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Der Hof seit dem Vormärz

Der preußische Hof hat im neunzehnten Jahrhundert nach dem Biedermeier zur Geschichte des galanten Berlin nicht allzuviel beigesteuert. Die ziemlich nüchterne und strenge Atmosphäre, die sich mindestens äußerlich dort erhielt, war dem galanten Leben nicht gerade hold. Nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. waren die Prinzen sämtlich schon über die erste Jugend hinaus und mit wenig männlichen Nachkommen gesegnet. Überhaupt fehlten bei Hofe fast alle Voraussetzungen für die Entwicklung eines galanten Lebens, wie sie etwa im 18. Jahrhundert bestanden. Die Zeit der Verfassungskämpfe, der Märzrevolution, der Reaktion und der Feldzüge bis zur Begründung des Kaiserreiches war keine Epoche für den besonderen Kultus der Frau.

Um so merkwürdiger ist es, daß auch um die Gestalt des Mannes, der aus dieser Epoche als Deutscher Kaiser hervorging, die galante Legende ihre Geschichten spann. Das ist um so sonderbarer, als sie in eine Zeit fallen, in welcher Wilhelm I. schon in vorgerücktem Alter und zugleich im Mittelpunkt eines sehr bewegten politischen Geschehens stand. Selbst wenn es sich um mehr als um Legenden handeln sollte, so bliebe immer wieder festzustellen, daß diese galanten Erlebnisse in keinem Augenblick etwa so wie in früherer Zeit sich in übler politischer Auswirkung fühlbar gemacht hatten.

Trotzdem wird man an diesen mehr oder weniger legendären Historien nicht vorbeigehen brauchen, weil sie immerhin an bestimmte Tatsachen anknüpfen dürften, die vielleicht in dem behaupteten Umfang nicht zutreffen, aber doch bezeichnend sind dafür, in welcher Weise die Phantasie der Zeitgenossen immer wieder gerade fürstliche Persönlichkeiten in erotische Beziehungen setzt.

Die Legende bringt offenbar mit Wilhelm I. in galanten Zusammenhang die Schauspielerin Edwina Viereck, die 1846 nach Berlin kam und wegen ihrer Schönheit dort sehr gefeiert wurde.

Vor ihrem Erscheinen in Berlin war sie Verkäuferin in einem Breslauer Tabakladen und strebte schon dort zum Theater, wurde jedoch abgelehnt, ebenso wie in Wien, bis sie in Brünn zuerst als Schauspielerin auffiel.

In Berlin galt sie dann später nach der »Allgemeinen Deutschen Biographie« als die Geliebte eines sehr hochstehenden Herrn am Berliner Hofe – und es ist nicht zweifelhaft, daß damit der damalige Prinz von Preußen gemeint war.

In mehreren schriftstellerischen Berichten jener Zeit wird auf jenes Verhältnis hingewiesen. Löffler z. B. rät, den hochstehenden älteren Herrn Unter den Linden nicht zu grüßen, der mit einer bekannten Schauspielerin vor einem Luxuslokal vorfährt und dort zum Souper verschwindet ...

Edwina Viereck mußte diesen Ruf einigemal bitter büßen. Bei einem Gastspiel in Breslau im Jahre 1849 wurde sie ausgepfiffen – eine Folge der Unbeliebtheit jenes hochgestellten Herrn. Sie glänzte und siegte weniger durch ihre Darstellungsgabe als durch ihre strahlende Schönheit und prächtige Gestalt. Sie war übrigens in der prüden Reaktionszeit durchaus nicht zimperlich und empfing ihre Morgenbesuche im Negligé. Schon im Jahre 1857 starb sie in Karlsbad an der Zuckerkrankheit. Einige reizende Briefe von ihr an den Fürsten Pückler aus dem Jahre 1853 finden die Leser in einem späteren Kapitel. Sie spricht zu ihm als ihrem Kameraden, ladet ihn dringend ein usw. – Demnach scheint ihr also auch Pückler nahegestanden zu haben.

