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Die galante Reise

Nichts verlockt mehr zur Galanterie als das Reisen. In den zahlreichsten Formen wird die Reise mit ihr verknüpft. Das Ungebundene und Herumschweifende läßt auch die Gefühle freier schweifen. Da nun der Berliner – und auch der weibliche Berliner – gern reist, so nehmen sie auch ihre galanten Spiele überall mit hin – ja, die Lust zu Spielen und Abenteuern wird auf der Reise mit ihren aufmunternden Erlebnissen noch wesentlich gesteigert.

Aus älterer Zeit ließe sich vielerlei berichten. Doch war die Zahl der Reisenden naturgemäß beschränkt, weil die Verkehrsmittel noch dürftig waren. Zu den weitesten und häufigsten Reisen gehörten die Fahrten nach Karlsbad. Auch sie standen nur den Hofleuten, ganz bestimmten mit ihnen verknüpften Persönlichkeiten und einzelnen sehr begüterten Bürgerlichen zu. Wir wissen aus mancherlei Aufzeichnungen, und auch aus denen der Amalie von Romberg und des Fräulein von Marwitz, daß Goethe in Karlsbad manche Herzensaffäre hatte und daß auch junge Damen der Berliner Adelskreise entzückt und begeistert waren, von dem alternden Dichter einen ganz ordentlichen Kuß zu bekommen, ja, daß sie fast backfischartige Streiche anstellten, um dem Dichter aufzufallen. –

Ein Jahrzehnt vorher hatte der vielgeliebte Prinz Louis Ferdinand dort ein Erlebnis, das in seinem Charaktergemälde mitgeteilt wird und von dem hier einige Sätze stehen mögen:

»Eine Dame suchte ihn besonders durch entschleiernde Kleidung zu gewinnen. Die griechische Tracht, die damals getragen wurde, enthüllte mit ihren anschmiegenden Gewändern alle reizvollen Formen.

Auf einem von einem fremden Fürsten gegebenen Maskenball erschien die Person quästionis als Venus, aber ihr Äußeres schmiegte sich mehr dem der Bacchantinnen an, so reizend sie auch übrigens war. »Sehn Sie doch, mein Prinz!« – sprach der junge Herr, welcher heute stets in seine Fußtapfen trat – »sehn Sie doch das göttliche Weib!«

»Eva im Paradiese und ohne Feigenblatt« entgegnete L. – »ich möchte nicht ihr Adam seyn, die Schlange schaut zu sichtbar unter den bloßen Äpfeln der Versuchung hervor!«

Und er entfernte sich für immer von dem jungen Kuppler und hatte fortan kein Auge für die Schönheit des Weibes.«

Im allgemeinen werden die Badeerlebnisse nicht so platonisch verlaufen sein. Aus späteren Jahrzehnten, als die Berliner schon nach Freienwalde, ja bis nach Doberan gingen, als Heringsdorf zwar noch recht abseits lag aber langsam, namentlich für die Künstler und die Finanzwelt in Aufnahme kam, liegt denn auch schon mancher Bericht über die Galanterie der Berliner im Bade vor. Stieber berichtet aus den vierziger Jahren von »Phrynen, die in den Badeorten große Einnahmen haben und sehr gefährlich für die Gesundheit der Badegäste sind«.

Aber es waren nicht nur die geschäftigen Galanten, die das Amüsement der Badeorte vermehrten und die auch heute noch in allen eleganten Badeorten – Baden-Baden, Monte Carlo, Davos, Nizza, Zoppot, Kissingen, Homburg und in den teureren Ostseebädern, in Heringsdorf, Warnemünde und manchem anderen Bad ihr Wesen treiben. Sie wissen nicht nur die moderne Einrichtung der Familienbäder geschickt zu benutzen und in den alierneuesten bunten, reizvoll verhüllenden und noch reizvoller enthüllenden Badeanzügen von ihren Schönheiten mehr oder weniger zu überzeugen. Sie sind auch bei den Kurkonzerten, den Gesellschaftsabenden oft in der vordersten Reihe. Sie verstehen auch vorzüglich das alte Spiel von der Tochter in der Begleitung der älteren Mutter oder der jungen Dame aus der Gesellschaft und ihrer Tante zu spielen. Und manches Strandkorbidyll, manche empfindsame Mondscheinpromenade auf dem Seesteg endet oft damit, daß der männliche Teil die Pensionskosten und Rückfahrt zahlt, weil »die Sendung von zu Hause« nicht eingetroffen ist.

siehe Bildunterschrift

Dely: In Scheidung.
»Was sehe ich, du hast dich verlobt Elsa?«
»Dja. – Ich fühle mich so sehr vereinsamt!«

Immerhin sind die galanten Reiseerlebnisse, die so prosaisch enden, seltener als jene Erlebnisse, die mit der Halbwelt nichts zu tun haben und die vom zartesten und harmlosesten Erlebnis – wie Bismarcks Galanterie in Ems, als er sich mit der Lucca gemeinsam photographieren ließ und so seine Vorurteilslosigkeit vor aller Welt bekundete – bis zu den leidenschaftlichsten Ereignissen hinaufsteigen. Wie oft haben sich schon Freund und Freundin – verabredet und auch unbeabsichtigt – im Bade getroffen. Man sitzt zusammen – im Strandkorb – oder auch bei schlechtem Wetter abends im Zimmer. Und unwillkürlich tauchen Wünsche auf. Der eine kommt dem andern entgegen. Die fremde Umgebung läßt manche Bindung vergessen. Jeder wundert sich wohl, daß der andere ihm entgegen kommt. Und doch, welch ein Glück, wenn sie ihm an die Brust sinkt und er seine Arme um sie legt. –

