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Ja, beim Souper! ...

Alles Lebende sucht sich auf irgend eine Weise – auf seine Weise – den Zuständen anzupassen und aus ihnen den größten Nutzen zu ziehen. Verfemte und Verfolgte werden also suchen, sich soweit wie möglich der Öffentlichkeit zu entziehen oder sich doch nur so weit in ihr bemerkbar zu machen, als es nötig ist, um Vorteile zu erreichen. So sehen wir die Halbwelt von zwei Tendenzen erfaßt: von dem Drange, sich zu verbergen, sich in Schlupfwinkel zu verkriechen, und von dem Drange, auffällig in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Nicht zu sehr. Denn das würde ihrem Vorteil mehr schaden als nützen. Nur durch einige schärfer als sonst betonte Züge, die den Frauen allgemein eigen sind – durch etwas grellere Kleidung, durch deutlichere Blicke, durch ein lauteres Kokettieren und durch ein verschleiertes, aber doch zudringliches Betonen der Reize – suchen die Berliner Liebeshändlerinnen sich von den anderen Frauen zu unterscheiden, anzupreisen und zu locken. Sie brauchen eben die Öffentlichkeit.

Doch braucht nicht nur die Halbwelt Orte, wo jede Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Auch manch andere harmlosere Liebespärchen verschwinden gern in der Heimlichkeit. – Diese Einrichtungen sind äußerst vielfältig. Für jede Art von Bedürfnis, für jede Art von Menschen sind solche geschaffen. Der eine liebt es, seinen Verkehr mit der Venus vulgivaga mit dem Alkohol in Verbindung zu bringen. Oder der Alkohol ermöglicht ihm erst, sich der käuflichen Venus zu nähern. Andere Männer wieder möchten ihrem Liebesumgang einen abenteuerlichen Schleier umhängen.

siehe Bildunterschrift

Straubing: Alle Wetter, mein Lehrling Pinte!
Pinte: De-de-das so-soll mo-mor-morgen Madame erfahren.
Straubing: (leise zu Pinte:) Wenn Sie mich hier nicht gesehen haben, so will auch ich vergessen, was Sie getan haben.
Pinte: So kriege ich mo-morgen al-also ke-ke-keinen Zopf?
Straubing: Alles vergeben und vergessen.
Pinte: Na de-de-denn schle-schlafen Sie re-re-recht wohl, Herr Strau-Strau-Strau-Straubing.
(Szene aus einem Séparé-Keller nach einer Flugschrift um 1860.)

Aber auch ihnen muß der Alkohol erst die Brücke schlagen. Und dann: sie können nur genießen, wenn die Umgebung recht sauber oder auch luxuriös eingerichtet ist. Und wenn der Luxus auch nur vorgetäuscht, wenn die Spiegelrahmen auch nur bronziert und nicht vergoldet sind, wenn die Bestecke nicht aus Silber, aber aus einer Nachahmung bestehen – es ist noch nicht entschieden, was der Schein im menschlichen Leben bedeutet, wie er der Phantasie genügt, wie ihm die Phantasie zu Hilfe kommt ...

So wird es viele Männer geben, die den Schein für die Wirklichkeit nehmen und die jedes Entgegenkommen für echte Liebe ansehen, die in jeder Hingebung den Beweis der Neigung sehen und sich hineintäuschen in Glück und Seligkeit. Gerade für sie scheint eine eigene Art von Schlupfwinkeln eigens geschaffen zu sein: die Séparées.

Sie werden meist nur von Pärchen und kleinen, zu Schwelgereien aufgelegten Gesellschaften besucht, von denen manche des Glaubens sind, die wirkliche Liebe führe sie an diesen Ort – die eben den Wunsch für die Erfüllung betrachten.

Andere Pärchen aber wissen genau, was ihnen das Séparée bietet ...

Schon vor mehr als hundert Jahren kannte Berlin Häuser, in denen Luxusbedürftigen eine Art Séparées zur freundlichen Benutzung angeboten wurden: von dem Haus der Madame Schowitz ist ja schon gesprochen worden. Von solchen Chambres séparées, die bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts nicht weit vom Rande des Grunewalds bestanden haben, erzählte die »Berliner Zeitung am Mittag«:

»In der Mitte einer poesievollen Waldlichtung lag das Etablissement, ein niedriges, hölzernes nur im Sommer benutztes Haus mit Tanzsaal, Gastzimmern und Wirtschaftsräumen, und schräg daneben eine halbkreisförmige, von außen bunt bemalte Bretterbude. Diese Bude enthielt ein volles Dutzend über den Eingangstüren mit Nummern versehener kleiner Zellen, deren Einrichtung durchweg die gleiche war: ein runder, stets gedeckter Tisch, zwei Stühle, ein Spiegel und ein Kleiderständer. Auf der andern Seite des Hauses, dem hölzernen Halbkreis gegenüber, stand ein etwas baufälliger Musikpavillon, und vor wie hinter dem Hause dehnte sich das Meer weiß gestrichener Tische und Stühle aus. Am Tage war es hier fast immer auffallend still. Die Berliner Landpartien standen damals noch lange nicht so in Flor wie heute. Nur hin und wieder verkroch sich bei schönster Sommerzeit schon am hellen Nachmittag ein mehr oder minder junges Pärchen in eine der engen Zellen. Der Hauptbesuch stellte sich am Abend ein, meist aus dem Mittel- und Kleinbürgerstande. Mit der Fahrgelegenheit sah es noch recht schlecht aus; deshalb kam man zu Fuß oder zu Wagen, auch hoch zu Roß. Bald war jeder Stuhl besetzt, in langer Reihe hielten am Waldwege Chaisen und Droschken zweiter Güte. Und je schöner der Abend, je schmeichelnder die Musik, je fröhlicher die Tanzlust wurde, desto mehr stieg die Nachfrage nach den Chambres séparées im Grunewald.«

