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Die verliebte Romantik

siehe Bildunterschrift

Chodowiecki:
Liebesszene im Tiergarten. (Um 1790)

Religiöse Schwärmerei, vermischt mit literarischen Bestrebungen und schließlich ganz in ihnen endigend, ward dann der Rahmen für die Galanterie der nächsten Zeit – so weit sie charakteristisch für die Epoche waren. Sonderbare Mischungen von Religiosität und Sinnlichkeit sollen im Kreise der Brüder Schlegel und Novalis (v. Hardenberg) geherrscht haben. Gubitz sah noch schwärmerische Ausläufer davon. Luise Brachmann, die in ihrer Jugend zu jenem Kreise gehört hatte, opferte sich noch in ihren vorgerückten Jahren der Liebe zu einem Offizier, dem sie stets Geld zu geben hatte. Sie schrieb eifrigst Erzählungen und allerlei, gemischt mit breiter Schwärmerei der Gefühle. Bald aber konnte sie nicht mehr genug Geld erwerben – und wurde von dem Offizier verlassen. Luise Brachmann wurde die freiwillige Keuschheit sehr erschwert durch den frühzeitigen Umgang mit Schlegel und Novalis, durch deren Einwirken in mehreren weiblichen Wesen widerspruchsvoll ein Gemisch von Gefühlen des Sinnlichen und Geistigen wogte, noch durchzogen von einem schwankenden und schwebenden Christentum, das selbstsüchtig auf Begünstigung hoffte bis zum Wunder.

Bekannt ist auch der ältesten Tochter Moses Mendelssohns Dorothea Veits Eheirrung, in die Friedrich Schlegel die neun Jahre ältere Frau hineinzog. Sie verließ seinetwegen schließlich ihren Mann, um den schwankenden und unsteten Schlegel in treuer Liebe und Hingebung an sich zu ketten ohne Scheidung und ohne neue Heirat. Sie trat in ihrer Anhänglichkeit in einen heftigen Gegensatz zu der geistigen und sittlichen Beweglichkeit ihrer Schwägerin, die mit Schelling in Verbindung trat. Dorothea rechnete nach Varnhagen ihre Verbindung mit Friedrich Schlegel, der übrigens die damalige Auffassung über den Zusammenklang von Literatur und Liebesverhältnis in seinem vielbeschriebenen Roman »Lucinde« offenbart hatte, zu den Wegen, die der Himmel dazu ersehen, sie zum Heile zu führen.

Fast alle Frauen jener literarischen Kreise hatten ihre eigentümlichen Schicksale auf dem Gebiete der Liebe. Selbst Rahel Lewin blieb nicht von dem geheimen Feuer verschont.

Rahel war fünfundzwanzig Jahre alt und hatte Mitte der neunziger Jahre ihre Dachstube in der Jägerstraße, der Königlichen Seehandlung gegenüber, gerade zum Zentrum des literarisch-künstlerischen Berlins gemacht, als alles, was sie in sich aufgespeichert hatte, die erste große Eruption erfuhr. Sie liebt den jungen Grafen Karl von Finkenstein, der ihre Leidenschaft erwidert, aber durch vier schmerzliche und leidenschaftliche Jahre nicht den Mut aufbringt, mit einer Konvention zu brechen, die dem Adligen das Bündnis mit einer Jüdin verbietet. Völlig gebrochen flüchtete Rahel nach Paris, um bald nach ihrer Rückkehr nach Berlin im Jahre 1802 in einen noch weit gefährlicheren Strudel der Leidenschaft zu geraten. Sie wird von einer wahnsinnigen Liebe für den spanischen Attaché Don Raphael d'Urquijo erfaßt, und erst zwei Jahre später ist der Bruch mit dem Geliebten endgültig besiegelt. Es bildete wohl die stärkste Tragödie in dem Leben dieser Frau, daß sie sich zweimal hinwarf an geistig unbedeutende Menschen; daß gerade sie dem »schönen Manne« zum Opfer fiel, und daß von ihrer Seite die vollendetste Ausbildung des Seelischen nicht ausreichte, physische Haltlosigkeit wett zu machen.

