Rudolf Presber
Mein Bruder Benjamin
Rudolf Presber

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Siebzehntes Kapitel

Mit seinem leichtsinnigen Siegerlächeln kam er, vergnügt, lebhaft, erstaunlich sicher, eine große weiße Nelke im Knopfloch des tadellos sitzenden Jacketts, das ich zum erstenmal an ihm sah.

Mein erstes Gefühl war ein leiser Stolz auf den schmucken Bruder. Er machte wirklich eine gute Figur in seiner Gesellschaft. Und er sprach italienisch. Sprach es gewiß nicht wie ein Venezianer; kaum wie einer, der oft im Lande gewesen ist; aber seine sichere Sprachbegabung, sein Ohr für den Tonfall fremder Sätze und seine Furchtlosigkeit Fehlern der Syntax und Konstruktion gegenüber ließen ihn eine Unterhaltung führen, die mindestens aus der Ferne leicht und ohne jede Hemmung schien.

Die Dame ging voraus. Eine üppige, nicht große Blondine, schrecklich blond und sicher noch nicht lange. Sie trug ein schickes Kostüm von Rohseide und agierte sehr lebhaft mit einem Sonnenschirm, den ein Korallenknopf von Kartoffelgröße zierte. Auf ihrem Florentiner Hut blühte ein ganzer Garten.

Die Cugina –!

Die Cugina, wie sie im Buche steht, in einem italienischen Buche, dacht' ich. Aber ich konnt's nicht leugnen, dieses etwas starke und nicht gerade distinguierte Gesicht mit den lebhaften Äugelchen und der vergnügten Stupsnase war doch hübsch und originell.

Links neben ihr trippelte mit kleinen Schritten ein kurzbeiniger, zitronengelber Herr, der schwatzte wie ein Wasserfall, und an den kleinen, lebhaft mitredenden Händen feurige Steine blitzen ließ.

Aha, der Duca! dacht' ich.

Auf der anderen Seite der Typ des deutschen Offiziers in Zivil. Schlank, sehnig, den kurzen, leicht aufgekämmten Schnurrbart zuweilen streichelnd mit der schmalen Aristokratenhand, an der nur ein einziger Wappenring saß. Kühle, vornehme Ruhe verbreitend in diesem Gewirr der Stimmen, Düfte, Speisen und Menschen. Die Hoheit! Ich hätte es gewußt, wenn ich auch diesen scharfen, etwas vogelartigen Kopf nicht schon mehrfach auf Momentbildern auf Gruppenaufnahmen mit dem diskret zur Seite stehenden Schwager Kurt, dem Schloßhauptmann und Kammerherrn, gesehen hätte.

Der Ober schien die Herrschaften zu kennen und zu erwarten. Er führte in der Begrüßung ein ganzes Ballett auf, steuerte die kleine Gesellschaft aber, treu und sicher, zu einem besonders hübsch mit Blumen geschmückten Tisch und lud mit großartigen Handbewegungen, als ob er Throne verschenke, zum Sitzen ein.

Ein paar Köpfe fuhren herum. Offiziere wechselten Grüße mit dem Herzog. Zwei Venezianerinnen betrachteten Ben wohlgefällig durch die Lorgnetten.

»Na, er hätte in schlechtere Gesellschaft kommen können,« meinte Honneff. »Mein Freund, der Baron, hat einmal einen verwandten Jüngling aus einer Seiltänzergesellschaft in Solothurn losgeeist. Seine Liebste lief im Trikot auf Kugeln.«

Mich interessierte im Augenblick das Abenteuer mit der Dame, die in Solothurn auf Kugeln lief, wenig. Ich ließ Ben nicht aus den Augen. Ich war unschlüssig, was ich zunächst unternehmen sollte.

Aber da kam mir der Zufall zu Hilfe. Der Stuhl, auf dem sich der dicke Duca etwas zu plötzlich niedergelassen hatte, krachte und wackelte. Ben sah sich hilflos nach einem anderen um; und bei diesem Rundblick durch den Saal fand sein Auge zwar keinen leeren Stuhl, aber mich.

