Rudolf Presber
Mein Bruder Benjamin
Rudolf Presber

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Neununddreißigstes Kapitel

Ein wunderschöner Oktobermorgen, sonnig und klar.

Bis tief in die gradlinigen nüchternen Straßen des Westens dringt ein herber Hauch aus dem Tiergarten, dessen englische Rasenflächen die alten Bäume jetzt mit ihren, wie zum Fest gefärbten Blättern überstreuen. Von den grünen und grauen Gittern der Balkons fällt, wie eine Welle von Blut und Gold, das Rankenwerk des wilden Weins. In den kaum geöffneten kleinen Blumenläden, eingestreut in all die Nützlichkeit, in Mode und Weltstadtluxus, leuchten aus kurzem Grün die bunten Scheibenblüten der Astern; von langen, schwanken Stielen nicken die Chrysanthemen.

Dienstmädchen, die weißen Häubchen im Haar, mit Körben am Arm. Offiziersburschen, die ihres Herrn Reitpferd langsam auf dem Asphalt bewegen. Ein Geheimrat, der in bedächtigem Wandeln seine perlgrauen Handschuhe anzieht für den stärkenden Morgengang durch den Park nach dem Bureau. Briefträger mit übervollen Taschen, die zum ersten Tagesgang ausmarschieren.

Und dort eine schlanke Frau, selbst noch in der Frische der Jugend, ein kleines Menschlein an der Hand, einen rotbäckigen Burschen, der mit sichtlichem Stolz seinen funkelnagelneuen Seehundsranzen auf dem Rücken trägt. Tausenderlei hat er zu fragen, der kleine Kerl, und ein Lächeln, halb Stolz, halb Wehmut, liegt auf der Mutter hübschem Gesichtchen, wie sie ihm antwortet. Dort aus der Seitenstraße ein gleiches Paar. Die Mutter behäbiger – es ist wohl nicht der Erste, den sie also begleitet – der Kleine unlustiger. Er scheint so etwas zu ahnen, daß dieser strahlende Herbstmorgen das erste Glied einer langen, langen Kette sein wird, die seine Jugend fest und fester an die Pflicht, an die Arbeit schmiedet und nicht immer von dornenlosen Rosen übersponnen ist. Einen halben Schritt bleibt er stets hinter der Führerin; fast scheint's, als muß sie ihn ein bißchen ziehen. Jetzt haben sich die beiden Bübchen bemerkt; sie erkennen die gleiche Rüstung, das gleiche Ziel und lächeln sich, ein bißchen verlegen, an. Heute marschieren sie noch getrennt zur Schule, um den ersten Kampf gegen den schlimmen Feind der Menschheit zu bestehen, die Unwissenheit. Bald gewiß, noch ehe der erste Schnee fällt, werden die zwei zusammen diese Straße des Westens marschieren zum gemeinsamen Ziel. Ohne die Mütter.

Goldig bestrahlt der Herbsttag ihren ersten Schulweg.

Jetzt erst seh' ich's, dicht hinter dem kleinen Blonden mit dem Seehundsranzen geht Ben.

Eine funkelnagelneue Ledermappe trägt er gewichtig unter dem Arm. In dem kurzen englischen Herbstpaletot mit dem runden Hütchen und der scheinbar achtlos und doch so sicher geschlungenen Foulardkrawatte unterm hohen Stehkragen, sieht er aus wie ein junger Diplomat. Nur das gutmütige Lächeln, das um den Mund liegt, haben die jungen Diplomaten selten. Denn wenn sie nicht verärgert sind, wittern sie Feinde oder Vorgesetzte, was dasselbe ist; oder sie sind auf Würde bedacht. Und nichts macht so müde und spannt die Züge so sehr, als das ewige Bedachtsein auf Würde.

