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Am Biedermeierhof

Wir sind gewohnt, Friedrich Wilhelm III. als einen furchtbar braven Hausvater anzusehen, der nichts als seine Luise im Kopf gehabt und erst nach Jahrzehnten, gewissermaßen nur als Hausfrauersatz, die Gräfin Harrach zur linken Hand geheiratet habe. Aber eine Anzahl von Berichten wirklich Eingeweihter weiß zu erzählen, daß der biedere König stets dem weiblichen Geschlecht seine liebenswürdigen Huldigungen darbrachte.

In Paris hatte er während der Besetzung die Annehmlichkeit des Theaterbesuchs kennengelernt. Er, der bis dahin im Theater keine moralische Anstalt gesehen hatte, fand dort Ablenkung, Unterhaltung und Erfrischung nach ermüdenden Konferenzen und anderer Arbeit. Nach seiner Rückkehr benutzte er nun jeden Abend, um sich im Theater zu erholen. Aus diesem ständigen Theaterbesuch entwickelte sich bald ein regerer Verkehr mit den Theatermitgliedern, wenigstens mit den weiblichen.

Dem König machte es Vergnügen, sich von den Schauspielerinnen und Tänzerinnen allerlei vorschwätzen zu lassen. Das vertrieb ihm die Zeit, wenn er müde war. Aber es fiel niemand ein, darum seinen Sitten einen ernsten Vorwurf zu machen. Diese Zusammenkünfte führten aber zu Bekanntschaften, die zu mancherlei Gunstbezeigungen und Geschenken Anlaß gaben. Bei allerlei kleinen Festen und Vorführungen im Palais des Königs und auch oft nach dem allgemeinen Theater wurden die Damen, die vorher in manchmal harmlosen, manchmal pikanten Rollen und Kostümen auf den Brettern erschienen waren, zu einem Beisammensein im Königspalais eingeladen. Caroline von Rochow plaudert darüber:

»Man fand sie in irgendeinem Nebenzimmer, wohin der König, die jungen Prinzen und einige dahin neigende Geister sich begaben, um sich mit ihnen zu unterhalten, wenn nicht gar der Herzog Karl von Mecklenburg, die Theater-Intendanten und einige Hofleute mit dieser Truppe soupierten. Was war natürlicher, als daß junge Leute erlaubt fanden, was ein sehr hochstehendes Beispiel ihnen vorzeigte, wie begreiflich, wenn bei ihnen die Folgen weiter gingen als der Ernst des Charakters und der in dieser Beziehung feste Sinn des Königs diesen führte. Hier war es, wo Prinz Adalbert die Bekanntschaft jener Demoiselle Therese Elßler, der Schwester Fannys, der großen Tänzerin, machte, die als seine Gemahlin endete.

siehe Bildunterschrift

Die berühmte Tänzerin Fanny Eißler bei der Toilette.
Galante Prozellanstatuette aus der Berliner Porzellan Manufaktur.
(Erste Hälfte 19. Jahrhundert)

Die einzigen, die niemals Geschmack daran äußerten, waren der Kronprinz und Prinz Wilhelm-Bruder. Der letztere vielleicht im Gefühl der äußeren Würde, die seinen Stand gebührte, an dem er mit großem Selbstgefühl hing, der erste wohl aus einer natürlichen, unschuldigen Sittlichkeit, die zu den besten Seiten seines Wesens gehört: mehr aus Grundsatz, da er wie die meisten Menschen sich das, was ihn amüsiert, auch als erlaubt zurechtlegen weiß; es amüsierte ihn eben nicht.«

Übrigens war der Kronprinz (Friedrich Wilhelm IV.) doch kein Feind weiblicher Schönheit. Nur suchte er sie wo anders, wie aus dem Brief eines Herrn v. Wulffen an Fürst Pückler hervorgeht:

»P. S. Vorgestern, am Tage der Ankunft Ihrer belebten Bilder, gab es lebende Bilder beim Kronprinzen.