Um ihre Kinder hat weder sie noch sonst jemand sich liebevoll bekümmert. Sie soll sie nach dem damals noch dörflichen Moabit in Pflege gegeben haben, und zwar, wie in zeitgenössischen Berichten die Rede war, für monatlich fünf Taler. Hier liegen vielleicht die Keime, die einen ihrer Söhne zu einem Revolutionär werden ließen – nachdem ihm immerhin die Mittel zum juristischen Studium zugeflossen waren. Dieser eine ihrer Söhne war nämlich der spätere bekannte Sozialistenführer Louis Viereck, der zusammen mit Bebel eine längere Strafe wegen politischer Vergehen verbüßen mußte, dann aber in Nordamerika sich eine geachtete Stellung als deutsch-amerikanischer Journalist schuf. Nach neueren Forschungen scheinen die Kinder der Edwina Viereck einen Kammerherrn v. Prillwitz zum Vater zu haben, der allerdings auch Hohenzollernblut in den Adern hatte. Möglicherweise spielte er die Rolle in den Legenden, die der Bericht der Gräfin W. einem anderen Höherstehenden zuzuschieben scheint.

Fast zu gleicher Zeit wie die Beziehungen zur Edwina Viereck scheinen auch andere gespielt zu haben. Die Berichte, die darüber vorliegen, sind zwar recht abenteuerlich, jedoch enthalten sie die echte Farbe der Jahrzehnte von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Sie entstammen der Feder einer Gräfin W., die ein sehr disziplinloses und unübersichtliches Buch »Meine Beziehungen zu Kaiser Wilhelm II.« veröffentlicht hat. Dieses Buch enthält immerhin eine Anzahl Episoden, die doch für ein galantes Leben am Berliner Hofe bezeichnend zu sein scheinen. Die Verfasserin behauptet zunächst einmal, eine Tochter Wilhelms I. zu sein. Sie bringt eine Anzahl von Indizien, die dafür sprechen sollen, etwa, daß sie eine feste Rente aus der Hofschatulle bezöge. Zwischen allen ihren Mitteilungen, die sie oft in romanhafter Weise gibt, stehen merkwürdige und realistische Schilderungen, daß man beinahe einen tatsächlichen Untergrund annehmen könnte. Sie selbst läßt sich dabei immer wieder von einem romanhaften Stil hinreißen und schwächt damit die Wirkung der angeblichen Tatsachen erheblich ab. Trotzdem hat das Buch gewisse Zeitfarben, die hier und da ein galantes Leben am Berliner Hofe aufleuchten lassen.

siehe Bildunterschrift

Edwina Viereck, die schöne Schauspielerin aus den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts.

Gräfin W. erzählt, ihre Mutter stamme aus der französischen Kolonie, sei in einem Institut der Kolonie erzogen worden und hätte schließlich mit ihrer Mutter im Hause des Oberstleutnants von Schätzel in der Luisenstraße gewohnt und mit der Tochter des Oberstleutnants bei einer Gräfin Neal verkehrt.

Im Hause der Gräfin Neal traf sie mit der Gräfin Blumenthal zusammen. Von der Gräfin Blumenthal hörte sie, der Prinz Georg von Preußen besitze ein Taschentuch, das seine Mutter noch vor seiner Geburt für ihn gestickt hatte. Zu seinem Leidwesen zerfalle die Stickerei, und er möchte sie gern wieder in Ordnung bringen lassen, wenn er nur eine Stickerin wüßte, die eine solche feine Arbeit wieder herstellen könnte. Die Mutter bat sich das Tuch aus, und das geheilte Tuch konnte dem Prinzen zurückgegeben werden. Da die Gegengabe des Prinzen, eine gefüllte Geldbörse, zurückgewiesen und ihm mitgeteilt wurde, eine junge Französin habe sich ein Vergnügen daraus gemacht, ihm sein Taschentuch zu erneuern, bat er darum, die junge Dame ihm vorzustellen. Sie ging hin zu ihm. Er sprach von seinem tief empfundenen Dank und küßte ihr die Hand.