siehe Bildunterschrift

(Lustige Blätter 1924)
P. Simmel: Portokasse.
»Ober! ... zahlen! Wieviel? Fünfundzwanzig Mark?
Geht's mit Sechsermarken?«

In den sechziger Jahren wurden dann die Delikatessenkeller gegründet. Damals war ja überhaupt die Zeit der Keller in Berlin. Der Grund und Boden stieg ganz plötzlich im Wert durch den jähen Andrang des Zuzugs und durch den Mangel an ausreichenden Verkehrsmitteln. So kam man auf den Ausweg, die Keller als Wohnungen auszunützen. Die Billigkeit der Räume im untersten Geschoß führte spekulative Wirte dazu, sie auszubauen. Da wirklich vornehme Lokalitäten da unten nicht zu schaffen waren, da auch das Publikum dafür nicht zu haben war, richtete man lauter kleine Kabinen ein. Da in dem Hinabsteigen in die Keller etwas Romantisches lag, da man sich gewissermaßen verkroch, waren diese Delikatessenkeller bald sehr beliebt.

siehe Bildunterschrift

(Lustige Blätter 1906..) Letzte Order.
»Ober, nu stellen Sie die Uhr fest, den Sekt kalt und die Klingel ab!«

In einer Schilderung des nächtlichen Berlins aus dem Jahre 1870 wird über diese Keller berichtet: Mädchen, die keinen Zuhälter haben und keinen Begleiter gefunden, begeben sich in später Nacht gewöhnlich noch in eines der bekannteren Nachtlokale, die permanent geöffnet sind, indem sie hier meistens noch eine Menge Nachtschwärmer vorfinden. Gewöhnlich sind dies die Weinstuben und Nachtkonditoreien.

Es besteht nämlich eine große Anzahl von Weinkellern in Berlin, deren Hauptzweck es ist, einem liebenden Paar, das gerne separiert sein möchte, den Raum dazu in der kleinsten Hütte zu bieten. Diese cabinets secréts oder chambres séparées bestehen daher aus lauter kleinen Zimmerchen, in denen ein Tisch, ein Sofa, ein Spiegel und etwa zwei Stühle sich befinden. Der Gashahn, leicht zugänglich, kann mit einem Ruck auf- und zugedreht werden, von welcher Annehmlichkeit der ausgedehnteste Gebrauch gemacht wird. In einigen wenigen dieser Weinkeller befindet sich auch wohl ein gemeinsames Gastzimmer, in denen man auch ohne Damengesellschaft sich frei bewegen kann. In den cabinets séparées wird nur Wein getrunken, und was für Wein! Der Wirt weiß meistens ja aus eigener reicher Erfahrung, daß in dieser Zeit der höchsten Sinnlichkeit kein Mann ein Weingourmand ist, und ein doppelter Gewinn ist noch für ihn vorhanden, wenn der Wein so schlecht gemundet hat, daß er womöglich die volle Flasche wieder einheimsen kann, falls diese nicht von dem weiblichen Teile des tête-à-tête in die tiefen Rocktaschen spurlos versenkt ist.

siehe Bildunterschrift

B. Wennerberg: Mundraub. (1923)

Diese Keller sind noch nicht ganz ausgestorben. Nur sind sie meist an wirklich gute Lokale angeschlossen. Oder vielmehr: die besseren Lokale haben solche Winkel auch für gewisse Zwecke eingerichtet, um das Geschäft auf alle Weise auszunutzen. Ein bekanntes Lokal in der Nähe der Potsdamer Brücke hat im unteren Geschoß Kojen eingerichtet, in denen nur Wein geschenkt wird. Ein anderes Lokal, das überhaupt nur Wein schenkt, hat eine besondere nach dem Keller führende Treppe. Gleich rechts und links vom Eingang sind kleine freundliche Kabinen eingerichtet, die durch ihre Enge geradezu zum nächsten Beisammensein auffordern. Sie sind nur durch niedrige, weißlackierte Holzwände voneinander getrennt. Plüschvorhänge verhüllen den Eingang. In der Mitte ein weißgedeckter Tisch, auf dem eine rotverhangene Kerze in silbernem Leuchter brennt. An der Wand elektrische Glühbirnen. Die Stühle weiß mit roten Polstern. Rote Teppiche. Das Ganze hell und anheimelnd und so recht geeignet, jungen Mädchen, die daheim bei den Eltern in enger dumpfer Pförtnerswohnung schlafen, den Schein von Vornehmheit und Reichtum vorzutäuschen. Zweifellos ist hier der Geschmack schon um ein Ende gebessert gegen die schreckliche Mode der Spiegel mit den falschen Goldrahmen und den Öldruckbildern.

