahrt tief in der Nacht erst in Darmstadt an, das ihr schon bei Tag niemals als unterhaltsame Stadt erschien, das ihr aber bei Nacht vollends mißfiel. Da erst wieder am Morgen ein Zug nach Frankfurt ging, so mußte sie in der »Traube« übernachten, was durchaus nicht in ihrem Programm vorgesehen war und sie sehr verdroß.

Nun saß sie bei mir im Bureau und erzählte mir ihre Odyssee mit einer homerischen Umständlichkeit, die ihr, da sie alles ihre Person Betreffende sehr wichtig nahm, durchaus geboten schien. Da ich mich für den mangelhaften Fahrplan der Main-Neckar-Bahn und den nächtlichen Empfang in der gastlichen »Traube« weniger interessierte, so dachte ich über das von Ben Gehörte nach. Und als die erzählende Frau Morgenthau endlich mit ihren Koffern wieder in ihrer Wohnung ankam und ihren Bericht beschloß, bat ich sie zunächst, unsere Mutter, die in letzter Zeit ein bißchen klapprig wurde und viel an Migräne litt, nicht mit der immerhin nicht aufgeklärten Geschichte zu beunruhigen. Frau Morgenthau versicherte, daß dies auch ihr Wunsch und Gedanke gewesen sei. Wir kamen überein, daß ich nun einmal an einem freien Tag, an dem ich nicht zu plädieren hatte, in Heidelberg nach dem Rechten sehen sollte.

Gerade als sich Frau Morgenthau, vielleicht mit veranlaßt durch das ungeduldige Gesicht meines Bureauvorstehers, der schon zum dritten Male unterbrechen mußte, erhoben hatte, um sich rasch zu verabschieden – was bei ihr immerhin noch lange dauerte – kam mit der zweiten Post ein Brief von Ben. Sie erkannte die Handschrift sofort, und ich mußte nachsehen, ob von ihrem Besuch was drin stehe. Ich überflog den Brief und konnte ihr noch den Herzenstrost mit auf den Weg geben, daß Ben sehr bedauert habe, den so lieben Besuch der Frau Morgenthau verfehlt zu haben.

»Der liebe Junge –« nickt« Frau Morgenthau, und die Tränen, die ihr überhaupt ziemlich locker in den Drüsen saßen, traten ihr in die dunklen Augen –, »er ist doch anhänglich. Ja, das ist er. Aber er weiß auch, ich bin die erste gewesen, die . . .« Und nun kam die Geschichte von dem Sommertag vor zweiundzwanzig Jahren und von dem Teppich mit den Blumenbuketts und der rettenden Hilfe, die sie damals geleistet. Dann ging sie.

Bens Brief aber berührte in Wirklichkeit die Angelegenheit mit diesen Worten:

