Rudolf Presber
Mein Bruder Benjamin
Rudolf Presber

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Sechzehntes Kapitel

Ich sang nicht, wie Ben getan hatte, bei der Abfahrt: »Da–hin – da–hi–i–in möcht' ich mit dir.« Und schwenkte auch kein grünes Hütchen. Ich war recht ärgerlich.

Ich wäre ja recht gern einmal nach Italien gefahren, aber mit Käthe und in schöner Ferienruhe. Nach Vorbereitungen durch Hehn und Gregorovius; nicht bloß, wie jetzt, mit einem rasch antiquarisch erstandenen Baedeker, einem kalten Huhn, einer Flasche Rotwein, einem leichten Coupéköfferchen und schwerer Besorgnis.

Auf dem Gotthard war's mörderlich kalt, und ich fror in meinen für die Sonne des Südens berechneten Sachen. An der Grenze nahmen mir die Kerle von der Douane meine Zigarren ab.

In Mailand kam ich mitten in der Nacht an, fuhr nach dem Hotel Metropol.

Dieser angenehme Gasthof befand sich nach Tante Tüßchens Erinnerung in einer besonders ruhigen Straße. Das war nun einer der vielen Irrtümer, denen das Gedächtnis der sonst vortrefflichen Frau bei ihren Reiseerinnerungen unterworfen war. Das Hotel Metropol lag nicht in einer »besonders ruhigen« Straße, ganz im Gegenteil direkt am Domplatz. So daß ich die ganze Nacht kein Auge schließen konnte, weil der beträchtliche Lärm der erwachenden Straßen zu meinem zweifenstrigen Vorderzimmer aufbrandete.

Ein rascher Gang durch den Dom. Vor dem geschundenen Bartholomäus – als ich gerade die stolze Inschrift entzifferte: »non me Praxiteles sed Marcus finxit Agrates« und mir gestand, daß ich auf die Vermutung mit dem Praxiteles keinesfalls allein gekommen wäre – näherte sich mir ein Führer. Der bot mir erst leise flüsternd »una bella ragazza« an – dann, da ich schweigend zu Tandardinis Geburt der Jungfrau weiterschritt, schlug er mir vor, mir vom Turm des Doms den Monte Rosa zu zeigen.

Der Monte Rosa, den ich zu sehen verschmähte, führte mich zu meiner Aufgabe zurück. Eine Stunde später saß ich im Zug nach Verona zwischen einem Priester, der schlief und nach Weihrauch roch, und einer Dame, die in einem Korb zwei lebende Hühner hatte.

In der »Colomba d'Oro« in Verona, nach übler Fahrt glücklich gelandet und von einem schwarzlockigen Kellner wortreich empfangen, hatte ich mit meinen paar italienischen Brocken wenig Glück. Man verstand, weiß der Teufel wieso, daß ich einen Abbate aus Pavia zu sehen wünsche, der hier abgestiegen war, aber gerade in San Zeno die Messe las. Dann empfahl man mir die Besichtigung der sehr sehenswerten Arena.

Endlich verstand mich der herbeigeholte Pikkolo, der überhaupt intelligenter schien, als der Kellner, dessen Kopf wohl durch die anstrengende Produktion dieser unerhörten schwarzen Haarfülle ganz in Anspruch genommen war.

»Il Signore tedesco –?« Der Pikkolo machte nun zunächst seiner Umgebung – auch ein üppiges Zimmermädchen, das vor zehn Jahren eine Schönheit gewesen sein mußte, hatte sich eingefunden – den schwierigen Fall klar. Ich suchte den jungen deutschen Herrn, der hier mit einer Dame gewohnt.

»Sua cugina,« erläuterte grinsend der Ober.

Das Zimmermädchen nickte hoheitsvoll und erläuterte: »Sua parente

Der Pikkolo führte mich, sehr aufgeregt, in die Zimmer der Herrschaften. Eins links am Gang, die Aussicht nach der Piazza, eins rechts vom Gang mit dem Blick nach einer Gasse.