Den Bruchteil einer Sekunde nahm sein hübsches Gesicht einen etwas blöden Ausdruck an. Dann stieg ihm eine Röte über die Wangen nach der Stirn. Und schon kam er auf mich zu.

»Adi – du?! Das ist aber eine Überraschung!«

»Nicht wahr – ja. Ich bin nämlich . . .«

»Du bist nämlich – ein ganz famoser Kerl!« Ben umarmte mich mit großer Herzlichkeit. Die Lebhaftigkeit des Südens schien auf seine Gefühlsäußerungen schon abgefärbt zu haben.

Dann begrüßte er den Dichter und zeigte sich über dessen Anwesenheit in Venedig ebenfalls sehr erfreut. Sprach auch gleich die schmeichelhafte Hoffnung aus, daß der Aufenthalt Honneffs in der herrlichen Stadt dem deutschen Volke venezianische Dichtungen von unvergänglichem Werte schenken werde. Dann wandte er sich wieder zu mir.

»Ist Käthe auch da? Nein? Schade, du hättest sie mitbringen sollen!« Er zürnte mir ernstlich.

»Ich weiß nicht recht« – mein Blick suchte die rotblonde Cugina, die eben drüben ausgelassen lachend, nach dem dicken Duca, der sich schon selbst einen Stuhl geholt hatte, mit der Serviette schlug – »weiß nicht recht, ob das angebracht gewesen wäre. Ganz abgesehen davon . . .«

»So ist's recht – jetzt sehen wir von allem ab! Jetzt denken und wissen wir nur, daß wir jung sind und in Venedig sind, und daß es Frühling ist und – ach, Adi, hast du 'ne Ahnung, was dieses Land schön ist! Aber morgen führ' ich dich . . . Keine Widerrede! Wir brauchen nicht mit der Masse zu laufen – die Visitenkarte des Erbprinzen öffnet uns alle Türen, und der Duca – ist ein famoser Kerl – er sieht ein bißchen grotesk aus, es ist wahr, aber ich sage dir, ein prächtiger Mensch und so gar nicht eingebildet, nein – ja also der Duca ist zwar Genueser – die Dorias, du kennst sie – Fiesco! – sind Vettern von ihm – aber seine Mutter ist eine Venezianerin, noch verwandt mit den Grimaldis und Papadopolis . . . Aber ihr müßt zu uns herüberkommen! Die Herren werden sich riesig freuen. Und Teresina erst recht – ich hab' ihr schon so viel von dir erzählt, Adi.«

Ich war etwas verblüfft, daß gerade ich den Gesprächsstoff für die venezianischen Unterhaltungen zwischen Ben und der blonden Teresina abgegeben haben sollte. War überhaupt verblüfft. Wo nahm der Junge, vor einem Jahr noch Primaner, mein Bruder, meines Vaters, des Lehrers in bürgerlichen Mädcheninstituten spätgeborener Sohn, die Sicherheit her, eine auffallend hübsche, freilich auch hübsch auffallende italienische Freundin zwischen einer deutschen Hoheit und einem Genueser Herzog, vergnügt und sorglos, durch die Geheimnisse und Genüsse der Dogenstadt zu führen?

Schon sprach Ben italienisch mit dem Kellner. Die Kenntnisse in der Sprache Dantes, die der für lebende Sprachen so begabte Ben rasch noch vor der Abreise emsig betrieben, hatten sich offenbar im Umgang mit Teresina ganz erstaunlich vervollkommnet. Ob alles ganz richtig war, was er jetzt sagte, weiß ich nicht. Aber der Jüngling verstand ihn, nickte, lächelte, dienerte.

Eh' wir recht wußten, was geschah, lagen unsere Gedecke auf dem Tisch, an dessen Kopf Teresina, ein herrliches Gebiß, wie eine Perlenschnur, unter leicht angemalten Lippen enthüllend, uns wie alte liebe Bekannte anlachte.

Ben stellte uns vor.