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D. Chodowiecki: »Wir dürfen nicht wieder so auseinander gehen!«
(«llustration zu einer Erzählung.) Um 1790.

Um eine vielgenannte Frau, um Henriette Herz herum, entwickelte sich ein ganzes Knäuel von Galanterie – dem sie selbst allerdings mehr als Zuschauerin angehörte.

siehe Bildunterschrift

F. Bolt: Am Morgen nach der Hochzeit.

Der Arzt und Philosoph Markus Herz läßt seine junge Frau gewähren, wenn sie sich mit der ihr eigenen kühlen Leidenschaftlichkeit den seltsamen Schwärmereien ihrer Zeit zuwendet. Hierher gehört vor allem der in den »Jugenderinnerungen« Henriettes und in den schwülen Briefen Wilhelms von Humboldt hinreichend charakterisierte »Tugendbund«. Er ist im Grunde in seiner inneren Verlogenheit so harmlos nicht, und mit richtigem Instinkt und kritischer Überlegenheit hat sich die blutjunge Rahel, die Tochter des Juweliers Levin Markus, von seinem Treiben ferngehalten. Wir haben es hier in diesem an sich recht interessanten Kreise mit einer Abart des Pietismus zu tun, mit einem Freimaurertum des Herzens, das die Sinne entflammt, statt sich zu einer gesunden Verliebtheit zu bekennen. Wilhelm von Humboldt und sein jüngerer Bruder Alexander gehören zu ihm; dann Carl Laroche, ein Sohn der von Wieland angebeteten Sophie Laroche, Sara und Marianne Meyer, die späteren Frauen von Grotthus und von Eybenberg, Dorothea und Henriette Mendelsohn, die zweite Tochter des Philosophen, die später in Paris ein Erziehungsheim geleitet hat und ebenso wie Dorothea zum Katholizismus übergetreten ist. Dieser Kreis schwärmender Freunde, dessen Hauptperson der junge Humboldt gewesen ist, weist auch eine Reihe interessanter Gäste auf, die des einen und anderen Lebenswege dann immer wieder durchkreuzt haben. Wilhelm von Humboldt verliebte sich zunächst gründlich in die kokette Therese Heyne, die Freundin Caroline Schlegels und wie sie eine Göttinger Professorstochter mit lebhaften Instinkten. Sie ist später als Gattin des Forschungsreisenden und Revolutionärs Georg Forster, den schließlich in dieser Epoche romantischer Eheirrungen der Literat Huber ablösen sollte, dem Göttinger Studenten Humboldt nochmals gefährlich geworden. Auch Caroline von Humboldt, die spätere Gattin des Staatsmanns, gehört als Caroline von Dacheröden vorübergehend zu diesem Kreise der Erweckten, in den eigentlich am besten der seltsame Heilige Franz Leuchsenring, halb Werther und halb Mephisto, hineinpaßt. Auch Göckingk, der Dichter des »Liederbuches zweier Liebenden«, der intime Freund Bürgers, ist in dieser Gemeinde, in deren Mitte wir auch die Gestalt Sophie Schuberts finden, die bereits in die jüngere Romantik der Arnim und Brentano hinüberreicht. Sophie Schubert ist dann in Jena Frau Professor Mereau und verfaßt, von Clemens Brentano angeregt, recht talentvolle Verse. Sie hat sich, dem Zuge der Zeit folgend, scheiden lassen und ist die Frau von Clemens-demens geworden. Das also war der »Tugendbund«, eine höchst stilwidrige Schäferei mit Pfänderspielen, heimlichen Küssen, chiffrierten Briefen, Brüderlein und Schwesterlein, dem Freimaurertum nachgeahmten Gesetzen der Seelenverwandtschaft.

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F. Bolt: Elternglück.

Henriette Herz selbst war nicht nur befreundet mit Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher und dem jungen Börne, sondern manch anderer widmete ihr noch seine Liebe. Schleiermachers seelische Abhängigkeit von ihr ging so weit, daß die Berliner ihn als Inhalt eines Ridikuls sahen, mit dem die Hofrätin Herz auf einem Karikaturblatt gezeichnet war. Der junge Börne selbst verliebte sich schwer in die um mehrere Jahrzehnte ältere, stattliche Schönheit der hochgewachsenen üppigen Hofrätin.