»Aber die sind ja leer?«

»Si, Signore –«

»Abgereist?« »

»Per Venezia, si, Signore. Con sua cugina.«

Und wieder äußerte das Zimmermädchen, hoheitsvoll nickend: »Con sua parente

Der Teufel hol die cugina und die parente, dacht' ich. Und ich versuchte festzustellen, welches Hotel der Lagunenstadt der Signore tedesco con sua cugina mit seinem Besuch zu beehren gedachte. Da zuckten die drei die Achseln. So weit hatte er sich ihnen leider nicht anvertraut.

In Venedig warteten meiner große Überraschungen.

Ich stieg in der »Citta di Monaco« ab, dicht am Markusplatz. »Deutsche Bedienung« stand im Baedeker, das hatte mir dieses Hotel empfohlen.

Der erste Mensch, der mir entgegenkam, als ich, erwägend, wo ich eine Fremdenliste einsehen könnte, das Sträßchen nach dem Markusplatz entlang ging, war der Dichter Otto Honneff.

»Doktor, was machen Sie hier?« Er streckte mir sichtlich erfreut die Hand entgegen. »Wollen wir im Café Scizzero eine Partie Schach spielen?«

Das war nun allerdings nicht mein Reisezweck, sofort nach meiner Ankunft in dem noch nie geschauten Venedig in einem Café am Markusplatz mit Otto Honneff Schach zu spielen. Ich sagte ihm das ehrlich.

Er begriff das rasch mit seinem sonst bei Dichtern nicht häufigen Sinn für das Praktische. Als ich Bens Namen erwähnte, blieb er stehen und äußerte hocherfreut: »Ben – hier? Also doch!«

»Wieso – also doch?«

»Ich habe mich also nicht getäuscht. Er war's. Ich sah einen jungen Herrn, sehr elegant, sehr vergnügt, mit einer – einer, na, sagen wir etwas auffallenden Dame ins Hotel Danieli eintreten –«

»Wann?«

»Etwa vor einer Stunde. Ich dachte mir, wenn ich nicht wüßte, daß der wackere Ben Mewes in Freiburg studiert –«

»Das Semester ist zu Ende. Er hat Ferien.«

»Ach, ja – richtig! Aber ich hatte den Jungen auch nicht so männlich, so flott und fertig in Erinnerung.«

»Man wächst und entwickelt sich. Beim Studium und auf Reisen.«

»Besonders auf Reisen,« nickte der Dichter. »Zu Hause studiert man das Leben schlecht. Und Sie – wollen Sie auch studieren hier?«

»Nein, ich . . . Aber Sie sagten ins Hotel – wie hieß es?«

»Danieli. Es ist wohl das beste, vielleicht auch das teuerste am Platz. Liegt an der Riva degli Schiavoni gleich beim Dogenpalast im alten Palazzo Dandalo.«

»Großer Gott!« In einem alten Palazzo beim Dogenpalast – das sah Ben ähnlich! »Lassen Sie uns rasch dahin gehen – oder können Sie mich nicht begleiten?«

»Doch, doch. Ich habe ja gar nichts zu tun. Das ist hier übrigens die allgemeine Beschäftigung. Ich bin mit meinem Freund, dem Baron, hierhergekommen. Kaum sind wir angekommen, sein Diener ist noch beim Auspacken, kommt ein Telegramm! er muß zurück. Nach Berlin. Keine ruhige Stunde hat doch so ein vielbeneideter Mann! Aber ich – nun bin ich mal hier, in meinem alten lieben Venedig . . .«

»Sie kennen die Stadt?«

»Kennen ist kein Wort. Ich könnte blind drin spazierengehen. Das ist das Feinste an dieser Stadt, sie verändert sich nicht. Kommen Sie mal woanders hin nach zehn Jahren – nichts ist mehr, wie früher. Wo ein Kunstsalon war, seift ein Friseur die Droschkenkutscher ein, und wo ein Patrizierhaus stand, verkauft ein Stift Bismarckheringe. Eine Weinstube ist ein Spritzenhaus geworden; und wo einmal ein hübsches Mädel hinter Geranientöpfen Strümpfe strickte, qualmt ein Polizeiwachtmeister seinen Knaster über blauen Aktendeckeln. Hier – zwischen der Punta della Motta und dem Campo di Marte verändert sich nichts. Den Canal Grande können sie, Gott sei Dank, nicht asphaltieren, und aus Santa Maria della Salute wird, solange die alte Erde sich dreht, kein Rangierbahnhof. Mir ist's sogar immer, als säßen noch dieselben Tauben auf dem geschwärzten Marmor der Prokurazien und unter den Hufen der vier Erzrosse von San Marco. Dieselben, wie damals, als ich vor dreißig Jahren zum erstenmal unterm Torre dell' Orologio her diesen schönsten und verwunschensten Platz der Welt betreten. Sie müssen heute abend mitkommen! Ich habe Ihnen eigens den größten Künstler Venedigs, den Vollmond bestellt. Und die Musik spielt . . .«