Viele reisen auch dreist oder verschämt als Ehepaar und tragen sich in den Gastbüchern des Hotels als Mann und Frau ein. Es ist nur gut, daß die Pförtner nicht immer nach Legitimationspapieren fragen. –

Andere wiederum reisen offen als Freund und Freundin. Ja, es gibt manche jüngeren und älteren Fräuleins, die den Anspruch darauf machen, als Dame zu gelten und zur Gesellschaft zu gehören, die offenherzig davon sprechen, daß sie verreisen, wenn sie – angenehme Begleitung haben ... Viele der Frauen und Mädchen, die sich selbständig in Berlin ernähren, haben sich übrigens daran gewöhnt, allein zu reisen und auch ihre Badeerholung allein oder höchstens in einem harmlosen Familienanschluß zu verbringen. Manchmal aber schleicht sich auch an den einsamsten Strandkorb der Flirt heran. Man spaßt, man spielt miteinander. Andere Paare kommen hinzu. An heißem Abend wird ein kleines Fest gefeiert – mit Lampions im Strandkorb oder einem Ausflug im Mondschein. Und niemand wundert sich, wenn die erste Einsamkeit in heitere Zweisamkeit endet – und daß sie zu einem Kaffee auf ihrem Zimmer einladet, bei dem der Herr die Gäste empfängt, als sei er in seinem eigenen Heim ... Später, in Berlin, trifft man wohl noch ab und zu mit Bekannten zusammen. Manchmal entwickelt sich eine Ehe daraus. Meist aber nur eine schöne Erinnerung ... Schließlich kennt man sich kaum noch. –

Eine besondere Note im galanten Leben Berlins sind die sonnabendlichen Bäderzüge zur Ostseeküste und überhaupt zu den Kurorten, die nur wenige Stunden von Berlin aus entfernt liegen. Mit diesen Zügen fahren die wirklichen Ehemänner oft nur über Sonntags zu ihren Frauen, die eine wochen- und monatelange Kur in den Badeorten treiben. Zahllose sehnsuchtsvolle Frauen stehen hoffend und erwartungsvoll auf dem Bahnsteig und sinken hingebend dem Gatten in die Arme. Manch eine hat vergessen, daß in den Tagen vorher andere Arme sie an sich drückten. –

Gefährlich sind Gruppen von jungen Leuten, die in einem feineren Quartier zusammen leben, wohl gar ein Auto bei sich haben oder ein Motorboot und die nun die Damenwelt der Nachbarschaft zu gemeinsamen Fahrten einladen. Solche Fahrten bringen über die Teilnehmerinnen einen gewissen Rausch, der dann leicht zu weiteren Räuschen führt.

Auch der Wintersport hat seine galanten Seiten. Die Mode der in Beinkleidern rodelnden und skilaufenden oder durch den tiefen Schnee wandernden Frauen und Mädchen ist ebenso praktisch wie galant. Und unendlich viele Gelegenheiten, vor allem das gemeinsame Rodeln mit seinem engen Beisammensein auf einem Schlitten, schlagen manche Brücke. Und wieviel Damen müssen im Winter der Gesundheit halber in die klare Bergluft! Und schließlich treffen sie dort einen Bobfahrer, den sie von wer weiß woher kennen; und sie sind nur erbost, daß er nicht ohne seine Frau da ist. Kaum gelingt es ihnen, ihm ein Wort zuzurufen, daß sie ihn im nächsten Ort am nächsten Tag erwarten – aber allein! –

Die Sonne glüht auch auf dem Schnee ...

Fast die gleichen Motive, die so viele Frauen in die Bäder führen, bringen sie auch in die Sanatorien. Sie haben durchaus eine Erholung nötig. – Und es ist nur gut, daß stets junge oder unternehmungslustige Männer in diesen Instituten zu finden sind, die gern gemeinsame Spaziergänge mitmachen, die auch ständig um diese oder jene Dame herum sind, ihr den Stuhl zurecht rücken, ihr vorlesen oder sie durch fröhliche Unterhaltung erheitern. Bei vielen Frauen geschehen Wunder, wenn sie einmal auf einige Zeit fort sind von ihren Ehemännern. Sie werden wirklich wieder jung und frisch, wenn sie erleben, daß sie noch begehrenswert sind. –

Nicht immer endigt der Aufenthalt im Sanatorium mit einer frohen Heimkehr ins Eheheim. Oft entwickeln sich auch Scheidungsprozesse aus solchen Erholungswochen.

Manche Sanatorien sind geradezu dafür bekannt, daß in ihnen die überreizten und unbefriedigten Frauen ihre innere Ruhe wiederfinden – weil eben die dort weilenden Männer galant sind, bald zart, bald feurig, wie das bald diesem, bald jenem weiblichen Temperament entspricht. Manche unglückliche, von ihrem Mann vernachlässigte Frau findet dort ihre Gesundheit wieder und fragt nicht mehr danach, wieviel Damenbekanntschaften ihr Mann unterhält, weil sie auch nichts von ihren Herrenbekanntschaften mitteilt. –

Junge, erholungsbedürftige Mädchen werden manchmal von ihren Freunden in Sanatorien untergebracht – um zu gesunden oder aber um sich ein wenig gesellschaftlich zu vervollkommnen. Der Freund glaubt, sie fänden dort Ruhe. Aber er erfährt nichts davon, wie sie mit älteren Herren herumspielen, sich balgen, Körper an Körper ringen – und er freut sich nur, daß sie kräftiger werden, trotzdem sie keine Ruhe haben.

Denn die Galanterie findet überall hin, wo Frauen und wo Männer sind. Und selbst, wenn sie krank sind. – – –


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