»So feierlich, Ben?! Ich gratuliere zur neuen Mappe.«

»Tag! Danke schön, Adi. Der große Tag muß mich im vollen Rüstzeug sehen.«

»Großer Tag?«

»Ja. Du hast dir den richtigen Morgen ausgesucht, mir das Ehrengeleite zu geben. Heute tritt unser neuer Kontrakt in Kraft. Ich bin mit diesem Tage alleiniger Verleger und Herausgeber des »Letzten Schicks«.«

»Wie denn –? Und Herr von Wüllich?«

»Ich habe, in festumrissenen Grenzen, die Interessen der Fabrik – an der ich mich ja, du weißt, beteiligt habe – in der Zeitschrift zu wahren. Bin aber, von heute an, alleiniger Herr im Hause.«

»So. Gratuliere. Und Herr – wie heißt er doch –, Herr Tobias Moscheles?«

»Bestehende Kontrakte hab' ich natürlich einzuhalten. Aber sonst – volle Freiheit. Ein erhebendes Bewußtsein. Ja – und doch . . . wie ich so da eben die Dreikäsehochs mit ihren Ranzen den ersten Schulweg machen sah, zaghaft und neugierig zugleich, ängstlich und doch erwartungsvoll, das Herzchen gepfropft mit guten Vorsätzen und das Frühstück in der Tasche, da hab' ich so bei mir gedacht: eigentlich müßt' ich meine Mappe heut auch als Ranzen auf der Schulter tragen. So eine Art »erster Schulgang« ist ja heute auch für mich.«

»Bonus vir semper tiro

»Ach, ja – ich hab' das Gefühl, in der Richtung ist kein anderer so »bonus«, wie ich. Na, jedenfalls ich hab' Mut und guten Willen und eine Handvoll Ideen.«

»All das erhalte dir und bewahre dir der liebe Himmel, Ben! Mein Rat, den zu geben ich dich hier abfange, kommt ja nun wieder zu spät. Ich hätte gern, als Bruder und Jurist, mit dir vorher deinen Kontrakt und deine eventuelle Beteiligung besprochen. Du bist etwas rasch in deinen Entschlüssen. Weißt du noch, wie der Vater, wenn du wieder so 'ne kleine Dummheit ausgefressen hattest, dir das Haar aus der erhitzten Stirne strich und mit dem schönen Aufleuchten seiner guten, großen Augen entschuldigend zitierte: »Wär' er besonnen, hieß er nicht der Tell«.«

»Seltsam, daß du mich heute daran erinnerst, Adi. Ich habe viel wachgelegen, heute nacht – gegen meine Gewohnheit – und an den Vater gedacht. Überhaupt an zu Hause. Eh' ich etwas Großes oder Neues unternehme, tue ich das immer. Ich denke, fromme Katholiken gehen so in die Kirche vor das Bild ihres Schutzpatrons und reden betend eine Weile mit ihm. Ich hole mir die Kraft für Arbeit und Verantwortung in der Erinnerung ans Elternhaus, an liebe tüchtige Menschen, an reine und helle Tage. Ich hab' auch eben eine Karte an die Mutter in den Kasten gesteckt und ihr einen dankbaren Gruß geschickt vom ersten Gang zur Verantwortlichkeit.«

»Du nimmst's gleich ernst, das freut mich.«

»Ja. Ob mir freilich lauter Freuden erblühen werden? Gleich der Auftakt ist recht merkwürdig. Der Anfang wird schon Versagen und Ablehnen sein müssen. Ruth hat etwas voreilig nach Frankfurt geschrieben, daß ich wahrscheinlich die Zeitschrift allein übernehme. Die Quittung darüber hab' ich bereits hier in der Tasche. Mein Schwiegervater widmet mir einen schmelzenden Brief. Eine derartige Zeitschrift müsse doch auch eine Rubrik »Aus der Gesellschaft« bringen, und er warne mich, diese Rubrik auf das durchaus nicht überall glühend geliebte Berlin zu beschränken. Für den Fall, daß ich, was er erwarte, bald auch Porträts aus der Frankfurter Gesellschaft bringen werde, schickt er mir das Bild seiner Braut zu Pferde. »Es eignet sich auch für eine bunte Vorderseite,« schreibt er bescheiden und fügt hinzu, daß der Gaul englisches Vollblut sei und sechstausend Mark gekostet habe.«