»Fräulein von Schätzel holte meine Mutter ab und Arm in Arm wanderten die jungen Mädchen nach Haus. Unterwegs gesellte sich ihnen ein Militär, den Mantelkragen heraufgeschlagen, und sagte ihnen einige Artigkeiten, sprach auch über die Stickerei und meine Mutter erkannte, daß es ein Offizier war, welchen sie öfters in Begleitung des Prinzen Georg gesehen; es war Graf Perponcher. Von da ab ritt der Graf Fensterpromenade; beide jungen Mädchen lachten ihn weidlich aus. Alle diese Erlebnisse habe ich aus dem Mund meiner seligen Mutter gehört. Fräulein von Schätzel heiratete Herrn von Decker und meine Mutter blieb unvermählt. Ob nun meine selige Mutter die Bekanntschaft des Prinzen Wilhelm, späteren Königs von Preußen und nachmaliger Kaiser Wilhelm I. im Hause des Prinzen Georg gemacht oder durch Vermittlung des Grafen Perponcher, kann ich nicht sagen, da meine Mutter mir gegenüber darüber schwieg.«

* * *

Daß die Mutter recht intime Beziehungen zum Hofe haben mußte, scheint aus den folgenden Schilderungen der Gräfin W. hervorzugehen, die in manchen Punkten von älteren noch lebenden bekannten Berliner Persönlichkeiten beglaubigt werden. Gräfin W. erzählt, daß ihre Mutter oft Besuch von vornehm aussehenden Herren und Damen bekam. Unter andern kam auch Feldmarschall Graf Wrangel, der immer Bilderbogen und bunte Farben zum Bemalen der Bogen mitbrachte. Dann wieder kam Prinz Albrecht von Preußen, um mit der Mutter lange Zeit im Garten zu sprechen, wobei er der Tochter die schönsten Rosen in die Locken steckte.

Als die Gräfin W., die damals noch den französischen Bürgersnamen trug, erwachsen war, forschte sie nach ihrem Vater. Auf das Anraten von Verwandten schrieb sie an den Grafen Wilhelm Perponcher und sandte ihm ihr Bild. Seine hübsche Antwort lautete:

»Ich bedaure sehr, nicht die Ehre zu haben, mein gnädiges Fräulein, Ihr Vater zu sein. Es würde mir zur Freude gereichen, eine so hübsche Tochter zu haben, aber lassen Sie durch meine aufrichtigen Zeilen Ihren Mut nicht sinken, forschen Sie weiter und es liegt Ihnen sehr nahe, – das Richtige werden Sie finden.

Ihr aufrichtig ergebener
Graf Wilhelm Perponcher.«

Sie glaubte nun, ein anderer Perponcher sei ihr Vater. Sie sah ihn öfter auf der Straße, fühlte sich aber durch sein aufdringliches Wesen abgestoßen. In dieser Zeit scheint sie als eine Schönheit in dem damaligen noch nicht sehr großen Berlin aufgefallen zu sein. Denn ihrer Schönheit hatte sie es zu verdanken, daß sie dem König vorgestellt wurde.

Wie sie ihrem angeblichen Vater Wilhelm I. vorgeführt wurde, schildert sie sehr ausführlich. Aus den breiten Schilderungen ist zu entnehmen, daß ein Kammerherr v. P., der dem Hof verwandtschaftlich nahestand, eine Zusammenkunft mit ihr suchte und sie bestimmte, daß sie bei der Eröffnung der Rennbahn Hoppegarten in einem wendischen Kostüm dem alten Kaiser als Überraschung vorgestellt werden sollte. Wahrscheinlich ist dieser Herr v. P. ihr Vater gewesen.

»Der 17. Mai kam also heran; tief errötend stand ich vor Majestät und überreichte ihm den Strauß. Er nahm meine Hand, sah mir tief in die Augen, seine Hand fühlte ich zittern, gleich darauf aber faßte sich Majestät und frug:

›Sie sind Französin?‹

›Nein, Majestät!‹

›Das glaube ich nicht.‹

›Ich weiß nicht, weshalb Majestät daran zweifeln; ich bin Berlinerin,‹ sagte ich schüchtern.

