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Der verliebte Hof

Der verliebte Hof

Der verliebte Hof – Achilles und Anna – Die Hörnung des Wolf Hornung – Die schöne Gießerin – Circe im Königsschloß – Die Prunkdame des ersten Preußenkönigs – Die Venus von Dresden – Der verliebte Soldatenkönig – Die lustigen Weiber von Monbijou – Die Frauen um Fritz – Des Königs Tänzerin – Die preußische Pompadour – Julie von Voß – Friederike von Dönhoff – Prinzenliebchen – Am Biedermeierhof – Der Hof seit dem Vormärz – Hofklatsch - Mätressendämmerung


 

 

Die meisten Fürsten haben eine Leidenschaft für ihre Stammbäume. Wagt man ihnen zu sagen, daß unter ihren Vorfahren eben nicht sehr tugendhafte und deshalb sehr verächtliche Menschen sich befunden haben, so fügt man ihnen eine Beleidigung zu, die sie nie verzeihen, und wehe dem profanen Schriftsteller, der die Verwegenheit gehabt hat, in das Allerheiligste ihrer Geschichte einzudringen und die Schande ihres Hauses ruchbar zu machen! Behaupten, daß 50 oder 60 Ahnen sämtlich die rechtschaffensten Leute von der Welt gewesen sind, das heißt die Tugend auf eine einzige Familie beschränken und dem menschlichen Geschlecht eine große Beleidigung zufügen.

Friedrich II. an Voltaire.

 

 

siehe Bildunterschrift

Meister E. S.: Schlemmerei im Liebesgarten.
Altdeutscher Kupferstich.

Die Geschichte des galanten Berlin ist in ihren Anfängen wenig erhellt. Die ersten Quellen springen auf in der Zeit, aus der die ersten Zeugnisse über das Liebesleben der Träger des Kurfürstenhutes vorliegen.

Diese Stadt, die um 1700 zu der Stadt eines Barockkönigs wird, und deren Bauten um 1750 sich leicht rokokomäßig einstellen, diese Stadt, die um 1800 für längere Zeit eine biedermeierlich lebende Offizier- und Beamtenstadt wird, ist in dieser Zeit auch das Berlin, in dem Leibniz, Knobelsdorff, Lessing, Nicolai, Iffland, Mendelssohn, Fichte, Schleiermacher, Humboldt, Chodowiecki, E.T.A. Hoffmann, Schadow und der junge Menzel leben, bis sie zur Hauptstadt des Reiches und zur Weltstadt wird.

Aber sie taucht aus dem Dunkel der Geschichte erst zu einer Zeit, in der schon die Minnesänger im deutschen Süden singen, und als in süddeutschen Klöstern und Bauhütten und Künstlerwerkstätten eine hohe deutsche Kunst aufblüht.

Die Anfänge der Galanterie sind in dieser frühen Zeit und lange nachher im alten Berlin nicht mehr aufzuspüren, wenn man nicht die Nachrichten über Badstubenwesen und Frauenhäuser und Strafen für Vergehen mit Frauen und an Frauen dazurechnen will. Und es ist schwer, aus den wenigen gereimten und bildmäßigen Zeugnissen dieser Zeit bis etwa um 1500 ein galantes Leben im alten Berlin zu deuten, wenn man darunter die Erotik versteht, die nicht aus dem Rohsinnlichen, sondern aus einer geistig und künstlerisch genährten Lebensfreude erwächst. Allerdings haben die Berliner Kurfürsten bereits die Gemälde von Lucas Cranach gesammelt und damit ebensoviel Geschmack wie erotisches Verständnis bewiesen.

Mit dem Augenblick erst, wo über die Lebensumstände und insbesondere das Liebesleben der brandenburgischen Kurfürsten sich Licht verbreitet, erhellt sich auch das galante Leben in der kurfürstlichen Residenz an der Spree.

Es war auch in Berlin und Brandenburg so wie es überall war: die Verfeinerung der Erotik, die dem Mächtigen und Reichen möglich ist, bestimmte allmählich auch die Erotik der von ihm abhängigen Schichten, bis sich auch in diesen ein galantes Leben bildet.

Aus der großen dunklen Masse dieses galanten Lebens tauchen einige Geschöpfe auf, die durch die Stellung ihrer Liebhaber in den Vordergrund gerückt werden: die Mätressen der Fürsten.

Sie sind gewissermaßen die Solospieler auf der großen Bühne. Die andern sind der Chor, sind Statisterie, von deren einzelnen Geschicken wir nur wenig erfahren.

siehe Bildunterschrift

Cranach d.Ä.: Alter Mann und junges Mädchen.
Aus dem mittelalterlichen Kulturkreis, zu dem auch Berlin gehörte.

Die wenigen Individuen aber, die sich von diesem Hintergrund abheben, verdienen wohl einige genauere Blicke. Um so mehr, als sie sich fast immer typisch gebärden, als ihr Schicksal immer ein typisches ist.