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D. Chodowiecki: Die ängstliche Unschuld. Galanter Scherz um 1800.

Am bezeichnendsten aber für die Zeit jener literarisch gesteigerten Zeit sind die Jünglingsbriefe Humboldts an die Herz. Eine ganze Gruppe gehörte zu diesem Kreis, der sich in einen Blumengarten erregter Gefühle, Küsse, Pfänderspiele, Tänze, Geschenke von Ringen und Schattenrissen, schriftlichen Ergüssen hochgespannter Strebungen nicht genug tun konnte.

Die folgenden Auszüge aus Briefen von Humboldt geben den hochgetriebenen Ton des Kreises wieder:

» ... , den 11. November.

Aber erinnerst Du Dich nicht, Jette, jenes herrlichen Abends, da ich bei meinem letzten Aufenthalt in Berlin Hand in Hand auf Deinem Sopha mit Dir saß, da wir jeden Grund hervorsuchten, um, was unseren Herzen so wert war, auch dem Verstand zu empfehlen, da wir so glücklich waren im Vorgefühl der Freuden, von denen wir redeten. O! mir, teure, liebe, traute Jette, mir werden sie unvergeßlich sein, diese göttlichen Stunden.«

 

»den 7. September 1788.

(Göttingen)

O! Jette, o Brenna! wie viel werden K. und ich noch von Euch lernen, wie viel besser noch durch Euch werden? Ich schriebs noch neulich Kar. Wenn ich gut bin, so bin ichs durch Jette. Ach! und das ist so wahr! Wenn ich mich so bedenke, wie ich sonst war, und wie ich jetzt bin, und wenn ich dann bedenke, wer mich so umschuf, wer mein leichtsinniges, eitles, ehrgeiziges, wenig empfindendes Herz zu dem Herzen machte, das Euch liebt, und von Euch geliebt wird, so hebt sich mein Blick feurig zum Himmel, so überströmen mich Gefühle des Dankes, daß mich das Schicksal Dich finden ließ!«

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Ramberg: Er versäumt das Beste!
Satire auf den Pfarrer, der an sein Buch denkt und sein Weibchen vergißt.

Daß eine solche Stimmung in jenen Literaturkreisen auch zu allerlei Liebelei führen mußte, ist selbstverständlich. Varnhagen berichtet z. B. über die Eheirrungen der Frau des Sprachforschers Bernhardi:

»Der bedeutende Kreis, in welchem er seine schönsten Jahre mitgelebt, hatte sich allmählich aufgelöst, Friedrich Schlegel war nach Paris gezogen, Wilhelm Schlegel in der Schweiz, Ludwig Tieck in München; aber schlimmer als diese äußere Trennung hatte innerer Zwiespalt hier die scheinbar so tiefen Bande der Vereinigung zerstört. Bernhardi war mit der Schwester Tiecks verheiratet, und, wie man sagte, hatte er sich diese Heirat durch Tieck aufschwatzen lassen, der sich der Schwester, nachdem sie ihn mit romantischer Zuneigung und durch unbequemes Anhängen lange gequält, auf diese gute Art zu entledigen gewußt. Sie selbst hatte auch nur mit Widerstreben eingewilligt und lebte nicht glücklich; der wohlbeleibte Gatte war ihr zu materiell und obwohl er alles tat, ihrem ätherischen Wesen zu huldigen, so hatte er doch wenig Dank davon. Wilhelm Schlegel, der bei Bernhardi wohnte und aß, gefiel ihr besser, und es entstand große Vertraulichkeit, die in diesem Kreise, wo es fast eingeführt war, sich wechselseitig alles zu gönnen und zu gestatten, kaum auffallen konnte, um so weniger, als auch Bernhardi mit Schlegels Frau, der nachherigen Schelling, eine Zeit hindurch in gar gutem Vernehmen gestanden hatte. Wie aber das muntere und geistreiche Zusammenleben nach und nach einging, wuchs das Mißvergnügen und die Unruhe der Madame Bernhardi, sie wurde kränklich und sollte zu ihrer Zerstreuung nach Weimar reisen, wohin sie ihre beiden Knaben mit des Vaters Einwilligung mitnahm; ein liefländischer Edelmann von Knorring aber, den sie mit ihren schwachen Reizen wunderbar gefesselt und zu ihrem Retter ersehen hatte, kam ihr heimlich nach und führte sie von Weimar nach Italien fort.«