›Berlinerinnen haben nicht so schöne Augen und so kleine Füße aufzuweisen wie Sie,‹ entgegnete Majestät.

Ich zog meine Hand zurück; mir war, als müsse das Herz mir zerspringen; ich machte eine tiefe Verbeugung. Graf Lehndorf-Steinort reichte mir seinen Arm und führte mich zu den Prinzessinnen.

Hinter mir hörte ich alle Hofdamen: ›Sie hat dem König nicht einmal die Hand geküßt, haben Sie die stolze Antwort gehört, die sie gegeben hat?‹

›Wer ist sie denn?‹ frugen andere.

›P. kennt sie,‹ hörte ich wieder.

Mir selber war so schwindlich zu Mute, wie einem Lamm, welches man gebunden zur Schlachtbank geführt hat. Von allen Seiten kamen Kammerherren und andere Herren, nannten alle ihre Namen oder ließen sich vorstellen; die Prinzessinnen ließen mich bitten, in ihre Loge zu kommen. Bismarck trug während der ganzen Zeit seinen riesigen Maiglöckchenstrauß herum. Alles kam gelaufen, mich mit Goldstücken oder Hunderttalerscheinen zu überschütten und P. war am Abend froh über seine Ernte.«

Die Gräfin W. lernte nun in diesen Hofkreisen einen Prinzen v. H. kennen. Der hatte ihr wohl die Ehe zugesagt. Dieses Verhältnis muß Folgen gehabt haben, und andere gräfliche Freundinnen des Prinzen sollen voller Zorn verhindert haben, daß die Kleine aus der französischen Kolonie den Prinzen heiraten sollte. – Trotz der beiden unehelichen Kinder, die sie von dem Prinzen hatte, heiratete sie einen Grafen W. Da er aber ein Schwächling war, der nicht für seine Familie sorgen konnte ließ sie sich von ihm scheiden.

Sie heiratete ein zweites Mal, trennte sich wieder von ihrem Mann und reiste ziemlich unstet in der Welt herum.

Jedenfalls hat sie in ihrer Jugend vielerlei mit angesehen, was auf galante Episoden am Berliner Hof hinweist. Als Herr v. P. ihr Anfang Mai 1869 in Hoppegarten die Stelle gezeigt hatte, wo sie dem König Wilhelm I. vorgestellt werden sollte, ereignete sich nach ihren Schilderungen diese, wenn erfunden, gut erfundene Szene:

»Frau von P. sprach draußen mit einer Dame, sie standen etwas entfernt von uns, und die S. jagte mich vorwärts und lief hinter mir her, um mich einzuholen, sie bekam mich aber nicht und fiel. Plötzlich schrie sie:

›Louis! Louis! Mir ist mein Strumpfband beim Laufen geplatzt, was mache ich nun?‹

Ich lief zurück, sie lag im Grase, die Kleider bis zum Knie hochgenommen. Ich reichte ihr schleunigst mein Taschentuch und sagte, sie möchte das umbinden; ich glaubte nun, daß sie schnell machen würde, im Gegenteil, sie wartete und ließ es sich von P. umbinden, der darauf eine sehr zotige Bemerkung machte! Ich wurde feuerrot und wandte mich ab. – ›Du, Louis, die Kleine ist doch rot geworden,‹ sagte die S. und wollte sich ausschütten vor Lachen.«

Sie erzählt dann noch mehr aus den Kreisen der Hofdamen. Eine besonders hübsche Hofdame sei einem Österreicher von der Botschaft zum Opfer gefallen. Und als der Bruder der Hofdame verlangte, der Österreicher solle sie heiraten, habe der die ungemein beliebte Antwort gegeben: »Ich war ja nicht der erste.«

siehe Bildunterschrift

Gräfin W....

Die Gräfin W. spricht auch von Kindern einer besonders schönen Hofdame, »eines üppigen, von Liebesgeflüster trunken gemachten Weibes«, die angeblich in der Schweiz und in Italien ausgesetzt sein sollen. Wenn nun auch vieles verworren und phantastisch erscheint, wenn auch vieles nur ersonnen ist – es ist doch ein bezeichnendes Spiel der Phantasie, daß sie am Hof stets Galanterien sieht und sie immer mit dem Zeitkolorit ausschmückt.