Der Erbprinz äußerte mit kühler Freundlichkeit, daß es ihm angenehm sei, einen weiteren Schwager seines Kammerherrn kennen zu lernen. Von dem Dichter Otto Honneff habe er schon viel gehört; auch, wenn er sich recht erinnere, vor Jahren ein sehr schönes Theaterstück im Hoftheater genossen. Da von dramatischen Arbeiten Honneffs nur ein satirisches Lustspiel existierte, bei dessen einziger Aufführung vor dreißig Jahren im Stadttheater zu Hanau nur eine Dame, die Mutter des Dichters, gelacht hatte, so berührte die Höflichkeit des Herzogs hier eine wunde Stelle. Aber der Dichter begrub auch diesen Schmerz bald nach seinem eigenen bewährten Rezept, »wie die Goten ihren König Alarich«.

Der Duca überschüttete uns wie ein Wasserfall mit italienischen Höflichkeiten. Ich verstand kein Wort. Honneff, der italienisch sprach, sagte mir gelegentlich leise, er halte ihn für ein großes Kamel.

Plötzlich erschienen noch zwei Damen, eine alte und eine junge, mit einem Herrn. Alle, auch Ben, kannten die Herrschaften schon, und die Begrüßung war sehr lebhaft. Honneff äußerte mir ins Ohr die Vermutung, die alte Dame trage ein Gebiß. Er liebte solche Detailbeobachtungen, die zur Klärung der Situation wenig beitrugen.

Bei der Vorstellung ergab sich's, daß die alte Dame eine kurländische Baronin von Schöllings war, die das harte Deutsch der baltischen Provinzen sprach und äußerst bekümmert aussah, selbst wenn sie Fröhliches zu sagen wußte. Sie war groß und starkknochig, und ob sie saß oder ging, es sah immer so aus, als sitze sie zu Pferd. Die jüngere Dame – sie mochte Ende der Zwanzig sein – war die Nichte dieser Reiterin, eine Komtesse Sonja Frerecks, schlank, blaß, mit einem flehenden Blick unter stets leicht gesenkter Stirn, wie eine Märtyrerin, die den Beginn neuer Foltern erwartet. Sie sprach leise mit einer sehr angenehmen Stimme und hatte schlanke, durchsichtige Hände, deren feine Schönheit sie, wie mir schien, geschickt zur Geltung zu bringen wußte. Sie bestellte sich lauter Gerichte, die diese Hände in immer neuen subtilen Tätigkeiten zeigten, Krebse, Artischocken, Früchte. Dazu trank sie Eisgetränke, die ein raffiniertes Spiel mit dem Strohhalm erlaubten.

Von dem Herrn in ihrer Begleitung, einem deutschen Aristokraten von guter Sportfigur, der eine Hochquart auf der militärisch gebräunten Stirn trug, wußt' ich erst nicht recht, wo ich ihn hintun sollte. Verwandt mit den Damen konnt' er nicht sein. Aus seiner Sprache klang der Berliner oder die Garde. Als ich mich eben entschlossen hatte, ihn für eine Zufallsbekanntschaft der Gesellschaft zu halten, klärte mich Honnefs, dessen Mitteilungen in mein Ohr mir unschicklich schienen, aber sich nicht vermeiden ließen, dahin auf, daß es der Adjutant des Erbprinzen sei. Ein Herr von Birkhuhn. Das freute mich, denn ich hatte vorhin Bierhuhn verstanden und fand den Namen für diese Kavaliererscheinung unpassend.

Die baltischen Damen sprachen mit der Hoheit. Wie mir schien von einem gemeinsamen römischen Aufenthalt im Vorjahr. Mir wollte es aber so vorkommen, als ob der Erbprinz, während die alte Baronin, tiefbekümmert, mit ihm wieder das Kapitol besuchte und die Komtesse mit Märtyrerblick ihn zum Morgengang durch die Campagna aufforderte, ziemlich zerstreut antwortete. Er sah meist nach Teresina hinüber. Hatte er den huschenden Blick ihrer koketten Augen erwischt, dann kniff er die seinen ein wenig zusammen, und ein diskretes Lächeln schien mir die Cugina zu prüfen oder irgendeine Verständigung mit ihr zu suchen.

Ben sprach französisch mit der Baronin, italienisch mit dem Duca, deutsch mit dem Erbprinzen und schenkte dazwischen bald der neben ihm sitzenden Teresina ein, die eine Menge zu vertragen schien, bald kaufte er prächtige farbige Blumen oder sehr klebriges Naschwerk für die Damen einer der nicht sinnverwirrenden, aber ganz gut gekleideten Verkäuferinnen ab, die hier von den Kellnern nicht als lästige Konkurrenz empfunden wurden.