»Alles sehr schön. Aber leider, leider bin ich Unseliger nicht hier, um San Marco zu besichtigen, die Tauben zu füttern und den Vollmond zu betrachten.«

Und ich erzählte ihm Zweck und Sinn meiner eiligen Reise.

»Ich habe eine besondere Sympathie für Ihren Bruder Ben,« sagte der Dichter und zündete umständlich eine neue Virginia an, während sich zwei zerlumpte Bengelchen, heftig keifend, um den weggeworfenen Stummel balgten. »Man hat mir erzählt, wie schön und mitleidsvoll der gute Kerl unserer teuren Leonie die letzte Stunde erleichtert hat . . . Dann hab' ich ihn mal in der »Stadt Athen« von der Ferne betrachtet. Er hat eine Art, genüßlich Wein zu trinken, die nicht allen Deutschen eignet, am wenigsten den heutigen Jungen, die über die eklige Quantitätssauferei und den öden Komment ganz vergessen, daß die Liebe zu edlen Getränken nur ein Weg zur Begeisterung, zur Steigerung der Persönlichkeit ist.«

Der Dichter Honneff sagte auf dem Weg zum Hotel Danieli noch mancherlei, vielleicht sogar Besonderes, über die verständige und seelischen Nutzen bringende Art, mit gegorenen Getränken umzugehen. Ich aber war nicht mehr recht bei der Sache. Mein bewundernder Blick ruhte zum erstenmal auf dem wettergeschwärzten Marmor von San Marco, durch den das Gold der Mosaiken leuchtete, auf den leicht geschwungenen Bronzepfeilern der Bibliothekhalle des Sansovino, auf der imponierenden Pracht des Dogenpalastes. Dann schweifte das Auge in heller Sonne über die Riva, deren buntes, lautes Leben mich entzückte, und über das stillgrüne Wasser, auf dem die schwarzen Gondeln, silberne Furchen ziehend, leise glitten. In der Ferne ruhten, grau und schwer, ein paar Panzer.

Im Eingang zum Hotel Danieli grüßte Otto Honneff ein unscheinbares Männchen, das mit gelangweiltem Gesicht in einem blauen Sakko und weißen Hosen mißmutig in die Sonne trat.

»Das war einer aus der Familie Vanderbilt,« flüsterte der Dichter. »Er kam gestern mit seiner Jacht von Triest.«

Da ich mich nach dem Prinzen aus der Dollardynastie umsah, rempelte mich ein robuster Herr an. »Sie – kennen S' net a wenig Obacht geben? Wann S' sich was anschauen wollen im Rücken, nachher laufen S' net vorwärts dabei!«

Mit dieser geraunzten Ermahnung war der baumlange Hotelgast, ganz in Weiß, an mir vorbeigekommen.

Der Portier dienerte ihm, die Mütze in der Hand, mehrfach nach und wünschte angenehme Unterhaltung.

»Wer war das?« fragte der Dichter den Pförtner, der sich wieder gefaßt hatte.

»Das war der Erzherzog Leopold Ludwig von Österreich.«

»Bloß?« fragte ich unwillkürlich. Und freute mich, daß der Portier deutsch sprach. Wurde aber gleich wieder traurig bei dem Gedanken, daß Ben ausgerechnet in so einem unerschwinglichen Hotel, in dem lauter Vanderbilts und Erzherzöge verkehrten, mit der Cugina wohnte.