Ich mußte unwillkürlich lächeln. »Da wärst du ja schon ein wenig versorgt.«

»Ein wenig? Herr Max Güldenring hatte die Freundlichkeit, mir fünfzig Aphorismen zu schicken. Das Zeug liest sich, als ob die Börse in Neutomischel Karneval feiert. Die gute Dame Hayeck, geborene Zimmermann, bietet mir einen Aufsatz – das heißt gleich eine Serie von Aufsätzen – über die Familien Lindheimer und Textor und beider Beziehungen zu Goethe an. Gleich zu Beginn polemisiert sie heftig gegen Erich Schmidt, der ihr einen Brief nicht beantwortet hat. Und das – ja, wie soll ich sagen, das Wunderlichste – der Lyriker Conrad Körber, du erinnerst dich seiner –?«

»Der Heringsvertilger, der Absinth trinkt und die Gebrüder Mewes anpöbelt, ehe er einen Anfall bekommt?«

»Derselbe. Er schickt mir drei unmögliche Oden – jede davon ist ein Skandalprozeß – und schreibt mir dazu, die kleinen Meinungsverschiedenheiten unserer Frankfurter Zeit hinderten ihn nicht, das Großzügige meines Berliner Unternehmens – das er übrigens sichtlich mit einer anderen Zeitschrift verwechselt, die im Vorjahr schon eingegangen ist – voll zu würdigen, und er habe sich nach hartem Seelenkampf entschlossen, meine Pioniermühe durch fleißige Mitarbeit energisch zu fördern.«

»Was machst du da?«

»Hm. Ich denke, ich honoriere ihm die drei furchtbaren Oden – und drucke sie nie.«

»Du lieber Gott – wenn er dann sein Versprechen hält und »fleißig« weiter mitarbeitet – –«

»Das wäre natürlich schlimm. Aber ich hoffe, er wartet erst auf den Abdruck der bereits geschickten. Das Honorar braucht er, glaub' ich, sehr nötig. Es geht ihm schlecht, dem armen Kerl. Und sein Temperament und seine Umgangsformen, die du ja kennst, sind nicht gerade geeignet, ihm die Wege zu ebnen. Aber – behandle jeden nach Verdienst, sagt Hamlet, und wer ist vor Schlägen sicher? . . . Übrigens, Adi – Verdienst!« Über Bens Gesicht ging ein fröhliches Leuchten. »Ich hab' dir ja noch gar nicht erzählt . . . und gezeigt . . . Ich hab's extra eingesteckt für dich . . . Halt mir, bitte, mal die Mappe!«

Ich hielt die für einen ersten Gang zur Redaktion schon erstaunlich schwere Mappe. Ben suchte in den Paletottaschen.

»Hier –« er wickelte ein kleines Etui aus dem grünen Seidenpapier, »aber komm' hier mal in den Hausgang – die Passanten brauchen's nicht alle zu sehen . . .«

Er zog mich in den Eingang eines Hauses und wäre beinahe die steile seitliche Treppe in einen Keller hinuntergefallen, aus dem ein starker Käsegeruch empordrang.

In dem Etui lag zu meiner Verwunderung ein grüner Ordensstern mit silbernen Spitzen, der in der Mitte einen verschnörkelten orientalischen Namenszug aufwies.

»Was ist denn das, Ben? Ein – Orden?«

»Das ist der dem Doktor Hermann Otto Wilhelm, genannt Ben Mewes, gestern von Seiner Majestät dem Großherrn der Türkei verliehene Osmanjeorden. Respekt, Herr Bruder! Die Klasse ist nicht berückend – die vierte. Aber es gibt fünf Klassen. Die fünfte kriegen, glaub' ich, Schutzleute und so.«

»Wofür hast du denn – –?