Der Duca, der – ziemlich grundlos – sehr stolz aus sein Deutsch war, das er in Berlin und München gelernt hatte, widmete sich fast ausschließlich der dankenswerten Aufgabe, Teresinas Aussprüche und Gedanken alsbald aus dem kaskadenhaften Italienisch, das sie mehr lachte als sprach, zu übersetzen.

»Sie sakke, es freue sich sehr zu sein in eine so vornehmigte Compagnia – und sie sakke, sie verhoffen fiducialmente, sie alles wiederzugesehn in seine Concerto in der schönne Deitschland.«

Ich gewann den Eindruck, daß die baltischen Damen es sich noch überlegen würden, ob sie in der schönne Deitschland gerade das Konzert der Signorina Teresina besuchen würden. Von der Nichte Sonja, deren Augen sich bei der Ankündigung dieses Vergnügens noch mehr umflorten, mußte ich annehmen, daß sie jede andere Abendunterhaltung diesem musikalischen Genuß vorziehen würde. Und der Baronin, die eben auf ihrem Stuhle nach der Villa Falconieri ritt, schien mir bereits eine herbe Kritik dieser Veranstaltung um den Mund zu zittern.

Ben aber war vergnügt. Er sprach mit glücklich leuchtenden Augen in Teresina hinein und markierte mit Hilfe ihres Sonnenschirms, den er sich gegriffen hatte, ein lautloses Mandolinenständchen. Teresina wollte sich ausschütteln vor Lachen, suchte aber dabei mit den blanken Augen die Hoheit, die, kerzengerade, als ob sie in Ordenstracht einer Sitzung des Johanniterkapitels präsidiere, ein Filet tranchierte.

Ich kam mit Herrn Hauptmann von Birkhuhn ins Gespräch. Er hatte auf Wunsch des Erbprinzen, während dieser mit Teresina, Ben und dem Duca im Palazzo Vendramin den Cäsarenfries und das Zimmer, in dem vor fünf Jahren Richard Wagner gestorben war, besichtigte, mit den baltischen Damen auf der Insel S. Giorgio Maggiero den Campanile bestiegen. Was, wie ich an seinem unerfreuten Gesicht ablas, keine ganz leichte Unternehmung gewesen war. Als sie die zweiunddreißig Schneckenwindungen der Holztreppe emporgestiegen, hatte sich's, wie Herr von Birkhuhn erzählte, herausgestellt, daß der Schlüssel zu der Türe oben sich noch unten beim Kastellan befand, und der Hauptmann hatte das recht mäßige Vergnügen, wieder herabsteigend diesen Mann und den Schlüssel zu suchen. Eine Unternehmung, für die ihn der Reiz der Rundsicht später über die besonnte Stadt und die glühenden Lagunen nicht voll entschädigt zu haben schien.

Überhaupt, so höflich er war, so einen recht vergnügten Eindruck machte mir der Hauptmann und Adjutant nicht. Und als er erfuhr aus unserem Gespräch, was er vorher nicht begriffen hatte, daß ich der Bruder Bens sei, dem übrigens, wie ich zu bemerken glaubte, seine besondere Aufmerksamkeit galt, da streifte mich ein eigentümlich fragender Blick. So, als wollte er mich, ohne besondere Hoffnung auf Gewinn, einschätzen auf meinen Wert. Dann aber erkundigte er sich mit höflicher Anteilnahme nach meinen Privatverhältnissen. Ob ich verheiratet sei, ob ich auch, wie Ben, bloß zum Vergnügen hier herum reise oder einen Zweck mit meinem Aufenthalt verbinde, etwa Maler oder Archäologe sei.

Als ich dies alles verneinte, wurde er wieder schweigsam. Befragte mich dann aber noch, wer und was der, wie ihm scheine, den Schlaf bekämpfende Nachbar auf meiner anderen Seite sei. Ich klärte ihn auf, daß Otto Honnefs, der leider unter dem Druck reichlich genossenen Alkohols eben nicht ganz den von mir erhofften Eindruck machte, ein genialer Poet sei, der in Deutschland eine nicht große, aber erlesene Gemeinde besitze.