* * *

Es wäre töricht zu glauben, Kaiser Wilhelm II. hätte gar kein Interesse für schöne Frauen gehabt. Zwar ist ja nach dem Urteil eines jahrzehntelang der kaiserlichen Familie durch seinen Beruf sehr nahestehenden Mannes bestimmt anzunehmen, daß Wilhelm II. keine Mätresse sich gehalten hat. Einem Manne, der die persönlichsten Sorgen und Leiden einer Familie zu heilen und zu lindern beruflich auserwählt ist, der ständig in einer Familie alle Schmerzen kurieren muß, wären Schmerzen und Geheimnisse solcher Art nicht verborgen geblieben. Dennoch ist nicht zu leugnen, daß auch Wilhelm II. Augen für Frauenschönheit gehabt und überhaupt ständig den Umgang mit schönen Frauen gesucht hat.

siehe Bildunterschrift

L. S. Adam: Das Wasser. Potsdam, Park von Sanssouci.

Als Kaiser liebte er besonders Photographien schöner Frauen. In seinem Arbeitszimmer waren die umfangreichen alten Boulekommoden und sein großer Schreibtisch buchstäblich übersät mit Marinebildern, Kohleskizzen und Photographien schöner Frauen, gerahmt und ungerahmt. Bilder von schönen Prinzessinnen und sonstigen Vertreterinnen des schönen Geschlechts waren überall in Wilhelms Zimmer zu sehen. Große und kleine Figuren, in allen Arten von Gewändern oder auch ganz unbekleidet, schwarzweiße oder farbige Bilder und Öldrucke, unter ihnen viele persönliche Geschenke mit Widmungen.

siehe Bildunterschrift

F. G. Adam: Die Erde. Potsdam, Park von Sanssouci.

Unter den Bildern, die, nach dem angeblichen Bericht einer Hofdame, stets auf des Kaisers Schreibtisch zu finden waren, ob er zu Hause oder im Sonderzuge oder auf Besuch bei Freunden oder Bekannten weilte, war das der Lätitia Bonaparte dadurch bemerkenswert, daß die üppige Büste Ihrer Kaiserlichen Hoheit nur mit einem Perlenhalsband verziert war ... Ein anderes Bild der Herzogin war nicht so intim, zeigte aber Lätitias wundervolle Arme und vollendet schöne Hände. Alle Frauen, die der Kaiser jemals bevorzugt hat, sollen sich durch zarte und vollkommen schöne Hände ausgezeichnet haben. Wenn eine Frau in diesem einen Punkt seinem Schönheitsbegriffe entsprach, zog er sie gern in das Gespräch sagte ihr huldigende Worte und küßte ihr beim Abschiede die Hand – einmal, wenn Blicke ihn beobachteten, mehrmals, wenn er sich unbeobachtet glaubte.

Bei Hofe bestand die Vorschrift, Handschuhe zu tragen. Wilhelm II. aber soll es gern gesehen haben, wenn im Laufe des Abends Damen mit schönen Armen oder Händen die Handschuhe abstreiften, er soll scherzend gesagt haben, daß schöne Arme oder Hände dasselbe seien wie eine verschleierte Frau im Mantel.

Der Kaiser war nicht sehr freigebig, konnte es aber sein, wenn er Geschenke für Damen mit schönen Händen und Armen aussuchte. Wenn Broschen und Nadeln verteilt wurden, interessierte ihn die Überreichung nicht. Aber Ringe und Armbänder mochte er gern selbst anlegen.