Der Pförtner, nach Ben befragt, besann sich einen Augenblick. »Ach, das ist der Herr, der gestern die beiden Affen gekauft hat?«

»Um Gottes willen – zwei Affen hat er gekauft? Was will er denn damit?« Mir fiel ein, daß Ben die Neigung hatte, zu Geburts- und anderen Festtagen Verwandte und Freunde mit Präsenten zu überraschen, die ihm selber Spaß machten, und von denen er irrigerweise annahm, daß sie auch andere entzücken mußten.

Es war zu meiner Herzenserleichterung eine Verwechslung. Auch der Herr, der den Paolo Veronese im Dogenpalast kopieren ließ, war er zu meiner Genugtuung nicht. Als wir durchblicken ließen, daß der junge Herr, den wir suchten, vermutlich nicht allein hier abgestiegen sei, sondern mit einer lieben Verwandten, nickte der Pförtner verständnisvoll.

»Jawohl – ganz recht. Der junge Signore ist mit der Dame und Seiner Hoheit in der Privatgondel des Duca della Palma nach dem Palazzo Vendramin gefahren.«

Ich war, auch von der langen eiligen Reise etwas überanstrengt, schon ganz wirr. Ein Vanderbilt, ein Affe, ein Erzherzog, ein Paolo Veronese – und jetzt wieder eine Hoheit. Und gleich in einer herzoglichen Privatgondel! Solche Fülle erlebte man, als junger Frankfurter Anwalt, sonst nur in der Operette.

»Da fahren wir vielleicht am besten nach dem Palazzo Vendramin?«

»Der ist um diese Zeit nur für Bekannte und Freunde des Duca della Grazia geöffnet.«

Schon wieder ein Duca! Und wie kam Ben, zwei Tage in Venedig, zur Bekanntschaft mit all diesen Ducas und Hoheiten? Freilich, mich hatte ja auch vorhin gleich ein Erzherzog apostrophiert, wenn auch nicht freundlich, er hatte doch mit mir gesprochen. Die höchste Aristokratie schien in dieser merkwürdigen Stadt ohne Pferde und ohne Hunde das gewöhnlichste Publikum zu sein. Ich hätte mich in diesem Moment gar nicht gewundert, wenn der dicke Herr, der dort ächzend und schweißtriefend einer Gondel entstieg und, seinen photographischen Apparat hinter sich herziehend, dem Hotel zustrebte, sich mir plötzlich als der Doge Dandalo vorgestellt und mich zu der berühmten Zeremonie seiner heute abend stattfindenden Vermählung mit der Adria persönlich eingeladen hätte.

»Wissen Sie, wo die Herrschaften den Abend verbringen?« Diese sehr vernünftige Frage hatte Otto Honneff gestellt.

»Ich hörte die Herren davon sprechen, daß sie abends im Restaurant des Café Quadri speisen wollten.«

Wir dankten und gingen. Bis zum Abend war ich also, ohne mein Zutun, beschäftigungsloser Gast Venedigs. Otto Honneff erwies sich als kein schlechter Führer. Er hatte freilich die Neigung, mein Interesse für versteckte kleine Osterien, in denen man hervorragende Rotweine für billiges Geld trank, zu überschätzen. Er machte zwischen den Sehenswürdigkeiten Station in der Fiaschetteria Toscana, mischte sich mit mir unters venezianische Volk in der Mondo Nuovo und zeigte mir – warum, weiß ich nicht mehr – eine eingemauerte Kanonenkugel in der Wand der Graspo d'uva, wo wir einen Vino della botte tranken, den ich nach seinem klingenden Namen für ein höchst adeliges Gewächs halten mußte, der aber in Wahrheit nichts weiter als ein billiger, aber erfreulicher Landwein vom Faß war. Aber in dieser flüchtigen Einkehr in wunderliche Kneipchen – »man muß wie Uferschwalben zu trinken verstehen,« bemerkte er verschmitzt – erschöpfte sich die Führung Honneffs nicht. Er ließ mich auch einen entzückten Blick tun ins Innere der Markuskirche, hetzte mich durch die Säle der Akademie, schleppte mich durch das Gewühl des Rialto, zeigte mir den zum Himmel stinkenden Fischmarkt, stellte mich, plötzlich aus einem engen Gäßchen vorbrechend, vor das Wunder der Reiterstatue des Colteoni und erklärte mir unter der Holzdecke der Madonna dell' Orto vor dem heiligen Stephanus seine fromme Vorliebe für Palma Vecchio. Dazwischen aßen wir irgendwo unter einem nicht sehr blattreichen Baum, dem einzigen, den ich bisher in Venedig gesehen, sehr fette Makkaroni und tranken einen schweren, dunklen Chianti dazu, der wie Purpur im Glase leuchtete. Irgendwo sang ein erfreulicher Tenor zur zittrigen Mandoline: »O dolce Napoli . . .«