». . . Neulich hat auch plötzlich die köstliche Dame Morgenthau aus unbekannten Gründen in Heidelberg Station gemacht. Auf der Rückreise von Lugano, das sie nie erreicht. Hagedorn, der allein zu Hause war – wir waren ein bißchen in die Berge –, hatte den Namen der Besucherin vergessen. Aber als er die Kirschen am Kapotthut erwähnte, war ich orientiert. Vielleicht wollte sie mir nur die Geschichte von dem Teppich mit dem Blumenbukett wieder mal erzählen, Repetitio est mater . . . Übrigens, tut sie's noch einmal – dann schieß' ich. Zuchthaus hin, Zuchthaus her, ich schieße. Es ist ja eine liebe Frau und wirklich, ich gönn' ihr alles Gute – aber weißt Du, wie Schopenhauer in einem Briefe an die Mutter Johanna schrieb, mit der er nicht berückend stand: »Es gehört zu meinem Glücke zu wissen, daß du glücklich bist; aber es gehört nicht zu meinem Glücke, ein Zeuge davon zu sein.« Ich finde das großartig ausgedrückt. Überhaupt schreiben kann der Mann. Ei, ja! Aber die Welt als Wille und Vorstellung . . .? Vorstellung – gut. Aber »Wille« – das ist so ein Wort, wie jedes andere, scheint mir, für einen Begriff, nach dem die Herren Philosophen alle seit tausend Jahren mit Stangen im Nebel fischen. Weshalb auch mein großer Lehrer der Philosophie hier – omen in nomine – wie Du aus meinen früheren Ergüssen längst wußtest, wenn's nicht überhaupt zur allgemeinen Bildung gehörte – auch Fischer heißt. Aber ganz Heidelberg nennt ihn nur beim Vornamen: »der Kuno«. In der Trambahn die Schaffner stoßen die Engländer an, die im Baedeker nachlesen, was sie gesehen haben, und flüstern: »Sie, Mister, – dort! Der Kuno!« Und der Wilhelm im Café Häberlein stört die Hochzeitspärchen beim Küssen und Fußeln, um ihnen durch die Scheibe zu zeigen: »Da drüben bei der Milchanstalt geht der Kuno.« Die Blinden von Heidelberg kennen seinen Tritt – jeder Schritt eine Exzellenz . . . Aber Du, Adi, was für ein Kerl, was für ein Lehrer! Die deutschen Lehrstühle scheinen sonst nur zu oft eine letzte Zuflucht für Stotterer und Sprachgestörte. Da ist endlich mal ein Redner. Einer, der die Sprache in der Gewalt hat, wie ein Ziethenhusar seinen Gaul. Die lieben Kollegen und ihre Klüngel sagen zwar: er ist ein Komödiant. Schön. Dann denk' ich an den alten Fritzen. Der hörte den General ruhig an, der dem schneidigen Seydlitz (war er's nicht?) nachsagte: er söffe; und dann klopfte er dem Ankläger mit dem Krückstock auf die Schulter: »Sauf Er auch!« . . . Apropos Saufen und Fischer! Du mußt mal herkommen – nicht nur wegen der verschiedenen guten Flüssigkeiten, die wir hier entdeckt haben. Ich nehm' Dich ins Auditorium Vierzehn mit. Brauchst keine Treppe zu steigen. Gleich Parterre links. Er liest jetzt Schopenhauer – im Grunde gewiß nichts für mich: Pessimist, Weltverekler, Menschenhasser, Weiberfeind – aber wie er den zeigt, erklärt, recht haben läßt . . . Denn das ist das Fabelhafte an dem Kuno, der doch ein so guter Hasser ist: so lang er referiert, hat allemal der andere recht. Nie hält er uns Wahrheitssuchende mit starren Trotz ein selbstgefundenes, eigenes System hin. Nie zwingt er die Zögernden zum Schwur: »Glaubt!« Er behandelt jedes System von Wert als ein Kleinod. Als einen Edelstein, der die wunderbare Fassung seiner durchdachten, formvollendeten Rede verdient. Er läßt jedem echten Denker das Recht, zunächst ungestört von kritischen Bedenken, den Tempel seiner Lehre noch einmal aufgebaut zu sehen. Und erst wenn der Bau in klaren, sicheren Linien, allen meßbar, wie ein tadelloses Modell vor unseren geistigen Augen steht, tritt der nachschaffende Künstler zurück. Dann deutet er auf diesen Pfeiler, auf jenen Gebälkträger und kritisiert: »Sehen Sie dort den Bruch – gewahren Sie dort den Riß – erspähen Sie jene Schwäche des Unterbaus, durch die das Ganze stürzen muß – betrachten Sie jene kokette Verzierung, die eine späte Altersarbeit verrät.« Das aber ist, scheint mir, die einzige Art, uns Junge zu belehren, ohne uns verworren zu machen. Die einzige Art, den Toten gerecht zu werden und den Lebenden den Respekt vor der Arbeit vergangener Jahrhunderte zu wahren. Du mußt ihn mal hören, Adi! Also wenn er auf dem Katheder sein kleines Schlüsselchen – Gott weiß, was es schließt – aus der Tasche zieht, um mit ihm zu spielen – denn anders kann er nicht reden, scheint's; und vielleicht weiß er auch, daß die silbergefaßten Brillantringe besonders schön leuchten bei diesem Spiel . . . und er hat gepflegte Hände, wie sie jeder Kopfarbeiter haben sollte . . . Dafür darf der Kopf dann faltig sein und zerrissen und ein wenig wie eine böse Bulldogge – das macht nichts. Wo war ich –? Ja, wenn er also mit dem Schlüsselchen spielt und das schwierigste so klar und einfach und verständlich herauskommt, dann begreift man die Begeisterung, mit der seine alten Schüler an ihm hängen. Und begreift – Du, jetzt staune! –, daß der Ben Mewes, Adis geschätzter Bruder, der sonst den Fleiß nicht erfunden hat, erst zweimal das Kolleg bei ihm versäumt hat. Vierstündig vormittags – dreistündig nachmittags. Macht sieben Stunden in der Woche. Daneben Literatur – Minnesänger und Lessing. Und Kunstgeschichte – Altertum. Ein bißchen trocken. Gips, kein Marmor. Das Parthenon, im Modell, ohne Sonne . . . Aber geschwänzt wird überhaupt nicht. Und das in einem Sommer, Adi, der so hell und so herrlich ist, der uns so viel Sonne geschickt hat. Und – mir, mir besonders! Und diese Mondnächte – also, Adi, Venedig war ja herrlich und in der Nacht die goldene Brücke nach dem Lido unvergeßlich! Und der Blick auf den Monte Rosa – war er's nicht? Mir kommt vor, es ist schon so lang her. Aber, komm hierher, und ich führ' Dich – übrigens nach einem sehr eßbaren Abendessen in einem Weinstübchen, das ein famoser Holländer mit ganz unwahrscheinlicher Perücke für Schlemmer offen hält – führ' Dich hinauf vor den Otto-Heinrich-Bau, wenn der Vollmond wie ein Spitzbube über die Berge kommt. Und dann laß ich Dich – wenn Du brav bist – zu Füßen das schlafende Heidelberg sehen mit seinen lieben, lieben Sträßchen und den Neckar, der so gemütlich die letzte große Schleife zieht, und in der Ferne den Rhein. Unsern Rhein, an dem die alten Herren begraben liegen, die einmal auf Kanzeln und in kleinen Bürgermeisterstuben unseren Namen getragen haben und unser frohes, fränkisches Herz. Und neben mir, Adi, Du, neben mir, ganz dicht, zeig' ich Dir – denn Du bist ja erwachsen und darfst so was sehen – vielleicht etwas Süßes, Gutes, Lebendiges – etwas, das zu diesen Sommernächten gehört, wie Scheffel zu Heidelberg, wie Heidelberg zur Pfalz, wie die Pfalz zu Deutschland und wie Deutschland zu des lieben Gottes schönstem Gartenstück! . . .«