Aus ihrem Leben schaut uns die Zeit, in der sie glänzten, ergötzten, beglückten und litten, offener an als aus mancher Staatsaktion. Ihre Geschichte erläutert so manches in der allgemeinen Geschichte. Ohne die laxe Stellung Friedrichs II. in Sittenfragen – er sah es nicht gern, wenn seine Offiziere heirateten, und in manchen Regimentern gab es zu seiner Zeit denn auch nur Junggesellen als Offiziere, in andern Regimentern wieder nur ganz wenige Offiziersehen –, ohne seine Auffassung vom Verhältnis der Geschlechter zueinander und ohne das zerrüttende Beispiel seines Nachfolgers wäre die herrschende Schicht Preußens um 1800 kaum so demoralisiert und geschwächt worden, wie es geschehen.

siehe Bildunterschrift

Cranach: Der Jungbrunnen
Aus kurfürstlichem Besitz.

So ganz ohne Einfluß ist das Gebaren und die Weltanschauung und Lebensführung eines Einzelnen auf seine Umgebung denn doch nicht. Besonders, wenn diese Umgebung in dem Einzelnen ihren Führer, Gebieter, ihre Gnadenquelle sieht. Das aber waren dem Adel, der ja bis zum preußischen Zusammenbruch 1806 die oberste Schicht des Staates bildete, die Fürsten. Die Fürsten vergaben die Stellen und Pfründen und bevorzugten bei jeder Gelegenheit den privilegierten Adel – da kam es leicht dazu, daß er sich hier und da den wohlwollenden Herrscher zum Vorbild nahm.

So war damals die Lebensweise der Fürsten oft entscheidend für Gedeihen und Bestand des Staates. Der sparsame Friedrich Wilhelm I. fundierte, Friedrich Wilhelm II. aber gefährdete durch die Verschwendung, die er nicht nur mit seinen Mätressen trieb, sein Königreich.

Aber nicht nur auf die Finanzen konnten die Frauen neben dem Thron einen solchen unheilvollen Einfluß ausüben. Auch in die Politik griffen sie mit zarten Händen ein – oder mindestens wurden sie zu Werkzeugen der Politiker, wie die Gräfin Wartenberg, die am Hofe Friedrichs I. eine so große Rolle spielte. Die Gräfin Lichtenau aber scheint sich wirklich aus eigenem Triebe an hoher Politik beteiligt zu haben.

Heute will es uns kaum glaublich erscheinen, daß Alkovengeschöpfe einmal eine solche Rolle spielen, eine solche Verwirrung anrichten konnten.

Sie sind zweifellos geschichtlich unbedingt interessant. Sie führten schon damals das feudalistische und absolutistische System ad absurdum. Stammten sie doch fast ohne Ausnahme aus den niedersten Ständen. Die Gräfin Wartenberg war die Frau eines Dieners und die Gräfin Lichtenau die Tochter eines einfachen Trompeters.

Ihr ganzes Leben zeigt, daß sie nicht unbefähigt gewesen sind.

So waren sie eigentlich Vorläufer für eine Zeit, in der die Begabten und Fähigen aus der Masse und nicht aus einigen privilegierten Familien gewonnen werden. Denn zum mindesten überragte die Lichtenau an Auffassungsgabe, Schlauheit und Einfällen weit die Frauen der oberen Schicht ihrer Zeit. –

Die Unwichtigkeit der Frage, ob später in Berlin Mätressen gelebt haben, entschuldigt gewiß, wenn zwar nicht stillschweigend über sie hinweggegangen, aber wenigsten andeutend oder hinweisend ihre Stellung in der Zeitgeschichte gestreift wird.

Die Geschichte der Frauen neben dem Thron aber gehört zur Geschichte überhaupt. Manche Erscheinungen der Geschichte werden erst recht verständlich, wenn auch das Leben dieser Frauen geschildert wird. Sie sind die ersten, um deren Bild sich die Kunde galanten Lebens überhaupt rankt: sie waren es auch in dem kleinen Berlin an der Spree – sie blieben es ebenso im 18. und 19. Jahrhundert, wenn auch die Quellen der Geschicke des galanten Berlin seitdem offener und reichlicher fließen.

Je mehr aber Berlin sich der galanten Kultur des westlichen und südlichen Europa annäherte, desto selbständiger und unabhängiger vom höfischen Vorbild entwickelte sich sein galantes Leben.

Die Frauen neben dem Throne sind es, die man zunächst betrachten muß, wenn man die Geschichte des galanten Berlin zu schreiben unternimmt, und da gerade unter ihnen einzelne Individuen mit außerordentlicher Anlage sind, dies Werk aber Gewicht auf die Darstellung von Menschen legt, so kann die Geschichte der Mätressen nicht übergangen werden.


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