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Zigeunerliebe

Die seltsame Differenzierung des galanten Lebens, die um 1900 in Berlin deutlich einsetzte, erfaßte auch das literarische Künstlercafé.

Die jungen Künstler und Literaten und ihre Zigeunerschaft hatte sich bis dahin mehr in den Wiener Cafés alten Stiles, im Café Monopol, im Café Friedrichshof und im Café Kaiserhof gesammelt. Zwar waren diese Cafés auch schon der Rahmen für galante Abenteuer gewesen, aber die geistige und künstlerische Debatte stand noch im Vordergrunde. Die eigentliche erotische Atmosphäre war noch sehr dünn.

Auch das wurde seit 1900 anders. Die stark erotisierte Literatur im Buch und auf der Bühne hatte das Schema dafür geschaffen, in das nun die junge Welt der Dichter, Maler, Schauspieler und Bohêmeweibchen begeistert hineinschlüpfte, jene Welt, die Ernst von Wolzogen in seinem »Kraftmayr« und im »Dritten Geschlecht« ironisch und bunt eingefangen hatte.

Nun kam dieser Montmartre- und Schwabingstil nach Berlin und siedelte sich im Café des Westens an, das Wanderfilialen in die damals aufblühenden ersten Berliner Kabaretts, des »Überbrettl«, des »Hungrigen Pegasus«, des »Siebenten Himmel« und der »Silbernen Punschterrine« und des »Roland von Berlin« entsandte.

Jünglinge und Jungfrauen, die der sorglichen Hut des Elternhauses sich zu entziehen wußten, sahen von weitem ehrfürchtig schaudernd auf diese Protagonisten dieses neuen Stiles, bei denen er meist mehr Drapierung als Weltanschauung war, wie ihre späteren Arrivements bewiesen – aber jene sehnsüchtigen Außenseiter, die auch in der Liebes- und Lebenskunst Dilettanten waren und blieben, nahmen begeistert die Allüren des Bohêmetums einschließlich freier Liebe, Mansardenpoesie und finanzielle Unbekümmertheit an und brachten einen Zug in die bürgerliche Galanterie, der sich späterhin immer mehr veräußerlicht hat. Noch um 1925 laufen die ekstatischen Dichter und Diseusen herum, die die Dirne und ihre eigenen moralischen Defekte besingen, wobei sie meist suchen, diese Gesänge und sich selber als Rezitator und Sänger bestens zu verkaufen.

Es ist klar, daß diese Gesänge und solche Typen auf einen Teil der Gäste so wirken, daß auch sie in ihr bürgerliches Dasein solche Instinkte und Affekte tragen. Das Unheil, das damit angerichtet wurde, wird und noch werden wird, ist nicht gering, scheint aber nun einmal zum galanten Milieu einer Weltstadt zu gehören.

Die Revolution hat auch dieses galante Zigeunertum etwas durcheinandergewirbelt. Es kam ein Aufstieg einzelner, die man bisher für Zigeuner gehalten und die nun mit einem Male sich als Leute entpuppten, die nicht bloß im Kaffeehaus politisch und ästhetisch zu wirken wußten, sondern auch auf dem Podium der Volksversammlung und den Redaktionssesseln der neuen revolutionären Zeitschriften, ja sogar auf den Amtsstühlen in Ämtern und Behörden, wo sie Referate übernahmen. Und in München tauchten Erich Mühsam und Gustav Landauer als Räteführer auf, um in tragisches Geschick zu stürzen.

Von Rußland her kamen die Emissäre der Sowjets und die fine fleure der adligen Emigranten. Auch sie brachten in die Künstlercafés und die dort herumsitzende Schar von Frauen und Mädchen eine erotische Bewegung, die sich bald in einer Anpassung der Kleidung und des Auftretens an das russische Vorbild äußerte. Das »Romanische Café« wurde die Sammelstätte hierfür, wo es um die Nachmittagsstunde bald russisch-allzurussisch aussah.

Der mehr konservative Teil der Gäste des inzwischen elegant umgebauten »Café des Westens« verzog sich alsbald in die kleine Kutscherkneipe von Mentz in der Augsburger Straße, wo Emil Jannings thronte und um ihn Bühne, Film und Modewelt, bei Bier und Würstchen und in dickem Zigarrendampf.

Die alten Künstlerkneipen in der City, wo früher Schauspieler nach dem Theater sich trafen, am »Sammetbrüdertisch« und bei »Clara Hellmer« in der Jägerstraße, oder bei dem alten Metropolsänger Toni Grünfeld – sie sind nur noch legendär. Die galanten Scherze und Erlebnisse, die hier sich in Bewegung setzten, sind ebenso verschollen wie die Abende, da Josef Kainz neben dem Deutschen Theater in einem Kutscherkeller in enger Kellerstube auf den verbogenen Sprungfedern eines geflickten Sophas mit Schauspielern und Dichtern die Geister der Ausgelassenheit beschwor.

Die Friedrichstadt und ihr galantes Leben hat sich völlig verändert. Sie ist bestenfalls Atrappe von einst für die Abenteurerlust von Zugereisten oder Berlinern, die sich auf ihren Seitensprüngen im neuen Westen nicht zeigen wollen. An den Wänden hängen noch die Bilder aus den galanten Nächten von einst. Die Spiegel in den verschwiegenen Séparées von damals zeigen noch, mit Diamantringen eingekratzt, die zärtlich verschlungenen Initialen der Sektpärchen vor einem Menschenalter – aber die neue Galanterie bleibt im Westen.

Die galante Luft in den »Winzerstuben« und in den Kabaretts der Friedrichstadt und sogar wohl auch schon in manchen ihrer Tanzstätten hat sich wieder verwandelt in die Luft, in der etwas spießige und abwartende Menschen aus der Fremde sitzen, die da nicht wissen, daß das neue galante Berlin am Broadway des Kurfürstendamms in einer Weise sich überschlägt, die mit der galanten Friedrichstadt nichts mehr zu tun hat.

Die Friedrichstadt gehört heute der Arbeit des Tages und ihre galante Note ist fragwürdig.

Der neue Westen ist eine Luxusstadt und gewiß nicht geeignet, das Berlin von morgen mit dem Tempo seiner Arbeit und dem Rhythmus seiner Energien zu repräsentieren – aber er spiegelt die Galanterie des neuen Berliners – wenn auch nicht immer erfreulich, so doch farbig und echt. Und er wird seine klassische Darstellung eines Tages finden müssen, so wie der Montmartre seinen Murger oder die Nacht des alten Berlin ihren Heinrich Zille.


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