Es kam nun zum Prozeß und zu scharfen Auseinandersetzungen mit Tieck, der den gekränkten Ehemann schwer zu beschuldigen wußte. Hiergegen hatte nun auch Bernhardi scharfe Waffen, wie die Gegenseite sie nicht vermutete: die Mägde seiner Frau hatten sich das Vergnügen gemacht, mit Kreidestrichen die Zahl der Küsse anzumerken, welche sie im Nebenzimmer schallen hörten, wenn Madame Bernhardi mit Knorring so lange allein blieb, bis der besorgte Ehemann aus der Apotheke zurückkam, wohin er selbst zu eilen pflegte, um die vorgeschriebenen Arzneimittel gegen die Krampfanfälle der Gattin herbeizuholen; der ehrwürdige Fichte bezeugte auf Verlangen gerichtlich, daß er bei Madame Bernhardi, als er unerwartet in deren Schlafzimmer getreten sei, den älteren Schlegel in sonderbarster Verfassung angetroffen habe, und was dergleichen Ärgernisse mehr waren. Wegen einer Liebelei, deren Bernhardi mit einer Verwandten Tiecks beschuldigt wurde, konnte er anführen, daß dieser ja selbst darin vorangegangen war, und die lästig gewordene Liebschaft an den bequemen Schwager gleichsam abgesetzt hatte.

Varnhagen war nicht entzückt, in die innere Zerrüttung scheinbar schöner und glücklicher Dichterverhältnisse hineinzuschauen. Übrigens hat Varnhagen selbst mehrmals an kleinen Liebesspielereien sich beteiligt. Sein Freund Theremin, ein Theologe, hatte ein Liebesverhältnis mit einer Sophie Sander.

»So standen die Sachen, als eine Busenfreundin von Madame Sander, die verwitwete Hofrätin Spazier, Schwägerin Jean Paul Richters, aus Leipzig eintraf, welche als eine schriftstellernde, lebhafte, liebenswürdige, nicht gleichgültig lassende Frau durch vielfache Gespräche schon angekündigt war. Einige muntere Abende wurden hingebracht, der Superintendent Dr. Mann suchte sein Herz anzubringen und gab uns viel zu lachen, zur Steigerung unseres Vergnügens sollte er noch eifersüchtig gemacht werden, und dazu wurde ich ersehen; meine verabredete Bewerbung wurde mit verabredeter Gunst aufgenommen, und Dr. Mann in große Wut gesetzt. Madame Sander hatte aber darauf gerechnet, meine Rolle würde nicht bloße Rolle bleiben, sie wünschte mich um jeden Preis in solche Verwicklung gebracht, Theremin sagte mirs, und wir lachten auch darüber. Mir mißfiel es jedoch sehr, als er mir ferner vertraute, er habe den Auftrag, mich zur Dreistigkeit zu ermuntern, es sei hier gar leicht, gutes Glück zu haben. Ich sah die fremde Dame wahrlich nicht in Freundschaftshänden, so wenig wie mich selbst. Ich ließ es mir indes gefallen, und schon glaubte ich das lose Spiel zu Ende, als ich entdeckte, die Hofrätin sei von meinen Verhältnissen in Hamburg genau unterrichtet, und leicht drang ich ihr das Bekenntnis ab, Madame Sander habe ihr alles gesagt.«