Auch die andern Lieblingsbilder des Kaisers sollen meist schöne Arme und Hände aufgewiesen haben, wie die Großfürstin Wladimir, Lady Dudley, die Prinzessin von Wales, jetzige Königin von England im Hofkleide, deren schöne Schultern über und über mit Juwelen behängt waren – und Fräulein von Böcklin, die Tochter eines preußischen Generals. Diese junge Dame trat in lebenden Bildern auf, die von Mitgliedern der Hofgesellschaft für Wohltätigkeitszwecke veranstaltet wurden. Mit ihrem reichen Tizianhaar, ihren großen blauen Augen und der zarten Figur soll sie damals das schönste deutsche Mädchen gewesen sein. Der Kaiser sah sie am liebsten im griechischen Kostüm. Das Fräulein von Böcklin war verpflichtet, dem Kaiser eine Photographie von jeder Aufnahme, die von ihr gemacht wurde, zu überreichen. Auch von der schönen Gräfin G. zu S. besaß er viele Photographien. Sein Interesse für diese Gräfin ist ja allgemein bekannt. Daß es sich nicht um irgendwelche geistige Interessen gehandelt hat, geht aus dem Ausspruch hervor, den Wilhelm II. über sie äußerte: »Die Gräfin ist eine zu schöne Frau, daß es töricht wäre, bei ihr Verstand vorauszusetzen.«

* * *

In der Nachbarschaft des Kaisers ging es selbstverständlich manchmal recht ungezwungen zu. Der Zarewitsch, spätere Zar Nikolaus, war im Januar 1893 als lebenslustiger junger Mann nach Berlin gekommen, um den russischen Hof bei der Hochzeitsfeier der Prinzessin Margarethe zu vertreten. Als der Kaiser und die Kaiserin sowie die übrigen Großen den Zarewitsch in der russischen Botschaft erwarteten, ließ Nikolaus sich entschuldigen, er könne nicht erscheinen. In Wirklichkeit amüsierte er sich herrlich.

Wilhelms Gesicht war sehenswert: Zorn, gemischt mit Überraschung. Er konnte nicht glauben, daß irgend jemand, der bei Sinnen wäre, ihn so beleidigen könnte. Er hielt alles nur für einen Scherz. Aber bevor der römische Punsch serviert wurde, wußte ein jeder, daß der Zarewitsch beim Herzog Ernst Günther im Palais Pourtales war, wohin er um 1 Uhr gegangen war und wo ein buntes Gemisch von Lebemännern, französischen Marquisen und Tänzerinnen zusammenkam.

siehe Bildunterschrift

Mieze Sulzer.

Die beiden fürstlichen Junggesellen genossen ihr Leben nach Herzenslust. Als zuletzt der Adjutant den Zarewitsch daran erinnerte, daß es nötig wäre, sich zum Abendessen in der Botschaft fertig zu machen, schwur Nikolaus, daß er eine Stunde mit seiner Mignon der Ewigkeit mit allen deutschen Kaisern und Kaiserinnen, die je gelebt, vorzöge. –

Der Herzog Ernst Günther erhielt daraufhin seinen Abschied von der Armee – und Zar Alexander trotz des beratenden Einspruchs der Kaiserin Friedrich und des russischen Botschafters einen wütenden Brief über seinen Sohn, weil er dem Laster huldigte und dem Anstand vor den Kopf stieß ...