Leute, die Ihnen vorwarfen, zuweilen zuviel zu enthüllen, schielten dort ganz lüstern nach den sieben Mädchen (Nicht in, sondern fast ohne Uniform) am Brunnen, dargestellt durch sieben Ihrer wohlerzogenen aber unangezogenen, aber desto anziehenderen Hofdamen, die Prinz C. Solms und Ganymed Bonin hinter dem Brunnen belauschten.«

Und vom Prinzen Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm, steht in den bisher noch unveröffentlichten Tagebüchern der schönen Schauspielerin Charlotte von Hagen eine sonderbare Notiz aus den dreißiger Jahren, die aber bei der ganzen Art der Tagebuchschreiberin nicht als aus der Luft gegriffen bezeichnet werden kann:

Sie will in das ihr zugewiesene Zimmer gehen, sieht vor den Zimmern des Grafen Redern zwei Tänzerinnen, die ihr erzählten, wie die drei, Taglioni, Galster und Erck an die Tür des Grafen geklopft und sogleich eingetreten seien, ihn aber zu ihrem Erstaunen allein und Klavier spielend gefunden hätten, später aber durch die nicht völlig geschlossene Tür in seinem Schlafzimmer den Prinzen Wilhelm mit einer Dame entdeckt – die sie jedoch, da sie die Weck alle sehr lieben, mir nicht nannten und nicht gekannt haben wollten. – Ich lachte herzlich, daß der General-Intendant Graf etc. sich dazu hergiebt, Klavier zu spielen, während auf einer Seite des Zimmers P. Wilhelm, auf der andern Prinz Karl mit Msll. Bordewich, die ein wenig später wie besessen in das Zimmer zum Grafen gestürzt sei und P. Karl ihr nach.

Der König selbst aber war ausgelassen lustig in der unterhaltsamen und vorurteilsfreien Gesellschaft der Künstlerinnen. Er wußte überhaupt den erfrischenden und erquickenden Umgang mit jugendlichen und heiteren Geschöpfen als eine selbstverständliche gesellschaftliche Eigenart anzunehmen. Eine kleine Kurmacherei hatte er ständig. Irgendein hübsches, nicht zu bedeutendes Mädchen, das lustig, unbefangen geschwätzig war, fand sich gewöhnlich in den Gesellschaften, die er selbst gab, oder die er bei seinen Schwägern und Brüdern, bei den Ministern und Gesandten besuchte. Mit der Auserkorenen tanzte er eine huldigende Polonaise oder unterhielt sich bei Soupers an kleinen Tischen. Diese vertrauliche Art zu speisen liebte er, weil er sich mit »toujours famille« langweilte. Er war bei diesen Unterhaltungen im kleinsten Kreise durchaus nicht zimperlich in den Gesprächen. In den Hofkreisen tauchten schon häufig allerlei Befürchtungen auf. Am meisten fürchteten besonders die Prinzessinnen, der König werde sich mit einer jungen Dame aus bürgerlichen Kreisen allzu nahe einlassen.

siehe Bildunterschrift

Oberhofmeisterin der Königin Luise, Gräfin von Voß geborene von Pannwitz
in ihrer Jugend Hofdame der Königin Sophie Dorothea im Schloß Monbijou

Diese sehr hübsche und liebenswürdige junge Dame war von der Tochter des Staatskanzlers Hardenberg, der Gräfin Pappenheim, an den Hof gebracht worden. Die Gräfin Pappenheim ließ sich gerade scheiden, um den sich zuerst in Berlin zeigenden Grafen Pückler-Muskau zu heiraten, dem eine ältere Frau als Stufe zu dem bald erlangten Fürstentitel und des Schwiegervaters Freigebigkeit eine willkommene Gabe gewesen sein soll.

Die Gräfin Pappenheim erschien in der Hofgesellschaft mit zwei Töchtern, von denen nur die ältere eine wirkliche Gräfin Pappenheim war, die andere adoptiert, aber durchaus auf gleichem Fuß mit der sogenannten Schwester in allen Beziehungen auftretend und in die große Welt eingeführt, was für ein namenloses Wesen bisher noch eine unerhörte Sache gewesen war. Sehr hübsch und angenehm, gehörte sie zu den vorzüglichst vom König protegierten jungen Damen, und die Höflinge waren froh, als sie, ohne nähere Beziehungen, wieder vom Schauplatz verschwand.