Varnhagen war sehr erbost, daß auch er zum Gegenstand eines galanten Scherzes werden sollte. Schon als jüngerer Student war er in ein Abenteuer geraten, das ihm selbst später sehr gewagt vorkam. In einer sehr geselligen Familie, die in ihrem Charlottenburger Landhause eine Anzahl Freunde Sonntags und auch an anderen Tagen gastfrei und üppig bewirtete, hatte er eine Tochter des Hauses, eine Baronin von Boye kennen gelernt. Einem schwedischen Major verheiratet, der in Stralsund seinen Standort hatte, dachte sie ihm dorthin bald nachzufolgen, nachdem sie eben mit ihm aus Paris und dem südlichen Frankreich zurückgekehrt war. Sie war elegant, gewohnt, die Huldigungen der großen und kleinen Kreise auf sich zu ziehen und verschmähte auch humoristische und geniale Wagnisse nicht. In ein solches Wagnis wurde nun Varnhagen verstrickt, von dem er selbst erzählt:

siehe Bildunterschrift

Satire auf Schlegels Lucinde und die galante Literatur am Anfang des 19. Jahrhunderts.
(Wahrscheinlich von Schadow.)

» Frau von Boye (eine schöne, geistreiche Frau) bewohnte ganz allein die während des Sommers leerstehende Stadtwohnung der Madame Bernhard, die Bedienung war entfernt, ich wurde ungesehen eingelassen, und mit der Tür hinter uns war eine Reihe von Zimmern abgeschlossen, in welchen wir uns nach Wunsch zu gegenseitiger Mitteilung so behaglich als ungestört vereinigt fanden. Der Reiz dieses Erlebnisses war ungeheuer, so viel Romantisches hatte mir noch kein früherer Moment geboten, ich schwelgte in den erheblichsten Vorstellungen. Der lange Sommerabend, dessen leidenschaftliche Gespräche auch zuweilen durch schweigendes Auf- und Abgehen oder Vorlesen von Briefen und durch Genuß einiger Erfrischungen unterbrochen wurde, verging mir wie ein Augenblick, und Mitternacht war vorüber, als ich wieder eben so geheim und unbemerkt, wie ich gekommen war, entlassen wurde, und langsam durch die stillen sommerlichen Straßen den herrlichsten Heimweg zurücklegte. Vielmals ist es gesagt worden, und täglich erneut sich die Bestätigung, daß die frühen Triebe der Jugend vorzugsweise eine geistige Wendung nehmen, und Unschuld und Reinheit oft am sichersten da bewahrt sind, wo sie am meisten gefährdet scheinen. Frau von Boye wußte ohne Zweifel, wie sicher hierauf zu vertrauen sei.«

Nicht alle aus jenen Kreisen kamen so gelinde aus solchen Wagnissen heraus. So wenigstens ging es dem berühmten Theologen Schleiermacher. Er war ein Predigersohn, ganz Weltlichkeit, Sinnlichkeit; er ließ auch beides nie fahren, sondern befriedigte beides aus dem Standpunkt des Geistlichen. Gute Zeugen haben noch vollständige Briefe an die Predigerfrau Grunow gelesen und mit Erstaunen darin die fleischlichste Begier und Leidenschaft gefunden.

Seine enge Freundschaft mit Friedrich Schlegel, dessen von vielen Seiten angegriffenes Buch »Lucinde« er durch »Briefe über Lucinde« verteidigte – aus denen übrigens auch ein zartes Verhältnis zu erkennen war – wies auf eine Richtung hin, die nicht nur geistlich war. Varnhagen sagt denn auch von ihm: »Schleiermacher hat eigentlich eine Art Harem gehabt, eine wahre Vielweiberei. Die zärtlich vertraute Freundschaft war immer der Liebschaft nahe, die stets Sinnliches begehrte, wenn auch nie ausübte. Ein halb Dutzend Weiber hatte er immer, mit denen er vertraulich war. Die Eleonore Grunow, die Hofrätin Herz, die Charlotte von Kathen, die Frau von Willich, die Frau Wedeke, die Reichhardtschen Schwestern, die Professorin Steffens, die Karoline Wuhr, nachherige Schade und noch andere mehr. Die Heirat mit der erst 18 Jahre alten, jungen schönen Witwe von Willich, die ihn immer Vater genannt, ist fast eine Blutschande zu nennen. Er selbst hat in seiner Ethik die Heirat mit einer Witwe oder Geschiedenen für unsittlich erklärt.« –

Später aber gestand ihm Varnhagen, trotzdem er die obige Darstellung durchaus aufrecht erhielt, doch zu, daß Schleiermacher bei all seinen Gebrechen ein geistig hoher, edler, braver Mann gewesen, der auch sehr liebenswürdig sein konnte und einer der besten seiner Zeit bleibt.