Meine Füße waren müde von all den Brückchen und Treppen, meine Augen von Marmor, Gold, Bronze, Mosaik und dem raschen Wechsel greller Sonne auf den Plätzen und den tiefen Schatten in den malerischen Gäßchen. Und in meinem Kopf schwirrten Namen durcheinander, bald drohend, bald zärtlich, bald fragend, bald erläuternd, wie lauter ehrfurchtbehangene Vokabeln aus einer wundervollen Sprache, deren das deutsche Ohr sich, lernbegierig aber mühsam, bemächtigte. Tintoretto, Colleoni, Ca' d'Oro, Piazzetta, Giacomuzzi, San Giovanni, Papadopoli, Sebastiano, Bellini, Pordenone, Giovanelli, Vaporetto . . . Und dazwischen hörte ich Mädchenlachen und die eintönigen Rufe der Straßenhändler.

Um die achte Stunde saßen wir im Restaurant Quadri im ersten Stock. Rings um unser hübsch gedecktes Tischchen aßen vornehme Venezianer merkwürdige Gerichte, tranken dunklen Wein dazu, lasen Zeitungen, disputierten und benutzten eifrig die Zahnstocher. Viel Fremde waren da. In der Ecke langweilten sich ein paar Engländer. Am Fenster zankten sich Franzosen über einen Leitartikel des »Temps«. Den Erzherzog, der mich auf der Riva gerüffelt hatte, erkannte ich hinter einigen Flaschen Asti Spumante, die er bereits in angenehmer Gesellschaft geleert hatte. Hinter uns las ein Vater seiner Tochter in unverfälschtem Sächsisch einen Brief aus Dresden vor.

Ben war noch nicht zu sehen. Wenn er nun gar nicht kam? Wenn ihn irgendein Duca eingeladen hatte?

Und wenn er kam? Wie sollte ich das Wiedersehen einleiten, wie ihm rasch und eindringlich den Zweck meiner Reise erklären? Dieser fatale Vino della botte hatte mir den Kopf heiß gemacht, und der Chianti – schon wieder stand er vor uns! – legte sich mir etwas schwer auf die Zunge. Ja, ja, »o dolce Napoli . . .« Das heißt, ich war ja in Venedig. Aber mir schien, das war jetzt dasselbe.

»Ich finde das unverantwortlich von Ben, uns so lange warten zu lassen!«

»Er weiß doch gar nicht, daß Sie da sind.« Damit hatte der Dichter Otto Honneff, der mich erstaunt ansah, nicht unrecht; und er belohnte sich durch ein gewaltiges Stück Hühnerleber, das er sich geschickt aus dem Risotto à la Milanese herausfischte.

»Unglaublich, was so ein Junge riskiert! Die erste große Reise – und gleich eine Freundin und den Duca . . .«

»Was denn?« Honneff goß sich aus dem strohumsponnenen Fiasko ein neues Glas von dem scharlachroten Chianti ein, der seinen Beifall hatte. »Wenn die Jugend nichts mehr riskiert, wer soll's tun? Geheimräte springen nicht über Gräben; und Großmütter fangen selten an, auf Rollschlittschuhen übern Asphalt zu laufen. Die Jugend ist dazu geschaffen und ausersehen, das für Aufrechterhaltung des regulären Weltbetriebes notwendige Quantum an Torheiten zu leisten. Von diesen Torheiten bleibt dann allemal eine bedeutende Auslese übrig, wächst und entwickelt sich unter behutsamer Pflege zu Weisheiten und Dauerwerten. Wovon ein immer gescheiter und richtig prophezeiender Prozentsatz der lieben Mitwelt dann »gleich gesagt hat«, daß es unbedingt Weisheiten und Dauerwerte sein mußten . . .«

In diesem Augenblick sah ich Ben eintreten.


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