Ben klappte vergnügt das Etui zu. »Ich bin doch in Konstantinopel gewesen – persönlich – und habe den Sekretär des Sultans mit meinem Französisch überschüttet. Also du, der Stern sieht großartig aus auf dem Frack . . . Ich hab' gestern im Frack zu Abend gegessen – mit Ruth allein. Sie mußte ein Gesellschaftskleid anziehen, und wir waren furchtbar fein, wir zwei.«

»Du bist doch ein Kindskopf, Ben!«

»Ich fürchte, du hast recht. Vielleicht wächst sich's im vierten Jahrzehnt aus. Auch mit den Wasserköpfen geht's langsam . . . Du, ich hab's gleich dem Onkel Ammann geschrieben. Der ist der einzige in der Familie, der Sinn für so was hat. Paß mal auf, nun bekomm' ich eine sechsseitige Belehrung, wie und wann ich den Orden tragen muß, und einen Rüffel, daß ich die Klasse verschwiegen.«

Im Weitergehen waren wir an einem kleinen Papiergeschäft vorbeigekommen. Ben nahm mich am Arm und nötigte mich, die paar Schritte zurückzugehen. »Ich muß da was kaufen,« sagte er. Und schon standen wir in einem peinlich sauberen Lädchen, dessen Ausstattung sehr neu und sehr einfach, und dessen Warenvorrat für die gute Gegend recht bescheiden war.

Ein blondes Fräulein, anmutig, aber leicht vergrämt, fragte nach Bens Wünschen. Mir kam vor, sie errötete ein wenig. Aus der freundlichen Art der Begrüßung entnahm ich, daß Ben hier bereits Kunde war.

An wen erinnerte mich nur dies hübsche Köpfchen mit den frischen Farben?

Ich hatte mir Bens Besorgung dringlicher gedacht. Er suchte, etwas verlegen, wie mir schien, mit den Augen herum, und schließlich deutete er auf einen Kunstkalender mit Reproduktionen nach alten Meistern und erkundigte sich nach dem Preis. Dann zahlte er sechs Mark, ließ sich den Kunstkalender einwickeln, lobte den schönen Herbsttag, wünschte einen recht guten Geschäftsgang und verließ mit mir, höflich grüßend, den Laden.

»Um Gottes willen, was willst du denn Mitte Oktober noch mit so einem teuren Abreißkalender?«

»Ja, siehst du, Adi, den wär' das Mädel sonst doch nicht mehr los geworden. Und die Grossisten nehmen nichts zurück, was so lang im Laden gelegen hat.«

»Das ist aber doch kein Grund –«

»Meinst du? Adi – hast du nicht beobachtet . . . ich meine, ist dir's nicht gleich aufgefallen, wem die Kleine ähnlich sieht?«

In diesem Augenblick wußt' ich's. »Heidelberg!« sagte ich.

Ben nickte. »Sie zahlt viel zu hohe Miete. Zufällig kam ich in das Lädchen neulich und war verblüfft. Sogar in den Bewegungen erinnert sie an Ev' – nur wenn sie spricht, dann enttäuscht sie. Berlinisch enttäuscht immer. In solches Mäulchen gehört Badisch . . . Seitdem kauf' ich jeden Tag etwas bei ihr. Sie muß wieder Mut kriegen, das arme Ding. Weißt du, unsere Mutter sagt immer: wenn jeder Mensch jeden Tag nur einem einzigen anderen Menschen ein klein bißchen hilft, dann steht's schon gut um Welt und Land und Menschheit.«

»Ben – du wirst doch nicht! Als Jungverheirateter! . . . weil sie Ev' ähnlich sieht . . .«

»Ähnlich sieht – ja. Aber habe keine Angst, sie ist's nicht. Aber ich glaube, der liebe Gott schafft und formt gewisse Ähnlichkeiten, um die Menschen an ihre Pflichten zu erinnern. Und an ihre Schuld. Und wenn Menschen, die wir – – nun die wir einmal sehr geliebt haben und nicht vergessen können, nichts von uns annehmen, dann sagt der liebe Gott: ›Such! Du findest schon einen, der dich erinnert. Hilf dem!‹«

Mich überkroch eine bange Angst. »Bist du denn innerlich noch nicht los – von Heidelberg?«