Schleiermacher war eben ein Mensch seiner Zeit gewesen, in der menschliche Schwäche nicht allzuhoch angerechnet wurde. Wir müssen auch bedenken, daß damals im Bürgertum sowohl wie in der Gesellschaft eine Literatur beliebt war, die an süßlichen Andeutungen bis zur letzten Grenze ging. Die Geschichten des Hofrats Heun (Clauren) sind durchaus bezeichnend für die Biedermeierzeit, die nicht nur in vorbildlichster Bravheit verlief. Hauff hat in seinem »Mann im Monde« mit Recht die schwülstige Art des lebemännischen Hofrats persifliert:

»Jene Novelle an sich hat keinen Wert, und dennoch hat es mich oft in der Seele geschmerzt, wenn ich eines oder das andere der gesammelten »Zutätchen« einstreuen, wenn ich von »keuschem Marmorbusen, stolzer Schwanenbrust, jungfräulichen Schneehügeln«, Alabasterformen etc. sprechen mußte wenn ich nach seinem Vorgange von schönen »Wäd – «, von süßen »Kü – « (was nicht Küche bedeutet), von wollüstigen Träumen schreiben sollte, wenn die Liebesglut zur Sprache kam, die dem »jungfräulichen Kind« wie glühendes Eisen durch alle Adern rinnt, daß sie alle andern Tücher wegwirft und die leichte Bettdecke herabschieben muß!«

Das galt nicht nur für Künstler- und Literatenkreise. Als der napoleonische Sturm die gesamten Zustände und Bande in Deutschland lockerte, wurden besonders die Offiziersfamilien auseinandergerissen, oft auf Jahre. Da geschah es nicht selten, daß die Frau inzwischen ein Erlebnis hatte, das nicht immer ohne Folgen blieb. Das Kind wurde meist aus der Familie fortgegeben in irgendeine Pflegschaft. Dem Mann blieb das nur selten verborgen, aber er fand sich bei dem allgemeinen Unglück auch mit diesen Dingen ab – wie im Fall des Generals Hühnerbein. (Siehe Varnhagens Erinnerungen.) Das Kind kam manchmal später, sein Recht geltend zu machen. Es war vielleicht auch Offizier geworden wie jener Sohn der Generalin Hühnerbein, der plötzlich auftauchte und als echter Generalssohn anerkannt werden wollte. Die sehr stolze und hochmütige Generalin mußte froh sein, daß ein Freund von ihr den jungen Mann ohne Aufsehen wieder entfernte – und so ihre Jugendsünde nicht allzu bekannt wurde.

In vielen Fällen blieben die Kinder auch einfach in der Familie. Die Männer waren oft genötigt, duldsam zu sein. Die harte Zeit zwang sie dazu – wie ja auch der Weltkrieg manche Männer zur Duldsamkeit gezwungen hat, wenn gar zu lange Verlassenheit die zurückgebliebene Ehehälfte zu einer Galanterie verlockt hatte. –

Auch aus den Stammbuchversen jener Zeit läßt sich herauslesen, daß nicht alles nur Myrte und Thymian war, was zwischen den Geschlechtern ausgetauscht wurde. Oft kam das recht naiv, aber auch recht deutlich zum Vorschein, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Ewig denkt mein treies Herze
An der Liebe sieße Scherze,
Und des scheiden macht mich Schmerze–n!
Dieses kommt aus dem vollen Busen Deiner Aurora, genannt Ricke.

Solche und andere Stammbuchverse, die nicht nur gefühlvoll-biedermeierisch, sondern neckend und auch manchmal derb galant waren, sind in großer Menge vorhanden. Sie beweisen, daß auch die Romantik nicht nur in Schwärmerei der Galanterie huldigte, sondern ihr auch in gediegener Sinnlichkeit ergeben war.

siehe Bildunterschrift

F. Bolt: Galante Volksspiele
(um 1800)


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