In unsern Tagen kam es dann noch zu einem Erlebnis, das mehr wie ein Komödienstoff anmutet. Prinz Joachim Albrecht, der Sohn des Regenten von Braunschweig, bekannt als Imitator des erlebnisreichen Louis Ferdinand, beliebt beim Kaiser ob seiner liebenswürdigen Kompositionen, fiel plötzlich in kaiserliche Ungnade und wurde 1908 ins Ausland geschickt, weil er sich mit einer mehrfach geschiedenen Dame vom Brettl verheiraten wollte. Die ungewöhnlich schöne und üppige Schauspielerin Baronin von Liebenberg, in der nachtfrohen Lebewelt berühmt ob ihres leuchtenden und schwellenden Haares und unter dem Namen Mieze Sulzer vielen wohlbekannt, hatte dies Unheil angerichtet. Sie, die Exfreundin von fragwürdigen Gästen der Nachtlokale, hatte den sehr lebelustigen Prinzen vollkommen überwunden. Sie hieß in Wirklichkeit ursprünglich Marie Gingold und war in Wien geboren als Enkelin eines Oberkantors und Tochter eines Börsenbesuchers. Später lebte die Familie in London, wo Mieze eine gute Erziehung genoß. Als des Vaters Geschäfte nicht mehr gut gingen und er sein großes Haus aufgeben mußte, suchte sich Marie selbst einen Lebenserwerb. Sie ging zur Bühne. Sie mußte sich anfangs als Soubrette auf kleinen Bühnen begnügen. Als sie dann nach Deutschland kam, trat sie in Kabaretts und schließlich im Trianontheater auf. Weniger ihr Spiel als ihre entzückend in kleinen Rollen zur Schau gestellte reizvolle Schönheit verschaffte ihr dort Triumphe. Inzwischen war sie schon zweimal verheiratet und zweimal geschieden – einmal mit einem Schriftsteller, einmal mit einem Kaufmann. In den eleganten Nachtlokalen, in denen sie oft verkehrte, galt sie als die Freundin eines fragwürdigen Lebemannes. Häufig wurde sie mit ihrem Prinzen in den ersten Berliner Kabaretts gesehen. Zu diesen ersten Kabaretts gehörte der hungrige Pegasus, der in einem einfachen italienischen Weinlokal in der Markgrafenstraße Peter Hille, Max Tilke, H. H. Ewers und andere Künstler vereinigte. Später sah man sie oft im Künstlerlokal von Colster in der Kantstraße, in dessen Räumen »Der siebente Himmel« – Georg David Schulz die schöne Marietta, die spätere Frau des bekannten Schriftstellers Ludwig Thoma, Erich Mühsam, Miryam Horwitz und andere auf dem Brettl vorführte. Und nun sollte sie auf Umwegen, durch eine Scheinehe, nobilitiert werden, um als Gemahlin des Prinzen möglich zu werden. Ein Baron Liebenberg, Diurnist beim Wiener Magistrat, sollte 30 000 Mark bekommen, 15 000 vor der Trauung, 15 000 nach vollzogener Trauung, wenn er zu sofortiger Scheidung bereit war.

siehe Bildunterschrift

Gestwicki: »Schatz versprich mir, daß Du das reiche Mädel heiratest,
damit ich Dein Verhältnis bleiben kann.«

Niemand hatte geglaubt, daß der Prinz sich einmal so unheilbar festrennen würde. Er war damals etwa 35 Jahre alt und ein recht wildes Künstlerblut. Zwar stammte er aus der harten Zucht eines stengen christlichen Hauses. Aber er hatte zum Großvater jenen Preußenprinzen, der schon Stammvater zweier Familien gewesen – die andere hieß Hohenau ... Und wie sich Askese und Ausschweifung oft berühren, wie Askese oft nur die Rettung vor der Ausschweifung bedeutet, so auch bei Vater und Sohn. Der Regent war asketisch und ein unermüdlicher Kirchengänger. Der Prinz aber war stadtbekannt in allen Bars und ähnlichen Gaststätten.

Er wollte es eben durchaus dem lebensvollen Prinzen Louis Ferdinand nachmachen. Er komponierte auch fleißig Balletts und andere kleine Musikstücke, die jahrelang bei allen Hoffesten aufgeführt wurden.

Als der immerhin schon 36 Jahre alte Prinz aus der Rolle fiel und seine Freundin heiraten wollte, wurden seine Kompositionen nicht mehr aufgeführt, seine Chargen wurden ihm entzogen, und er wurde nach Südafrika zu den Hottentotten geschickt, um sich dort zu schlagen. Er vergaß aber seine Mieze nicht. Es hieß dann zwar, er hätte sich im Ausland mit seiner Mieze entzweit. 1911 lebte er wieder mit ihr in den großen Hotels in Meran zusammen, wo er sie, die noch ungeschiedene Baronin Liebenberg, als seine Gemahlin bezeichnete. –

Der außerordentlich schönen und lebensfrohen Stammbesucherin eleganter Nachtlokale war der Prinz ganz hingegeben. Schön war Mieze Sulzer. In manchem glich sie der Pauline Wiesel, der Freundin des Prinzen Louis Ferdinand. Aber sie scheint weniger geliebt zu haben als geliebt worden zu sein ...


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