Herr von Birkhuhn hatte die Freundlichkeit zu versichern, daß er sich durch baldige Lektüre bemühen werde, des Eintritts in diese erlesene Gemeinde würdig befunden zu werden.

Der Erbprinz, der mir den Versuch zu machen schien, von dem Ritt mit der baltischen Tante durch die Campagna sich höflich zu lösen, empfahl ihm, zerstreut aber herzlich, über den Tisch, zunächst die Bekanntschaft mit jener vorhin schon von ihm gerühmten Tragödie, die leider gar nicht von Otto Honneff war.

Während nun der Duca ein schwieriges Kunststück mit Zündhölzern und Zahnstochern zum Besten gab, dessen munterer Sinn mir rätselhaft blieb, da ich kein Italienisch verstand, und während Komtesse Sonja erzählte, daß sie auf dem Pincio in Rom, just vor einem Jahr, im Anblick der Peterskirche genau diese heutige Tafelrunde vorausgesehen habe, fiel mein Blick auf Bruder Ben.

Der hatte zärtlich seine Hand auf den vollen Arm Teresinas gelegt und, den Mund dicht an den mit Perlchen besetzten goldenen Reif gelegt, den sie als Ohrring trug, flüsterte er ihr offenbar neckische und zärtliche Dinge ins Ohr. Sie mußte ihn unbedingt mit der grübchenreichen Hand, lachend, leicht auf den Mund schlagen.

Mir aber wurde das Herz schwer. Daheim waren sie nun überzeugt, daß ich Ben bereits eingefangen und ernstlich ins Gebet genommen; daß ich ihn auf den Pfad der Tugend zurückgeführt und gewiß schon von der »Familie Teresina« und dieser Circe selbst mit sanfter Gewalt losgeeist. Statt dessen – saß ich hier, ließ mir die Paste asciutte al sugo e al burro schmecken, in der ich Nudeln mit Paradiesäpfelbuttersoße erkannte, setzte eine Frittata und einen Formaggio darauf, begoß das alles mit einem sehr köstlichen roten Carmignano und sah zu, wie Ben eine hochblonde üppige Italienerin, die nach Deutschland kommen wollte konzertieren, in den runden Arm kniff!

Freilich, die Sache mit dem Einheimsen und Insgewissenreden war auch nicht so einfach. Ganz so wie Tante Tüßchen sich die »Familie Teresina« gedacht hatte, sah diese merkwürdige Tafelrunde im Café Quadri am Markusplatz in Venedig wahrhaftig nicht aus. Ich konnte doch schließlich nicht einfach den kleinen dicken Duca am Kragen nehmen und auf den Markusplatz hinauswerfen; konnte die Hoheit nicht gewaltsam durch den Ober entfernen lassen und die baltische Baronin samt der Komtesse davonjagen, um mit Ben im Namen der besorgten Familie in Frankfurt gründlichst unter vier Augen deutsch zu reden.

»Oh, questo – tuo fratello?!« hörte ich jetzt über den Tisch herüber Teresinas vergnügte Stimme erstaunt fragen, »Questo

Sie hatte offenbar jetzt erst das nahe verwandtschaftliche Verhältnis begriffen, in dem Ben mit mir stand. Und als dieser nun sein Glas hob und mir listig zutrank, schnellte die lebhafte kleine Südländerin vom Sitze auf, und ehe ich's hindern konnte, war sie dicht bei mir und gab mir einen Kuß. Wovon ich ein großes Erstaunen und einen fettigen Geschmack nach Lippenpomade zurückbehielt.

In diesem Augenblick machte der Erbprinz den Vorschlag, zur »Serenata« zu fahren. Und – so schwach ist der Mensch! – als ob ich »des Lotos süße Kernfrucht, die der Heimat Angedenken löscht«, genossen hätte, ich war, glaub' ich, der erste, der den Hut ergriff und, wie unterm zauberischen Einfluß des Leichtsinns, der hier aus Gesprächen, Gelächter, Blumen und Musik strömte, wiederholte: »Zur Serenata!«


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