»Wie soll ich, Adi? Da läuft doch jetzt zwischen den alten Bäumen im Schloßgarten ein Menschlein herum – oh, und im Oktober ist Heidelberg so schön! . . . Weißt du, daß wir nur deshalb nach Schweden gefahren sind auf der Hochzeitsreise?«

»Ich verstehe nicht.«

»Eigentlich wollten wir doch in die Schweiz. Aber da hätten wir über . . . Nun, ich hab' mich gefürchtet – vor dem Bahnhof in Heidelberg. Vor den bunten Mützen auf dem Perron, vor dem kurzen Blick auf den Berg bei der Ausfahrt, vor einem Zufall, der grad an diesen Zug hätte . . . Und siehst du, so ist Ruth – nichts angedeutet hat sie davon, aber verstanden. »Ich möchte eigentlich lieber nach Schweden,« hat sie drei Tage vor der Hochzeitsreise gesagt und mich ganz ruhig angelächelt dabei. Da hab' ich ihr die Hand geküßt und bin, erleichtert wie ein Freigesprochener, auf das Reisebureau gelaufen, Billette nach Stockholm zu besorgen.«

Es war mir lieb, daß das Gespräch diese Wendung nahm. Ich sprach mit Eifer Gutes und Freundliches von Ruth.

Ben hörte aufmerksam und dankbar zu. Nickte auch manchmal still vor sich hin. Ich rühmte ihre Klugheit, ihre Sicherheit des Auftretens, ihren Takt und schließlich auch, wie hübsch sie neulich in dem gestickten seidenen Kimono ausgesehen, mitten in all dem fremden, japanischen Kunstkram.

»Das ist wahr.« Bens Bestätigung klang etwas sachlich, als er fortfuhr. »Ich habe selten eine Frau gesehen, die sich so spielend eigentlich jeder Mode anpassen kann. Alles steht ihr. Und sie bleibt doch, wer sie ist. Sie braucht nie Angst zu haben vor einem »letzten Schick«, der oft bei den anderen erst erweist, wie unschick sie im Grunde sind. Ich fürchte nur – – fürchte nur« – in seiner Stimme zitterte etwas, als ob er eine Angst niederkämpfte – »eins wird nie zu ihr passen. Eins nicht. Ein Kind.«

»Ben! Wie kannst du . . .! Nach kaum zwei Monaten Ehe –«

»Die gute Margarete Morgenthau hat zur Mutter gesagt: ein schönes Mädchen, ein kluges Mädchen, ein begütertes Mädchen – schade, daß sie nie ein Baby haben wird.«

»Altweibergeschwätz, Ben! Das berühmte Prophetentum der Frau Morgenthau ist doch nicht unfehlbar. Das solltest du wissen. Denn du wärst ja sonst ein Mädchen geworden.«

»Das ist richtig. Sie hat sich einmal in ihrem an Voraussagen reichen Leben geirrt. Bei mir. Aber sonst nie. Und siehst du, Adi, ich selbst habe seit dem ersten Tag unserer Ehe das Gefühl – von dieser Frau kannst du alles haben. Rat, Hilfe, Verständnis. Seelengröße. Repräsentation. Sie wird dir einen Salon schaffen, eine blendende Häuslichkeit, vornehme Geselligkeit, nützliche Konnexionen – eins nie. Ein Kind, das deinen Namen und deine Züge trägt. Ein Kind, das nach dir greift, ruft, verlangt – und deinen Namen noch in Ehrfurcht ausspricht, wenn die anderen längst von dir schweigen . . . Und siehst du, das ist schade. Denn so sehr ich mich bemühe, ernst zu werden, meine Gaben und meinen Besitz redlich zu nützen – meine Träume – meine Träume spielen oft mit Kindern.«

»Das ist eine voreilige Verzagtheit, Ben, und – –«

»Hier sind wir bei meinem Bureau. Laß das jetzt, Adi – du meinst's gut, ich weiß. Laß es jetzt – und immer! Ich weiß gar nicht, wie ich drauf kam. Vielleicht war's der Oktobermorgen – der erste Schulgang – der Kalender – – Wir wollen's vergessen und nie mehr davon sprechen, ja?«