Mancherlei Projekte mit Badebekanntschaften kamen noch zutage. Der König ließ aber jene Ideen bald wieder fallen, weil er einen intriganten Familienanhang argwöhnte, und weil er grade eine von jedem fremden Einfluß abgeschnittene Persönlichkeit suchte.

Einige Badebekanntschaften kamen dann nach Berlin, die den Höflingen wieder Schrecken einflößten: die Gräfin Ficquelmont mit ihrer Schwester Gräfin Katharina Tiefenhausen. Doch wollten die Damen nur die Badebekanntschaft ein wenig auffrischen und suchten im übrigen anderen Anschluß.

Den König traf aber unterdessen eine andere ernsthaftere Herzensenttäuschung. Eine junge Hofdame seiner zweiten Tochter wurde ihm gefährlich. Seine Kinder befürchteten schon eine Erklärung zu ihren Gunsten. Wo ein Fest war, beanspruchte er die Gesellschaft der Hofdame. Wenn er nicht eingeladen wurde, kam er selbst zum Besuch und wußte immer die Hofdame zu finden. Da hofften seine Angehörigen, ihm in der Person der Großfürstin Katharina eine standesgemäße Frau zuführen zu können. Aber er widerstand den Lockungen dieser liebenswürdigen Persönlichkeit, die später Königin von Württemberg wurde.

siehe Bildunterschrift

Lithographie von Jentzen:
Fürstin von Liegnitz morganatische Gemahlin Friedrich Wilhelm III.

Die junge Hofdame, für die er sich schon entschlossen hatte, fügte ihm jedoch einen kleinen Schmerz zu: ehe er seine deutliche Absicht zur Sprache bringen konnte, erklärte sie ihre Verlobung mit einem seiner Adjutanten.

Nun schien es einige Zeit lang, als seien alle Ideen über eine morganatische Ehe des Königs, die damals den Getreuen wie ein anderes Mätressenverhältnis erschienen wäre, ohne Grund gewesen. Sonderbarerweise war von der Badebekanntschaft in Teplitz mit der Familie des Grafen Harrach nichts bekannt geworden.

Plötzlich erschien auf einem Balle beim Kronprinzen ein sehr hübsches, frisches, elegantes junges Mädchen unter der Ägide der alten Staatsdame Fräulein von Viereck, der letzten des Hofstaates der hochseligen Königin, die jetzt gewissermaßen an der Spitze des königlichen Hofes stand. Diese sagte: es sei eine Bekanntschaft des Königs aus Teplitz; er habe deshalb gewünscht, daß sie zu dem Ball des Kronprinzen gebeten würde; ihre Eltern besuchten keine Gesellschaften, deshalb habe sie, Fräulein von Viereck, es übernommen, sie herzuführen und zu präsentieren. Niemand, selbst von der Familie, ahnte ein näheres Verhältnis; alle jungen Prinzen bemühten sich, der hübschen Fremden den Hof zu machen. Sie blieben wie vom Donner gerührt, als ihnen am nächsten Tage die Kunde wurde, dieselbe junge Dame sei bestimmt, ihre Stiefmutter, und Tante zu werden.

Gewissermaßen machte der König dabei die Erfüllung seines Entschlusses von der Zustimmung seiner Kinder abhängig, die durch mehrmonatliche Anwesenheit der Großfürstin Charlotte alle um ihn versammelt waren. Wer hätte aber wohl dem Vater eine solche Einwilligung versagen wollen! De bonne grâce wurde sie schwerlich von allen Seiten gegeben.