Ein echter Ben-Brief. Ein Durcheinander von Tatsachen und Stimmungen und hinter allem sein fröhlicher Jungenkopf mit den roten Backen und den blitzenden Augen.

Jäh brach die Epistel ab. Mir schien, da kam jemand dazwischen.

Der flüchtige, auch etwas verwischte Schluß enthielt nur noch Grüße für alle, und als Postskriptum die Mitteilung, daß er Gelegenheit habe, »sehr preiswert« eine Louis-XVI.-Kommode für fünfzehnhundert Mark zu kaufen, an der aber die Beschläge nicht echt seien und der Schlüssel fehle. Ob ich sie wolle? Und daß er mich bitte, doch der Mutter aus ihrem Album seine Kinderbilder zu stibitzen – heimlich und – großes Ehrenwort! – nur leihweise – es interessiere sich in Heidelberg jemand dafür.

Der Brief bestätigte mir, was das scharfe Auge der Frau Morgenthau wachsam erspäht hatte.

Gottlob, Heidelberg lag nicht so weit wie die Dogenstadt! Die Fahrt dahin konnte – hin und zurück – unauffällig, wenn's sein mußte, in einem Tag erledigt werden. Verdacht zu schöpfen brauchte keiner. Ben selbst hatte mir ja nahegelegt, ihn zu besuchen. Und dann hatte meine Schwägerin Elsbeth, die sich kürzlich mit dem ältesten Sohn des Pfarrer Knospe verlobt hatte, mich in vertraulicher Unterredung unter vier Augen gebeten, doch von Ben die drei dummen Briefe zurückzuerbitten, die sie ihm in ihrer Backfischschwärmerei aus der Pension geschrieben. Die seinen hatte der Rat Tomasius, dem seit zwei Jahren schon ein weißer Marmorblock auf dem letzten Stübchen lag, noch persönlich in der ihm eigenen Gründlichkeit erledigt.


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