Und umschlagend im Ton, wie das zu den Wunderlichkeiten seines Naturells gehörte, erklärte er fröhlich, indem wir die elegante teppichbelegte Treppe stiegen: »Das ist so echt berlinisch – Treppenhaus mit dickem Stuck, falschem Marmor, üppigen Karyatiden, bunten Glasfenstern. Dafür oben spärliche Nebenräume und zwei Zimmer nach dem dunklen Hof. Die anderen freilich – pompös. Nun fragst du: muß das sein? Ich glaube, ja. Man ist das der Firma schuldig, der Art des Unternehmens. Wenn eine Zeitschrift »Der letzte Schick« heißt, können ihre Bureaus nicht aussehen wie eine Postnebenstelle in Ratzeburg.«

So sahen die Räume wirklich nicht aus. Bens sicherer Geschmack hatte in seinem Privatzimmer, aber auch im Warteraum und Sitzungszimmer für gediegene Vornehmheit gesorgt. Holztäfelung, in den Farben gedämpfte Perser Teppiche. Schwere, alte Schränke, bequeme Sessel, Diplomatentische. An den Wänden Radierungen nach Böcklin und ein prachtvoller Stich: das alte Frankfurt, vom Eisernen Steg aus gesehen.

Ein junger Bureaudiener in diskreter Livree nahm uns die Mäntel ab. Wobei ich bemerkte, daß Ben das grüne Bändchen des Osmanje bereits im Knopfloch trug. Ein Fräulein, das den »Letzten Schick« mit besonderem Nutzen zu lesen schien, coiffürt, manikürt, angenehm nach Veilchen duftend, brachte die Morgenpost. Das Rauschen des Rocks verriet, daß er auf Seide genäht war. Jede ihrer Bewegungen betonte die gute Familie, und daß sie's eigentlich nicht nötig hatte, hier zu arbeiten. Sie tat's aber doch, und wenn Ben sie ansprach, lächelte sie verbindlich, als mache er ihr fortgesetzt Komplimente über ihre Erscheinung, an der sie selbst sichtlich eine stolze Freude hatte.

Als ich noch bewundernd mich der üppigen Behaglichkeit dieser Einrichtung freute und sie im stillen mit meinem Bureau in der Bank verglich, das in der Hauptsache mit Klappschränken möbliert und dessen Zierde ein alter Regulator aus der Familie Tomasius war, der im Tage anderthalb Stunden vorging, klopfte es sehr kräftig an die Tür. Auf Bens »Herein« erschien ein kleines, gelbes Männchen im Rahmen, das ich unlängst schon auf einem japanischen Wandschirm gesehen hatte.

Das Männchen trug einen etwas angewelkten Strauß in der Hand und näherte sich Ben mit einem zwar tiefen, aber unschönen Bückling, den Peter Pütz durchaus gemißbilligt hätte.

»Dem neuen Chef zu seinem Einzug!« Damit streckte das Männchen, ölig lächelnd, Ben das Bukett hin. Dann strich es sich den rostigen Ziegenbart, zwinkerte mich mit listigen Äuglein über den schief sitzenden Kneifer an, machte mir eine zweite, nicht anmutigere Verbeugung und äußerte:

»Hab' ich mich schon je in Ähnlichkeiten getäuscht? Nein. Der Herr Bruder. Gestatten, mich vorzustellen – Moscheles, Tobias Moscheles. Redakteur, Generaladjutant des Herrn Doktor hier und stets ganz zu Diensten der werten Familie.«

Ich dachte an die Zervelatwürste. Und da ich auch im Knopfloch des Herrn Tobias Moscheles ein buntes Bändchen entdeckte, so nahm ich an, daß der Herzog von Koburg-Gotha vielleicht auch schon um die Verdienste wisse, die sich Herr Moscheles um den Export von Gothaer Würsten erworben.

Aber ich erfuhr später, daß es das Ritterkreuz des Ordens der Republik von San Marino war.


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