Außer den Kellern existierte und existiert noch eine andere Art von Séparées. Auch sie sind oft größeren Lokalen angeschlossen. Wie bis vor wenigen Jahren jene Séparées in einem Hinterhause der Französischen Straße:

Zwei junge Mädchen kommen mit einem Herrn in der Droschke vorgefahren. Er zahlt und will in den erleuchteten Haupteingang hinein. Sie aber ziehen ihn in den dunkleren Hausflur. Einige Stufen hinauf. Einen Gang hinter dem Büfett entlang. Herum um die Ecke. Ein langer Gang mit verschlossenen Türen. Ein befrackter Kellner schließt eine auf. Ein großes zweifenstriges Zimmer. Die Fenster verhüllt mit Vorhängen und Stores. Zwischen den Fenstern ein großer Spiegel, in dem Hunderte von Namen und Anfangsbuchstaben eingekratzt sind – ein Beweis von der Wohlhabenheit der brillantentragenden Besucher. Das ganze Zimmer mit einem Teppich ausgelegt. An der einen Seite ein langer gepolsterter Sitz. Ein bronzener Kronleuchter glüht auf und beleuchtet mehrere weißgedeckte Tische und mehrere Stühle in dem sonst recht leeren Zimmer. Der Kellner erhält eine Bestellung. Und als die drei allein sind, umarmen beide Mädchen den jungen Mann.

Jene Besucherinnen, die ihre Begleiter zu großen Bestellungen veranlassen können, werden stets die besten Séparées erhalten und auch am diskretesten bedient werden.

Die kleineren Séparées dienen allerdings meist nur einleitender Unterhaltung, Berauschung und mehr oder weniger weitgehendem Flirt.

Übrigens sind sie nicht nur in der inneren Stadt zu finden. Die »B. Z. a. M.« behauptete jedenfalls in dem Bericht von den Séparées, die sich vor 50 Jahren im Grunewald befanden:

»Einen Vergleich mit heute wollen wir lieber nicht ziehen. Soll es doch auch im zwanzigsten Jahrhundert unter den Tannen des Grunewalds Stätten der Freude geben, wo in verschwiegenem Kämmerlein der Sekt perlt und die Liebe sich nicht zum Fenster hineinsehen läßt.«

Jene große Rolle wie vor Jahren spielen die Séparées nicht mehr im Leben der Berliner Halbwelt. Sie sind abgelöst worden durch die Bars, von denen ja auch einige Chambres séparées zur Verfügung haben. Sie haben aber am meisten eingebüßt durch die Kasinos.

Nur sind die Kasinos ganz anderer Art als die Séparées. In ihnen handelt es sich gerade um das Gegenteil vom Separieren.

Das hat mehrere Gründe.

Berlin ist größer geworden. Der in der Gesellschaft der Kokotten sich Bewegende braucht sich nicht besonders zu verkriechen, um nicht aufzufallen.

Die Kokotten brauchen nicht mehr irgendwo möbliert zu wohnen und ihren Beruf zu verheimlichen, sondern haben meist eigene Wohnungen, in die sie ihre Käufer mitnehmen. Damit sind die Séparées für viele überflüssig geworden.

Außerdem ist die Mode jetzt für das Nachtschwärmen in Massen. Der Großstadtmensch muß auch, wenn er mit Kokotten speist, fortwährendes Wechseln der Gesichter, Körper und Kleider, Farben und Linien um sich haben.

siehe Bildunterschrift

Heiligenstaedt: Im Kasino.
»Wie rührend, der Dicke aus der Schweiz macht meiner Schwester die französischen Schularbeiten.«

Und: die Berliner Kokotten haben gelernt, sich besser zu bewegen. Ihre Cavaliere brauchen sich nicht mehr mit ihnen zu verbergen.

So sind denn die Séparées Mode unserer Väter. Diese abgeschlossenen Zimmer haben nicht mehr wie einst allgemeine Bedürfnisse zu befriedigen, sondern werden nur noch in Spezialfällen benutzt: wenn eine kleine Gelegenheitsdirne einen Winkel braucht, wenn irgend eine Orgie gefeiert werden soll – oder wenn ein nach den verborgenen Genüssen der Großstadt lüsternes Mädchen sich verführen lassen will.

Der Höhepunkt des Halbweltdaseins ist nicht mehr das Souper im Séparée, sondern eine Nacht in den Bars und Kasinos.

siehe Bildunterschrift

A. Weißgerber: Zurechtweisung
»Ich bitte mir etwas mehr Galanterie aus, mein Freund! Du denkst wohl, du hast deine Frau vor dir!«


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