Am besten und edelsten zeigte sich der Kronprinz. Einmal mit dem Wunsch und dem Willen seines Vaters bekannt, nahm er sich der Sache an und setzte es durch, daß alle Äußerlichkeiten dieses Verhältnisses, Namen, Etablissement, so anständig und fürstlich wie es sich schickte, ausgestattet wurden, während der König die Gräfin einfach und unscheinbar stellen wollte. Der Kronprinz bestand darauf, bei der Einsegnung der Ehe in der Kapelle von Charlottenburg anwesend zu sein, während der König auch dies so heimlich wie möglich betrieb.

Der Kronprinz war auch derjenige, der sich ihrer Stellung in der Familie annahm, wenn die Schar der versammelten Kinder, Schwiegerkinder und Verwandten sie vergaßen oder ignorierten, und auch der Großfürst Nikolaus, als er später dazu kam, gab das Beispiel respektvoller, schicklicher Formen gegen die Lebensgefährtin seines Schwiegervaters.

Der König selbst stellte seine Gemahlin bei einer Mittagstafel dem versammelten Hofstaat vor, indem er sie vor sich in das Zimmer schob, ihr die Hände auf die Schulter legte, sie auf diese Art eine Verbeugung machen ließ und sagte: »Dies ist eine junge Dame, die ich Ihrem Wohlwollen empfehle!«

Als die Heirat vollzogen wurde, waren die Zimmer für die neue Gemahlin noch nicht einmal fertig. Sie mußte mehrere Tage sozusagen inkognito bei ihren Eltern im Gasthaus »Zur Sonne« Unter den Linden wohnen.

Die junge Gräfin, die zur Fürstin von Liegnitz ernannt wurde, hatte vorläufig einen schweren Stand. Die älteren Damen des Hofes, von denen manche schon kränklich und überreizt waren, übersahen sie absichtlich. Die jüngeren Familienmitglieder folgten diesem Beispiel und hielten gegen das fremde, ihnen aufgedrungene Element zusammen. Sie scheint diese stillschweigende Ablehnung mit Geduld und Takt ertragen zu haben. Caroline von Rochow berichtet von dieser Zeit:

»So ist es ihr überhaupt im ganzen Leben gegangen: nicht bedeutend, aber ruhig, bescheiden, passiv vielleicht in jeder Beziehung, stets taktvoll, wurde sie eine treue, befriedigte Gefährtin des Königs, der sie brauchte zur Pflege, zur Begleitung, um da zu sein, wenn er mit jemand sprechen wollte, und erntete schließlich eine allgemeine Achtung durch die treue Erfüllung ihres Berufes und die gänzliche Abwesenheit von Einmischung und Intrige. Die königliche Familie gewöhnte sich nach und nach daran, ihre eigenen Wünsche durch die Fürstin an den König zu bringen, und ich hörte sie gelegentlich als wohlwollende Vermittlerin rühmen.

Damals gab die ganze Art, wie die neue Heirat geschlossen, die neue Gemahlin sozusagen in das Palais eingeschmuggelt wurde, die Bekanntmachung der Ehe durch eine Art ›lettre de faire part‹ an die hohen Staatsbeamten Anlaß, Tadel, Ärger und Ridicule darüber auszuschütten. Diejenigen, die den König liebten, weinten über die Schwäche, die Verteidiger waren zu zählen – und nach wenigen Jahren schien alles überwunden. Man endete sogar damit, anzuerkennen, der König habe recht getan, denn für seinen Sinn hätte er schwerlich eine passendere Heirat schließen können; und eine Gefährtin alter, einsamer Tage ist wohl einem Könige noch mehr als jedem anderen Mann zu wünschen.

Die Fürstin bürgerte zuerst die Pariser Toiletten- und Luxusgegenstände bei uns ein und brachte die bunten Farben in die Mode. Diese Neigung wurde vom König sehr gefördert.«

Es war das die letzte Ehe zur linken Hand von Bedeutung am preußischen Hof. Sie ging recht brav aus, wie das dem Wesen des biederen Königs entsprach, der glücklich war, solch jugendliches Weibchen an seine immerhin angejahrte Seite zu bekommen, und der in dieser Beziehung der guten Tradition seiner Familie nicht ungern folgte.


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